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„Wer ist wer?!“
(2013)
Dieser Beitrag liefert eine historische Übersicht zur Entwicklung des polemischen Diskurses,der sich über zwei Jahrtausende hinweg aus der biblischen Esau/Jakob Narrative bis ins zwanzigste Jahrhundert entwickelt hat. Dabei werden die Bedeutungen einige seiner herausragenden und wenig beachteten Erscheinungen hervorgehoben; besonders die Komödie Jakob und Christian (1937) des deutschen Zionisten Sammy Gronemann (1875–1952). Sie wird im Detail analysiert und gezeigt wie sich durch Gronemann Esau und Jakob in Symbolfiguren des aschkenasischen Judentums und des nationalsozialistischen Deutschtums verwandeln. Gronemanns Innovation besteht darin, dass er mit Hilfe eines rabbinischen Axiom betreffs Purim die überlieferte dichotomische Polarität zwischen Esau und Jakob zugunsten einer humanistischen Menschensicht mittels emphatischer Dialektik auflöst. Dieses exemplarische Phänomen wird eingehend beschrieben, sowie die Rezeption des Stückes in Wien und Tel Aviv.
Zur Einführung
(2013)
Bereits im 13. Jahrhundert legten die Juden der alten Handelsstadt Frankfurt/Oder ihren Friedhof in der damaligen Dammvorstadt an – und damit ist dieser „Gute Ort“ einer der ältesten jüdischen Begräbnisstätten in Mitteleuropa. Er dokumentiert auf einzigartige Weise sowohl die sehr lange Geschichte der Frankfurter Juden bis zu ihrer gewaltsamen Vernichtung durch die Nazi- Barbarei als auch die des Umgangs der Nachgeborenen mit ihrem Kulturerbe. Der Friedhof, samt Trauerhalle und Gärtnerhäuschen, hatte diesen Weltkrieg im Wesentlichen unbeschadet überstanden.
Vom Symbol zum Schweigen
(2013)
Die christliche Kabbala des deutschen Humanisten Johannes Reuchlin ist entscheidend von seiner Vorstellung vom Wesen und von der Funktion des Symbols bestimmt. Dieser Beitrag sucht nach dem Ursprung von Reuchlins Symbolbegriff und stellt die These auf, dass Dionysius Pseudo-Areopagitas Bemerkungen über eine symbolica theologia Reuchlins Sicht auf die jüdische Mystik grundlegend beeinflusste. Darüber hinaus wird die Frage diskutiert, ob Reuchlins Idee von einer symbolischen Theologie, die auch in der modernen Forschung fortwirkt, den frühen Kabbalisten tatsächlich gerecht wird, oder ob Reuchlins Rezeption nicht vielmehr einer neuplatonischen Literatur geschuldet ist, die den jüdischen Mystikern überhaupt nicht zugänglich war.
Anhand von Beispielen aus der sephardischen Presse und aus Übersetzungen von deutschsprachigen Werken wird der Frage nachgegangen, wie Orts- und Personennamen aus dem deutschen Sprachraum im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert in das judenspanische Sprach- und Schriftsystem transferiert wurden. Dabei zeigt sich, dass der Ort der Publikation eine entscheidende Rolle spielte. Während in Wiener Publikationen im Allgemeinen die Transkription der Namen gemäß der deutschen Aussprache bevorzugt wird, macht sich in Drucken aus anderen Städten der Einfluss von Mittlersprachen bemerkbar. Mit zunehmender Entfernung und abnehmender Kenntnis der deutschen Sprache und Realität nehmen außerdem die Druckfehler deutlich zu, so dass das Entziffern und Identifizieren von deutschen Namen in judenspanischen Texten zuweilen einem Detektivspiel gleicht.
There Is No Return To Egypt
(2013)
Who are those Polish Jews, who in the wake of the Antizionist Campaign of the year 1968 left their home country and migrated to Israel? How do they, 40 years after these traumatic events, look back at their own history? Which development have they made in the Jewish State, a society torn by wars and inner political tensions? How do they live in Israel at the beginning of the 21st century? In the documentary There Is No Return To Egypt seven members of the Polish-Jewish migration cohort of the late 1960s, early 1970s and there todays environment are represented. These people, while being on camera in their mid-fifties till late seventies of age, allow an intimate view into their Israeli-Polish daily-life and into their world of memories. Interestingly, having survived the atrocities of the Shoah and being forced out of Poland some twenty years later, the older interviewees draw their very own conclusions for their further lives in Israel. In contrast, the younger interviewees deal very differently with the loss of their home and the break in their career life caused by the Antizionist Campaign. The personalities presented in this documentary have various professions: There is a successful musician, a former employee at the Israeli broadcasting service, and there are skilled workers. Their religious identities widely vary: from Jewish orthodox and national-religious to atheist to Judeo-Christian. The protagonists in There Is No Return To Egypt do also represent the political spectrum of Israel: from members of the chauvinist-militarist camp through to members of the peace movement. At the same time, the shooting locations in the documentary are important stages of life for the seven 1968ers: the home being decorated for Shabbat or for Israels national holiday Yom ha-atzmaut, the working place, an army museum, a Jewish settlement in the Palestinian Westbank, a Shoah memorial event at the university campus, a pop concert and a peace demonstration.
In this article we analyze several examples of the syntactic structure ansí un...(Eng. such a...) apparently calqued from the German expression so ein... that can be found in different Judeo-Spanish texts since the second half of 19th Century. Although the eldest examples appeared in Judeo-Spanish translations of German novels, published in Vienna – what suggests that they could be mere cases derived from a kind of translation too attached to the original –, we can also find more examples in Sephardic texts produced outside the German speaking area (Bosnia, Bulgaria, etc.), not being necessarily translations of a German original. Dealing with all these cases, we will try to trace (and explain) the spread of the ansí un syntactic structure in modern Judeo-Spanish prose.
Sepharden auf Wanderschaft
(2013)
750 bis 1.000 türkische Sepharden lebten in den 1920er und 1930er Jahren in Deutschland und bildeten damals die Mehrheit der ersten Migrantengeneration aus der Türkei. In Berlin gründeten sie eine eigene Gemeinde, die bis zur Auslöschung durch die Shoah die größte sephardische Gemeinde in Deutschland war. Trotz ihrer überschaubaren Zahl bildeten diese türkischen Sepharden keineswegs eine homogene Gruppe. Sie unterschieden sich nach Migrationszeitpunkt, sozialem Status sowie nicht zuletzt im Verhältnis zu ihrem Herkunftsland. Der Artikel untersucht die Geschichte dieser Community vor allem als Migrationsgeschichte.
Nichts erzähltes Erzähltes
(2013)
Die normal außergewöhnliche Autobiografie einer Jüdin erzählt von den Jahren nationalsozialistischer Verfolgung. Eine rekonstruktive, sequenzanalytische Untersuchung dieser Autobiografie zeigt den originellen Umgang der Autorin mit ihren Gefühlen während des Erinnerungsaktes ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende. Ruth Burghardt fasst ihre Emotionen nicht in Worte, sondern flicht diese mittels nonverbalen Zeichen – Gedankenstrichen und Auslassungspunkten – in ihren Lebensbericht ein. Des Textes individuelle Strukturmerkmale zeigen das Potential des gewählten methodischen Zugangs zu dieser Art von individueller, biografischer Quelle sowie die Bedeutung nonverbaler Anteile schriftlicher Texte. Ein Seitenblick zu den Literaturwissenschaften verweist auf Möglichkeiten methodisch erweiterter Untersuchungen.
Nachruf
(2013)
Am 31. Januar, kurz vor einer Vortragsreise nach Israel, erlitt William Hiscott einen Herzinfarkt, fiel ins Koma und verstarb am 6. Februar 2013 im Herzzentrum in Berlin. Damit verloren wir an der Universität Potsdam völlig überraschend einen engagierten und äußerst beliebten Nachwuchsforscher und jungen Kollegen.
Rezensiertes Werk: von der Krone, Kerstin: Wissenschaft in Öffentlichkeit. Die Wissenschaft des Judentums und ihre Zeitschriften. - Berlin: de Gruyter 2012. X, 539 S. - (=Studia Judaica, Bd. 65) Thulin, Mirjam: Kaufmanns Nachrichtendienst. Ein jüdisches Gelehrtennetzwerk im 19. Jahrhundert. - Göttingen: vandenhoeck & Ruprecht 2012. 424 S., 14 Abb., 6 Karten, 6 Tabellen. - (=Schriften des Simon-Dubnow-Instituts, Bd.16)
Karäer in Konstantinopel
(2013)
Die Erforschung der Entstehung des Karäertums auf byzantinischem Boden und seines Werdegangs ist durch das Fehlen von historiographischen Quellen im engeren Sinne überaus erschwert. Die vorliegende Arbeit ist als Einführung in die Thematik zu betrachten und beschäftigt sich mit der Problematik der Siedlungsorte und -geschichte sowie der sukzessiven kommunalen Entwicklung des Karäertums in Byzanz. Anhand der Analyse der Niederlassungsgeschichte wird der Konfliktdiskurs aufgezeigt, in dem sich die nach Byzanz aus dem Nahen Osten zugewanderten Karäer in Nachbarschaft mit den romaniotischen und später den sephardischen Gemeinden befanden. Aus diesem Konfliktdiskurs heraus entstand und festigte sich das Bewusstsein der Karäer in Südosteuropa. Dieses neugewonnene Verständnis ermöglicht eine neue Sicht auf die geistige Entwicklung und literarische Tätigkeit nicht nur der Karäer selbst, sondern auch ihrer Nachbarn, der Rabbaniten.
The political and social changes with which the 19th century began in the Balkans after a great part of their territories were taken over by the Austrian Empire, also resulted in social and intellectual activity and created a new framework in the relationship with the Ottoman Empire. Vienna turned into the shelter of many citizens from the Balkans who then became the transmitters of innovation to their co-citizens through their contact with central European culture. In this sense, the members of Jewish communities participated as much as members of other ethnical and social groups. The most prominent of these Jews was Israel Hayim de Belogrado (‘of Belgrade’), who developed an important intellectual work in the Austrian capital between 1813 and 1837. He even reformed Judeo-Spanish spelling and introduced new methodologies for learning Hebrew as a second language, based on the use of a trilingual nomenclature (Hebrew, Judeo-Spanish, German) when presenting the lexical repertoire.
Dieser Beitrag zeigt anhand von Canettis autobiographischem Werk Aspekte des interreligiösen Zusammenlebens in Wien anfangs des 20. Jahrhunderts. Canetti beschreibt in seiner mehrbändigen Autobiographie den Stolz der Sepharden auf ihre Abstammung und Abgrenzungsstrategien gegenüber anderen Gruppen. Wien wird bei Canetti als Schwelle zu einer anderen Welt dargestellt, das in Opposition zu einer traditionellrückständischen Heimat in Bulgarien steht. Symbolhaft steht die Stadt für Fortschritt und bildet einen Teil von Canettis neuem Leben, in dem das Judenspanische als Sprache des Ausdrucks und der Zugehörigkeit vom Deutschen abgelöst wird. Gleichzeitig wird Wien als Ort inszeniert, wo durch das Zusammentreffen einer Vielfalt der Kulturen Integration innerhalb eines intellektuellen Umfelds größere Bedeutung erhält. Die Auswirkungen pluralistischer Einflüsse innerhalb einer multikulturellen Gesellschaft auf Selbst- und Fremdbilder stehen im Fokus des Artikels.
Kotzo shel yod by Y. L. Gordon (1832–1892) – one of the prominent intellectuals of the Jewish Enlightenment period – is a well-known Hebrew poem. This poem is characterized by a daring, sharp criticism of the traditional Jewish institutions, which the author felt required a critical shake-up. Gordon’s literary works were inspired by the Jewish Ashkenazi world. This unique and pioneering literary work was translated into Judeo-Spanish (Ladino). The aim of this article is to present the Sephardic version of Gordon’s poem. The article will attempt to examine the motives behind the translation of this work into Ladino, the reception of the translated work by its readership and the challenges faced by the anonymous translator who sought to make this work accessibleto the Ladino-reading public, in the clear knowledge that this version was quite far removed from the Ashkenazi original from which it sprang.
Das Handbuch umreißt das gesamte Spektrum der 2000jährigen Geschichte der Juden auf europäischem Boden. Wissenschaftler aus Europa und den USA haben ihre Forschungsergebnisse allgemein verständlich aufbereitet mit dem Ziel, das Leben und Wirken der Juden, aber auch die ihnen entgegengebrachte Intoleranz und deren Ursachen aufzuzeigen.
Der erste Teil konzentriert sich systematisch auf die Länder und Regionen, in denen Juden siedelten bzw. nach Vertreibungen aus anderen Staaten Aufnahme fanden. Es wird sowohl auf die innere Entwicklung der jüdischen Gemeinden als auch auf die Beziehungen zwischen Juden und der sie umgebenden andersgläubigen Gesellschaft eingegangen.
Der zweite Teil behandelt themenspezifische Schwerpunkte. Gemeindeleben und Religion, Familie und Stellung der Frau, kulturelle und geistige Entwicklung, aber auch Judenfeindschaft der sie umgebenden Gesellschaft – vom Antijudaismus bis zur Shoa und zum Antisemitismus der Gegenwart – werden in großangelegten Beiträgen dargelegt.
Der Artikel gibt einen Überblick über die vielfältige Sefarden-Forschung im deutschsprachigen Raum seit ihren Anfängen im 19. Jahrhundert bis heute. Dazu gehören die zahlreichen Forschungsthemen (zu denen auch die sefardischen Gemeinden in Wien und Hamburg zählen) und die Vorstellung der wichtigsten Forscher und ihrer Arbeiten auf diesem Gebiet.
Exil oder Heimat?
(2013)
Die Volksrepublik Polen befand sich Ende der 1960er Jahre in einer wirtschaftlichen und innenpolitischen Krise. Das Regime in Warschau nahm den Sechs-Tage-Krieg zwischen Israel und den arabischen Staaten des Jahres 1967 zum Anlass, ein Exempel an den wenigen Zehntausend nach der Schoah im Land verbliebenen Juden zu statuieren und sie als politische Sündenböcke zu brandmarken. Über 3000 polnische Juden wählten in Folge der offiziell lancierten „Antizionistischen Kampagne“ Israel als neues Heimatland. Dort trafen sie auf eine Gesellschaft, die in zahllose Konflikte verstrickt war: den Krieg gegen die benachbarten arabischen Staaten, der Okkupation der Palästinensergebiete und den innenpolitischen Spannungen zwischen europäischen und orientalischen, religiösen und säkularen Juden. Neben einer historischen Einordnung der Migration nimmt der Autor auch deren Analyse unter migrationspsychologischen Aspekten vor. Die beschriebenen Erfahrungen werden im beiliegenden Dokumentarfilm „There Is No Return To Egypt“ veranschaulicht, in dem Zeitzeugen dieser sogenannten 1968er-Migration in ihrem heutigen Lebensumfeld in Israel zu Wort kommen.
Rezensiertes Werk: Timm, Erika; Birnbaum, Eleazar und Birnbaum, David(Hg.): Ein Leben für die Wissenschaft/A Lifetime of Achievement. Wissenschaftliche Aufsätze aus sechs Jahrzehnten von Salomo A. Birnbaum/Six Decades of Scholarly Articles by Solomon A. Birnbaum. 2 Bde. - Berlin – Boston: De Gruyter 2011. Band 1, 540 S., Band 2. XXVII, 458 S.
Heinrich Heine (1797–1856) als Nachfahre sephardischer Juden mütterlicherseits verfasste mehrere Werke mit spanischer Thematik, die Bezug zu seinem Judentum und den persönlichen Traumata („marranische Haltung“) haben. Die damit verbundenen Chiffren „Vertreibung“, „Verrat“, „Niederlage“, „Verwundung“ u. ä. subsumierte er unter das Symbol des Tals von Ronceval, den Todesort des legendären Roland, der zu des Dichters literarischen Alter Egos zählt.
Am Beginn dieser Magisterarbeit steht das Scheunenviertelpogrom, das am 05. und 06. November 1923 im Berliner Scheunenviertel stattfand. Ausgehend von einer Charakterisierung der verschiedenen Gruppen, die während des Scheunenviertelpogroms am 05. und 06. November 1923 entweder als Täter oder Opfer, als Ordnungshüter oder Beschützer der Opfer in die Ereignisse involviert waren, soll diese Arbeit dazu dienen, die Rolle des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten dabei näher zu beleuchten. Der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten war 1919 zum Zweck der Abwehr des Antisemitismus gegründet worden. Eine Intention für die Gründung war der „antisemitische Stachel im Fleisch“ der jüdischen Veteranen, die bereits während des Ersten Weltkrieges als „Drückeberger“ verunglimpft worden waren. Während der gesamten Zeit seines Bestehens war der Reichsbund bemüht, Beweise dafür zu erbringen, dass diese Anschuldigungen ungerechtfertigt waren. In seinem Selbstverständnis sah sich der RjF als Abwehrverein, der mit verbalen und publizistischen Mitteln versuchte, gegen eine Bedrohung vorzugehen. Da diese Mittel in einigen Fällen, wie dem Scheunenviertelpogrom nicht ausreichten, wurde auch ein gewaltsames Vorgehen in Betracht gezogen. Ehemalige, oft hochdekorierte Soldaten, versuchten den bedrohten Glaubensgenossen zu helfen und einzugreifen, als diese von einem antisemitischen Mob angegriffen wurden. Dieses Eingreifen brachte dem Reichsbund einen Zugewinn an Selbstbewusstsein in seinem Abwehrkampf. Der Scheunenviertelpogrom war für den Bund eine Zäsur und leitete eine zweite Phase der Entwicklung ein. Als kleiner Verein mit einem geringen Bekanntheitsgrad hatte er nur gediente Frontsoldaten in seinen Reihen. Nach dem Pogrom stiegen die Mitgliederzahlen sprunghaft an. Vor allem junge Menschen wollten im Abwehrkampf gegen den Antisemitismus mitkämpfen. Diese Tatsache bewog die Leitung des Reichsbundes zur Erweiterung des Aufgabengebietes. Die sportliche Ertüchtigung wurde als erster Schritt in eine neue Richtung gewertet, die Jugend als Hoffnungsträger für die Fortsetzung des eigenen Kampfes zu gewinnen. Die Aufnahme eines Sportprogrammes in den Aufgabenbereich war einerseits dem starken Antisemitismus geschuldet, andererseits diente er zur Bekräftigung eines positiven jüdischen Selbstbildes, indem das Stigma des „krummen, schwächlichen Juden“ bekämpft werden sollte. Im gleichen Kontext ist auch die neu ins Programm aufgenommene Siedlungspolitik des Reichsbundes zu sehen. Diese wendet sich gegen das Stigma einer ungesunden Berufsstruktur unter der jüdischen Bevölkerung. Der Reichbund wollte beweisen, dass auch ein Jude in der Lage war, Landbau zu betreiben. In der Folge des Pogroms und den damit in Verbindung stehenden Erfolgen intensivierte der Reichsbund seine Gegenwehr gegen antisemitische Propaganda. Dabei wurde er bestärkt durch die Zusammenarbeit mit anderen jüdischen Organisationen, wie dem Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens oder der Zionistischen Vereinigung für Deutschland. Auch die Unterstützung durch Vertreter linker, liberaler Parteien, durch örtliche Honoratioren oder durch das Justizsystem trug zu einem erstarkten Selbstbewusstsein bei. Diese gesteigerte Selbstbewusstsein, genährt durch die vermeintlichen Erfolge im Kampf gegen den Antisemitismus, war es auch, dass den Reichsbund ab 1933 nach einer Vormachtstellung unter den deutschen Juden streben lies. In dieser dritten Phase der Geschichte des RjF wurde die über die Jahre streng „gehütete“ Neutralität in innerjüdischen und politischen Belangen beseitigt und der Bund so umgebaut, dass er einer politischen Partei ähnelte. Die Beseitigung der demokratischen Prinzipien innerhalb des RjF durch die einseitige Ausrichtung auf seinen Vorsitzenden Leo Löwenstein rundete dieses Bild ab. Bei seiner Tätigkeit versuchten die Mitglieder des Reichsbundes sich zu entscheiden zwischen einer Identität als Deutscher und Jude. Den Weg der Assimilation zu verlassen und an einer Perspektive in einem anderen Land zu arbeiten, war erst nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten eine denkbare, wenn auch zunächst nicht wünschenswerte Option für den RjF. So rückte schließlich die Identitätsbestimmung als Jude vor die als Deutscher, obwohl der RjF sich in erster Linie als nationaler Verband, der sich aus Soldaten jüdischer „Abstammung“ rekrutierte, und weniger als jüdische Interessenvertretung betrachtet hatte.
Die Idee für den Workshop war entstanden im Rahmen der Nachwuchstagung Judaistik/Jüdische Studien der Vereinigung für Jüdische Studien e. V., die im Februar 2012 in Bamberg stattgefunden hatte. Dort äußerte sich ein großer Bedarf nach größerer überregionaler Vernetzung. Als sehr wünschenswert wurde festgehalten, in Ergänzung zur Nachwuchstagung auch regelmäßige Treffen in kleineren Arbeitsgruppen zu etablieren. Der Workshop in Veitshöchheim war die erste Veranstaltung, die diese Idee zeitnah, acht Monate nach der Nachwuchstagung, umsetzte. Der Workshop fand in Kooperation zwischen der Vereinigung für Jüdische Studien mit dem Lehrstuhl für fränkische Landesgeschichte an der Universität Würzburg statt.