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Hintergrund: Im Rahmen des reformierten Psychotherapeutengesetzes wird eine starkere Praxisorientierung in der klinisch-psychologischen Lehre und in der Prufung psychotherapeutischer Kompetenzen verankert. Hierbei sollen Studierende durch die Interaktion mit standardisierten Patient*innen (SP) therapeutische Kompetenzen erwerben und demonstrieren. Fragestellung: Das Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, eine evidenzbasierte Umsetzung dieser neuen Lehr- und Prufungsformate zu unterstutzen, indem bisherige Forschungsbefunde zum Einsatz von SP dargestellt und Bereiche, in denen weitere Forschung notwendig ist, aufgezeigt werden. Ergebnisse: Empirische Befunde zeigen, dass SP psychische Storungen authentisch darstellen konnen. Voraussetzung dafur sind beispielsweise die Auswahl geeigneter SP, detaillierte Rollenanleitungen, spezifisches Training, Feedback und Nachschulungen. Auch wenn einige Forschungsfragen, wie zur vergleichenden Wirksamkeit des Einsatzes von SP, noch unbeantwortet sind, lassen sich praktische Implikationen fur SP-Programme in Lehre, Prufung und Forschung ableiten, die in einem Ablaufschema dargestellt werden. Schlussfolgerungen: Der Einsatz von SP bietet gro ss es Potenzial fur die klinisch-psychologische Lehre und Ausbildungsforschung. Um den Einsatz von SP an anderen Standorten zu unterstutzen, werden Beispielmaterialien (z.B. Rollenanleitung) in den elektronischen Supplementen (siehe www.karger.com/doi/10.1159/000509249 fur alle Supplemente) zum Artikel zur Verfugung gestellt.
Zur Abschaffung des Gutachterverfahrens in der Vertragspsychotherapie – ein Qualitätsverlust?
(2021)
Zielsetzung: Der vorliegende Artikel befasst sich mit der Fragestellung, inwiefern das Gutachterverfahren in der Vertragspsychotherapie ein zuverlässiges Qualitätsinstrument darstellt und ob sich aus der geplanten Abschaffung des Gutachterverfahrens das Risiko einer Qualitätsminderung in der ambulanten Psychotherapie ergibt.
Methodik: Es wurde eine Literaturrecherche durchgeführt. Arbeiten von den Jahren 2000 bis 2020 wurden berücksichtigt, welche sich mit dem Gutachterverfahren als Qualitätsmerkmal der ambulanten Psychotherapie befassen. Um die unterschiedlichen Standpunkte der zitierten Autor_innen zu diskutieren, wurde auch Bezug auf weiterführende Literatur genommen.
Ergebnisse: Das Gutachterverfahren scheint empirisch nicht sicher als zuverlässiges Qualitätsmerkmal der ambulanten Psychotherapie herangezogen werden zu können. Die Annahme, dass sich durch eine gutachterbefreite Vertragspsychotherapie eine Qualitätsminderung der Psychotherapie ergibt, wird durch die hier zusammengefassten Arbeiten insgesamt nicht gestützt.
Theoretischer Hintergrund: Als Medical Students’ Disease wird die Angst von Medizinstudierenden bezeichnet, unter Krankheiten zu leiden, mit denen sie sich im Studium auseinandersetzen. Fragestellung: Es wurde untersucht, ob ähnliche Phänomene vorübergehender Krankheitsängste auch bei Psychologiestudierenden existieren. Methode: Mittels etablierter Illness-Attitude-Scales (IAS) und einer eigens entwickelten Ergänzung wurden Ängste vor somatischen und psychischen Erkrankungen erhoben. Ergebnisse: Krankheitsängste bei Psychologiestudierenden waren nicht stärker ausgeprägt als bei Studierenden anderer Fachrichtungen. Ängste vor körperlichen Erkrankungen waren häufiger als Ängste vor psychischen Störungen, die keiner signifikanten zeitlichen Veränderung unterlagen. Schlussfolgerung: Die Beschäftigung mit psychischen Störungen geht nicht zwangsläufig mit einem Anstieg von Ängsten vor psychischen Erkrankungen unter Psychologiestudierenden einher. Erhöhte Belastungswerte bei allen Studierenden legen nahe, dass das Studium selbst eine Herausforderung darstellt, für deren Bewältigung Unterstützung angeboten werden kann. the same level of fear regarding health anxiety as students of other disciplines. Their anxiety about suffering from physical illnesses was also greater than their anxiety about suffering from mental disorders. Conclusion: Studying mental disorders does not necessarily result in an increase of related health anxiety. However, university studies seem to be a burdensome period of life in their own right, for which coping support can be provided.
Hintergrund: Dysfunktionale Überzeugungen und Bewertungen von Zwangsgedanken sind ausschlaggebend für die Entstehung und Aufrechterhaltung von Zwangsstörungen. Die reliable und valide Erfassung dieser Überzeugungen mithilfe von Screeningverfahren ist für die kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlung relevant. Fragestellung: Ziel der Arbeit war die Erstellung eines Scoping review bezüglich der aktuellen Screeninginstrumenten zur Erfassung der 6 von der Obsessive Compulsive Cognitions Working Group (OCCWG) vorgeschlagenen Domänen bei Zwangsstörungen. Die Verfahren wurden systematisch nach ihrer psychometrischen Güte bewertet und in ihren Eigenschaften verglichen. Material und Methoden: Die Literatursuche erfolgte in den Datenbanken Web of Science Core Collection, Google Scholar und PubMed. Eingeschlossen wurden deutsch- und englischsprachige Verfahren für Erwachsene (≥18 Jahre). Ergebnisse: Es konnten 56 Studien zur Überprüfung der psychometrischen Eigenschaften von 16 Fragebogen eingeschlossen werden. Die Fragebogen erfassten alle Domänen dysfunktionaler Überzeugungen. Außerdem lagen 4 domänenübergreifende Verfahren vor, und 9 der Fragebogen waren deutschsprachig. Die Mehrzahl der Screeningverfahren wies adäquate bis gute psychometrische Werte auf. Die methodische Qualität der Studien war heterogen; methodische und statistische Verfahren nahmen über die Jahre an Komplexität zu. Schlussfolgerung: Weiterer Forschungsbedarf besteht v. a. in der Untersuchung der Störungsspezifität und Änderungssensitivität von Screeningverfahren an klinischen Stichproben.
Hintergrund: Krankheitsängste beziehen sich meist auf die Angst vor dem Leiden an somatischen Erkrankungen. In Einzelfallberichten wurden auch Ängste vor psychischen Störungen berichtet, jedoch bisher nicht systematisch untersucht. Psychotherapeut_innen sind ständig mit psychischen Erkrankungen konfrontiert. Fragestellung: Diese Studie untersucht, wie stark Krankheitsängste bei Psychotherapeut_innen ausgeprägt sind und welche Faktoren diese beeinflussen. Methoden: Insgesamt 239 Psychotherapeut_innen wurden per anonymer Onlinebefragung mit den Illness Attitude Scales und der Mini-Symptom-Checklist untersucht. Ergebnisse: Krankheitsängste bei Psychotherapeut_innen waren geringer ausgeprägt als in der Allgemeinbevölkerung und bei Psychologiestudierenden. Faktoren wie die allgemeine psychische Belastung und das Vorhandensein tatsächlicher Diagnosen gingen mit erhöhten Krankheitsängsten einher. Schlussfolgerungen: Krankheitsängste können sich nicht nur auf somatische Erkrankungen beziehen, sondern auch psychische Störungen betreffen. Eine stärkere Berücksichtigung psychischer Krankheitsängste und deren weitere systematische Erfassung erscheinen daher wünschenswert.
Hintergrund
Adipositas ist im Kindes- und Jugendalter stark verbreitet. Medizinische Rehabilitationsmaßnahmen mit ihrem umfassenden Behandlungsangebot stellen eine wesentliche Säule der Versorgung dar. Da Adipositas mit vielfältigen psychosozialen Belastungen verbunden ist, stellt sich die Frage, ob psychotherapeutische Angebote noch stärker berücksichtigt werden sollten.
Fragestellung
Untersucht wurde, wie verbreitet psychische Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen mit Adipositas sind und in welchem Zusammenhang sie zum Gewichtsverlauf stehen.
Material und Methoden
Die Stichprobe bestand aus 220 Kindern und Jugendlichen mit Adipositas (8 bis 16 Jahre, M = 13,11 Jahre; SD ± 1,88 Jahre; 54,5 % weiblich), die an einer stationären Rehabilitationsmaßnahme teilnahmen. Emotionale- und Verhaltensauffälligkeiten (Strengths and Difficulties Questionnaire, SDQ) wurden zu Rehabilitationsbeginn sowie 6 und 12 Monate nach Rehabilitationsende im Elternbericht erfasst. Zudem wurden Daten zur Bestimmung des Gewichtstatus durch das medizinische Personal der Kliniken bzw. in der Katamnese von Hausärzten erhoben.
Ergebnisse
Fast die Hälfte der Kinder und Jugendlichen (48,6 %) wies auffällige Werte auf; v. a. Mädchen waren signifikant häufiger betroffen. Die deskriptive Betrachtung nach Rehabilitationsende zeigte einen vergleichbar hohen Anteil. Zudem wirkte sich das Vorliegen psychosozialer Auffälligkeiten signifikant negativ auf den Gewichtsverlauf aus.
Schlussfolgerung
Psychische Probleme sollten im Rahmen der Adipositastherapie stärker berücksichtigt werden. Zum einen sollten evtl. belastete Kinder durch Screenings identifiziert werden, zum anderen psychotherapeutische Maßnahmen zur Reduktion psychosozialer Belastungen integraler Bestandteil der Behandlung sein.
Theoretischer Hintergrund: Einflüsse von therapeutenorientiertem Kompetenz-Feedback in der Psychotherapieausbildung wurden bislang wenig untersucht.
Fragestellung: Wie gehen Ausbildungstherapeuten mit Feedback um? Welchen Einfluss hat ein regelmäßiges Kompetenz-Feedback auf die Qualität psychotherapeutischer Behandlungen (insbesondere Therapiesitzungen, therapeutische Beziehung, Person des Therapeuten, Supervision)?
Methode: Elf Therapeuten wurden mithilfe eines halbstrukturierten Interviewleitfadens befragt. Die Auswertung erfolgte mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring (2015).
Ergebnisse: Das auf Basis der Interviews erstellte Kategoriensystem umfasste die Kategorien „Erwartungen an das Feedback“, „Wahrnehmung des Feedbacks“, „Verarbeitung von und Umgang mit Feedback“, „Folgen, Auswirkungen und Veränderungen durch Feedback“ sowie „Verbesserungswünsche“.
Schlussfolgerungen: Therapeuten streben eine Umsetzung des Feedbacks an, welches sich auf die Behandlung, die Supervision, die eigene Person und die therapeutische Beziehung auswirkt.
Dyskalkulie
(2017)
Hintergrund
Ausgeprägte Schwierigkeiten beim Erwerb der grundlegenden arithmetischen Fertigkeiten bei ansonsten durchschnittlichen Schulleistungen werden als Rechenstörung oder Dyskalkulie bezeichnet. Davon betroffen sind etwa 5 % der Grundschülerpopulation. Die Ursachen und die Symptome sind ebenso vielgestaltig wie die Methoden der differenziellen Förderung und Therapie.
Material und Methode
Selektive Literaturrecherche zur Rechenstörung aus verschiedenen mit dem Gegenstand befassten wissenschaftlichen Disziplinen.
Ergebnisse
Der Erwerb von Fähigkeiten zur Zahlenverarbeitung und zum Rechnen wird als ein erfahrungsabhängiger neuroplastischer Reifungsprozess verstanden, der zu einem komplexen, spezialisierten neuronalen Netzwerk führt und verschiedene kognitive Zahlenrepräsentationen hervorbringt. Die Entwicklung dieser domänenspezifischen Fähigkeiten ist abhängig von der Entwicklung domänenübergreifender Fähigkeiten, wie Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis, Sprache und visuell-räumlichen Fähigkeiten. Störungen dieser Reifungsprozesse können in verschiedenen Entwicklungsstadien unterschiedliche Komponenten der Entwicklung dieses komplexen kognitiven Systems betreffen und sind daher im klinischen Erscheinungsbild vielgestaltig. Sonderpädagogische, lerntherapeutische und ggf. medizinische Maßnahmen benötigen eine differenzielle Diagnostik und Indikationsstellung. Moderne computerbasierte Lernsoftware kann sowohl die schulische Didaktik als auch lerntherapeutische Vorgehensweisen unterstützen.
Schlussfolgerung
Frühzeitiges Erkennen sowie differenzielle und individualisierte Förderung können die Gefahr des Auftretens sekundärer emotionaler Störungen mindern. Die Diagnostik und die Behandlung der Rechenstörung sollten evidenzbasiert und leitlinienorientiert erfolgen sowie der Komplexität und Vielgestaltigkeit der Symptombildungen Rechnung tragen.
Nicht-bewusst
(2022)
Die digitale Aufrüstung des Sozialen und Psychischen schreitet voran. Social media, verkabelte Infrastrukturen und autonome technische Artefakte bestimmen das Bild einer Gesellschaft, die in immer komplexeren Gefügen agiert. Die zunehmende Präsenz von nonhumanen Agenten (nicht nur in Film und Literatur), die Entwicklung von smarten Objekten und die sensortechnologische Ausstattung des menschlichen Körpers und der Umwelt führen zu Kurzschlüssen zwischen humaner und nonhumaner agency, die nicht mehr unbewusst, sondern nichtbewusst sind. Das Unbewusste der Psychoanalyse ist an ein humanes (sprachlich-symbolisch organisiertes) Subjekt gekoppelt, der Begriff »nicht«-bewusst verbindet hingegen technische, mentale und körperliche Prozesse und ist damit nicht mehr ausschließlich dem Menschen zuzuordnen. Doch wie ist dieses ›nichtbewusst‹ zu fassen: ist es etwas Zusätzliches, ist es eine neue Zone, die sich zwischen unbewusst und bewusst schiebt, oder wird durch die Unterscheidung von unbewusst und bewusst dadurch insgesamt in Frage gestellt?
Manches deutet auf die zweite Entwicklung hin. Denn spätestens mit der Kybernetik werden technische und neuronale Prozesse zusammen gedacht. Gilbert Simondon hat die technische und humane Entwicklung als einen Prozess verstanden. Catherine Malabou führt den Begriff des cerebral nonconscious ein, um das psychoanalytische Unbewusste in ein nichtbewusstes Gehirn überzuführen, und N. Katherine Hayles spricht von nonconscious cognition, um das Zusammenwirken von neuronalen und technischen Prozessen zu benennen. Doch all diesen Unternehmungen, die diese (intensiven) Beziehungen von Gehirn und Maschine zu fassen suchen, fehlt ein wesentliches Moment der Verkopplung und psychischen Integration.
Hierfür wird der Begriff des Affektiven eingeführt, der als technischer Terminus die Bewegungen des Schließens, Unterbrechens und Übersetzens zwischen human und nonhuman bezeichnet. Dadurch werden die Kurzschlüsse von psycho-technischen Prozessen als nichtbewusste Taktung von Bewegungs- und Zeitformationen fassbar.
Rechtschreibung von Konsonantenclustern und morphologische Bewusstheit bei Grundschüler_innen
(2018)
Die vorliegenden Studien untersuchen die Entwicklung der Rechtschreibfähigkeit für finale Konsonantencluster im Deutschen und die ihr zugrundeliegenden Strategien bei Erst- bis Drittklässler_innen (N = 209). Dazu wurde der Einfluss der morphologischen Komplexität (poly- vs. monomorphematische Cluster) auf die Rechtschreibung qualitativ und quantitativ analysiert, sowie mit einer Messung zur morphologischen Bewusstheit korreliert. Von der ersten Klasse an zeigt sich eine hohe Korrektheit in der Schreibung und somit eine sprachspezifisch schnelle Entwicklung der alphabetischen Rechtschreibstrategie für finale Konsonantencluster. Der Einfluss morphologischer Verarbeitungsprozesse wurde allerdings erst für die Drittklässler_innen gefunden. Obwohl bereits die Erstklässler_innen gut entwickelte morphologische Bewusstheit zeigten, scheinen sie noch nicht in der Lage zu sein, diese bei der Rechtschreibung anzuwenden. Die Ergebnisse werden im Kontrast zu den umfangreicher vorliegenden Befunden für die englische Sprache diskutiert.