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§ 70 Hohe See
(2024)
Die Reform der Haskala
(2021)
Der erste programmatische Text der Haskala, der durch die josephinischen Toleranzpatente inspirierte Traktat Naphtali Herz Weisels (= Hartwig Wessely, 1725–1805) Divre Schalom we-Emet, befasste sich mit der Neuorganisation des jüdischen Unterrichts. Bewusst ging Weisel in dieser Schrift, die mit grundsätzlichen Idealen traditioneller jüdischer Erziehung brach, vom Bibelvers"נחךונלרעלעיפרדוכ,םגייכקזןיאלסירוממהנ" („Erziehe den Knaben nach seinen Fähigkeiten, dann wird er auch im Alter nicht davon abweichen“, Sprüche22,6) aus. Im Unterschied zur traditionellen Betonung von Limmud, das heißt des Studiums von religiösen Schriften des Judentums, stellte Weisel Chinnuch, also Erziehung, ins Zentrumseiner Überlegungen.
In weiten Teilen der Geschlechterforschung ist die Unterscheidung zwischen Privatheit und Öffentlichkeit von großer analytischer Bedeutung für das Verständnis moderner Geschlechterverhältnisse. Dennoch weisen ihre Analysen vielfach begriffliche Unschärfen im Gebrauch der Unterscheidung auf: Zum einen wird Familie mit Privatheit, Erwerbsarbeit mit Öffentlichkeit identisch gesetzt; zum anderen werden beide Unterscheidungen parallel verwendet. Der Beitrag setzt die beiden Unterscheidungen Privatheit/Öffentlichkeit und Familie/Erwerb mithilfe der Luhmann’schen Systemtheorie auf neue Weise ins Verhältnis. Dazu greift er den Forschungsansatz Doing Family auf, der Familie als Herstellungsleistung versteht. Vorgeschlagen wird, familiale Privatheit als staatlich geschützte familiale Selbststeuerungsebene zu begreifen, auf der sich die Familie gegenüber als öffentlich begriffenen Umwelterwartungen wie dem (dynamischen) Arbeitsmarkt sowohl abgrenzt als auch auf sie antwortet. Entsprechend besitzt jedes einzelne Familiensystem seine eigene Privatheit und Öffentlichkeit. Damit einhergehend, lassen sich die Individualisierung der Familienmitglieder als auch die zunehmende Irrelevanz von Gender für die familiale Binnenstruktur beobachten: Da jedes Familiensystem die Unterscheidung auf unterschiedliche Weise handhabt, findet eine Heterogenisierung von Familienformen statt.
Vor der Gewalt
(2023)
Wilhelm Herzbergs „Das Mädchen von Tanger“ ist an zentraler Stelle seiner Jüdischen Familienpapiere als Binnenerzählung angelegt. In diesem konkreten Fall handelt es sich um eine gerahmte Binnenerzählung, die als fingierte Quelle dem Leser Authentizität vermitteln soll. Die literarischen Vorbilder dieses Genres liegen sowohl in der klassischen indischen und persischen Literatur als auch in der homerischen Odyssee. Die Binnenerzählung wurde von Goethe in seinen Unterhaltungen deutscher Auswanderer (1795) weiterentwickelt. Im 19.Jahrhundert wurde sie stilbildend und erfreute sich großer Beliebtheit. Sie verfügt über eine eigene epische Erzählstruktur und versteht sich als „Erzählung in der Erzählung“ . Dadurch kann sie noch zusätzliche Akzente setzen und zugleich moralische Anleitung für die Leserschaftbereithalten.
Prognose, Planung, Sicherung
(2024)
Der oft beschworene Aufstieg der Managementberatung zu einem integralen Bestandteil von Unternehmensführung besitzt eine selten beachtete Seite: Managementberatung ist nicht nur zu einer anerkannten Praktik der „guten Regierung“ des Unternehmens geworden, sondern zugleich zu einer legitimen Form der Produktion von Managementwissen. Im Folgenden soll dem Wandel der diskursiven Praxis der Produktion von Managementwissen nachgegangen und seine Bedeutung für den Wandel der Praxis der Unternehmensführung eruiert werden. In einem ersten Schritt sind die Praxis des Managements und ihre Logik zu skizzieren, um einerseits den Alltag des Managements zu begreifen und andererseits zu verstehen, dass in diesem Alltag die Möglichkeit diskursiven Wandels angelegt ist.
Kampf und Konflikt
(2020)
Der Begriff des Kampfes nimmt in der Soziologie Max Webers eine zentrale Rolle ein. In § 8 der Soziologischen Grundbegriffe definiert Weber: »Kampf soll eine soziale Beziehung insoweit heißen, als das Handeln an der Absicht der Durchsetzung des eigenen Willens gegen Widerstand des oder der Partner orientiert ist« (WuG, 20). Als soziales Handeln sind Kämpfe objektiv verstehbar, weil die Handelnden mit ihrem Verhalten einen subjektiv gemeinten Sinn verbinden.
Militär und Moral sind scheinbar zwei sich gegenseitig ausschließende Begriffe. Kriegerische Konflikte und die Tötung von Menschen kommen uns gänzlich unmoralisch vor. Wenn überhaupt, ist die Kampfmoral (Biehl, Heiko. 2012. Einsatzmotivation und Kampfmoral. In Militärsoziologie – Eine Einführung. 2., aktualisierte und ergänzte Aufl., Hrsg. Nina Leonhard und Ines-Jacqueline Werkner, 447–474. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.) ein gängiges Konzept. Nichtsdestotrotz wird im vorliegenden Beitrag angenommen, dass das Militär moralisch handeln kann. Es wird argumentiert, dass das Militär mit widersprüchlichen moralischen und rechtlichen Erwartungshaltungen konfrontiert wird und diese Erwartungen in Entscheidungen übersetzt. Dadurch gerät das Militär jedoch stetig in moralische Entscheidungsdilemmata. Am Beispiel der Seenotrettung im Mittelmeer zwischen 2015 und 2018 soll exemplarisch gezeigt werden, dass das Militär sowohl eine Situationsmoral und moralische Routinen entwickelt als auch Vermeidungsstrategien verfolgt, die jegliche Moralerwartungen von der Organisation fernhalten. Der Beitrag arbeitet hierbei mit einem Moralbegriff philosophischer Provenienz und zeigt verschiedene analytische Dimensionen auf, die zur Analyse von Moral von Organisationen beitragen können.