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2. Völkergewohnheitsrechtliche Verpflichtung |
2. Abstimmung mit anderen Politikzielen |
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II. | |
Nun ist das Völkerrecht - wegen der souveränen Gleichheit der Staaten - traditionell durchsetzungsschwach, und überdies wird gegen Durchsetzungsmaßnahmen von außen sehr schnell der Einwand der Einmischung in innere Angelegenheiten erhoben. Davon abgesehen werden diese auf der Ebene des Völkerrechts angesiedelten Maßnahmen ja nicht im luftleeren Raum ausgeübt, sondern sind notwendiger Bestandteil eines sehr komplexen rechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Beziehungsgeflechts, das zwischen dem Verletzerstaat und den auf Respektierung drängenden Staaten besteht. Um den Überblick wahren zu können, ist es in aller Kürze notwendig, die rechtliche Grundlage auszubreiten, auf der Maßnahmen zum Schutz von Menschenrechten ergriffen werden können.
III. | |
Zu Recht wird die Auffassung vertreten, daß die vertraglich vorgesehenen
Durchsetzungsmittel nicht exklusiv sind, daß sie allerdings vorrangig
eingesetzt werden müssen, bevor die Vertragsstaaten auf die allgemeinen
völkerrechtlichen Mechanismen zurückgreifen dürfen.
Differenzierter ist die Frage zu beantworten, welche Durchsetzungsmittel in diesen Fällen zur Verfügung stehen. Grundsätzlich sind es die des allgemeinen Völkerrechts.
Jeder Staat kann offen oder still protestieren und auf die Rückkehr zu völkerrechtsgemäßem Verhalten drängen. Auch darüberhinausgehende Maßnahmen sind zulässig. Die Staaten können im Weg der Retorsion den Verletzerstaat unfreundlich behandeln, also etwa die Verlängerung eines Handelsabkommens oder die Einräumung der Meistbegünstigungsklausel ablehnen, oder sogar im Weg der Repressalie ihrerseits einen an sich völkerrechtswidrigen Akt vornehmen, wie z. B. die Nichteinhaltung bzw. Suspendierung eigener Vertragspflichten, z. B. aus einem Wirtschaftsabkommen, beschließen. Retorsion und Repressalie werden hier dem Verletzerstaat gegenüber als Beugezwang eingesetzt.
Auch die Staatengemeinschaft insgesamt, d. h. die Vereinten Nationen, oder in ihrem Auftrag Regionalorganisationen, können Gegenmaßnahmen ergreifen, die von allgemeinen Verurteilungen bis hin zu Embargobeschlüssen im wirtschaftlichen oder Kommunikationsbereich reichen können. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen kann sogar solche Maßnahmen für alle Mitgliedstaaten verbindlich anordnen, wenn er die Menschenrechtsverletzungen zugleich als Gefährdung oder Bruch des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit beurteilt. Hierzu ist der Sicherheitsrat in der jüngsten Vergangenheit häufiger bereit gewesen. In diesen Fällen kann dann sogar der Einsatz von Streitkräften empfohlen oder angeordnet werden. Während solche militärischen humanitären Interventionen der Vereinten Nationen bei Friedensbruch oder -gefährdung allgemein als zulässig angesehen werden, werden entsprechende Maßnahmen einzelner Staaten üblicherweise sehr zurückhaltend beurteilt, da sie häufig nur zur Verschleierung machtpolitischer Aktionen dienen.
IV. | |
Freilich wäre es blauäugig zu meinen, daß sich politische Meinungsverschiedenheiten nicht auch auf die rechtliche Interpretation auswirken könnten. So verhinderte es der Ost-West-Gegensatz bis zu Beginn der neunziger Jahre, daß der Menschenrechtsausschuß Defizite der Menschenrechtssituation im Anschluß an die Diskussionen des Rechenschaftsberichts eines Staates konkret feststellen konnte. Nur ganz allgemein konnte gerügt werden, daß in Vertragsstaaten bestimmte Realisierungsmängel auftreten. Heute hingegen verabschiedet der Ausschuß sehr dezidierte Stellungnahmen zu den einzelnen Staatenberichten. So hat der Ausschuß etwa auf der vergangenen New Yorker Session im März/April dieses Jahres bezüglich Guatemala die Unterlassung von Strafverfolgung gegenüber Menschenrechtsverletzern gerügt und bezüglich Nigeria die Aufhebung der zahlreichen Präsidialdekrete verlangt, die Individuen der staatlichen Gewalt gegenüber weitgehend schutzlos stellen, Habeas-Corpus-Rechte verletzen und von der Regierung abhängige Sondergerichte etablieren.
Natürlich weisen viele Staaten vor dem Ausschuß immer
wieder darauf hin, daß sie aus wirtschaftlichen und finanziellen Gründen
nicht in der Lage seien, ihren Vertragsverpflichtungen gerecht zu werden, z.
B. ausreichenden Gefängnisraum zu schaffen oder für halbwegs akzeptable
hygienische Verhältnisse dort zu sorgen. Dies ist vor allem ein großes
Problem aller ehemals kommunistischen Staaten, auch der meisten Staaten der
Dritten Welt. So stellte ein im Auftrag des Europarats verfaßter Bericht
noch kürzlich fest, man müsste die Fähigkeit eines Dante oder
Hieronimus Bosch besitzen, um adäquat beschreiben zu können, welche
Verhältnisse in vielen russischen Gefängnissen herrschen. Der Menschenrechtsausschuß
weist den wirtschaftlich motivierten Erklärungen und Entschuldigungen gegenüber
stets darauf hin, daß sie keine Bedeutung haben können. Wirtschaftliche
Notlage ist kein Grund zur Einschränkung von Freiheitsrechten. Die z. T.
grauenhafte Überfüllung der Gefängnisse rührt übrigens
in der Regel daher, daß sehr großzügig verhaftet wird bei gleichzeitig
äußerst schleppender Justiztätigkeit.
Ohne Abwägung geht es aber sicher nicht, und dann stellen sich im Einzelfall viele Fragen. Kann wirtschaftlicher Druck überhaupt etwas nützen? Helfen wirtschaftliche Verbindungen, einen Verletzerstaat zu legitimieren, oder können sie zu Auflockerungen eines repressiven Systems führen, die den Menschen zugute kommen? Die Debatte ist im Hinblick auf die Beziehungen zu Staaten des ehemaligen Ostblocks in der Vergangenheit intensiv geführt worden. An der sogenannten Strauß-Milliarde für die DDR ließen sich Pro und Contra, aus damaliger wie heutiger Sicht, beispielhaft belegen. Jedenfalls bedarf die Durchsetzung von Menschenrechten mit Hilfe wirtschaftlicher Maßnahmen eines langen Atems, umfassender Beteiligung der Staaten und eines effektiven Überwachungssystems. Werden eigene rechtliche Verpflichtungen suspendiert, was ja bei Repressalien der Fall ist, müssen auch die Voraussetzungen dieses völkerrechtlichen Instituts beachtet werden, zu denen insbesondere die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips gehört. Dies spielt allerdings in den Fällen, in denen dem Verletzerstaat die Verletzung einer gewohnheitsrechtlich garantierten Menschenrechtsverpflichtung zur Last fällt, keine wesentliche Rolle, da ohnehin nur ganz fundamentale Menschenrechte auf dieser Basis geschützt sind, so daß auch harte Gegenmaßnahmen in aller Regel verhältnismäßig sein werden.
Obwohl dies oft als ungerecht und politisch einseitig qualifiziert wird, ist auch die Frage ins Kalkül zu ziehen, ob der Verletzerstaat ein mächtiger oder weniger mächtiger Staat ist. Dies darf freilich nicht für die Feststellung des Verletzungstatbestandes gelten, und insoweit ist meines Erachtens manche Kritik an die Adresse zahlreicher Regierungen nur zu berechtigt. Wohl aber ist die Größe und Bedeutung des Verletzerstaates bei der Erwägung der Durchsetzungsmaßnahmen zu berücksichtigen. Je größer und gewichtiger ein Staat ist, desto geringer sind - außerhalb konsentierter Vertragsverfahren - die Durchsetzungschancen. Dies gilt für denkbare Maßnahmen einzelner Staaten oder von Staatenzusammenschlüssen, aber auch für die Staatengemeinschaft (Vereinte Nationen) insgesamt, vor allem wenn es sich bei dem Verletzerstaat um ein ständiges Mitglied des Sicherheitsrats handelt. Man muß es als sehr bedauerlich bezeichnen, daß sich nach wie vor zwei von fünf ständigen Ratsmitgliedern schwere und systematische Menschenrechtsverletzungen vorwerfen lassen müssen. Insoweit versagen denn auch die rechtlichen Möglichkeiten der Völkerrechtsgemeinschaft in der Praxis.
Allerdings ist völlige Resignation nicht angebracht. Auch dem Starken gegenüber gibt es die von den technischen Errungenschaften geschärfte Waffe der Öffentlichkeit, die diese Staaten fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Schwere Menschenrechtsverletzungen gehen immer einher mit Abkapselung und Desinformation. Es gehört zu der Erfolgsbilanz der Menschenrechtsentwicklung, daß der nachweisbare Vorwurf von Menschenrechtsverletzungen heute ein ernstzunehmender Delegitimierungsfaktor ist, den kein Staat, auch etwa die Volksrepublik China nicht, auf Dauer vernachlässigen kann. Bedürfte es dazu eines Beweises, würde er durch die Heftigkeit geliefert, mit der die chinesische Führung, jede diplomatische Rücksichtnahme außer acht lassend, derzeit gegen die Vorwürfe der Menschenrechtsverletzung im eigenen Land und wegen des genozidalen Vorgehens in Tibet Front macht. Jedenfalls an der Klarheit über ihre Auffassung, daß dieses Verhalten zu schweren Völkerrechtsverletzungen führt, dürfen es die Regierungen nicht fehlen lassen. Im übrigen ist ja nicht nur die Alternative zwischen Ausweitung des Handels und Embargo gegeben. Durchaus vorstellbar wäre, daß sich die Industriemächte zu einem Einfrieren ihrer Wirtschaftsbeziehungen auf einen bestimmten Standard entschließen könnten.
Dieser Vorschlag weist unabhängig von seiner politischen Realisierungschance auf einen allgemeinen wichtigen Gesichtspunkt hin. Menschenrechtsdurchsetzung gegenüber einem Verletzerstaat bedarf in zunehmendem Maß der multilateralen Aktion. Politischer und wirtschaftlicher Druck wirken in den meisten Fällen nur noch im Verbund. Auch unter diesem Aspekt ist die Herstellung einer gemeinsamen verantwortungsvollen Linie der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein wichtiges Desiderat.
V. | |
Zum einen wird die zunehmend anerkannte persönliche Verantwortung der Menschenrechtsverletzungen begehenden Individuen bedeutsam, die nach den Nürnberger und Tokioter Gerichten erstmals wieder durch die Errichtung der Gerichte zur Verfolgung und Aburteilung der Verbrechen in Bosnien-Herzegowina und Ruanda aktualisiert wurde. In dieser Hinsicht sollte die Idee eines ständigen internationalen Strafgerichtshofs ebenso weiterverfolgt werden wie das schon lange diskutierte Projekt, einen ständigen Menschenrechtsgerichtshof zu errichten.
Die andere Überlegung, die in Fällen erodierender Staatsgewalt hilfreich sein kann, ist das Konzept einer internationalen Treuhandschaft der Vereinten Nationen oder in ihrem Auftrag einer Regionalorganisation. Unter ganz anderen Voraussetzungen und möglicherweise dadurch etwas diskreditiert hat diese Konzeption im kolonialen Zusammenhang - Stichworte: Mandats- und Treuhandverwaltung - eine zeitweise wichtige Rolle gespielt, übrigens in der Diskussion auch gegenüber dem besiegten Deutschland in den ersten Jahren nach 1945. Das Wiederaufleben - jedenfalls in nuce - solcher Vorstellungen im Kontext der Somalia-Aktion der Vereinten Nationen war freilich nicht gerade ein Erfolg. Gleichwohl meine ich, daß hier ein sinnvoller und ausbaufähiger, freilich auch ausbaubedürftiger Ansatz gegeben ist.
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Quelle: MenschenRechtsMagazin Heft 3 - Juni 1997, S. 5-10 |