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Genisa-Blätter
(2015)
Im Rahmen von zwei Workshops für Nachwuchswissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen, die im November 2012 bzw. im Oktober 2013 in Veitshöchheim (Unterfranken) stattfanden, wurde eine Auswahl des reichhaltigen Materials der Genisa-Forschungsstelle genau unter die Lupe genommen. Erstmals war es somit möglich, das vielfältige Quellenmaterial durch eine gemeinsame fächerübergreifende Bearbeitung zu untersuchen und sich durch inhaltliche Verknüpfungen und Assoziationen der fachkundigen Teilnehmer der Komplexität des fränkischen Judentums angemessen zu nähern. Erfreulicherweise haben einige der Workshop-Teilnehmer ihre Arbeitsergebnisse für diese Publikation aufbereitet.
Die bei den Workshops untersuchten Quellenstücke wiesen keinen gemeinsamen inhaltlichen Schwerpunkt auf. Den Teilnehmern wurde eine Auswahl aus der großen Bandbreite zur Bearbeitung zur Verfügung gestellt. Untersucht wurden schriftliche und materielle Quellen unterschiedlichsten Inhalts, Sprache und Erhaltungszustands, die sich an den Sprachkenntnissen der Workshop-Teilnehmer orientierten. Hier hoffen wir auch in Zukunft, von den Spezialkenntnissen der Teilnehmer profitieren zu können.
Eine umfassende Bewertung nach der Bearbeitung des Materials an nur einem Wochenende kann nicht erfolgen. Das erklärte Ziel der Workshops und der daraus entstandenen Publikation ist es, die Genisot in ihrer Vielfalt einem interessierten Publikum bekannt zu machen. Zugleich soll Interesse für weitere und intensivere Forschungen mit dieser speziellen jüdischen Quellengattung geweckt werden. Es wird sich zeigen, in wie weit die Fortsetzung der Workshops in den nächsten Jahren unser Bild vom jüdischen Leben in Franken bereichern kann.
Als interdisziplinäres Fach sind die Jüdischen Studien eine grosse Herausforderung. Die methodischen Diskussionen der beteiligten Disziplinen müssen nicht nur nachvollzogen, sondern auch auf Forschungsperspektiven der Jüdischen Studien hin überprüft und oft revidiert werden. Gerade in der Literaturwissenschaft haben sich theoretische Zugaenge in den letzten Jahrzehnten verändert und die Philologien beispielsweise auf kulturwissenschaftliche Fragestellungen hin erweitert. Was dies für die Jüdischen Studien bedeutet, die sich textlichen Überlieferungen aus verschiedenen Epochen und kulturellen Zusammenhängen zuwenden, ist bisher jedoch noch nicht vertiefend reflektiert worden. Ebenso gilt es zu klären, inwiefern Themen und Perspektiven der Jüdischen Studien paradigmatisch für die Literaturwissenschaft sind. In vierzehn Beiträgen analysieren international renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die wechselseitige Befruchtung zwischen den Jüdischen Studien und neueren literaturtheoretischen Ansätzen und bieten sowohl eine methodologische Standortbestimmung als auch beispielhafte Textanalysen. In ihrer Bedeutung für die Jüdischen Studien beleuchtet werden u. a. Übersetzungstheorien, Diskursanalyse und Medientheorie, literaturwissenschaftliche Ansätze in den gender studies und in den postcolonial studies sowie Theorien der Performativität, der Intertextualität und der Interkulturalität.
Jüdische Leben erzählen
(2023)
Jüdische Leben erzählen versammelt Werkstattberichte von Autorinnen und Autoren biographischer Studien, die in jahrelanger, intensiver Beschäftigung mit den Hinterlassenschaften von Menschen jüdischer Herkunft deren Leben erforscht haben. Mit dem Ziel, aus der erfolgten Praxis für die künftige Biographieforschung zu lernen, bieten die Praktikerinnen und Praktiker des biographischen Genres erhellende Einblicke in die historiographischen und literarischen Aspekte ihrer Arbeit. Ihre Protagonistinnen und Protagonisten, zu denen unter anderem so einmalige Persönlichkeiten jüdischer Geschichte wie Salman Schocken, Itzik Manger, Friedrich Pollock und Susan Taubes gehören, verkörpern ein breites Spektrum jüdischer Erfahrungen in der Moderne.
Eine biographische Erschließung solcher Erfahrungsräume stellt oft eine große Herausforderung dar. Multiple Identitäten, Mehrsprachigkeit, Transterritorialität, Exil, Flucht und Schoah sind nur einige Beispiele für Erfahrungen und Phänomene, deren ‚Biographierbarkeit‘ alles andere als einfach ist und die sich sogar – wie im Fall der Schoah – jeder Darstellbarkeit entziehen können. Bei der lebensgeschichtlich orientierten Erforschung und Schilderung dieser Phänomene bedarf es einer besonderen methodologischen Diskussion, zu der die Autorinnen und Autoren dieses Bandes im Rückblick auf ihre abgeschlossenen biographischen Projekte essenzielle Beiträge leisten. Ihre Werkstattberichte machen deutlich, dass Biographie zu den schwierigsten historiographischen Genres gehört, sie aber gleichzeitig der historischen Forschung im Allgemeinen und der Erforschung jüdischer Geschichte im Speziellen besondere Möglichkeiten bietet.
Aufklärung und Emanzipation stellten das deutschsprachige Judentum vor die Aufgabe, ein modernes jüdisches Selbstverständnis zu entwickeln, das den neuen gesellschaftlichen Anforderungen entsprach. Dabei war das Gebiet der Erziehung einer jener Bereiche, in denen die jüdische Modernisierung zuerst zum Tragen kam. Durch die Neukonzeption des jüdischen Lernens, die stark von transkulturellen Diskursen geprägt war, entstanden neue pädagogische Konzepte und neue Lehrbücher. Als Erziehungsmittel trugen diese einen wichtigen Teil zum Sozialisierungsprozess des sich transformierenden Judentums bei und sind somit zentrale Quellen für die in jener Zeit stattfindende Aushandlung eines neuen jüdischen Selbstverständnisses. Der Sammelband beleuchtet in Überblicksdarstellungen und Einzelstudien die vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen pädagogischen, religiösen und gesellschaftlichen Entwicklungen dieser Zeit und konturiert damit die im Hintergrund der jüdischen Modernisierung stehenden Prozesse des Kulturtransfers genauer.