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Das Eigene und das Fremde
(2023)
Die vorliegende Arbeit stellt eine Untersuchung des Fremdverstehens von Lehrkräften im Mathematikunterricht dar. Mit ‚Fremdverstehen‘ soll dabei – in Anlehnung an den Soziologen Alfred Schütz – der Prozess bezeichnet werden, in welchem eine Lehrkraft versucht, das Verhalten einer Schülerin oder eines Schülers zu verstehen, indem sie dieses Verhalten auf ein Erleben zurückführt, das ihm zugrunde gelegen haben könnte. Als ein wesentliches Merkmal des Prozesses stellt Schütz in seiner Theorie des Fremdverstehens heraus, dass das Fremdverstehen eines Menschen immer auch auf seinen eigenen Erlebnissen basiert. Aus diesem Grund wird in der Arbeit ein methodischer Zweischritt vorgenommen: Es werden zunächst die mathematikbezogenen Erlebnisse zweier Lehrkräfte nachgezeichnet, bevor dann ihr Fremdverstehen in konkreten Situationen im Mathematikunterricht rekonstruiert wird. In der ersten Teiluntersuchung (= der Rekonstruktion eigener Erlebnisse der untersuchten Lehrkräfte) erfolgt die Datenerhebung mit Hilfe biographisch-narrativer Interviews, in denen die untersuchten Lehrkräfte angeregt werden, ihre mathematikbezogene Lebensgeschichte zu erzählen. Die Analyse dieser Interviews wird im Sinne der rekonstruktiven Fallanalyse vorgenommen. Insgesamt führt die erste Teiluntersuchung zu textlichen Darstellungen der rekonstruierten mathematikbezogenen Lebensgeschichte der untersuchten Mathematiklehrkräfte. In der zweiten Teiluntersuchung (= der Rekonstruktion des Fremdverstehens der untersuchten Lehrkräfte) werden dann narrative Interviews geführt, in denen die untersuchten Lehrkräfte von ihrem Fremdverstehen in konkreten Situationen im Mathematikunterricht erzählen. Die Analyse dieser Interviews erfolgt mit Hilfe eines dreischrittigen Analyseverfahrens, welches die Autorin eigens zum Zweck der Rekonstruktion von Fremdverstehen entwickelte. Am Ende dieser zweiten Teiluntersuchung werden sowohl das rekonstruierte Fremdverstehen der Lehrkräfte in verschiedenen Unterrichtssituationen dargestellt als auch Strukturen, die sich in ihrem Fremdverstehen abzeichnen. Mit Hilfe einer theoretischen Verallgemeinerung werden schließlich – auf Basis der Ergebnisse der zweiten Teiluntersuchung – Aussagen über fünf Merkmale des Fremdverstehens von Lehrkräften im Mathematikunterricht im Allgemeinen gewonnen. Mit diesen Aussagen vermag die Arbeit eine erste Beschreibung davon hervorzubringen, wie sich das Phänomen des Fremdverstehens von Lehrkräften im Mathematikunterricht ausgestalten kann.
Die Vielfältigkeit des Winkelbegriffs ist gleichermaßen spannend wie herausfordernd in Hinblick auf seine Zugänge im Mathematikunterricht der Schule. Ausgehend von verschiedenen Vorstellungen zum Winkelbegriff wird in dieser Arbeit ein Lehrgang zur Vermittlung des Winkelbegriffs entwickelt und letztlich in konkrete Umsetzungen für den Schulunterricht überführt.
Dabei erfolgt zunächst eine stoffdidaktische Auseinandersetzung mit dem Winkelbegriff, die von einer informationstheoretischen Winkeldefinition begleitet wird. In dieser wird eine Definition für den Winkelbegriff unter der Fragestellung entwickelt, welche Informationen man über einen Winkel benötigt, um ihn beschreiben zu können. So können die in der fachdidaktischen Literatur auftretenden Winkelvorstellungen aus fachmathematischer Perspektive erneut abgeleitet und validiert werden. Parallel dazu wird ein Verfahren beschrieben, wie Winkel – auch unter dynamischen Aspekten – informationstechnisch verarbeitet werden können, so dass Schlussfolgerungen aus der informationstheoretischen Winkeldefinition beispielsweise in dynamischen Geometriesystemen zur Verfügung stehen.
Unter dem Gesichtspunkt, wie eine Abstraktion des Winkelbegriffs im Mathematikunterricht vonstatten gehen kann, werden die Grundvorstellungsidee sowie die Lehrstrategie des Aufsteigens vom Abstrakten zum Konkreten miteinander in Beziehung gesetzt. Aus der Verknüpfung der beiden Theorien wird ein grundsätzlicher Weg abgeleitet, wie im Rahmen der Lehrstrategie eine Ausgangsabstraktion zu einzelnen Winkelaspekten aufgebaut werden kann, was die Generierung von Grundvorstellungen zu den Bestandteilen des jeweiligen Winkelaspekts und zum Operieren mit diesen Begriffsbestandteilen ermöglichen soll. Hierfür wird die Lehrstrategie angepasst, um insbesondere den Übergang von Winkelsituationen zu Winkelkontexten zu realisieren. Explizit für den Aspekt des Winkelfeldes werden, anhand der Untersuchung der Sichtfelder von Tieren, Lernhandlungen und Forderungen an ein Lernmodell beschrieben, die Schülerinnen und Schüler bei der Begriffsaneignung unterstützen.
Die Tätigkeitstheorie, der die genannte Lehrstrategie zuzuordnen ist, zieht sich als roter Faden durch die weitere Arbeit, wenn nun theoriebasiert Designprinzipien generiert werden, die in die Entwicklung einer interaktiven Lernumgebung münden. Hierzu wird u. a. das Modell der Artifact-Centric Activity Theory genutzt, das das Beziehungsgefüge aus Schülerinnen und Schülern, dem mathematischen Gegenstand und einer zu entwickelnden App als vermittelndes Medium beschreibt, wobei der Einsatz der App im Unterrichtskontext sowie deren regelgeleitete Entwicklung Bestandteil des Modells sind. Gemäß dem Ansatz der Fachdidaktischen Entwicklungsforschung wird die Lernumgebung anschließend in mehreren Zyklen erprobt, evaluiert und überarbeitet. Dabei wird ein qualitatives Setting angewandt, das sich der Semiotischen Vermittlung bedient und untersucht, inwiefern sich die Qualität der von den Schülerinnen und Schülern gezeigten Lernhandlungen durch die Designprinzipien und deren Umsetzung erklären lässt. Am Ende der Arbeit stehen eine finale Version der Designprinzipien und eine sich daraus ergebende Lernumgebung zur Einführung des Winkelfeldbegriffs in der vierten Klassenstufe.
Zahlen in den Fingern
(2023)
Die Debatte über den Einsatz von digitalen Werkzeugen in der mathematischen Frühförderung ist hoch aktuell. Lernspiele werden konstruiert, mit dem Ziel, mathematisches, informelles Wissen aufzubauen und so einen besseren Schulstart zu ermöglichen. Doch allein die digitale und spielerische Aufarbeitung führt nicht zwingend zu einem Lernerfolg. Daher ist es umso wichtiger, die konkrete Implementation der theoretischen Konstrukte und Interaktionsmöglichkeiten mit den Werkzeugen zu analysieren und passend aufzubereiten.
In dieser Masterarbeit wird dazu exemplarisch ein mathematisches Lernspiel namens „Fingu“ für den Einsatz im vorschulischen Bereich theoretisch und empirisch im Rahmen der Artifact-Centric Activity Theory (ACAT) untersucht. Dazu werden zunächst die theoretischen Hintergründe zum Zahlensinn, Zahlbegriffserwerb, Teil-Ganze-Verständnis, der Anzahlwahrnehmung und -bestimmung, den Anzahlvergleichen und der Anzahldarstellung mithilfe von Fingern gemäß der Embodied Cognition sowie der Verwendung von digitalen Werkzeugen und Multi-Touch-Geräten umfassend beschrieben. Anschließend wird die App Fingu erklärt und dann theoretisch entlang des ACAT-Review-Guides analysiert. Zuletzt wird die selbstständig durchgeführte Studie mit zehn Vorschulkindern erläutert und darauf aufbauend Verbesserungs- und Entwicklungsmöglichkeiten der App auf wissenschaftlicher Grundlage beigetragen. Für Fingu lässt sich abschließend festhalten, dass viele Prozesse wie die (Quasi-)Simultanerfassung oder das Zählen gefördert werden können, für andere wie das Teil-Ganze-Verständnis aber noch Anpassungen und/oder die Begleitung durch Erwachsene nötig ist.
Spiele und spieltypische Elemente wie das Sammeln von Treuepunkten sind aus dem Alltag kaum wegzudenken. Zudem werden sie zunehmend in Unternehmen oder in Lernumgebungen eingesetzt. Allerdings ist die Methode Gamification bisher für den pädagogischen Kontext wenig klassifiziert und für Lehrende kaum zugänglich gemacht worden.
Daher zielt diese Bachelorarbeit darauf ab, eine systematische Strukturierung und Aufarbeitung von Gamification sowie innovative Ansätze für die Verwendung spieltypischer Elemente im Unterricht, konkret dem Mathematikunterricht, zu präsentieren. Dies kann eine Grundlage für andere Fachgebiete, aber auch andere Lehrformen bieten und so die Umsetzbarkeit von Gamification in eigenen Lehrveranstaltungen aufzeigen.
In der Arbeit wird begründet, weshalb und mithilfe welcher Elemente Gamification die Motivation und Leistungsbereitschaft der Lernenden langfristig erhöhen, die Sozial- und Personalkompetenzen fördern sowie die Lernenden zu mehr Aktivität anregen kann. Zudem wird Gamification explizit mit grundlegenden mathematikdidaktischen Prinzipien in Verbindung gesetzt und somit die Relevanz für den Mathematikunterricht hervorgehoben.
Anschließend werden die einzelnen Elemente von Gamification wie Punkte, Level, Abzeichen, Charaktere und Rahmengeschichte entlang einer eigens für den pädagogischen Kontext entwickelten Klassifikation „FUN“ (Feedback – User specific elements – Neutral elements) schematisch beschrieben, ihre Funktionen und Wirkung dargestellt sowie Einsatzmöglichkeiten im Unterricht aufgezeigt. Dies beinhaltet Ideen zu lernförderlichem Feedback, Differenzierungsmöglichkeiten und Unterrichtsrahmengestaltung, die in Lehrveranstaltungen aller Art umsetzbar sein können. Die Bachelorarbeit umfasst zudem ein spezifisches Beispiel, einen Unterrichtsentwurf einer gamifizierten Mathematikstunde inklusive des zugehörigen Arbeitsmaterials, anhand dessen die Verwendung von Gamification deutlich wird.
Gamification offeriert oftmals Vorteile gegenüber dem traditionellen Unterricht, muss jedoch wie jede Methode an den Inhalt und die Zielgruppe angepasst werden. Weiterführende Forschung könnte sich mit konkreten motivationalen Strukturen, personenspezifischen Unterschieden sowie mit mathematischen Inhalten wie dem Problemlösen oder dem Wechsel zwischen verschiedenen Darstellungen hinsichtlich gamifizierter Lehrformen beschäftigen.
Die Erweiterung des natürlichen Zahlbereichs um die positiven Bruchzahlen und die negativen ganzen Zahlen geht für Schülerinnen und Schüler mit großen gedanklichen Hürden und einem Umbruch bis dahin aufgebauter Grundvorstellungen einher. Diese Masterarbeit trägt wesentliche Veränderungen auf der Vorstellungs- und Darstellungsebene für beide Zahlbereiche zusammen und setzt sich mit den kognitiven Herausforderungen für Lernende auseinander. Auf der Grundlage einer Diskussion traditioneller sowie alternativer Lehrgänge der Zahlbereichserweiterung wird eine Unterrichtskonzeption für den Mathematikunterricht entwickelt, die eine parallele Einführung der Bruchzahlen und der negativen Zahlen vorschlägt. Die Empfehlungen der Unterrichtkonzeption erstrecken sich über den Zeitraum von der ersten bis zur siebten Klassenstufe, was der behutsamen Weiterentwicklung und Modifikation des Zahlbegriffs viel Zeit einräumt, und enthalten auch didaktische Überlegungen sowie konkrete Hinweise zu möglichen Aufgabenformaten.
Das Fachwissen von Lehrkräften weist für die Ausprägung fachdidaktischer Expertise eine hohe Bedeutung auf. Welche Merkmale universitäre Lehrveranstaltungen aufweisen sollten, um Lehramtsstudierenden ein berufsspezifisches Fachwissen zu vermitteln, ist jedoch überwiegend noch unklar.
Innerhalb des Projekts PSI-Potsdam wurde auf theoretischer Grundlage das fachübergreifende Modell des erweiterten Fachwissens für den schulischen Kontext entwickelt. Als Ansatz zur Verbesserung des Biologie-Lehramtsstudiums diente dieses Modell als Konzeptionsgrundlage für eine additive Lehrveranstaltung. Hierbei werden Lerngelegenheiten geboten, um das universitär erworbene Fachwissen über zellbiologische Inhalte auf schulische Kontexte anzuwenden, z.B. durch die Dekonstruktion und anschließende Rekonstruktion von schulischen Lerntexten. Die Wirkung des Seminars wurde in mehreren Zyklen im Forschungsformat der Fachdidaktischen Entwicklungsforschung beforscht. Eine der zentralen Forschungsfragen lautet dabei: Wie kann eine Lerngelegenheit für Lehramtsstudierende der Biologie gestaltet sein, um ein erweitertes Fachwissen für den schulischen Kontext für den zellbiologischen Themenbereich „Struktur und Funktion der Biomembran“ zu fördern?
Anhand fallübergreifender Analysen (n = 29) wird im empirischen Teil aufgezeigt, welche Einstellungen zum Lehramtsstudium in der Stichprobe bestehen. Als ein wichtiges Ergebnis kann hierbei herausgestellt werden, dass sich das Fachinteresse hinsichtlich schulisch und universitär vermittelter Inhalte bei den untersuchten Studierenden auffallend unterscheidet, wobei dem Schulwissen ein deutlich höheres Interesse entgegengebracht wird. Die Berufsrelevanz fachlicher Inhalte wird seitens der Studierenden häufig am Schulwissen festgemacht.
Innerhalb konkreter Einzelfallanalysen (n = 6) wird anhand von Lernpfaden dargestellt, wie sich über mehrere Design-Experimente hinweg fachliche Konzepte entwickelt haben. Bei der Beschreibung wird vor allem auf Schlüsselstellen und Hürden im Lernprozess fokussiert. Aus diesen Ergebnissen folgend werden vorgenommene Iterationen für die einzelnen Zyklen beschrieben, die ebenfalls anhand der iterativen Entwicklung der Design-Prinzipien dargelegt werden.
Es konnte gezeigt werden, dass die Schlüsselstellen sehr individuell aufgrund der subjektiv fokussierten Inhalte zu Tage treten. Meist treten sie jedoch im Zusammenhang mit der Verknüpfung verschiedener fachlicher Konzepte oder durch kooperative Aufschlüsselungen von Konzepten auf. Fachliche Hürden konnten hingegen in Form von fachlich unangemessenen Vorstellungen fallübergreifend identifiziert werden. Dies betrifft unter anderem die Vorstellung der Biomembran als Wand, die mit den Vorstellungen einer Schutzfunktion und einer formgebenden Funktion der Biomembran einhergeht.
Weiterhin wird beleuchtet, wie das erweiterte Fachwissen für den schulischen Kontext zur Bearbeitung der Lernaufgaben angewendet wurde. Es hat sich gezeigt, dass sich bestimmte Lerngelegenheiten eigenen, um bestimmte Facetten des erweiterten Fachwissens zu fördern.
Insgesamt scheint das Modell des erweiterten Fachwissens für den schulischen Kontext äußerst geeignet zu sein, um anhand der Facetten und deren Beschreibungen Lerngelegenheiten oder Gestaltungsprinzipien für diese zu konzipieren. Für das untersuchte Lehr-Lernarrangement haben sich kleinere Adaptationen des Modells als sinnvoll erwiesen. Hinsichtlich der Methodologie konnten Ableitungen für die Anwendung der fachdidaktischen Entwicklungsforschung für additive fachliche Lehrveranstaltungen dieser Art herausgestellt werden.
Um den Professionsbezug der fachwissenschaftlichen Anteile im Lehramtsstudium zu verbessern, ist der weitere Einbezug des erweiterten Fachwissens für den schulischen Kontext in die fachwissenschaftlichen Studienanteile überaus wünschenswert.