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Geheimgeschichten
(2006)
Der Beitrag diskutiert Genese, Bedeutungsgehalt und theoretischen Kontext des Merton’schen Konzepts der Opportunitätsstruktur und des von ihm bei Weber entliehenen Konzepts der Lebenschancen. Die These lautet, dass beide Konzepte konflikttheoretisch interpretiert werden müssen, damit sie ihr volles analytisches und erklärendes Potenzial zur Analyse zentraler sozialer Konflikte entfalten können. Es wird davon ausgegangen, dass beide Konzepte in ihrem Bedeutungsgehalt konvergieren, ein konflikttheoretisch inspiriertes Verständnis aber unterschiedliche theoretische Strategien erfordert. Während die Opportunitätsstrukturen jenseits des Merton’schen Verständnisses reinterpretiert werden müssen, um verstehen zu können, dass das Handeln sozialer Akteure die Optionen anderer beschränken kann, ist für die Lebenschancen ein Zurück zu Max Webers ursprünglicher Idee angezeigt, um der Bedeutung sozialer Schließung als sozialen Mechanismus einer Auseinandersetzung um knappe Güter nachgehen zu können
Editorial
(2010)
In der Wissenschaft sollten Geburtstage oder Jubiläen bestenfalls Anlass, nicht aber der eigentliche Grund sein, sich in Form eines Schwerpunktheftes erneut mit dem Werk eines wichtigen Vertreters der Zunft zu befassen. Nur allzu leicht geraten Rückblicke zu einer bloßen Einordnung eines Werkes in den Kontext seiner Zeit und beschränken sich damit auf seine schlichte Historisierung. Das lange Schaffen Robert King Mertons ließe sich ohne Probleme als bedeutender Teil der Geschichte der Soziologie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschreiben. Doch Merton selbst hat schon früh betont, dass in der Wissenschaft ein grundlegender Unterschied zwischen erzählter (Wissenschafts-)Geschichte und systematischer Analyse eines klassischen theoretischen Werkes besteht. In diesem Sinne geht es darum, jenem Diktum Alfred N. Whiteheads gerecht zu werden, das Merton selbst seinem Hauptwerk Social Theory and Social Structure vorangestellt hat: „A science that hesitates to forget its founders is lost.“ Damit sollte keineswegs die fortbestehende Bedeutung einer Auseinandersetzung mit den klassischen Texten der Soziologie in Zweifel gezogen werden, aber eben nicht in der Form immer wiederkehrender Exegese, die zum gebetsmühlenhaften Wiederholen bereits bekannten Wissens oder zu dessen Banalisierung führen muss. Vielmehr ging es Merton darum, dass der theoretische Wissensfundus sowie die forschungspraktischen und methodischen Erfahrungen und Kenntnisse der Soziologie im Zentrum der Beschäftigung mit den Klassikern und Gründervätern der Disziplin stehen sollten.
Im Auftrag des Staates
(2011)
Folter ist ein Akt extremer kollektiver Gewalt, der im Auftrag eines Staates im Geheimen ausgeübt wird. Die Frage, was Menschen dazu bringt, anderen Menschen diese extreme Gewalt anzutun, verengt den Blick für ein Verständnis der Folter allzu schnell auf individualistische Erklärungsversuche. Der vorliegende Aufsatz geht im Gegensatz dazu von der Gruppe der Folterer aus und rückt die sozialen Beziehungen dieser Form der Vergesellschaftung und die von ihnen ausgehenden sozialen Dynamiken und Effekte in den Mittelpunkt. In einem ersten Schritt werden Georg Simmels formale Bestimmungen der geheimen Gesellschaft rekonstruiert und auf die geheime Gesellschaft der Folterer angewandt und spezifiziert; auf dieser Grundlage werden im zweiten Schritt Handlungsbedingungen der Mitglieder der geheimen Gesellschaft der Folterer herausgearbeitet; der dritte Schritt bestimmt die eigendynamischen Prozesse des Phänomens der Folter, die aus der Eskalation politischer Konflikte, der Gruppe der Folterer und der Situation der Folter erwachsen. Die These lautet, dass sich aus der Perspektive einer relationalen Soziologie ein theoretischer Zugriff auf das Problem der Folter ergibt, der weiterführende Erklärungen des Phänomens ermöglicht.
Gewalttätige soziale und politische Auseinandersetzungen, wie sie sich jüngst in den Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens, in den französischen Banlieues oder in London ereignet haben, deuten darauf hin, dass die sozialen Ordnungen, in denen sie entstehen, nicht länger ungeteilt als legitim erachtet werden. Vielmehr werden sie von alternativen Ordnungsvorstellungen infrage gestellt und herausgefordert. Auf die Erklärung derartiger Ordnungskonflikte ist die Soziologie nicht gut vorbereitet. Der Aufsatz skizziert deshalb zunächst Probleme und offene Fragen einer Soziologie der Gewalt – von der klassischen Soziologie über begrifflich-konzeptionelle und theoretisch-methodologische Probleme bis hin zu problematischen modernisierungs- und zivilisationstheoretischen Annahmen über eine künftige Rolle von Gewalt in sozialen Prozessen. Eine Erklärung der genannten Phänomene, so die These, wird nur dann möglich, wenn eine Soziologie der Gewalt den konstitutiven Zusammenhang von Phänomenen physischer Gewalt und Formen sozialer Ordnung in den Mittelpunkt stellt. Eine erklärende Soziologie, die „Warum“- und „Wie“-Fragen nicht auseinanderreißt, muss sich dazu auf die sozialen Mechanismen der Gewaltentstehung in Prozessen der Produktion und Reproduktion sozialer Ordnung konzentrieren.
Editorial
(2013)
Das „Berliner Journal für Soziologie“ beginnt seinen 23. Jahrgang mit einem Heft zum Schwerpunktthema „Ordnung und Gewalt“. Damit geben zwei Begriffe und Konzepte die Perspektive vor, die auf die Konstitutionsproblematik von Gesellschaften verweisen. Das wechselseitige Verhältnis von sozialer Ordnung und Gewalt steht im Mittelpunkt der Beiträge. Einerseits untersuchen sie dieses Wechselverhältnis anhand unterschiedlicher Gewalt- und Ordnungsformen und ihres Zusammenspiels, andererseits thematisieren sie Gewalt sowohl als individuelles, aber gesellschaftlich gerahmtes als auch als kollektives und damit organisiertes soziales Phänomen.