Gespiegelte Fassung der elektronischen Zeitschrift auf dem Publikationsserver der Universität Potsdam, Stand: 5. Juli 2011
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HiN - Internationale Zeitschrift für Humboldt-Studien (ISSN: 1617-5239)

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Michael Anisch

Bloß keine Tiziane!
Poker um den Posten des Generaldirektors der Kunstmuseen

Preußen im August 1837: Mit dem Tod des Grafen Brühl wird die Stelle des Direktors der königlichen Museen frei. Die Neubesetzung des Postens wird zum Gegenstand intensiver Verhandlungen, in die sich auch Alexander von Humboldt einschaltet.

Es ist weithin bekannt, dass Humboldt als Wissenschaftsförderer außerordentlich aktiv war. Eingemischt hat er sich auch in die Politik – wenngleich er zeitlebens ein offizielles Engagement im preußischen Staatsdienst ablehnte (Ette 2009: 141ff). Dabei ist im hier behandelten Zusammenhang sicherlich interessant, dass Humboldt selbst die Stelle des Museumsdirektors angeboten bekam, jedoch immer wieder ablehnte (Werner 2010: 228f; Holtz 2011: 430).[1] Für den Bereich der Kulturpolitik wurde sein Intervenieren in diversen Bereichen und zugunsten der verschiedensten Persönlichkeiten seiner Zeit in sehr umfangreicher Weise bereits in Kurt Biermanns Veröffentlichung des Humboldt’schen Briefwechsels mit dem Kultusministerium dokumentiert (Biermann 1985). Auch die bereits fast einhundert Jahre zurückliegende Publikation des Austauschs zwischen dem preußischen Naturforscher und Ignaz von Olfers gibt einen Eindruck davon, dass die Besetzung der Stelle Humboldt eine Herzensangelegenheit war (Olfers 1913, insbes. S. 7ff).

Aus den Quellen wird deutlich, dass jeder der an der Diskussion Beteiligten zunächst einen anderen Kandidaten favorisierte: Kronprinz Friedrich Wilhelm (der spätere König Friedrich Wilhelm IV.), der die Entscheidungskompetenz über die Besetzung des Postens innehatte, bevorzugte Josias von Bunsen, mit dem er befreundet war und der auf eine neue Stelle im preußischen Staatsdienst hoffte (Sheehan 2002: 162f). Ein weiterer Kandidat, seinerseits gefördert durch Freiherr von Schilden, war der Graf Blankensee, welcher sich nach Ansicht seiner Befürworter für dieses Amt vor allem dadurch qualifizierte, dass er durch die Heirat mit einer Prinzessin im Januar 1837 in den Besitz einer umfangreichen und wichtigen Kunstsammlung gekommen war; der spätere Kosmos-Autor kritisierte dies heftig (Zuchold 1989: 367f; Olfers 1913: 9, Brief Nr. 15).

Humboldt intervenierte daraufhin sehr energisch bei dem in dieser Angelegenheit mit der ministeriellen Kompetenz ausgestatteten Karl Freiherr von Stein zum Altenstein[2], der für sein zögerliches Verhalten in Entscheidungssituationen bekannt war, zugunsten seines Freundes und Nachbarn Ignaz von Olfers – offensichtlich mit Erfolg, denn später wurde dieser auch durch Minister Altenstein unterstützt (Zuchold 1989: 378ff)[3]. Am Ende zögerte offenbar nur noch der König eine definitive Entscheidung hinaus, bis Olfers schließlich 1839 tatsächlich zum Generaldirektor der Museen ernannt wurde (Sheehan 2002: 163; Schöne 1880: 51).

Hier soll nun ein Brief des preußischen Gelehrten an Kultusminister Altenstein vorgestellt werden, der im Zusammenhang mit der von der Alexander von Humboldt-Forschungsstelle geplanten Veröffentlichung des Briefwechsels zwischen Humboldt und Friedrich Wilhelm IV. steht. Er wurde erst nach der bereits erwähnten Publikation Biermanns in der Biblioteka Jagiellońska entdeckt und wird deshalb hier als Ergänzung dieser Veröffentlichung präsentiert.

Zu dem Zeitpunkt, als Humboldt diesen Brief schrieb, waren die Verhandlungen um die Stellenbesetzung offensichtlich bereits in vollem Gange. Das Dokument ist somit ein weiterer Beleg für die Leidenschaft, mit der Alexander von Humboldt sich in die Auseinandersetzung um die Stellenbesetzung einbrachte, und komplettiert die Darstellung der von ihm meisterhaft beherrschten Kunst des Taktierens. Dabei fällt vor allem die Parallele zu einem bereits 1913 veröffentlichten Brief an Olfers selbst auf, in dem er fast wortwörtlich von diesem Engagement für denselben bei Altenstein berichtet, und genau auf die von ihm vorgenommene Gegenüberstellung mit Blankensee eingeht:

Ich habe Graf Blankensee nur dadurch bezeichnet, daß ich heraushebe: ‚wie bei hoher wissenschaftlicher Bildung und Kunstsinn, Sie [Olfers, erg. M.A.] das unaussprechliche Glück hatten, keine Tiziane und keine Rafaels, und keine Trugbilder der Phantasie zu besitzen, und also in der intellektuellen und moralischen Unabhängigkeit wären, die zu einer solchen Intendantur oder Direktion so notwendig sei‘ (Olfers 1913: 10).[4]

In dem Brief an Altenstein, mit dem er seit seiner Beamtentätigkeit im fränkischen Bergbau bekannt war (Biermann 1985: 8), wirft Humboldt nicht nur seinen eigenen Einfluss bei Hofe in die Waagschale[5], sondern auch Sicherheitsgarantien bezüglich des Verbleibs der Verantwortlichkeiten für die Museen beim Kultusministerium – und somit im Machtbereich Altensteins. Dies ist gerade vor dem Hintergrund einer in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts gestiegenen Bedeutung des Museumswesens (Vgl. Holtz 2011: 427ff) ein nicht zu vernachlässigendes Argument im Machtpoker um die Neubesetzung des Postens.

 

Alexander v. Humboldt an Karl Freiherr von Altenstein

Abb. 1: Brief von Alexander von Humboldt an Karl Freiherr von Altenstein, Berlin, den 1. September 1837 [Vorderseite]
HiN XII, 22 (2011) Zoomansicht

Berlin, 1.9.1837

Biblioteka Jagiellońska, Kraków

Ew. Excellenz haben, ich weiss es durch Geh[eimen] Rath Johannes Schulze[6], meine Bitte für Prof. Freytag[7], meinen Pariser Lehrer im Persischen, so menschlich wohlwollend aufgenommen, dass ich in vollem Vertrauen auf Ihre langjährige Gewogenheit und Freundschaft heute abermals einige vertrauliche Worte an Sie richte. Ich bitte nicht für mich, denn so schmeichelhaft es mir wäre, unter Ihren Befehlen und unter Ihrem Schuze bei dem Museum zu stehen, so bleibe ich doch meinem alten Grundsaze getreu meine einfache Lage als eina Gelehrter, der sich einiger Auszeichnung bei dem Monarchen[8] erfreut, nicht im 68sten Jahre, „den fossilen Knochen“ und Antediluvialb-Systeme so nahe, aufzugeben. Ich weiss dass mein Freund und Nachbar, Geh[eimer] Leg[ations] Rath Olfers die Direction der Museen wünscht. Ew. Excellenz kennen die treflichen Eigenschaften seines Charakters und seine wissenschaftliche Bildung besser als ich. Er hat das Glük keine Gemälde selbst zu besizen, keine Raphaele, keine Tiziane oder andere Trugbilder der Phantasie; er steht also recht eigentlich in der intellectuellen Unabhängigkeit, die in dem Thale des Geschäftsganges so nothwendig ist[9], in dem die eherne Prosa des Lebens an die Sentimentalität grenzt. Olfers ist bei den Künstlern |2| und Mitgliedern des Museums die meine Freunde sind[10] und die meines verewigten Bruders[11] (auch Ihres Freundes, theurer Minister), waren sehrc beliebt und erwünscht. Ihnen persönlich ergeben, wird er nie vergessen, dass die Intendantur od[er] Direction der Museen, (der Name ist gleichgültig) in Abhängigkeit und innerem Einklang mit dem Ministerium bleiben muss, dasd unzertrennlich Wissenschaft und Kunst, Intelligenz und Phantasie, umfassen muss. Wenn ich daher diese Vorliebe für Hr. v[on] Olfers äussere, so geschieht es nicht aus Entfernung von anderen sehr achtbaren Männern Ihres Departements: ich rede von dem, der mir und denen unter den grossen Künstlern dieses Landes, die meine Freunde sind, näher steht. Der Kronprinz[12] den das Museum so warm beschäftigt, wird, ich glaube es wissen zu können, da er mich selbst wünschte und zu überreden versuchte, in keinem anderen Plane gestöhrt. Er schäzt Olfers und die dichterische Atmosphäre die sein Haus umduftet.

Abb. 2: Brief von Alexander von Humboldt an Karl Freiherr von Altenstein, Berlin, den 1. September 1837 [Rückseite]
HiN XII, 22 (2011) Zoomansicht

Das sind Herzens-Ergiessungen eines hinter dem Museum wohnenden[13] uralten Reisenden. Die Kunst-Festung entzieht meinen Fenstern fast das Licht, darum werde ich immer an dasselbe gemahnt.

Ew. Excellenz werden diese Zeilen, hoffe ich, nicht als aufgedrungenen Rath verdammen. Es sind Betrachtungen zu deren Mittheilung Sie mich so oft berechtigt haben. Was Sie auch je in dieser Sache beschliessen, sind Sie meiner unverbrüchlichen Anhänglichkeit und Verehrung gewiss

AlHumboldt

Berlin d[en] 1 Sept[ember] 1837

An eine Intendantur der Museen, als Hof Charge denkt der König gewiss nicht.

Ich werde wahrscheinlich nach Göttingen gehen[14], minder um zu jubiliren, als um die Bibliothek zu consultiren.

a ein erg. Humboldt

b Antidiluvial Humboldt ändert Hg.

c (1) sehr (2) waren sehr Humboldt

d dass Humboldt ändert Hg.

Literaturverzeichnis

Beck, Hanno (1961): Alexander von Humboldt. Band 2: Vom Reisewerk zum „Kosmos“ 1804-1859; Wiesbaden: Steiner.

Biermann, Kurt-R. (1985): Vier Jahrzehnte Wissenschaftsförderung. Briefe an das preußische Kultusministerium 1818–1859; Berlin: Akademie-Verlag.

Ette, Ottmar (2009): Alexander von Humboldt und die Globalisierung: das Mobile des Wissens; Frankfurt a. M.: Insel-Verlag.

Olfers, Ernst W. M. (1913): Briefe Alexander von Humboldt‘s an Ignaz von Olfers Generaldirektor der Kgl. Museen in Berlin; Nürnberg, Leipzig: Sebald.

Schöne, R. (1880): Die Gründung und Organisation der Königlichen Museen; in: Zur Geschichte der Königlichen Museen in Berlin: Festschrift zur Feier ihres fünfzigjährigen Bestehens am 3. August 1880.

Sheehan, James J. (2002): Geschichte der deutschen Kunstmuseen. Von der fürstlichen Kunstkammer zur modernen Sammlung; München: C. H. Beck.

Scurla, Herbert (1980): Alexander von Humboldt. Sein Leben und Wirken; Berlin: Verlag der Nation.

Werner, Petra (2010): Grenzüberschreitungen. Humboldt zwischen Wissenschaft und Kunst; in: Kästner, Ingrid/ Kiefer, Jürgen [Hrsg.]: Universitäten und Akademien. Beiträge der Tagung vom 19. und 20. Juni 2009 an der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt; Aachen: Shaker Verlag.

Zuchold, Gerd-H. (1989): Olfers kontra Bunsen. Ein Beitrag zur Berliner Museumsgeschichte; in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz Bd. 26 (1989).


 

[1] So weist Werner (2010: 228f) darauf hin, dass Humboldt der Posten schon einmal 1829 angetragen wurde, während er sich auf seiner Russlandreise befand, den dieser jedoch abgelehnt hatte. 1837 wiederholte er die Ablehnung, vgl. dazu den hier im Anschluss vorgestellten Brief.

[2] Altenstein nutzte die Gelegenheit, welche sich durch den Tod Brühls bot, zu einer Umverteilung der Zuständigkeiten im Bereich des preußischen Kulturwesens. So bewirkte er, dass die Intendanz der Museen nicht mehr dem königlichen Hof, sondern direkt dem Kultusministerium unterstand (Sheehan 2002: 162f; Schöne 1880: 51).

[3] Aus den Ausführungen Zucholds wird zudem deutlich, dass Humboldt bereits vor Brühls Tod auf dessen Nachfolge durch Olfers hinarbeitete (Zuchold 1989: 378f).

[4] Diesem Schreiben hängt Humboldt die Vorlage für einen Brief Olfers' an den Kronprinzen an, in dem er dem Kandidaten für den Posten eine Argumentationslinie empfiehlt, so wie er selbst (also Humboldt) sie sich vorstellt (Olfers 1913: 10f). Der Bewerbungsbrief Olfers' war offensichtlich auch weiterhin Gegenstand der Korrespondenz zwischen den Beiden; Humboldt fährt fort, Hinweise für Details, einzelne Sätze zu geben, die ihm unvorteilhaft erscheinen. Hier wird auch noch einmal das Kalkül deutlich, welches er anwandte, auch wenn er darauf hinwies, er gebe „nur die Motive an, Sie [Olfers, erg. M.A.] können denken, daß ich Ihnen nicht die Form empfehle“ (ebd.: 13).

[5] Zum Verhältnis zu König Friedrich Wilhelm III. siehe beispielsweise Beck 1961: 180f.

[6] Johannes Schulze war Referent im Kultusministerium und häufig mit Angelegenheiten im Bereich Kunst befasst (Holtz 2011: 415)

[7] Der Orientalist Georg Wilhelm Freytag (1788–1861, in Paris 1815–1819) hatte im Rahmen der Vorbereitung seiner russisch-sibirischen Reise Humboldt Persischunterricht gegeben (Biermann 1985: 40).

[8] Friedrich Wilhelm III. (1770–1840, König ab 1797)

[9] Anspielung auf Graf Blankensee, Vgl. Olfers 1913: 10.

[10] Wohl Anspielung auf Mitglieder der Artistischen Kommission, die Olfers befürworteten, um eine Einsetzung Bunsens zu vermeiden (Vgl. Holtz 2011: 431).

[11] Wilhelm von Humboldt (1767–1835)

[12] Der spätere Friedrich Wilhelm IV (1795–1861, König ab 1840).

[13] Humboldt wohnte zwischen Mai 1827 und Mai 1841 Hinter dem Neuen Packhof Nr. 4, 1. Etage, auf der heutigen Museumsinsel hinter dem Alten Museum.

[14] 1837 wurde an der Universität Göttingen das hundertjährige Jubiläum begangen; Humboldt fuhr als Freund Carl Friedrich Gauß' und Wilhelm Webers zu diesem Anlass (Scurla 1980: 282f).

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Letzte Aktualisierung: 26 April 2011 | Kraft
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