Gespiegelte Fassung der elektronischen Zeitschrift auf dem Publikationsserver der Universität Potsdam, Stand: 8. Juni 2010

Inhalt

Eckart Klein:

Durchsetzbarkeit von Menschenrechten unter politischer Konditionalität:

Rechtliche, politische und wirtschaftliche Zusammenhänge

 
Inhaltsübersicht
I. Einführung
II. Grundlagen und Durchsetzung von völkerrechtlichen Verpflichtungen
1. Vertragliche Verpflichtung 
2. Völkergewohnheitsrechtliche Verpflichtung 
III. Einbettung von Durchsetzungsmaßnahmen in politische und wirtschaftliche Zusammenhänge
1. Berücksichtigung im Rahmen rechtlicher Kontrolle 
2. Abstimmung mit anderen Politikzielen
IV. Sonderfall: erodierende Staatsgewalt
V. Ausblick
 
 
II.
I. Einführung
 
 
Während die Normativierung der Menschenrechte auf nationaler und internationaler Ebene trotz aller im Einzelfall auftretenden Schwierigkeiten weit fortgeschritten ist und partiell vielleicht sogar schon einen problematischen Sättigungsgrad erreicht hat, kann eine entsprechende Einschätzung im Hinblick auf die Realisierung und Durchsetzung der Menschenrechte nicht vorgenommen werden. Gewiß sind auch hier große Fortschritte erzielt worden. Es gibt heute viele Staaten, in denen ein hoher Menschenrechtsstandard garantiert ist und im Fall nie ganz auszuschließender Verletzungen bereits durch die innerstaatlichen Organe Wiedergutmachung geleistet wird. Dennoch ist auch für diese Staaten, natürlich weit mehr noch für solche, deren nationale, rechtliche oder politische Ordnung den Menschenrechtsschutz nicht ausreichend gewährleistet, die internationale, völkerrechtliche Verpflichtung auf die Beachtung von Menschenrechten wichtig. Gleichzeitig ist klar, daß mit der geringeren internen Bereitschaft, Menschenrechte zu respektieren, die Frage nach Möglichkeiten äußerer Einwirkung auf diese Staaten drängender wird.

Nun ist das Völkerrecht - wegen der souveränen Gleichheit der Staaten - traditionell durchsetzungsschwach, und überdies wird gegen Durchsetzungsmaßnahmen von außen sehr schnell der Einwand der Einmischung in innere Angelegenheiten erhoben. Davon abgesehen werden diese auf der Ebene des Völkerrechts angesiedelten Maßnahmen ja nicht im luftleeren Raum ausgeübt, sondern sind notwendiger Bestandteil eines sehr komplexen rechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Beziehungsgeflechts, das zwischen dem Verletzerstaat und den auf Respektierung drängenden Staaten besteht. Um den Überblick wahren zu können, ist es in aller Kürze notwendig, die rechtliche Grundlage auszubreiten, auf der Maßnahmen zum Schutz von Menschenrechten ergriffen werden können.

 

 
III.
II. Grundlagen und Durchsetzung von völkerrechtlichen Verpflichtungen

 1. Vertragliche Verpflichtung

Wir müssen zunächst streng unterscheiden danach, ob die menschenrechtlichen Verpflichtungen auf Vertrag oder allgemeinem Völkerrecht beruhen. In der Regel werden wir es mit vertraglichen Verpflichtungen zu tun haben; ich erinnere etwa an Verpflichtungen aus der Europäischen Menschenrechtskonvention oder dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte. Da ein Vertrag nur die Vertragsparteien bindet, folgt daraus, daß nur andere Vertragsstaaten von dem Verletzerstaat die Einhaltung der Vertragspflichten einfordern und ggf. Maßnahmen zur Durchsetzung ergreifen dürfen. Innerhalb des Vertragsverhältnisses ist der Einwand des Eingriffs in innere Angelegenheiten zweifellos unschlüssig. Häufig sehen die Menschenrechtsverträge derartige Durchsetzungsmaßnahmen selbst vor. In der Praxis haben sich dabei vor allem das Staatenberichtssystem sowie die Staatenbeschwerde und die Individualbeschwerde etabliert, die vor einem unabhängigen Ausschuß oder gar einem veritablen Gericht erhoben werden können. Ein Gericht entscheidet verbindlich und verpflichtet den Verletzerstaat zur Einstellung der Verletzung und Wiedergutmachung; Ausschüsse sprechen eher Empfehlungen aus, die moralischen Druck auf den Verletzerstaat ausüben.

Zu Recht wird die Auffassung vertreten, daß die vertraglich vorgesehenen Durchsetzungsmittel nicht exklusiv sind, daß sie allerdings vorrangig eingesetzt werden müssen, bevor die Vertragsstaaten auf die allgemeinen völkerrechtlichen Mechanismen zurückgreifen dürfen.
 

2. Völkergewohnheitsrechtliche Verpflichtung

Die Frage, um welche Mittel es sich dabei handelt, wird auch aufgeworfen, wenn die menschenrechtliche Verbürgung nur auf allgemeinem Völkerrecht, also vor allem Völkergewohnheitsrecht, beruht und gegen den Verletzerstaat Durchsetzungsmaßnahmen ergriffen werden sollen. Zunächst ist zu sagen, daß nur fundamentale Menschenrechtsnormen - z. B. Genozid- und Folterverbot, Verbot unmenschlicher und erniedrigender Behandlung, völlige Rechtsschutzverweigerung und Diskriminierung aus rassischen Gründen - vom allgemeinen Völkerrecht umfaßt sind. Der Umfang der Verpflichtungen ist insoweit also nicht sehr groß. Andererseits ist der Kreis der Staaten, die Respektierung dieser Verpflichtungen verlangen können, umfassend. Jeder Staat kann Respektierung verlangen. Der Einwand, damit werde in die innerstaatlichen Angelegenheiten eingegriffen, ist auch hier unzulässig, da diese fundamentalen Menschenrechtsgarantien Normen erga omnes darstellen, die alle Staaten verpflichten und alle berechtigen.

Differenzierter ist die Frage zu beantworten, welche Durchsetzungsmittel in diesen Fällen zur Verfügung stehen. Grundsätzlich sind es die des allgemeinen Völkerrechts.

Jeder Staat kann offen oder still protestieren und auf die Rückkehr zu völkerrechtsgemäßem Verhalten drängen. Auch darüberhinausgehende Maßnahmen sind zulässig. Die Staaten können im Weg der Retorsion den Verletzerstaat unfreundlich behandeln, also etwa die Verlängerung eines Handelsabkommens oder die Einräumung der Meistbegünstigungsklausel ablehnen, oder sogar im Weg der Repressalie ihrerseits einen an sich völkerrechtswidrigen Akt vornehmen, wie z. B. die Nichteinhaltung bzw. Suspendierung eigener Vertragspflichten, z. B. aus einem Wirtschaftsabkommen, beschließen. Retorsion und Repressalie werden hier dem Verletzerstaat gegenüber als Beugezwang eingesetzt.

Auch die Staatengemeinschaft insgesamt, d. h. die Vereinten Nationen, oder in ihrem Auftrag Regionalorganisationen, können Gegenmaßnahmen ergreifen, die von allgemeinen Verurteilungen bis hin zu Embargobeschlüssen im wirtschaftlichen oder Kommunikationsbereich reichen können. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen kann sogar solche Maßnahmen für alle Mitgliedstaaten verbindlich anordnen, wenn er die Menschenrechtsverletzungen zugleich als Gefährdung oder Bruch des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit beurteilt. Hierzu ist der Sicherheitsrat in der jüngsten Vergangenheit häufiger bereit gewesen. In diesen Fällen kann dann sogar der Einsatz von Streitkräften empfohlen oder angeordnet werden. Während solche militärischen humanitären Interventionen der Vereinten Nationen bei Friedensbruch oder -gefährdung allgemein als zulässig angesehen werden, werden entsprechende Maßnahmen einzelner Staaten üblicherweise sehr zurückhaltend beurteilt, da sie häufig nur zur Verschleierung machtpolitischer Aktionen dienen.

 

 
IV.
III. Einbettung von Durchsetzungsmaßnahmen in politische und wirtschaftliche Zusammenhänge
 
Vor diesem Hintergrund nun ist auf die eingangs getroffene und in der Formulierung unseres Themas bereits angedeutete Feststellung zurückzukommen, daß die von einzelnen Staaten oder der Staatengemeinschaft selbst ergriffenen Maßnahmen nicht zu isolieren sind, sondern sich in einem hochkomplexen Beziehungsgeflecht mit rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Elementen auswirken. Das Recht ist dabei nicht allein ausschlaggebend oder doch nur insoweit, als es dazu führen muß, daß das rechtlich Unzulässige unterbleibt. Wo es ein bestimmtes Verhalten für zulässig erklärt - also etwa die Anwendung wirtschaftlicher Gegenmaßnahmen -, wird die Frage, ob solche Gegenmaßnahmen tatsächlich zu ergreifen sind, von außerrechtlichen Erwägungen mitbestimmt. Allerdings sollte die Überlegung, daß jedenfalls schwere Menschenrechtsverletzungen nicht akzeptierbar sind, immer ein gewichtiger Abwägungstopos sein.
 

1. Berücksichtigung im Rahmen rechtlicher Kontrolle

Die vorhin kurz geschilderten, in Menschenrechtskonventionen häufig vorgesehenen Ausschuß- oder Gerichtsverfahren versuchen im Rahmen ihres Anwendungsbereichs eine Entpolitisierung der Menschenrechtsdurchsetzung vorzunehmen. Die von diesen Gremien zu ergreifenden Maßnahmen hängen ausschließlich von rechtlichen Voraussetzungen ab - dem Tatbestand der Menschenrechtsverletzung und der Zuständigkeit des Gremiums nach Maßgabe der vertraglich geregelten Vorschriften.

Freilich wäre es blauäugig zu meinen, daß sich politische Meinungsverschiedenheiten nicht auch auf die rechtliche Interpretation auswirken könnten. So verhinderte es der Ost-West-Gegensatz bis zu Beginn der neunziger Jahre, daß der Menschenrechtsausschuß Defizite der Menschenrechtssituation im Anschluß an die Diskussionen des Rechenschaftsberichts eines Staates konkret feststellen konnte. Nur ganz allgemein konnte gerügt werden, daß in Vertragsstaaten bestimmte Realisierungsmängel auftreten. Heute hingegen verabschiedet der Ausschuß sehr dezidierte Stellungnahmen zu den einzelnen Staatenberichten. So hat der Ausschuß etwa auf der vergangenen New Yorker Session im März/April dieses Jahres bezüglich Guatemala die Unterlassung von Strafverfolgung gegenüber Menschenrechtsverletzern gerügt und bezüglich Nigeria die Aufhebung der zahlreichen Präsidialdekrete verlangt, die Individuen der staatlichen Gewalt gegenüber weitgehend schutzlos stellen, Habeas-Corpus-Rechte verletzen und von der Regierung abhängige Sondergerichte etablieren.

Natürlich weisen viele Staaten vor dem Ausschuß immer wieder darauf hin, daß sie aus wirtschaftlichen und finanziellen Gründen nicht in der Lage seien, ihren Vertragsverpflichtungen gerecht zu werden, z. B. ausreichenden Gefängnisraum zu schaffen oder für halbwegs akzeptable hygienische Verhältnisse dort zu sorgen. Dies ist vor allem ein großes Problem aller ehemals kommunistischen Staaten, auch der meisten Staaten der Dritten Welt. So stellte ein im Auftrag des Europarats verfaßter Bericht noch kürzlich fest, man müsste die Fähigkeit eines Dante oder Hieronimus Bosch besitzen, um adäquat beschreiben zu können, welche Verhältnisse in vielen russischen Gefängnissen herrschen. Der Menschenrechtsausschuß weist den wirtschaftlich motivierten Erklärungen und Entschuldigungen gegenüber stets darauf hin, daß sie keine Bedeutung haben können. Wirtschaftliche Notlage ist kein Grund zur Einschränkung von Freiheitsrechten. Die z. T. grauenhafte Überfüllung der Gefängnisse rührt übrigens in der Regel daher, daß sehr großzügig verhaftet wird bei gleichzeitig äußerst schleppender Justiztätigkeit.
 

2. Abstimmung mit anderen Politikzielen

Wo die Durchsetzung der Menschenrechte politischen Instanzen, insbesondere den Regierungen der Staaten oder von ihnen kontrollierten Organen Internationaler Organisationen anvertraut ist, wäre es von Anfang an eine Illusion zu glauben, politische und wirtschaftliche Überlegungen (die ja auch kaum getrennt werden können) würden nicht eine wesentliche Rolle - neben rechtlichen Erwägungen - spielen. Hierfür gibt es auch durchaus plausible Gründe. Denn die Menschenrechtsverantwortung der Staaten ist nicht die einzige, die sie tragen, wenngleich eine sehr gewichtige. Gewiß wäre es zu wünschen, daß die Staaten ihre Garantenrolle noch stärker akzentuieren würden - nicht nur aus rein humanitär-altruistischen Erwägungen heraus, sondern weil der Zusammenhang von menschenrechtlich befriedigender Situation und Friedenswahrung mit Händen zu greifen ist und damit auch nationale Interessen sehr schnell und unmittelbar berührt sind. Gleichwohl bleibt richtig, daß ein Staat auch andere Interessen wahrzunehmen hat und daß er - jedenfalls auf Dauer - der Zustimmung seiner Bürger für seine Aktionen bedarf. Wer ehrlich ist, muß zugeben, daß die fehlende Bereitschaft von Regierungen, etwas jenseits papierner Proteste zu unternehmen, oftmals ihre Grundlage in der fehlenden Bereitschaft der Bevölkerung hat, das Risiko wirtschaftlicher oder arbeitsmarktpolitischer Einbußen zu tragen. Gleichwohl wünschte man sich manchesmal mehr Überzeugungsarbeit der Regierungen.

Ohne Abwägung geht es aber sicher nicht, und dann stellen sich im Einzelfall viele Fragen. Kann wirtschaftlicher Druck überhaupt etwas nützen? Helfen wirtschaftliche Verbindungen, einen Verletzerstaat zu legitimieren, oder können sie zu Auflockerungen eines repressiven Systems führen, die den Menschen zugute kommen? Die Debatte ist im Hinblick auf die Beziehungen zu Staaten des ehemaligen Ostblocks in der Vergangenheit intensiv geführt worden. An der sogenannten Strauß-Milliarde für die DDR ließen sich Pro und Contra, aus damaliger wie heutiger Sicht, beispielhaft belegen. Jedenfalls bedarf die Durchsetzung von Menschenrechten mit Hilfe wirtschaftlicher Maßnahmen eines langen Atems, umfassender Beteiligung der Staaten und eines effektiven Überwachungssystems. Werden eigene rechtliche Verpflichtungen suspendiert, was ja bei Repressalien der Fall ist, müssen auch die Voraussetzungen dieses völkerrechtlichen Instituts beachtet werden, zu denen insbesondere die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips gehört. Dies spielt allerdings in den Fällen, in denen dem Verletzerstaat die Verletzung einer gewohnheitsrechtlich garantierten Menschenrechtsverpflichtung zur Last fällt, keine wesentliche Rolle, da ohnehin nur ganz fundamentale Menschenrechte auf dieser Basis geschützt sind, so daß auch harte Gegenmaßnahmen in aller Regel verhältnismäßig sein werden.

Obwohl dies oft als ungerecht und politisch einseitig qualifiziert wird, ist auch die Frage ins Kalkül zu ziehen, ob der Verletzerstaat ein mächtiger oder weniger mächtiger Staat ist. Dies darf freilich nicht für die Feststellung des Verletzungstatbestandes gelten, und insoweit ist meines Erachtens manche Kritik an die Adresse zahlreicher Regierungen nur zu berechtigt. Wohl aber ist die Größe und Bedeutung des Verletzerstaates bei der Erwägung der Durchsetzungsmaßnahmen zu berücksichtigen. Je größer und gewichtiger ein Staat ist, desto geringer sind - außerhalb konsentierter Vertragsverfahren - die Durchsetzungschancen. Dies gilt für denkbare Maßnahmen einzelner Staaten oder von Staatenzusammenschlüssen, aber auch für die Staatengemeinschaft (Vereinte Nationen) insgesamt, vor allem wenn es sich bei dem Verletzerstaat um ein ständiges Mitglied des Sicherheitsrats handelt. Man muß es als sehr bedauerlich bezeichnen, daß sich nach wie vor zwei von fünf ständigen Ratsmitgliedern schwere und systematische Menschenrechtsverletzungen vorwerfen lassen müssen. Insoweit versagen denn auch die rechtlichen Möglichkeiten der Völkerrechtsgemeinschaft in der Praxis.

Allerdings ist völlige Resignation nicht angebracht. Auch dem Starken gegenüber gibt es die von den technischen Errungenschaften geschärfte Waffe der Öffentlichkeit, die diese Staaten fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Schwere Menschenrechtsverletzungen gehen immer einher mit Abkapselung und Desinformation. Es gehört zu der Erfolgsbilanz der Menschenrechtsentwicklung, daß der nachweisbare Vorwurf von Menschenrechtsverletzungen heute ein ernstzunehmender Delegitimierungsfaktor ist, den kein Staat, auch etwa die Volksrepublik China nicht, auf Dauer vernachlässigen kann. Bedürfte es dazu eines Beweises, würde er durch die Heftigkeit geliefert, mit der die chinesische Führung, jede diplomatische Rücksichtnahme außer acht lassend, derzeit gegen die Vorwürfe der Menschenrechtsverletzung im eigenen Land und wegen des genozidalen Vorgehens in Tibet Front macht. Jedenfalls an der Klarheit über ihre Auffassung, daß dieses Verhalten zu schweren Völkerrechtsverletzungen führt, dürfen es die Regierungen nicht fehlen lassen. Im übrigen ist ja nicht nur die Alternative zwischen Ausweitung des Handels und Embargo gegeben. Durchaus vorstellbar wäre, daß sich die Industriemächte zu einem Einfrieren ihrer Wirtschaftsbeziehungen auf einen bestimmten Standard entschließen könnten.

Dieser Vorschlag weist unabhängig von seiner politischen Realisierungschance auf einen allgemeinen wichtigen Gesichtspunkt hin. Menschenrechtsdurchsetzung gegenüber einem Verletzerstaat bedarf in zunehmendem Maß der multilateralen Aktion. Politischer und wirtschaftlicher Druck wirken in den meisten Fällen nur noch im Verbund. Auch unter diesem Aspekt ist die Herstellung einer gemeinsamen verantwortungsvollen Linie der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein wichtiges Desiderat.

 

 
V.
IV. Sonderfall: erodierende Staatsgewalt
 
Abschließend soll noch auf ein Sonderproblem bei der Durchsetzung von Menschenrechten hingewiesen werden, das von erheblicher Aktualität ist. Dabei handelt es sich um den Menschenrechtsschutz angesichts erodierender Staatsgewalt. Die völkerrechtlichen Verpflichtungen und Durchsetzungsmechanismen zielen auf Staaten, die durch handlungsfähige Organe repräsentiert sind. Sind diese nicht mehr vorhanden, herrscht politisches und rechtliches Chaos, fehlt den zur Verfügung stehenden klassischen völkerrechtlichen Möglichkeiten der Adressat. Zahlreiche marodierende Banden, deren Einflußgebiete sich häufig verschieben, sind kaum als staatliche Gewalt zu definieren. Zwei Überlegungen mögen hier aber weiterhelfen.

Zum einen wird die zunehmend anerkannte persönliche Verantwortung der Menschenrechtsverletzungen begehenden Individuen bedeutsam, die nach den Nürnberger und Tokioter Gerichten erstmals wieder durch die Errichtung der Gerichte zur Verfolgung und Aburteilung der Verbrechen in Bosnien-Herzegowina und Ruanda aktualisiert wurde. In dieser Hinsicht sollte die Idee eines ständigen internationalen Strafgerichtshofs ebenso weiterverfolgt werden wie das schon lange diskutierte Projekt, einen ständigen Menschenrechtsgerichtshof zu errichten.

Die andere Überlegung, die in Fällen erodierender Staatsgewalt hilfreich sein kann, ist das Konzept einer internationalen Treuhandschaft der Vereinten Nationen oder in ihrem Auftrag einer Regionalorganisation. Unter ganz anderen Voraussetzungen und möglicherweise dadurch etwas diskreditiert hat diese Konzeption im kolonialen Zusammenhang - Stichworte: Mandats- und Treuhandverwaltung - eine zeitweise wichtige Rolle gespielt, übrigens in der Diskussion auch gegenüber dem besiegten Deutschland in den ersten Jahren nach 1945. Das Wiederaufleben - jedenfalls in nuce - solcher Vorstellungen im Kontext der Somalia-Aktion der Vereinten Nationen war freilich nicht gerade ein Erfolg. Gleichwohl meine ich, daß hier ein sinnvoller und ausbaufähiger, freilich auch ausbaubedürftiger Ansatz gegeben ist.

 

 
 
V. Ausblick
 
Ich möchte zum Schluß nur nochmals auf die Menschenrechtsverantwortung der Staaten hinweisen, die nicht nur gegenüber der eigenen Bevölkerung besteht, sondern sich ebenso in der Anforderung an die Staaten ausdrückt, auf den Schutz der Menschenrechte auch außerhalb ihrer Grenzen bedacht zu sein. Dies setzt die Erkenntnis voraus, daß die Staaten um der Menschen willen da sind und aus dem Schutz der Menschen ihre eigentliche Legitimation beziehen. Fehlender Menschenrechtsschutz nach innen oder nach außen erschüttert diese Legitimationsbasis, macht den Staat in den Augen der ihn tragenden Menschen unglaubwürdig. Bei aller rechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Bedingtheit, der menschenrechtliche Durchsetzungsmaßnahmen unterliegen, ist diese - wenn Sie das Wort gestatten - Tiefendimension unseres Themas im Auge zu behalten.
 
 
Quelle: MenschenRechtsMagazin Heft 3 - Juni 1997, S. 5-10

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