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In der vorliegenden Arbeit wird eine Studie zum mentalen Lexikon bei Kindern mit Williams-Beuren-Syndrom (WBS) präsentiert. Das Lexikon junger WBS-Kinder entwickelt sich verzögert (Mervis & Robinson, 2000). Trotzdem gilt das Lexikon jugendlicher WBS-Probanden im Vergleich zu Probanden mit anderen Syndromen als elaboriert (Wang et al. 1995). Dies könnte auf sich spät entwickelnde Sprachfähigkeiten hindeuten. Es wird vermutet, dass ab 11 Jahren Veränderungen stattfinden, durch die das typische Profil des WBS erst entsteht (Rossen et al. 1996). Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, sich der Aufholphase zu nähern, indem die lexikalischen Fähigkeiten vor dem kritischen Alter untersucht werden. Dazu werden zwei lexical constraints untersucht, die Markman (1989) für den ungestörten Lexikonerwerb postuliert. Whole object constraint (WOC): Das Kind nimmt an, dass sich ein unfamiliäres Wort auf ein ganzes Objekt bezieht. Mutual exclusivity constraint (MEC): Das Kind nimmt eine beidseitig exklusive Beziehung zwischen Wortform und Referenten an. Zum WBS gibt es eine einzige Studie zu den constraints (Stevens & Karmiloff-Smith 1997). Die WBS-Probanden sind zu alt (7;5 bis 31;5), um Aussagen über die Sprachfähigkeiten in der Zeit des Spurts machen zu können. Markman postuliert die constraints als Teil des universalen Wissens von Kindern. Dementsprechend ist die Hypothese, dass die constraints auch bei WBS-Kindern aktiv sind und in experimentellen Situationen zur Anwendung kommen. Zentral für die Hypothese ist die Untersuchung von Vorschulalkindern. Es werden 5 WBS-Kinder (3;2-7;0) und 98 chronologisch gematchte Kontrollkinder im WOC bzw. 97 im MEC untersucht. Es wird jeweils ein Versuch zum WOC (n=9) und zum MEC (n=12) durchgeführt. Beim WOC-Versuch wählen WBS-Kinder und Kontrollkinder am häufigsten das Zielitem. Die WBS-Kinder wählen häufig das Teilablenkerbild. Im Einzelfallvergleich sind 4 der 5 WBS-Kinder im Vergleich zu ihrer Kontrollgruppe auffällig. Im MEC-Versuch zeigen die ungestörten Kinder signifikant häufiger auf das Bild mit dem phonologischen Ablenker als die WBS-Kinder. In der Einzelfallanalyse liegen 4 von 5 WBS-Kindern bei der Auswahl des Zielitems oberhalb des Mittelwertes ihrer Kontrollgruppe. Insgesamt ergeben sich durch das Verhalten der WBS-Kinder in den Versuchen eher Hinweise auf defizitäre perzeptuelle Einflüsse auf die Anwendung der lexikalischen constraints als auf ihr Fehlen. Als Ursache für das Verhalten der WBS-Kinder wird die Detailpräferenzhypothese postuliert. Majerus et al.s (2003)Hypothese wird um die visuelle Verarbeitung erweitert. Diese findet lokal statt und kann nur bedingt Gattungsbegriffe aufbauen. Den überspezifizierten Wortformen stehen Teilrepräsentationen gegenüber. Die entstehenden semantischen Repräsentationen sind an konkreten Erfahrungen orientiert und verbleiben auf einer überspezifizierten Form. Mit der Hypothese der generellen Detailpräferenz wird zum ersten Mal eine einheitliche Wurzel für das Verhalten von WBS-Kindern im Vorschulalter in verschiedenen psychologischen Fakultäten aufgestellt. Majerus, S., Van der Linden, M., Mulder, L., Meulemans, T., & Peters, F. (2003). Verbal short-term memory reflects the sublexical organization of the phonological language network: evidence from an incidental phonotactic learning paradigm. Journal of Memory and Language, 51, 297-306. Markman, E. (1989). Categorization and naming in children. Cambridge MA: MIT Press. Mervis, C. B. & Robinson, B. F. (2000). Expressive vocabulary ability of toddlers with Williams syndrome or Down syndrome: a comparison. Developmental Neuropsychology, 17, 11-126. Rossen, M., Klima, E., Bellugi, U., Bihrle, A., & Jones, W. (1996). Interaction between language and cognition: evidence from Williams syndrome. In J. H. Beitchman, N. Cohen, M. Konstantareas, & R. Tannock (Eds.), Language, learning and behavior disorders: developmental, biological, and clinical perspectives. (367-392). New York: Cambridge University Press. Stevens, T. & Karmiloff-Smith, A. (1997). Word learning in a special population: do individuals with Williams syndrome obey lexical constraints? Journal of Child Language, 24, 737-765. Wang, P. P., Doherty, S., Rourke, S. B., & Bellugi, U. (1995). Unique profile of visuo-perceptual skills in a genetic syndrome. Brain and Cognition, 29, 54-65.
Auszug: Aphasien sind variable Sprachstörungen, die auf umschriebene Hirnläsionen zurückführbar sind und die Produktion und Verständnis separat oder kombiniert betreffen (Weniger 2003). Hierbei wird das klinische Syndrom oft mit der Lokalisation der morphologischen Gehirndefekte (z. B. durch Hirn-infarkte oder -blutungen oder Tumoren) korreliert. Sprachkompetenz gilt in erster Linie als eine Leistung des Kortex, jedoch wurden v. a. im Zuge sich verbessernder bildgebender Verfahren aphasische Syndrome auch nach Läsionen subkortikaler Hirnregionen, insbesondere der Basalganglien und des Thalamus nachgewiesen (Wallesch & Papagno 1988; Friston et al. 1993; Nadeau & Crosson 1997; Zoppelt & Daum 2003; DeWitte et al. 2006; Wahl in Druck). Diese Strukturen liegen in der Tiefe des Gehirns und kommunizieren über weit gefächerte Faserverbindungen mit dem Kortex. In erster Linie werden den Basalganglien senso-motorische Kontrollfunktionen zugewiesen (Alexander et al. 1986). Diverse Erkrankungen, die durch Störungen physiologischer Bewegungsabläufe gekennzeichnet sind (z. B. Morbus Parkinson, Chorea Huntington), werden auf Funktionsdefekte dieser Strukturen zurückgeführt. Hierbei wurde der Thalamus häufig als Relais-Station des Informationsaustauschs zwischen anatomisch entfernten Arealen des Nervensystems aufgefasst. Basalganglien und Thalamus jedoch können darüber hinausgehende Funktionen, z. B. zur Bereitstellung, Aufrechterhaltung und Auslenkung von Aufmerksamkeit bei der Bearbeitung kognitiver Aufgaben, zugesprochen werden (Cavedini et al. 2006; Piguet et al. 2006; Klostermann et al. 2006; Marzinzik et al. 2008). [...]
Auszug: Wie arbeitet unser Gehirn? Was sind die Grundlagen der Kognition? Wie funktioniert unser Sprachsystem? Das ist nur ein kleiner Teil der Probleme, mit denen sich Kognitionsforscher und Neurowissenschaftler auf der ganzen Welt auseinandersetzen. Die Frage nach den neurofunktionellen Grundlagen der Sprachverarbeitung hat dabei zunehmend an Bedeutung gewonnen. Obwohl jedes gesunde Kind problemlos und auch unter schwierigen Bedingungen Sprache erwerben und verwenden kann, sind die zugrunde liegenden kognitiven und neurofunktionellen Mechanismen hierfür noch weitgehend ungeklärt. Immer häufiger werden neurolinguistische Fragestellungen mit funktionell-bildgebenden und anderen modernen Verfahren der Hirnforschung untersucht. Ein wesentliches Ziel dieser Forschungsbemühungen ist es, herauszufinden, wie Bedeutungen und Wörter in unserem Gehirn gespeichert sind. Ein besonderes Interesse wird gegenwärtig dem Problem der neuronalen Verarbeitung von Nomen und Verben entgegengebracht. Aktuelle Fragestellungen sind dabei, welche neuroanatomischen Korrelate der Verarbeitung von Nomen und Verben unterliegen und ob es Faktoren gibt, die die Verarbeitung beeinflussen. Zur Beantwortung dieser und weiterer Fragestellungen wurden im Rahmen meines Forschungsprojektes1 funktionelle Magnetresonanzdaten zum Benennen von Nomen und Verben bereitgestellt. Die wichtigsten Methoden und Ergebnisse sollen im Folgenden kurz dargelegt werden. [...]
Auszug: Bei der Beschreibung und Analyse von zentralen Störungen des Nachsprechens stehen - wie bei der Beschreibung und Analyse von Sprachproduktionsstörungen allgemein - Abweichungen auf der lautlichen Ebene zumeist im Vordergrund. In der schwersten Form solcher Störungen können dabei nur noch phonematische Neologismen produziert werden. Doch auch die Definition phonematischer Neologismen als „Wörter, die in der Standardsprache aus lautlichen Gründen … nicht vorkommen“ (Huber et al. 1983) bzw. „Lautkette, … die als solche kein Wort der betreffenden Sprache ist“ (Tesak 2006) beschränkt sich auf segmentale Abweichungen. Prosodische Abweichungen hingegen - insbesondere Abweichungen bei der Wortbetonung - sowie mögliche Wechselwirkungen zwischen segmentalen und prosodischen Eigenschaften von Stimulus und Reaktion werden kaum diskutiert. [...]
Auszug: In der psycho- und neurolinguistischen Morphologieforschung wird die Frage behandelt, wie polymorphematische Wörter, d. h. Wörter, die aus mehr als einem Morphem bestehen (z. B. Apfel-baum; Be-mal-ung, mal-e), im mentalen Lexikon repräsentiert sind und wie sie verarbeitet werden. Spielt die interne morphologische Wortstruktur dabei überhaupt eine Rolle oder sind solche Wörter ganzheitlich repräsentiert? Die beiden großen konkurrierenden Theorien zur Verarbeitung polymorphematischer Wörter sind die Dekompositionshypothese und die Auflistungshypothese. Nach der Dekompositionshypothese werden morphologisch komplexe Wörter bei der rezeptiven Worterkennung in ihre Einzelteile aufgespalten (dekomponiert), beim expressiven Wortabruf müssen die zugrunde liegenden Morpheme einzeln vom Lexikon abgerufen und zu einer Vollform zusammengesetzt (komponiert) werden (z. B. Taft & Forster 1976). Im Unterschied dazu besagt die Auflistungshypothese, dass komplexe Wörter als Vollformen im Lexikon repräsentiert sind und abgerufen werden (Butterworth 1983). Wortbildungsregeln kommen nach der Dekompositionshypothese also grundsätzlich zum Einsatz, während nach der Auflistungshypothese morphologische Prozesse nur bei der Verarbeitung von unbekannten Vollformen oder bei der Bildung neuer Vollformen ablaufen. [...]
Semantik
(2008)
Auszug: In diesem Beitrag werden „von der Theorie zur Therapie“ aktuelle theoretische Annahmen über die Organisation semantischer Repräsentationen sowie der gegenwärtige Stand der Forschungsliteratur zur Behandlung semantischer Störungen vorgestellt. Zunächst gebe ich einen Einblick in die Fragestellungen meiner Dissertation, in der mit zwei Reaktionszeitexperimenten insbesondere die Frage überprüft wurde, ob für Konzepte aus biologischen semantischen Kategorien andere Organisationsprinzipien angenommen werden müssen als für Konzepte aus künstlichen, von Menschenhand geschaffenen semantischen Kategorien. Anschließend wird ein Einblick in die gegenwärtige Literatur zur Therapie semantischer Störungen und den zu erwartenden Generalisierungseffekten auf in der Therapie nicht behandelte Items gegeben. [...]
Auszug: Etwa zwei Drittel aller Ausgaben der Krankenkassen für das Heilmittel Sprachtherapie betreffen ein Klientel in der Altersgruppe der 0- bis 15-jährigen (GVK-HIS Bundesrepublik 2007). Spracherwerbsstörungen stellen das häufigste Entwicklungsrisiko bei Kindern dar. Ca. 18% der einzuschulenden Kinder weisen einen Förderbedarf im Entwicklungsbereich Sprache auf (Tollkühn 2001) und ca. 18% der 6-jährigen Jungen erhalten nach dem Heilmittelbericht 2006 Sprachtherapieverordnungen (Schröder & Waltersbacher 2006). Die überwiegende Mehrheit erhält diese Verordnung aufgrund der Zuweisung des Indikationsschlüssels „Störungen der Sprache vor Abschluss der Sprachentwicklung“. Darunter fallen v.a. Kinder mit einer primären Spracherwerbsstörung, für deren Art und Ausmaß keine Hörstörung, keine Intelligenzbeeinträchtigung, keine neurologische Schädigung oder soziale Deprivation verantwortlich gemacht werden kann. Für diese besondere Entwicklungssituation wird die Diagnose „Spezifische Spracherwerbsstörung (SSES)“ vergeben (Grimm 2003; Dannenbauer 2002). [...]
Auszug: Seit langem ist bekannt, dass Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen meist schon in einem frühen Stadium ihrer Sprachentwicklung auffallen: die ersten Wörter werden verspätet produziert, der Wortschatz wächst langsamer an, der Vokabularspurt setzt verzögert ein oder bleibt aus, so dass das produktive Vokabular mit zwei Jahren weniger als 50 Wörter umfasst. Außerdem treten keine Wortkombinationen auf. Obwohl bei nahezu jeder Sprachentwicklungs-störung retrospektiv derartige frühe Anzeichen auszumachen sind, mündet andererseits nicht jede frühe Verzögerung in eine anhaltende Störung. Diese Beobachtung hat Anlass zu einer regen Forschungstätigkeit gegeben. Im Zentrum steht die Frage, anhand welcher Kriterien sich der weitere Entwicklungsverlauf eines sprachlich verzögerten Kindes prognostizieren lässt. Der Forschungsstand zu diesem Bereich wurde an anderer Stelle bereits ausführlich beschrieben (z. B. in Kauschke 2000, 2003, 2006a). In diesem Beitrag möchte ich die Entwicklungswege dieser Population anhand aktueller Studien skizzieren, die Problematik der Prädiktion ansprechen und eine Studie über Sprachentwicklungsverläufe im dritten Lebensjahr vorstellen, in der ungestörte Kinder und sprachlich verzögerte längsschnittlich beobachtet wurden. Es folgen Überlegungen zur Therapienotwendigkeit und Therapiekonzeption, die durch die Darstellung eines exemplarischen Therapieverlaufs bei einem Einzelfall illustriert werden. [...]
Auszug: Lange Zeit hat die Spracherwerbsforschung den Erwerb des syntaktischen Wissens in den Mittelpunkt gestellt, da Syntax als humanspezifisch angesehen und somit als der zentrale Bereich von Sprache verstanden wurde. Auch ein aktueller Aufsatz von Hauser, Chomsky & Fitch (2002) setzt die Sprachfähigkeit im engeren Sinne („language faculty narrow“) mit dem in der Syntax gegebenen Rekursionsmechanismus gleich. Syntax, so die Autoren weiter, konnte bislang noch keinem subhumanen Primaten beigebracht werden, wohingegen ein Erwerb von Wörtern bereits belegt wurde. So lernte beispielsweise der Bonobo Kanzi knapp 600 Begriffe (Savage-Rumbaughh & Lewin 1994). Lässt sich daraus ableiten, dass Wörter im Rahmen der menschlichen Sprachfähigkeit weniger wichtig sind als das syntaktische Wissen? Sind Wörter letztendlich nur „Zierrat“ an einem rein syntaktischen Sprachgebäude? [...]
Der vorliegende Tagungsband enthält alle Beiträge des 1. Herbsttreffens Patholinguistik, das am 24.11.2007 an der Universität Potsdam stattgefunden hat. Sowohl die drei Hauptvorträge zum Thema „Der Erwerb von Lexikon und Semantik – Meilensteine, Störungen und Therapie“ als auch die Kurzvorträge promovierter Patholinguisten sind ausführlich dokumentiert. Außerdem enthält der Tagungsband die Abstracts der präsentierten Poster.