Gespiegelte Fassung der elektronischen Zeitschrift auf dem Publikationsserver der Universität Potsdam, Stand: 20. April 2010
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Petra Werner

Bemerkungen zu Alexander von Humboldts Russland-Tagebuch

Herrn Kollegen Herbert Pieper zum 65. Geburtstag gewidmet.

1. Allgemeine Bemerkungen

1.1. Zur Bedeutung der Russlandreise im Lebenswerk Humboldts

1.2. Quellen

1.3. Publikationen Humboldts  und von seinen Mitreisenden

Zu den zeitgenössischen Dokumenten über die 1829 von Alexander von Humboldt, Christian Gottfried Ehrenberg und Gustav Rose durchgeführte gemeinsame Reise durch Russland gehören Humboldts schriftliche Aufzeichnungen. Es handelt sich um einen Oktavband mit dem Titel „Fragmente des Sibirischen  Reise-Journals 1829“ und einen Band mit der Aufschrift „Obs[ervations] astronomiques faites dans le Voyage de Sibérie“, der später angefertigte Ausarbeitungen magnetischer und astronomischer Messungen beinhaltet.

In den „Fragmenten des Reisejournals“ wurden Notizen zu folgenden Themen gemacht: Bodenschätze, insbesondere Gold und Diamanten, Messungen, Zoologie, Pflanzengeographie, Ethnologie. Die inhaltliche Gliederung des Textes folgt der Reiseroute, die hier noch einmal mit ihren wesentlichen Stationen genannt werden soll: Die Reise begann in Berlin, wurde über Dorpat und St. Petersburg fortgesetzt. Von St. Petersburg aus fuhren die Reisenden nach Moskau, danach über Kasan, den Ural bis Jekaterinenburg.  Am 8. Juli 1829 reisten Humboldt und seine Begleiter weiter nach Tobolsk,  am 24. Juli starteten sie ihre Fahrt in den  Altai (16. 1.).  Ab Ust-Kamenogorsk fuhren sie zur chinesischen Grenze, hielten sich in Miask auf und unternahmen Exkursionen in die unmittelbare Umgebung dieser Stadt und nach Slatoust. Am 16. September 1829 waren sie gezwungen, wegen starker Regenfälle ihre Reiseroute zu ändern, sie blieben in Orenburg (=Tschalow), um später zum Elton-See, nach Zarizyn und Astrachan zu gelangen. Einem Aufenthalt in Astrachan folgte eine Fahrt auf dem Kaspischen Meer. Der Rückweg führte über einen zweiten Aufenthalt in Moskau und St. Petersburg und Riga  zurück nach Berlin. Zwei Stationen vor Riga erlitten sie einen Unfall, bei dem der Reisewagen auf einer Brücke umkippte und ein Pferd das Geländer durchbrach und ins Wasser stürzte. Den Reisenden passierte zum Glück nichts - am 28. 12. 1829 traf Humboldt wohlbehalten wieder in Berlin ein. Das Tagebuch gibt darüber hinaus eine genauere Beschreibung, in der auch kleine Dörfer und Ortschaften erwähnt werden. 

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1.1. Zur Bedeutung der Russlandreise im Lebenswerk Humboldts

Der Reise Alexander von Humboldts durch Russland wurde im Vergleich zu seiner Reise durch Amerika in der wissenschaftlichen Literatur bisher nicht so große Aufmerksamkeit geschenkt. Denkbar sind folgende Gründe:

a) Die Russlandreise wurde für die Entwicklung der Persönlichkeit Humboldts und für sein Gesamtwerk als nicht so bedeutend angesehen, immerhin war Humboldt zum damaligen Zeitpunkt bereits 60 Jahre alt. Außerdem waren seine Arbeitsmöglichkeiten während der Reise durch die Organisationsform eingeschränkt, so war der Gelehrte in einer Gruppe unterwegs und die Chancen, sich frei zu bewegen, waren durch eine strikte Routenplanung und -kontrolle sehr begrenzt. Außerdem hatte er zahlreiche Repräsentationspflichten, die ihm eher lästig als angenehm waren, Hanno Beck sprach sogar davon, dass die Russlandreise für Humboldt lediglich „symbolischen Charakter“ gehabt habe und es für ihn nur darauf ankam, das Beste aus dieser Reise zu machen (vgl. Beck 1961, 91). Damit in Übereinstimmung steht die bereits kurz nach Humboldts Tod publizierte Schilderung durch Julius Löwenberg (vgl. Bruhns 1872, Bd. I, 424-452). Humboldt hatte, wie er im Vorwort zu Gustav Roses 1837-1842 erschienenem Bericht über die Reise von 1829 selbst bestätigte, ein Angebot zu einer weiteren Fahrt nach Russland abgelehnt. Einzelheiten gehen aus einem erst kürzlich aufgefundenen Brief Humboldts an den russischen Finanzminister Georg Graf Cancrin hervor (vgl. Suckow 1997). Dass die Hintergründe für dieses Angebot vielgestaltig waren und es sich eventuell um den Versuch handelte, Humboldt vom preußischen Hof fernzuhalten, dafür spricht ein Brief Wilhelm von Preußens an seine Schwester Charlotte (vgl. Päßler 2006, 171).

b) Auffallend ist, dass Humboldts Hauptwerk über die russische Reise, Asie centrale,  außerhalb des deutschen und russischen Sprachgebiets nicht übersetzt wurde (vgl. Fiedler/Leitner 2000, S. 355). Die fehlenden Übersetzungen lassen eine im Vergleich zum amerikanischen Reisewerk geringere Verbreitung vermuten. Humboldt hielt sein Werk für gelungen, die geringe Resonanz blieb ihm unverständlich. Insbesondere, dass es in Großbritannien als der  führenden Wissenschaftsnation nicht zur Kenntnis genommen wurde, fiel ihm unangenehm auf. Beim Vergleich dieses Werkes mit den Tagebüchern (siehe unten) fällt auf, dass die Veröffentlichung viel reichhaltiger und umfassender ist als die Tagebücher und sehr wahrscheinlich auf zusätzlichen Quellen fußten. 

c) Die Auswertung und Bewertung der Reise aus heutiger Sicht ist auch deshalb schwierig, da die Gründe dafür, sie anzutreten, sehr komplex waren – sie diente neben wissenschaftlichen vorrangig ökonomischen Zwecken, nämlich der Erkundung von Lagerstätten von Edelmetallen wie Gold und Platin. Nicht bekannt ist, ob die russische Regierung an einer Verbreitung der Informationen interessiert war oder diese möglicherweise sogar verhinderte.    

Der gegenüber der Amerika-Reise geringeren Beachtung in der Öffentlichkeit und der wissenschaftlichen Literatur über Humboldt steht das langjährige Interesse an Russland gegenüber – schon als Student plante er, nach Sibirien zu fahren und mit 87 Jahren bezeichnete er Russland rückblickend voll Hochachtung als das Land, wo die Geographie am ernstesten betrieben werde (vgl. Brief A. v. Humboldt an D. Reimer vom 7. 4. 1856, vgl. Honigmann 1982, 151). Das Jahr der Russlandreise, 1829, schätzte er als das wichtigste in seinem Leben ein. Selbst wenn man eine solche Behauptung des als äußerst diplomatisch bekannten Humboldt nicht überbewerten sollte, so muss doch eingeräumt werden, dass sich unter den drei kleineren (=unselbständigen) wissenschaftlichen Schriften, die Humboldt 1854 rückblickend besonders schätzte, sich neben jener zur Geographie der Pflanzen und das damit verbundene Naturgemälde der Tropenwelt auch jene zur Theorie der Isothermen und seine Beobachtungen über den Geomagnetismus befanden. Humboldt schätzte stolz ein, dass die Arbeiten über den Geomagnetismus, die er auf der Basis von Messungen auf der Russlandreise verfasste, die über den ganzen Planeten auf seine Veranlassung verbreiteten magnetischen Stationen zur Folge gehabt haben (vgl. Biermann 1990, 95). In diesem Sinne würdigte Biermann in seiner Humboldt-Biographie zu Recht Humboldts Anregungen für die Entwicklung der Wissenschaften in Russland, wozu die Schaffung eines Zentrums für meteorologische und geomagnetische Messungen des Physikalischen Zentralobservatoriums in Petersburg gehörte (Biermann 1983, 79). In einem von ihm selbst verfassten Lebenslauf für das Brockhaussche Konversationslexikon bzw. das zeitgeschichtliche Jahrbuch „Die Gegenwart“ schilderte Humboldt auch kurz seine russische Reise und erwähnte Goldseifenwerke und Platinwäschen (vgl. Humboldt 1852. Biermann 1987, 117).  

Wissenschaftler wie Peter Honigmann und Christian Suckow haben sich sowohl zur russischen Reise als Ganzes als auch zu einzelnen Aspekten geäußert. So untersuchte Honigmann u. a. Humboldts Beziehungen zur Universität Dorpat (Honigmann 1982) und die Entstehung und das Schicksal von Humboldts Magnetischem ´Verein´ (vgl. Honigmann 1984). Christian Suckows zahlreiche Einzelarbeiten betreffen u. a.  das Verhältnis Humboldts zu Nikolaus I. (vgl. Suckow 1997), speziell dessen Vorstellungen zu Bildung, Erziehung und Wissenschaft (Suckow 1995), Humboldts mineralogische Forschungen (vgl. Hoppe/Suckow 2003), Humboldts Verhältnis zur russischen Öffentlichkeit (vgl. u. a. Suckow 1994) und  sein Weltbild und die Wirkung auf die Wissenschaften. Erkenntnisse seiner langjährigen Beschäftigung mit der Russlandreise fasste Suckow in seiner Arbeit „Alexander von Humboldt und Russland – Thesen zu Biographie und Werk“ (vgl. Suckow 2005) zusammen. Auch zu russischen Korrespondenzpartnern wurde anhand der Zuarbeit zu Humboldts Alterswerk „Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung“ eine Analyse vorgelegt (vgl. Werner/Suckow 2001). Eine erste Bewertung der Russlandreise im Spiegel der Korrespondenz zwischen Alexander von Humboldt und Christian Gottfried Ehrenberg wurde von Anne Jobst, Eberhard Knobloch und der Autorin vorgenommen (vgl. Werner/Jobst/Knobloch 2007).

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1.2. Quellen

Es sind zahlreiche Originalquellen erhalten geblieben, die die Vorbereitung, Durchführung und Auswertung der Russlandreise betreffen. Was Vorbereitung und Auswertung angeht, so ist hier der Briefwechsel Humboldts mit Ehrenberg zu nennen, dessen Veröffentlichung z. Z. in der Alexander-von-Humboldt-Forschungsstelle vorbereitet wird. Zu erwähnen ist auch die Korrespondenz Humboldts mit Gelehrten und Staatsmännern Russlands, darunter mit dem russischen Finanzminister Graf Georg von Cancrin (vgl. Anonym 1869). Eine Vielzahl von Informationen bietet auch der Briefwechsel Alexander von Humboldts mit seinem Bruder Wilhelm, den er über den Reiseverlauf und seine Eindrücke genauestens unterrichtete  (vgl. Anonym 1880).

In neuerer Zeit wurden auch – u. a. durch Christian Suckow - in russischen Archiven im Rahmen eines über drei Jahre laufenden Expeditionsvorhabens „Auf den Spuren Alexander von Humboldts in Russland“ Russlands zahlreiche neue Quellen aufgetan, darunter Urkunden, die Humboldts Auszeichnungen belegen sowie bisher unbekannte oder verloren geglaubte Briefe, z. B. an den russischen Finanzminister (vgl. Suckow 1997).

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1.3. Publikationen Humboldts  und von seinen Mitreisenden

Humboldt beeilte sich mit der Veröffentlichung von Ergebnissen der Russlandreise, um Gerüchten vorzubeugen, die drei Reisenden hätten eigentlich nur Sammlungen haben wollen und es werde keine wissenschaftliche Veröffentlichung über die Früchte des Aufenthalts geben (vgl. Fiedler/Leitner 2000, 348-349). Das war der Grund, dass Alexander von Humboldt seine wissenschaftlichen Ergebnisse ziemlich eilig in der 1831 erschienenen Monographie Fragmens de géologie et de climatologie asiatiques zusammenfasste. 1843 publizierte er seine dreibändige Monografie Asie centrale. Humboldt widmete sein Werk dem russischen Zaren, bemerkte jedoch in einem Brief an Heinrich Christian Schumacher, dass er es getan habe, weil die Expedition auf dessen Kosten durchgeführt worden war (vgl. Brief A. v. Humboldt an H. Chr. Schumacher vom 22. Mai 1843. Biermann 1979, 112-113).  Zwischen 1842 und 1843 erschien Asie centrale in drei Bänden. Das Buch enthält zwar viele Informationen, die auf der russischen Reise gewonnen wurden, ist jedoch auch eine Frucht literarischer Studien, in deren Ergebnis Humboldt „das geophysikalische und klimatologische Wissen von Vergangenheit und Gegenwart über Zentralasien kritisch vergleichend wertete und zusammenfasste“ (Fiedler und Leitner 2000, S. 355).

Neben den Monographien veröffentlichte Humboldt zahlreiche Einzelarbeiten, allein knapp 20 unselbständige Schriften zum Thema „Russisches Gold“, wobei es u. a. um Goldausbeute, Ergiebigkeit von Lagerstätten  und den schwankenden Goldpreis ging (vgl. Aufstellung der unselbständigen Schriften, Beispiele: Humboldt 1838, 1839). Auch in späteren Arbeiten, so seinem Alterswerk „Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung“, kam er auf Russland unter mehreren Aspekten zurück. Hierbei ging es u. a. um Fläche, Geologie, Gebirge, meteorologische Stationen usw.

Auch seine Mitreisenden[1], den Mineralogen Gustav Rose und den Naturforscher (eigentlich Mediziner) Christian Gottfried Ehrenberg, hielt Humboldt dazu an, die Ergebnisse auf ihrem Spezialgebiet möglichst schnell zu publizieren. Gustav Rose veröffentlichte ein zweibändiges Werk. Der erste Band  trägt den Titel „Reise nach dem Ural, dem Altai und dem Kaspischen Meere auf Befehl Sr. Majestät des Kaisers von Russland im Jahre 1829 ausgeführt“ und wurde 1837 veröffentlicht. Der zweite Band mit dem Titel „Mineralogisch-geognostische Reise nach dem Ural, dem Altai und dem Kaspischen Meere, Übersicht der Mineralien- und Gebirgsarten des Ural“, erschien 1842. 

Große Hoffnungen hatte Humboldt in die Mitarbeit seines Reisegefährten Christian Gottfried Ehrenberg gesetzt. Noch kurz vor der gemeinsamen Abreise bat Humboldt Ehrenberg, sich im Naturkundemuseum darüber zu informieren, welche sibirischen Pelztiere[2] man schon habe und welche noch fehlen. Nach der Reise wurde Ehrenberg von Humboldt immer wieder gebeten, mit Veröffentlichungen zum Ergebnisbericht beizutragen, er publizierte 1829 eine kleine zoologische Arbeit über den sibirischen Tiger und den nordischen Panther – ansonsten widmete sich Ehrenberg bis zu seinem Lebensende in zahlreichen Vorträgen und Veröffentlichungen – unter häufiger Nennung der  Fundorte in Russland, speziell Sibirien - der Welt der kleinen Organismen. Humboldt stellte auch diese Arbeiten gegenüber seinen russischen Briefpartnern als wichtig heraus. In seiner Gedächtnisrede anlässlich von Humboldts Tod betonte Ehrenberg, besondere Aufmerksamkeit habe zwar der gesamten organischen Natur jener Länder gegolten, doch habe er sich besonders auf das einflussreiche, bis dahin völlig unbeachtete mikroskopische Leben in Russland, im Ural, in Sibirien und in Central-Asien am Altai konzentriert und dessen Formen und das Verhalten in seiner 1854 erschienenen „Mikrogeologie“ ausführlich erläutert (vgl. Ehrenberg 1870, 32-33). Einschließlich dieser Monographie publizierte Ehrenberg 13 Arbeiten zum Thema der kleinen Organismen, die er „Infusorien“ nannte,  in Russland (u. a. Ehrenberg 1842, 1842a, 1843, 1850, 1850a, 1850b, 1851, 1854, 1862, 1863, 1875). Er interessierte sich zunächst für die Formen und die geographische Verbreitung von kleinen Organismen in Russland, speziell Sibirien (vgl. Ehrenberg 1830) auch für besonders auffällige Phänomene, darunter so genannte „blutartige Erscheinungen“ (vgl. Ehrenberg 1830a). Da Ehrenberg davon ausging, dass bestimmte Infusorien „Kosmopoliten“ sind, bezog er vergleichend seine Analysen von Proben aus anderen Ländern bzw. von anderen Kontinenten ein, darunter Ägypten, Arabien, Australien, USA usw. (ebenda).


[1] Es gab zahlreiche Bewerber für die Teilnahme an der Reise, darunter der Botaniker Ferdinand Julius Meyen. Dies geht aus einem Brief von Alexander von Humboldt vom 11. März 1929, also kurz vor der Abfahrt geschrieben, an den Bewerber hervor. NL Meyen, Märkisches Museum Berlin, Nr. V.  

[2] Da es zu Fragen der Finanzierung Streit gab, behielt sich Humboldt gegenüber Heinrich Lichtenstein vor, bei Verzicht auf staatliche Zuschüsse unabhängig zu bleiben. So werde er bloß anbieten, was er in St. Petersburg anhäufe. Vgl. Humboldt (1863). In: Westermanns Jahrbuch (1863), 547-548.

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Letzte Aktualisierung: 24 April 2008 | Kraft
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