Gespiegelte Fassung der elektronischen Zeitschrift auf dem Publikationsserver der Universität Potsdam, Stand: 20. April 2010
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Ingo Schwarz

„da ich mich lebhaft für sein Schiksal im Neuen Continent interessire“

A. v. Humboldt als Förderer Oscar M. Liebers[1]  

Am 30. Oktober 1847 erschien ein junger Amerikaner in der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität, um sich für das Wintersemester einzuschreiben. Unter der Nr. 143 im 38. Rektorat notierte er seinen Namen ins Matrikelbuch: „J. O. M. Lieber, geboren in Boston[2], Massachusetts; Vater Professor“.[3] Joseph Oscar Montgomery Lieber war in die Geburtsstadt seines Vaters zurückgekehrt, um hier die Grundlagen der Geologie zu studieren. Dies war der Beginn einer bemerkenswerten Karriere.

Oscar Liebers Vater Franz (Francis) (1800-1872) war zu dieser Zeit Professor für Geschichte und politische Ökonomie am South Carolina College in Columbia. Diese Hochschule zählte damals zu den bedeutenden höheren Lehranstalten der Vereinigten Staaten von Amerika, durchaus mit Harvard, Princeton und der von Thomas Jefferson gegründeten University of Virginia vergleichbar.

Franz Lieber hatte als Freiwilliger an den Kämpfen gegen Napoleon teilgenommen; trotzdem verwehrte man ihm wegen seiner liberalen politischen Ansichten die Möglichkeit, in Preußen zu studieren. 1820 wurde er in Jena zum Doktor der Philosophie promoviert. Im November 1822 machte er in Rom die Bekanntschaft Alexander von Humboldts, mit dem er die nächsten Jahrzehnte freundschaftlich verbunden blieb. Als „Demagoge“ immer wieder verfolgt, entschloss sich Lieber 1827, in die Vereinigten Staaten auszuwandern. Hier erwarb er sich – zunächst als erster Herausgeber der „Encyclopedia Americana“, später als Völkerrechtler – hohes Ansehen.

Die freundschaftlichen Gefühle, die A. v. Humboldt für Franz Lieber hegte, strahlten offenbar auch auf dessen Sohn Oscar aus, als dieser 1847 in die preußische Hauptstadt kam. Gewiss suchte der Student Humboldt in seiner Berliner Wohnung oder in Potsdam auf und berichtete ihm von seinen weiteren Plänen. Oscar beabsichtigte, im Sommersemester 1848 an der Universität Göttingen zu studieren. Humboldt war gerne bereit, dem jungen Mann in der Stadt, in der er selber von April 1789 bis März 1790 studiert hatte, einige Türen zu öffnen. Die Zeilen, die der Gelehrte am 7. März an den zukünftigen Geologen richtete, belegen dies:

Es wird mir eine Freude sein, Ihnen die Empfehlungen zu geben; ich wünsche aber, um sie Ihnen nüzlicher zu machen, Sie vorher noch zu sehen, wenn Sie können Donnerstag um halb ein Uhr.

Freundschaftlichst

Ihr
AlHumboldt
Dienstag

Auf der Rückseite dieses Schreibens findet sich ein Vermerk von fremder Hand:

“Alexander Humboldt to Oscar M Lieber.
Received. March 7. 1848. in Berlin”[4]

Unter den Empfehlungen, die Humboldt bereitwillig schrieb, befindet sich ein Brief an den Chemiker Friedrich Wöhler (1800-1882) vom 12. März 1848, der zufällig erhalten geblieben ist:

Der Ueberbringer dieser flüchtig geschriebenen Zeilen, ein sehr junger Mann, Herr Lieber, ein Amerikaner, Sohn eines sehr, sehr achtbaren, mit meiner Familie befreundeten Mannes, hat hier recht ernste Studien unter Heinrich Rose[5], Magnus[6] und Mitscherlich[7] gemacht. Er hat den guten Sinn, ehe er seinen praktischen Unterricht auf der Bergakademie in Freiberg antritt Ihr Schüler zu werden, Verehrtester Herr Professor! Sie thun es mir gern zur Liebe, ihn freundlich aufzunehmen, da ich mich lebhaft für sein Schiksal im Neuen Continent interessire. Empfangen Sie in dieser zukunftschweren Zeit den erneuerten Ausdruk meiner innigsten langbegründeten Hochachtung und freundschaftlichsten Anhänglichkeit.

Ihr
gehorsamster
AlHumboldt[8]

Diese verbindlichen Zeilen von der Hand des weltberühmten Forschers verfehlten ihre Wirkung gewiss nicht.

Wir wissen nicht genau, was Oscar Lieber in den Revolutionstagen nach dem 18. März 1848 widerfahren ist. Für die Vermutung, Oscar wäre „auf Seiten der Rebellen an den Kämpfen in Berlin und Dresden beteiligt“[9] gewesen, finden sich in den folgenden Dokumenten keine Anhaltspunkte. Dennoch muss die Abreise von Berlin nach Göttingen überstürzt erfolgt sein, wie wir einem Schreiben vom 6. April aus Göttingen an das Universitätsgericht in Berlin entnehmen können:

Hoch verehrte Herren,
Ich wurde gezwungen Berlin bald nach der grossen Revolution zu verlassen und konnte nicht in der Unruhe welche da herrschte mein Abgangszeugniss fordern. Ich habe hier erfahren, dass es in Ihren Universitaeten nicht gebräuchlich ist einzutreten, wenn man nicht von der vorigen Universitaet eine solche Schrift hat. Ich wuerde Sie daher bitten mir dasselbe nebst Pass zu senden.
Die Herren Professoren die ich hoerte waren Mitscherlich, Magnus und G. Rose.

Ergebenst

J. O. M. Lieber
aus Columbia
S. C.[10]

Dieser Brief scheint dem Berliner Universitätsgericht nicht genügt zu haben, denn bei den Akten findet sich noch ein Schreiben von der zuständigen Universitätsstelle in Göttingen folgenden Inhalts:

Der Studirende der Philosophie Joseph Oscar Montgommery Lieber aus Columbia hat sich bei uns zur Immatrikulation gemeldet ohne das Abgangszeugniß von dortiger Königlicher Universität, wo er, seinen Angaben nach, seither studirte, vorzulegen. Königliches Universitäts-Gericht ersuchen wir daher gehorsamst, uns das erwähnte Abgangszeugniß baldgefälligst einsenden, oder uns, falls diesem etwa Hindernisse entgegenstehen sollten, davon benachrichtigen zu wollen.
Göttingen den 22. Mai 1848.
Königliches Universitäts-Gericht.

Franke
d Z Prorector

An das Königliche Universitäts-Gericht
zu Berlin.[11]

Außerdem musste Lieber noch einen offiziellen Antrag stellen[12], woraufhin man ihm gegen Gebühr das folgende Zeugnis ausstellte und nach Göttingen sandte.

Wir Rector und Senat
der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin
bekunden durch dieses Abgangszeugniß, dass
Herr Oscar Montgomery Lieber
geboren zu Boston in Amerika
Sohn des dortigen Professors Lieber
zu den akademischen Studien auf dem Gymn[asium] zu Boston
vorbereitet, auf dem Grund eines Abgangszeugnisses
von der Univ[ersität] zu Columbia
am 20 // October 1847 – bei uns immatrikulirt
worden ist, sich seitdem bis zum Schlusse des Wint[er-]Sem[esters] 1847/48
als Studirender hier aufgehalten und sich
der Philosophie
beflissen hat.
Während dieses Aufenthaltes hat derselbe bey unserer Universi-
tät nach den vorgelegten Zeugnissen die nachstehend verzeich-
neten Vorlesungen gehört:
[2]
1. Chemie bey Herrn Prof. Mitscherlich
2. Physik bey Herrn Prof. Magnus
3. Mineralogie bey Herrn Prof. G. Rose
[3]
Hinsichtlich seines Verhaltens auf der hiesigen Universität ist
in disziplinarischer und ökonomischer
Rücksicht nichts Nachtheiliges vorgekommen.

Einer Theilnahme an verbotener Verbindung unter Studiren-
den auf der hiesigen Universität ist derselbe

Zu Urkund dessen ist dieses Zeugniß unter dem Insigel der
Universität ausgefertigt, und von dem zeitigen Rektor und dem
Richter auch von dem gegenwärtigen Dekan
der philosophischen Fakultät eigenhändig unterzeichnet worden
Berlin, den 29.
ten Mai 1848.
Müller[13]        Lehnert[14] 19/5           Magnus.
Gesehen von dem Königlichen Regierungs-Bevollmächtigten.[15]
 

Oscar Liebers Eifer und Initiative in Göttingen zeigen, dass Humboldt mit seiner Empfehlung ins Schwarze getroffen hatte. Der Student vertiefte sich nicht nur in Wöhlers erfolgreiches, in vielen Auflagen publiziertes Lehrbuch „Beispiele zur Uebung in der analytischen Chemie“, er übersetzte es auch ins Englische und brachte es 1852 in Philadelphia unter dem Titel „The analytical chemist’s assistant: a manual of chemical analysis, both qualitative and quantitative of natural and artificial inorganic compounds, to which are appended the rules for detecting arsenic in a case of poisoning“ heraus. Für diese Ausgabe hatte er den Originaltext um andere Wöhlersche und um eigene Arbeiten erweitert.

Wie Humboldt angedeutet hatte, ging Oscar Lieber von Göttingen ins sächsische Freiberg. Hier schloss er sich einer Studiengruppe um den bedeutenden Geologen Bernhard von Cotta (1808-1879) an. Die Studienzeit bei Cotta trug ebenfalls reiche Früchte. Zu den von seinem Lehrer herausgegebenen „Gangstudien oder Beiträge[n] zur Kenntnis der Erzgänge“ lieferte Lieber verschiedene Beiträge, die im Band 3 (1860) veröffentlicht wurden.

Nach Abschluss seiner Studien in Europa finden wir Oscar M. Lieber wieder in den Vereinigten Staaten. Seine berufliche Karriere begann Mitte 1851 mit der geologischen Erkundung des Staates Mississippi unter „State Geologist“ John Millington (1779-1868). Gleichzeitig unterrichtete er als Assistent das Fach Geologie an der University of Mississippi. Unter Michael Tuomey (1808-1857) beteiligte er sich 1854 bis 1855 an der geologischen Erkundung von Alabama. Von 1856 bis 1860 war er als „State Geologist“ für die mineralogische und geologische Erkundung von South Carolina verantwortlich. Bei Ausbruch des Bürgerkrieges meldete er sich freiwillig zur Armee der Konföderierten Staaten von Amerika. Der Krieg zerriss die Familie Lieber: während der Vater am Columbia College in New York Geschichte lehrte und die Regierung der Union in Fragen des Landkriegsrechtes beriet[16], kämpfte der Sohn Oscar – in der Überzeugung, seine Pflicht zu tun – auf Seiten des abtrünnigen Südens. Er wurde in der Schlacht von Williamsburg schwer verwundet und starb am 27. Juni 1862 an seinen Verletzungen in Richmond im Staat Virginia.

Der junge, so wunderbar begabte Geologe, der in Europa bei hervorragenden Wissenschaftlern hatte studieren können und dessen glänzende Karriere in den Vereinigten Staaten gerade erst begonnen hatte, überlebte seinen Gönner Alexander von Humboldt nur um drei Jahre.

Franz Lieber, den man mit Fug und Recht zu den bedeutendsten Deutschamerikanern zählen darf, blieb Humboldt auch über dessen Tod hinaus verbunden.[17] Als die New Yorker am 14. September 1869 Humboldts 100. Geburtstag mit der feierlichen Enthüllung einer von Gustav Bläser (1813-1874) geschaffenen Büste[18] begingen, hielt kein anderer als Lieber die Gedenkrede.[19] Vielleicht erinnerte er sich in dem Augenblick, als er über Humboldt sagte “He was most amiable and helpful, even to the youngest […]”[20], auch an seinen Sohn Oscar.



[1] Ich widme diesen Beitrag meinem Kollegen Herbert Pieper zu seinem 65. Geburtstag.

[2] Am 8.9.1830.

[3] Humboldt-Universität zu Berlin, Archiv, Bestand Rektor und Senat, Matrikelbuch.

[4] Alexander von Humboldt und die Vereinigten Staaten von Amerika. Briefwechsel. Hrsg. von Ingo Schwarz. Berlin 2004, S. 253-254 (Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung. Bd. 19).

[5] Humboldt verwechselt hier den Chemiker Heinrich Rose (1795-1864) mit dessen Bruder Gustav Rose (1798-1873), der ab 17.3.1839 ordentlicher Professor für Mineralogie war, und bei dem Lieber Vorlesungen gehört hat.

[6] Gustav Magnus (1802-1870), ab 30.12.1844 ordentlicher Professor für Physik.

[7] Eilhard Mitscherlich (1794-1863), ab 19.2.1825 ordentlicher Professor für Chemie.

[8] Alexander von Humboldt und die Vereinigten Staaten von Amerika. Briefwechsel, a.a.O., S. 254.

[9] Schütte, Oswald: Franz Lieber und Alexander von Humboldt. In: Franz Lieber und die deutsch-amerikanischen Beziehungen im 19. Jahrhundert. Hrsg. von Peter Schäfer und Karl Schmitt. Weimar, Köln, Wien 1993, S. 131.

[10] Humboldt-Universität zu Berlin, Archiv, Bestand Rektor und Senat, Abgangszeugnisse, Bd. 295, Bl. 583. Die Veröffentlichung dieses Briefes und der folgenden  ungedruckten Dokumente erfolgt mit der freundlichen Genehmigung des Archivs der Humboldt-Universität.

[11] Ebd., Bl. 581 V.

[12] Vgl. Ebd. Bl. 581 V u. R sowie Bl. 582.

[13] Johannes Peter Müller (1801-1858), ab 19.4.1833 ordentlicher Professor für Anatomie und Physiologie.

[14] Gustav Carl Friedrich Lehnert (1811-1882), Jurist in Berlin; 1848-1865 Universitätsrichter.

[15] Humboldt Universität zu Berlin, Archiv, Bestand Rektor und Senat, Abgangszeugnisse, Bd. 295, Bl. 580 V, 580 R, 584 R.

[16] Vgl. dazu: Krakau, Knud: Franz Liebers Beitrag zur Entwicklung des Landkriegsrechts. In: Franz Lieber und die deutsch-amerikanischen Beziehungen, a.a.O., S.45-72.

[17] Zu den Beziehungen Humboldt – Lieber siehe: Schütte, Oswald: Franz Lieber und Alexander von Humboldt. In: Franz Lieber und die deutsch-amerikanischen Beziehungen, a.a.O., S. 121-133.

[18] Die Büste befindet sich heute am westlichen Rand des Central Parks, gegenüber dem Museum of Natural History.

[19] Die deutsch gehaltene Gedenkrede, die in englischer Übersetzung auf S. 1 der „New York Times“ vom 15.9.1869 zu lesen war, ist neuerlich abgedruckt in: Alexander von Humboldt und die Vereinigten Staaten von Amerika. Briefwechsel, a.a.O., S. 580-584.

[20] Ebd., S. 582.

 

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Letzte Aktualisierung: 24 April 2008 | Kraft
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