Gespiegelte Fassung der elektronischen Zeitschrift auf dem Publikationsserver der Universität Potsdam, Stand: 13. Januar 2014
Originalfassung zugänglich unter http://www.hin-online.de

HiN - Internationale Zeitschrift für Humboldt-Studien (ISSN: 1617-5239)

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Ursula Thiemer-Sachse

„Wir verbrachten mehr als 24 Stunden,
ohne etwas anderes als Schokolade und Limonade zu uns zu nehmen“.

Hinweise in Alexander von Humboldts Tagebuchaufzeichnungen zu Fragen der Verpflegung auf der Forschungsreise durch Spanisch-Amerika
 

 

Zusammenfassung

In Alexander von Humboldts Tagebüchern seiner berühmten Forschungsreise durch Spanisch-Amerika finden sich Bemerkungen und Hinweise für künftige Leser seiner Reisedarstellungen zu Problemen der Verpflegung. Zumeist werden Engpässe und Missstände erwähnt sowie Fragen soziopolitischer Situation verdeutlicht. Sie beziehen sich auf Extrembedingungen in stadtfernen Gebieten und im Kontakt mit den indigenen Trägern und Helfern während der einzelnen Exkursionen. Die Darstellungen der alltäglichen Gegebenheiten sind zugleich eine interessante Quelle für Verhaltensmuster der verschiedenen Schichten der spanischkolonialen Gesellschaft wie der Forschungsreisenden, die mit den Schwierigkeiten umzugehen hatten, sich anzupassen verstanden oder ihre eigenen Verhaltensmuster entwickelt haben. Damit ermöglichen Humboldts Aufzeichnungen zugleich auch auf diesem Gebiet manchen Blick auf den seither erfolgten Kulturwandel.

Resumen

En los diarios del famoso viaje de estudios de Alejandro de Humboldt por la América española se encuentran observaciones y notas sobre problemas de aprovisionamiento, en favor de lectores futuros de sus relaciones de viaje. En la mayoría de los casos Humboldt menciona situaciones precarias o ilustra cuestiones de carácter sociopolítico. Frecuentemente, sus apuntes se refieren a condiciones extremas en regiones remotas y en contacto con los cargadores y ayudantes indígenas durante las diferentes excursiones. Las descripciones de los acontecimientos cotidianos al mismo tiempo son una fuente interesante sobre los modos de proceder de las diferentes capas de la sociedad colonial española así como de los viajeros científicos que tuvieron que enfrentar dificultades a las cuales había que adaptarse o desarrollar modelos propios de comportamiento. Por esto al mismo tiempo las noticias de Humboldt también en este asunto posibilitan más de una vez la atención al cambio cultural que se ha realizado hasta hoy en día.

Summary

In the diaries of Alexander von Humboldt’s famous expedition throughout Spanish America you will find observations and notes about problems of food supply, which seem to be directed at future readers of his later to be published travelogue. In most instances, he mentions precarious situations and illustrates questions of sociopolitical nature. Frequently, his notes refer to extreme conditions in remote regions and in contact with the indigenous porters (cargadores) and assistants in the course of the different excursions. At the same time, the descriptions of everyday life are an interesting source for the study of different social strata in colonial Spanish society. This also accounts for the researchers themselves, who had to face the challenges of their journey, either accommodating themselves or developing strategies of adaption. Humboldt’s notes also enable the present-day reader to shed a light on transformations in everyday culture and social behaviour.

* * *

Auf der Grundlage der durch Veröffentlichung zugänglichen Tagebuchaufzeichnungen von Alexander von Humboldt kann man nachvollziehen, welchen Problemen der Versorgung mit dem alltäglich Notwendigen er und sein Begleiter Aimé Bonpland sich auf ihrer berühmten Forschungsreise durch Spanisch-Amerika gegenübersahen. Dabei ist zu bedenken, dass Humboldt von Beginn an im Auge hatte, seine Erfahrungen und die Ergebnisse seiner Forschung, wie er sie in den Tagebüchern zu Papier brachte, im Kontext seines Reisewerkes zur Publikation zu bringen. In den Tagebüchen über die Reise durch Venezuela folgte Humboldt seinem Anliegen, das er schon zu Beginn, während der Schiffsreise zwischen La Coruña und Teneriffa, klar formulierte:

In diesen Tagen habe ich so viel gesehen, empfunden und erfragt, daß ich jetzt in der Furcht, vieles aus dem Gedächtnis zu verlieren, die Materialien nur flüchtig und ungeordnet niederschreiben will. Meine Einbildungskraft wird noch mehrere Jahre warm genug bleiben, um einst ein nicht unvollständiges Bild des Ganzen daraus zusammenzusetzen, um einst andere einen Theil der Freude mitgenießen zu lassen […]. (2000: 81)

Daher wurden von ihm manche die Reisenden persönlich betreffende Fragen des täglichen Lebens nur nebenbei erwähnt, ja wohl oft genug nicht der Erwähnung für würdig befunden. Dennoch kann man erkennen, mit welch kritischen Situationen bei der Versorgung mit Lebensmitteln in zivilisationsfernen Gegenden sie während ihrer Forschungsreise fertig werden mussten, wie sie ihnen nicht vertraute Essgewohnheiten der Einheimischen wahrnahmen, wie sie sich anzupassen verstanden oder auch für sich alternative Formen fanden.

Zwar lässt sich feststellen, dass Humboldt die körperlichen Strapazen weit ausführlicher beschrieb, die er persönlich und sie beide bei ihren Vermessungen und anderen Forschungsaktivitäten im Zusammenwirken mit den indigenen Trägern und Helfern zu erdulden und zu bewältigen hatten, als Probleme der Ernährung. Es lässt sich aber auch erkennen, dass im Gegensatz zum Beginn der Forschungsreise nach und in Spanisch-Amerika seine Aufzeichnungen zur Befriedigung der Bedürfnisse ihres Magens mit den Jahren seltener wurden. Anscheinend lag ihm daran, Erfahrungen zu vermitteln, die weitgehend soziale Aspekte betrafen: so der teilweise Mangel an Lebensmitteln und dessen Behebung im Kontext von Beziehungen zu wichtigen Persönlichkeiten der kolonialspanischen Welt - bei Einladungen durch die dortige Elite - mit Hinweisen auf die Aufmerksamkeit, die diesen außergewöhnlichen Reisenden mit königlicher Autorisierung zuteil wurde.

Humboldts Aufzeichnungen sind vorrangig von wissenschaftshistorischem Interesse. Seine Landschaftsbeschreibungen sind oft gefühlsbetont, mit der Suche nach Erklärungen für die beobachteten Naturerscheinungen und Einschätzungen angereichert, die zudem soziokulturelle Beobachtungen enthalten und deren Hinweise uns daher bis heute von Bedeutung sind, lassen sie doch auch den Kulturwandel seither, in den letzten 200 Jahren, sichtbar werden.

Bei der Ausrüstung ihrer unterschiedlichen Exkursionen, beispielsweise der Erkundung des Regenwaldes wie der Andengipfel, das heißt beim Vordringen in Gebiete außerhalb städtischer Zentren, hatten Humboldt und Bonpland sehr genaue Vorstellungen, welche Messgeräte, wie viele Papierbögen zum Trocknen der gesammelten Pflanzen- oder Pflanzenteile oder auch wie viel Kleidung in Reserve sie mitzunehmen, auf die Träger zu verteilen oder im Boot zu verstauen hätten. Die Versorgung mit Lebensmitteln und Getränken für die gesamte Gruppe war dagegen nicht immer zuvor gut durchdacht. Man verließ sich oft genug auf Einladungen oder auf das Erwerben von Essbarem unterwegs.

Das bedeutete, dass Humboldt und Bonpland mit den Lebens- und Essgewohnheiten und den ihnen exotisch erscheinenden Speisen der einheimischen Bevölkerung, der kolonialspanischen Elite ebenso wie der Indigenen, vertraut wurden. Manches nahmen sie als selbstverständlich hin; über anderes finden sich Bemerkungen in Humboldts Tagebüchern. Doch sind es nicht allzu viele Notizen, die davon Zeugnis ablegen, wie sich die Forscher mit dieser für sie weitgehend fremden Ernährung arrangierten. Sie sind aber deshalb nicht weniger interessant, da sie die soziokulturellen Gegebenheiten und Kontakte verdeutlichen – in einer Zeit, in der es dafür ja keine allgemeinen Erfahrungen von Reisenden gab, die durch Veröffentlichung zugänglich gewesen wären und auf denen die beiden Forschungsreisenden hätten aufbauen können.

Wenn auch nur indirekt bemerkbar blieb die soziale Distanz zu den indigenen Dienern nicht nur bei der Verteilung der Arbeitsaufgaben, sondern auch, dem damaligen Gesellschaftsbild entsprechend, weitgehend bei den Mahlzeiten erhalten. Was so selbstverständlich war, erfuhr daher auch keine besondere Erwähnung in den Tagebüchern. Eher war es die Ausnahme von dergleichen gesellschaftlichen Regeln, die unter den extremen Bedingungen der Forschungsreise Humboldt bemerkenswert erschienen. Hier sei einmal der Versuch unternommen, anhand ausgewählter markanter Stellen in den Tagebüchern die Entwicklung aufzuzeigen, welche die Sicht auf Fragen von Essen und Trinken bei Humboldt in jenen fünf Jahren erfuhr. Aus diesem Anliegen ergibt sich, dass weitgehend gemäß der Reihenfolge der Entstehung der Aufzeichnungen vorgegangen wird, nicht immer jedoch thematisch zusammenhängende Aussagen gebündelt werden, sondern nur zum Teil auf sie verwiesen wird.

Humboldt bemühte sich um eine kritische Einschätzung der Lebensweise von Spaniern wie Indigenen, die seiner Ansicht nach keinerlei Antrieb zu verstärktem Arbeitseinsatz empfanden, wenn sie genügend zu essen hatten. Er stellte beispielsweise fest:

Der Boden von Cumanacoa ist wunderbar fruchtbar, aber es fehlt an Fleiß und Armen. Hauptgrund der in der Tropenwelt herrschende, dass jeder Mensch vollauf zu essen hat und keine andern Bedürfnisse lebhaft genug fühlt, um irgendetwas zu unternehmen, die Spanier wie die Indianer. (2000: 145)

Humboldt vermochte nicht die verschiedenartige soziale Position der einzelnen Gruppen und damit die unterschiedliche Möglichkeit zu erkennen, an den durch zusätzlichen Einsatz gewonnenen Reichtümern zu partizipieren. Er vermutete die Schuld für ein entsprechendes Verhalten der Indigenen bei den Missionaren, denen gegenüber er aus eigenen Beobachtungen und Erfahrungen heraus eine sehr kritische Position bezog. Jedoch waren diese Urteile auch undifferenzierte Vorurteile, bedenkt man, dass seine Reisegruppe zum Beispiel bei den Mönchen in Caripe selbstlose Gastgeber fand:

Wir waren unvermerkt so lange im Kloster geblieben, daß wir fast alle Vorräthe der Mönche aufgezehrt. Man bat nur sehr matt zum längeren Bleiben und mit Schaudern sahen wir, daß die neuen Brüder am letzten Tage weder Wein noch Brod genossen. Unsere eigene Brodportion sank auf ein halbes, am Abend auf ein viertel Brod hinunter. Zum Unglück zwang ein Platzregen uns, einen Tag länger zu bleiben, ein peinlicher Tag. (2000: 158)

Auf der Reise waren sie des Öfteren: „unbegreiflich ermüdet und hungrig“ (2000: 159); „wir hungrig und durstig“ (2000: 162). Bei der Besteigung der „Silla“ bei Caracas hatten sie „Zeitverlust, um auf [das] Essen zu harren“ (200: 177) und mussten unter der Art leiden, wie sie schließlich von einem dafür verantwortlichen Missionar versorgt wurden:

Mißmuthig entschlossen wir uns, da eben die andren Neger mit der Speise nachkamen, zu essen und während des Essens Rath zu pflegen. Der Capuciner schickte einen wahren Schweinefraß, altes Fleisch, fünf Brothe für zwölf Menschen (alle Anstalten hatte er übernommen und vergessen, den Sklaven Speise zu verschaffen), ein paar Oliven in schmutzige Leinwand eingewickelt. (2000: 178)

Humboldt setzte in diesem Falle durch, dass trotz dieser Missstände die Vermessung und die anderen Beobachtungen am Berg fortgesetzt würden. Später, nach erfolgreicher Besteigung der „Silla“, musste er in seinem Tagebuch vermerken: „Mit Besinnung und Energie übersteht man alles. Aber die Füße schmerzten sehr und seit 1 ½ Uhr bis 10 Uhr waren wir ohne einen Tropfen Wasser oder Weins.“ (2000: 181). Wassermangel war dem unermüdlichen Forscher durchaus eine zu vermerkende kritische Situation. So erwähnte er bei der Reise durch die Llanos von Guacara: „Fürchterliche Hitze und nichts zu essen, nicht einmal Wasser als aus einer Pfütze.“ (2000: 223). Neben der Furcht vor den Tieren der Wildnis war die Vorstellung, „durstig, ohne Wasser“  eine Nacht mit Bonpland alleine, ohne die helfenden Begleiter zu verbringen, „in der Tat bestürzend“ (2000: 224).

Nicht zuletzt die eigenen bitteren Erfahrungen ließen die Reisenden zu humanem Verhalten ohne Ansehen der Person gelangen: soziale Grenzen spielten keine Rolle. Humboldt notierte:

Zwischen Calabozo und Urituco [in den venezolanischen Llanos, UTS] Sonnenhitze, Staub, wenige Palmen. Wir fanden [eine] verstoßene (wegen Krankheit aus dem Hause verstoßene) Indianerin mit leerem Kruge unter [einer] Palme Abends um 4 Uhr sterbend; vor Durst und Staub konnte sie fast nicht reden. Zu ihrer Rettung hatten wir Wasser und Wein, sie kam zu sich, wir gaben ihr zu essen, und sie setzte muthig den Weg fort! (2000: 235)

Wie dieser Einsatz der Reisenden als „Samariter“ so beschäftigte Humboldt das Außergewöhnliche im beobachteten soziokulturellen Umfeld.

Allgemeiner bekannt ist die Beschreibung der Besichtigung der berühmten Guácharo-Höhle bei Caripe, wo jedoch nicht nur die Vögel selbst und ihr Lebensraum Humboldt interessierten, sondern auch deren damals übliche Nutzung und die eigenen Erfahrungen damit:

Der vordere Theil der Höhle ist schon profaner, seitdem die Indianer alle Jahr um Johannis dort einige Tage zubringen, um die Brut auszunehmen und die manteca zu gewinnen. Man streitet darüber, ob dieser Gebrauch nicht erst von den fettlüsternen Kapucinern eingeführt ist. Gewiß ist, daß jetzt die Nachstellung und das Fettsammeln ordentlicher und betriebsamer geschieht. Am Eingange sieht man Hütten, in denen das Fettausbraten geschieht; man schneidet den kaum befiederten Jungen den abdomen aus und bratet dort das Fett aus. Es ist weiß, halbflüssig und wie Öl, geruchlos. Alle Speisen, die wir im Kloster aßen, waren mit der Manteca gekocht […] die meiste manteca genießen die Mönche. Diese sagen, die Indianer seien nur zu kleinen Lieferungen für die Heil[ige] Lampe verbunden, den Rest kaufe man den Ind[ianern] ab. Man weiß, wie Mönche kaufen… (2000: 156)

Einladungen zu Gastmählern seitens der kolonialgesellschaftlichen Elite waren oft genug mit der Neugierde der Einheimischen verbunden, was Fremde veranlassen könnte, so weit zu reisen und sich vor allem in Gegenden fern der eigenen Zivilisation zu begeben (vgl. Humboldt 2000: 185). Humboldt konnte aber auch feststellen: „Wir erhielten die vortreffliche Abendmahlzeit, Frühstück… und dies alles umsonst. Wir Europäer sind verderbt genug, um eine solche arabisch-spanische Hospitalität nicht begreifen zu können.“ (2000: 202). Selten jedoch vermerkte er, was ihnen konkret vorgesetzt wurde, wie beispielsweise in Cura am Valencia-See: „Stark gefrühstückt, Fleisch, Eierkuchen mit Platanus […] Gegessen Platanus in allen Gestalten […]. Dann Punsch mit engl[ischem] Bier.“(2000: 203); „[…] Roquillas, eine Art Kuchen aus Maysmehl“ (2000: 267); „Indianer arbeiteten Nachts für uns an Casave“ (2000: 267). Den Reisenden waren also Bananen, Maiskuchen und Maniokfladen vertraut.

Bei einheimischer Ernährung ebenso wie bei extremen Bedingungen in der Natur experimentierten die Reisenden selbst: sie kochten beispielsweise Eier in einer extrem heißen Quelle (2000: 210). Es ging dabei mehr um das Experiment als um die Herstellung vom etwas Essbarem. - Vermerkt findet sich in den Tagebüchern aber auch, dass sie wegen extremer Hitze „wegen vielen Kaffeegenusses und liqueur etwas krank“ waren (2000: 244). Es ist überhaupt erstaunlich, dass die Forschungsreisenden bei der fremden Kost und den schwierigen klimatischen Verhältnissen nicht noch öfter Magenkrankheiten, wie man in Lateinamerika euphemistisch sagt, durchzustehen hatten. Zumindest findet sich dazu kein Vermerk in den Tagebuchaufzeichnungen.

Genau vermerkt wurde von Humboldt dagegen, wie die Verproviantierung für ihre Fahrt auf dem Orinoko aussah:

Wir luden Lebensmittel auf vier Wochen, Pisang, Hühner, Eier, Kassave, Brandwein (um von Indianern Waren zu erkaufen), Tamarindenschoten, um eine erfrischende Limonade zu machen und besonders Cacao, die wunderschöne Erfindung der span[ischen] Conquistadoren (eine Speise, deren Wert auf Reisen man in  Europa nicht kennt, nährend, reizend und sättigend in kleinem Volum…). Am meisten wurde auf Angel, Netz und Schießgewehr gerechnet, denn der Fluß wimmelt von Fischen, Schildkröteneiern, Garzas, Paujís, Guacharacas, Wild … alles vortreffliche Speisen. Der reiche, aber sehr liebenswürdige Capuc[iner] in S[an] Fernando, Fray José María de Málaga (ein Jesuiten-artig Weltkluger Mann) gab uns Wein und Zuckerwerk. (2000: 239)

Wenn Humboldt den Kakao auch nur als eine Gabe der Spanier, nicht als eine solche indianischer Kultur verstand, so zeigen seine Hinweise doch deutlich, dass die Aufzählung für zukünftige Leser seiner Notizen gedacht waren. Im gleichen Sinne war sein Verweis darauf zu verstehen, wo und wie sie versuchten, ihre Lebensmittelvorräte aufzubessern: „in Hoffnung, Eßwaren dort einzukaufen, denn schon mangelten wir an Provision“ (2000: 256). Dies war nicht nur eine Feststellung zur eigenen Erinnerung an die täglichen Schwierigkeiten des Reisens, sondern auf Nachahmung beziehungsweise Warnung vor entsprechenden Engpässen und Gefahren orientiert. Dies erklärt wohl auch Hinweise auf im Einzelfalle freundliche und hilfsbereite Missionare, hatte er doch, wie bereits erwähnt, ein sehr kritisches Verhältnis zu deren Aktivitäten in Venezuela. Interessant ist, dass Humboldt sich durchaus den Gepflogenheiten anschloss, mittels Alkohol von den Indigenen Lebensmittel zu ertauschen. Entweder beobachtete er nicht so häufig die Folgen extensiven Alkoholkonsums unter den Indigenen, oder ihm erschien diese Handelsmethode als durchaus praktikabel und nicht kritisch zu hinterfragen.

Humboldt lernte aber auch den Gemeinsinn seiner indianischen Begleiter kennen, in deren Genuss er und Bonpland des Öfteren kamen: „Keiner trinkt, ißt etwas allein, ohne nicht dem Gefährten mitzugeben“ (2000: 255); und so stellte er nach der Überwindung besonderer Gefahren ihrer Flussfahrt auf dem Orinoko fest: „Wir freuten uns, zusammen zu essen bei Mondlichte.“ (2000: 258). Dass dabei das Verhältnis zwischen Herren und Dienern, die von ihm auch als Sklaven charakterisiert wurden, nicht aufgehoben war, ergab sich aus dem Zeitgeist. Wenn Humboldt auch klar gegen unmenschliche Ausnutzung und Ausbeutung von Indianerarbeit und Negersklaverei auftrat und so deutlich Position bezog, wirkte sich dies wohl kaum  auf die Essgewohnheiten aus.

Der immer wieder nötige Kampf gegen den Durst veranlasste ihn zudem, sich in Hinblick auf potenzielle Leser zum Wasser des Orinoko zu äußern: „[Das] Orinoco-Wasser soll purgieren, hat für mich [einen] eigenen, widrigen Geschmack, süßlich und wie angesonnt, ausgekocht!“ (2000: 255).

Da Humboldt in Venezuela sein Tagebuch in Deutsch verfasst hat, sind seine Aussagen noch authentischer als die modernen deutschen Übersetzungen seiner französischsprachigen Tagebuchaufzeichnungen der folgenden Reisejahre. Aber die allgemeinen Probleme sind nachzuempfinden, mit denen er sich auseinandersetzte, die er für erwähnenswert hielt. Im Bedarfsfalle kann man sich die französischsprachigen Originale vor Augen führen; in der hier versuchten Darstellung soll darauf verzichtet werden.

Bei den Studien an den Andenvulkanen waren die Forscher oft, was die Ernährung und Versorgung mit trinkbarem Wasser betraf, Extremen ausgesetzt. Einerseits waren sie selbst sozusagen exotische Gäste der einheimischen Elite: „Die Herren Aguirre hatten uns auf ihrem Anwesen [in Ekuador, UTS] wie Könige behandelt. Sie hatten es mit Möbeln ausgestattet, sie hatten einen Koch kommen lassen.“ (2003: 61). Man bereitete den Forschern zudem des Öfteren ein Abschiedsfrühstück (vgl. 2003: 94), bevor sie weiterreisten. Und sie selbst beobachteten die Elite, die mit europäischem Luxus lebte: „In Latatunga, in Ambato, zweitausend Meilen von Frankreich entfernt, trifft man Corregidores, die französisch sprechen, wo man wie in Marseille und in Paris speist, lebt…“(2003: 95). Jedoch wurden die Reisenden  auch bewirtet, „um nach der sinnreichen Art des Landes zu speisen“(2003: 102). Andererseits wurden sie in Ekuador gedrängt, die Reise wegen der angeblich schlechten Bedingungen in den südlicheren Teilen von Spanisch-Amerika abzubrechen. Sie wurden sogar regelrecht bevormundet, was ihre Verpflegung betraf: „Er nahm unsere Tassen mit Schokolade, um den Geschmack zu prüfen.“ (2003: 117f).

Zum anderen wurden sie bei ihren Forschungsreisen gleich danach ganz auf sich gestellt:

Aber ach, auf dem Antisana – die Indios mit dem Essen und mit den Betten kamen nicht an. Wir blieben fast 24 Stunden ohne Nahrung, wir fanden nur Kartoffeln (die auch von weit her kommen, denn in 2100 Toisen Höhe wächst keine eßbare Pflanze). (2003: 61) […] eine offene Indianerhütte mit einem brennenden Feuer, aber ohne Bewohner. Erschöpft wollten wir die Nacht dort verbringen, ohne Abendbrot und ohne Kopfkissen. (2003: 131)

Und am Cotopaxi widerfuhr ihnen Folgendes:

Nachdem wir aus Mangel an Lebensmitteln gefastet hatten (alles verfault, und wir verbrachten mehr als 24 Stunden, ohne etwas anderes als Schokolade und Limonade zu uns zu nehmen), aßen wir am 4. Tag nach unserer Abreise in Las Bodegas zu Abend. (2003: 183)

Auch die einfache Bevölkerung, mit der sie zusammentrafen, fällte auf ihre Art Urteile über die fremden Reisenden:

Ich erhob mich, um einige Pflanzen zu zeichnen als Ersatz für das Frühstück, denn wir verfügten erst nach der Ankunft des Gepäcks über Lebensmittel. Eine alte Indianerin beklagte in der Sprache der Incas sehr poetisch unser Geschick, indem sie sagte, daß die Vorsehung diejenigen bestraft, die nicht in ihrem Land (Heimat) bleiben, daß nichts so schön ist wie das Vaterland und daß wir sicher ‚über irgendeinen großen Weg’ sterben würden. (2003: 132)

Humboldt erkannte die wirtschaftliche Situation der indigenen Ureinwohner keineswegs als idyllisch an, und seine Beobachtungen führten ihn unter anderem in Nordperu zu einer sehr kritischen Einstellung gegenüber dem Kolonialregime:

Warum sieht man dort so wenig Anbauflächen mit Bananen, Kartoffeln und Yucca, die genügen, um einen Indio leben und glücklich leben zu lassen? Der wahre Grund ist, daß eine schlechte Regierung immer am meisten auf die bedürftigen Klassen drückt, die am wenigsten imstande sind, sich zu verteidigen… (2003: 139)

Humboldt und seine Begleiter mussten sich oft genug mit dieser einfachen Bevölkerung arrangieren, um versorgt zu sein. Daher war es für ihn interessant, unter anderem auch Beobachtungen über deren Essgewohnheiten zu notieren. Seine Beschreibungen des Zusammentreffens mit den Jíbaros, den Shuar in der Selva von Ekuador, sind durchaus als ethnohistorische Quelle von Wert. Unter anderem berichtete er:

Sie sahen uns essen, aber sie wollten nichts nehmen. Unsere Soßen mißfielen ihnen sehr, ihre Unruhe zeigte den größten Ekel an. Sie mögen weder Wein noch Brandwein, und, was besonders bemerkenswert ist und beweist, daß die Gebräuche bei Bevölkerungen der gleichen Rasse nicht konstant sind, diese Jíbaros stellen keine Chicha, überhaupt kein gegorenes Getränk her und trinken auch keines […] Die Frauen, auf denen bei allen anderen Indios die ganze Last der Arbeit ruht, besorgen bei ihnen nur die Küche. Die Männer sind damit beschäftigt, zu spinnen und die braun gestreiften Ponchos zu weben, die sie tragen… (2003: 147)

Humboldt notierte:

unter den amerikanischen Indios waren nur wenige, die Fleisch aßen. […] Noch heutzutage machen die Indios wenig Aufhebens von Fleisch, und die freien Indios vom Río Meta und Río Guaviare haben jahrhundertlang neben den Rinderfarmen gelebt, bevor sie lernten, von dem Fleisch zu essen. Deshalb  wundere ich mich nicht, daß die Indios nach der Conquista die zahlreichen Arten der Hokkohühner, der Schakuhühner, der Fasane nicht gezähmt haben… (2003: 205)

An anderer Stelle berichtete Humboldt dagegen vom Coatí [Nasenbären] aus Mexiko: „Sie stammten vom Río Alvarado und Coatzacoalcos. Die Indios essen sie.“ (2003: 297).

Auch bei den strapaziösen Exkursionen in Neuspanien [= Mexiko] zu besonderen Gebirgsformationen wie im Bergbaugebiet von Pachuca litten die Forscher Mangel an Lebensmitteln und Trinkbarem, hatten dabei aber auch unliebsame Begegnungen mit Einheimischen, deren religiöse Empfindungen sie wohl unbedacht verletzt hatten und deren kleine Macht sie zu spüren bekamen:

Erschöpft kehrten wir zurück, sterbend vor Hunger und Durst. Wir legten uns in einer kleinen Kapelle auf die Steine nieder, den Kopf auf unsere Sättel gestützt. Welch endlos lange Nacht! Wir hatten in 24 Stunden nur schlechtes Wasser zu uns genommen und ein wenig Maismehl. Nachts kamen die indianischen Gemeindevorsteher zurück, wie üblich betrunken, aber so erstaunt über unser Erscheinen in der Kapelle, daß sie uns damit belästigten, unsere Pässe sehen zu wollen, die wir nicht bei uns hatten. (Am 23. Mai stiegen wir mit sehr leerem Magen von San Miguel in das schöne Tal von Actopan hinab […]) (2003: 252)

Fanden sie einmal ausreichend Lebensmittel, so waren doch die Bedingungen außerhalb der Städte für die an europäischen Luxus gewöhnten Forschungsreisenden in Neuspanien meist recht einfach. „Die Gasthäuser dieser ganzen Reiseroute in Durango sind sehr schön und gut mit Lebensmitteln versorgt, aber im allgemeinen ohne Tische und Stühle.“ (2003: 259)

Die hier angeführten Stellen sind die übergroße Mehrheit erwähnter Probleme von Versorgung, von Essen und Trinken, die sich überhaupt in Humboldts bisher edierten Tagebuch-Anthologien finden lassen. Sie zeigen, welchen Situationen sich die Forschungseisenden immer mal wieder gegenüber sahen und wie sie sie bewältigten.

Auf der Überfahrt von Veracruz nach den Vereinigten Staaten von Amerika unter recht kritischen Bedingungen eines schweren Sturms zog Humboldt eine von Emotionen geprägte Bilanz, in der solche Engpässe völlig ausgeblendet erscheinen:

Mich untergehen zu sehen am Vorabend so vieler Freuden, mit mir alle Früchte meiner Arbeiten zugrundegehen zu sehen, die Ursache für den Tod zweier Menschen [Bonpland und Carlos Montúfar, UTS] zu sein, die mich begleiteten, unterzugehen auf einer Reise nach Philadelphia, die überhaupt nicht notwendig erschien (obgleich sie unternommen wurde, um unsere Manuskripte und Sammlungen vor der perfiden spanischen Politik zu retten) … Auf der anderen Seite tröstete ich mich damit, ein glücklicheres Leben geführt zu haben als die meisten Sterblichen; es schien ein unbilliges Verlangen zu sein, nach dem Überstehen so vieler Gefahren bei einer Expedition von fünf Jahren nicht schließlich den Eumeniden [Rachegöttinnen der griechischen Mythologie] seinen Tribut entrichten zu sollen… (2003: 302)

 

Literaturverzeichnis

Humboldt, Alexander von 2000: Reise durch Venezuela. Auswahl aus den amerikanischen Reisetagebüchern. Herausgegeben von Margot Faak. Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung 12. Akademie Verlag, Berlin.

Humboldt, Alexander von 2003: Reise auf dem Río Magdalena, durch die Anden und Mexico. Teil II: Übersetzung, Anmerkungen, Register. Übersetzt und bearbeitet von Margot Faak. Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung 9. Akademie-Verlag, Berlin.

 

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Zitierweise

Thiemer-Sachse, Ursula (2013): „Wir verbrachten mehr als 24 Stunden, ohne etwas anderes als Schokolade und  Limonade zu uns zu nehmen“. Hinweise in Alexander von Humboldts Tagebuchaufzeichnungen zu Fragen der Verpflegung auf der Forschungsreise durch Spanisch-Amerika. In: HiN - Humboldt im Netz. Internationale Zeitschrift für Humboldt-Studien (Potsdam - Berlin) XIV, 27, S. 77-83. Online verfügbar unter <http://www.uni-potsdam.de/u/romanistik/humboldt/hin/hin27/ts.htm>

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Letzte Aktualisierung: 19 Dezember 2013 | Kraft
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