Gespiegelte Fassung der elektronischen Zeitschrift auf dem Publikationsserver der Universität Potsdam, Stand: 20. April 2010 |
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Horst Fiedler
Ludwig Leichhardt und Alexander von Humboldt
Zuerst erschienen in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Pädagogischen Hochschule „Karl Liebknecht“ Potsdam, Jahrgang 31/1987 Heft 3 Seite 527-532, Sektion Geographie
Man hat Ludwig Leichhardt gelegentlich den „Humboldt Australiens“; genannt[1]. Diese anspruchsvolle Bezeichnung trifft in mancher Hinsicht durchaus zu. Sie zielt nicht nur auf gewisse biographische Analogien, sondern mehr noch auf eine partielle Vergleichbarkeit der geographischen Leistungen beider Forscher und darüber hinaus auf das Verhältnis von Vorbild und Nachfolge, in das Leichhardt sich gegenüber dem 45 Jahre älteren Humboldt ganz bewusst hineinstellte. Auf notwendige Einschränkungen dieses Vergleichs wird im Folgenden hinzuweisen sein.
Trotz unterschiedlicher sozialer Herkunft finden wir zu Anfang auch eine Reihe von [528] Ähnlichkeiten in den Lebenswegen Humboldts und Leichhardts: Beide sind Brandenburger, also Landsleute, denn Humboldt wurde in Berlin geboren und wuchs in Tegel bei Berlin auf, während Leichhardt aus Trebatsch bei Beeskow stammt. Beide setzen gegen eine familiäre Lebensplanung, die auf eine solide bürgerliche Existenz im preußischen Staat gerichtet war, ihre eigene, selbst gewählte Bestimmung durch, bereiten sich zielbewusst und umfassend an den modernsten Ausbildungsstätten der Zeit auf ihre Laufbahn als Forscher und Entdecker vor, schulen ihre Beobachtungsfähigkeit zunächst auf kleineren Reisen innerhalb Europas. In beiden Fällen liefert im rechten Augenblick ein glücklicher Umstand die notwendige finanzielle Voraussetzung privaten Reisens: Humboldt macht eine bedeutende Erbschaft, Leichhardt erhält – in allerdings sehr viel bescheidenerem Umfang – großmütige finanzielle Unterstützung durch seinen englischen Freund. Beide Forscher, seit langem von einem unwiderstehlichen Drang in ferne tropische Länder beseelt, brechen jeweils als etwa 30jährige zu ihren Unternehmungen auf.
Spätestens hier endet allerdings jede rein biographische Analogie. Schon Humboldts Startbedingungen waren günstiger, teils durch soziale Privilegien als Adliger, teils durch schon erbrachte wissenschaftliche Leistungen und empfangene Anerkennung, was zusammengenommen ihm manche Tür öffnete, die dem Bürgersohn Leichhardt, der zudem in der wissenschaftlichen Welt noch unbekannt war, verschlossen blieb. Vor allem aber kehrte Humboldt als 35jähriger mit einer unvergleichlichen wissenschaftlichen Ausbeute im Gepäck zurück, entfaltete in vielen Schaffensjahren jene ruhmvolle Tätigkeit, die ihn zu einer wissenschaftlichen Zentralgestalt seiner Epoche werden ließ, während Leichhardt, übrigens auch als etwa 35jähriger, seine letzte und kühnste Unternehmung mit dem Leben bezahlte.
In allen Kontinenten, vor allem aber in Amerika, finden wir heute zahlreiche geographisch-topographische Bezeichnungen – Berge, Flüsse, Orte und dergleichen –, die Humboldts Namen tragen. Aber auch Leichhardts Name ist in Australien, dem Lande seiner Wirksamkeit, durch eine ganze Anzahl von geographischen Benennungen für immer festgehalten. Beides deutet auf eine nachhaltige historische Wirkung in den bereisten Gebieten hin, wobei allerdings im Gegensatz zu Humboldt Leichhardt in der Heimat lange Zeit nahezu vergessen war. Humboldt hat einen großen Teil Lateinamerikas wissenschaftlich erschlossen, hat durch seine Werke das Nationalgefühl in den damaligen spanischen Kolonien stimuliert und diesen wenig bekannten Teil der Erde ins europäische Bewusstsein gerückt. Leichhardts Wirksamkeit spielte sich unter anderen historischen Bedingungen und in einem vergleichsweise begrenzteren Rahmen ab. Er lieferte den Beweis, dass weite Gebiete des inneren Australiens ansiedlungsfähig und ökonomisch nutzbar sind, und öffnete so den europäischen Siedlern der australischen Ostküste zuerst den Blick für die Möglichkeiten jenes großen Landes.
Leichhardts wissenschaftliche Ergebnisse (die freilich nur teilweise erhalten blieben) und seine Publikationen trugen vor allem in England wesentlich dazu bei, den fünften Kontinent näher ins Blickfeld zu bringen. Während Humboldts amerikanische Expedition historisch gesehen am Ende des Zeitalters der großen maritimen Entdeckungsfahrten stand und nun die Reihe der schwierigen innerkontinentalen wissenschaftlichen Entdeckungsreisen eröffnete, setzte Leichhardt die Humboldtsche Tradition in einem Erdteil fort, dessen Inneres damals, nicht etwa nur wenig, sondern absolut unbekannt war.
Wie schon angedeutet, soll es hier nicht um eine Gleichwertung der geographischen Bedeutung Leichhardts mit derjenigen Humboldts gehen. Die Unterschiede der geographischen Bedingungen und Aufgabenstellung, aber auch der subjektiven Möglichkeiten beider Forscher sind nicht zu übersehen. Während Humboldt in seit langem von der spanischen Kolonialmacht beherrschten Gebieten reiste und nicht nur deren vielfältige Naturerscheinungen, sondern auch die komplizierten sozialen und kulturellen Verhältnisse kritisch erfasste, unternahm Leichhardt unter ganz anderen geographischen Gegebenheiten und auf einem Kontinent, auf dem die europäische koloniale Expansion eben erst begonnen hatte, erste Vorstöße ins Unbekannte. Dabei machte der Kampf ums bloße [529] Überleben in der Wildnis wissenschaftliche Beobachtungen oft nur in zusätzlicher Anstrengung möglich. Nicht zufällig sind vor allem die ethnologischen Beobachtungen Leichhardts vergleichsweise gering. Nachteilig wirkte sich aus, dass er materiell und technisch zu spärlich ausgerüstet war. Wenn wir Leichhardts geographische Leistung in der Humboldtschen Tradition sehen, so vor allem in Hinblick auf grundsätzliche Tendenzen in der Art seines wissenschaftlichen Herangehens.
In die wissenschaftliche Tradition der Humboldtschen Reisen hat Leichhardt sich bewusst hineingestellt, die Persönlichkeit des großen Reisenden nahm er sich von Anbeginn zum Vorbild. Noch in einem seiner letzten Briefe[2] aus Australien (24. Okt. 1847) nennt er beispielsweise Humboldt als einen derjenigen „Männer ..., deren Thaten dem Knaben wie Wundermärchen erklangen, den Jüngling mit Begeisterung erfüllten und ihn endlich in den ihrigen ähnliche Bahnen hinein riefen.“ Humboldts Beispiel, heißt es im selben Brief weiter, „war und ist mir beständig vor Augen. Ich strebe ihm nach und fühle, dass meine Mittel immer noch zu gering sind, es ihm gleich zu thun, ich meine ihn den Wanderer durch Amerika, nicht den grossen ruhigen Forscher, der nun den Gewinn seiner Jugend so herrlich ausprägt.“ Auch an manchen anderen Stellen seiner Niederschriften wird deutlich, dass Leichhardt das Vorbild Humboldts „beständig vor Augen“ hatte, auch wenn er dessen Namen nicht ausdrücklich nannte.
Im Gegensatz zu der sympathischen Bescheidenheit, mit der Leichhardt seine eigenen „Mittel“ und Verdienste mit denjenigen Humboldts in Beziehung setzt, zeigen seine Schriften und Briefe doch und zeigt vor allem sein 1847 erschienenes Journal der Expedition von der Ostküste nach Nordaustralien, dass er seinem Vorbild in vieler Hinsicht mit Erfolg nachstrebte. Wir nennen hier nur seine umfassende, auf den modernen Stand mehrerer Wissenschaftsdisziplinen gegründete Art der Beobachtung, die oft zugleich auf den künftigen praktischen Nutzen gerichtet war. Auch seine humane Grundeinstellung gegenüber den Ureinwohnern des Landes oder seine von der literarischen Kultur des Zeitalters beflügelte Kunst des Berichtens und Darstellens, etwa auch sein ausgeprägtes Gefühl für landschaftliche Schönheit und Eigenart, verbinden ihn mit Humboldt.
Die Größe des Vorbilds Humboldts scheint freilich zunächst einmal auch hemmend gewirkt zu haben, als nämlich der junge Leichhardt in Paris die persönliche Begegnung mit dem 70jährigen berühmten Gelehrten suchte. Dieser persönlichen Begegnung wollen wir uns im Folgenden zuwenden.
Seit 1837 hielt sich Leichhardt vorwiegend in Paris auf, um seiner weiteren Ausbildung nachzugehen. Aber eine Rückkehr nach Preußen wurde zunehmend dringlicher, da der junge Mann seiner Dienstpflicht als Soldat Genüge leisten sollte. (Auch in dieser Hinsicht war Humboldts Ausgangssituation günstiger gewesen, denn in seiner Jugend existierte noch keine allgemeine Wehrpflicht.)
Leichhardt suchte nach Befreiung oder weiterem Aufschub, um die Reisepläne verwirklichen zu können, und in diesem Zusammenhang tauchte in der Leichhardtschen Familie zuerst der Gedanke auf, der Sohn solle sich um Hilfe an Humboldt wenden. Nachdem Leichhardt „reiflich darüber nachgedacht“ hatte, entschied er sich, wie er sagt, „endlich für das Nicht“[3]. Denn „was konnte ich ihm sagen?“ gestand er am 7. Mai 1839 den Eltern. Er hatte keine persönlichen Empfehlungen, keine Gewährsleute für die Redlichkeit seiner Absichten. Wie sollte er als unbekannter Studierender mit hochfliegenden Plänen einem Humboldt gegenübertreten? „Ich konnte also nur eine Antwort von ihm erwarten“, bemerkte er im selben Brief weiter, „nämlich: warte bis du dich ins Schiff setzt, oder bis Du von Deiner Reise zurück kommst und dann wende Dich an mich! Da ich mir aber diesen Bescheid selbst geben konnte, ging ich nicht zu Humboldt.“
Erst zwei Jahre später, als der Aufbruch aus Europa beschlossene Sache und Leichhardt gewissermaßen im Begriffe war, sich „ins Schiff“ zu setzen, fasste er einen neuen Entschluss. „Ich habe gehört, dass Humboldt nach Paris kommen wird“ heißt es in einem Brief[4] an seinen Schwager Schmalfuß vom 23. Mai 1841, „ich lasse ihn dann nicht, ohne Gewisses über meine Zukunft zu haben.“ Es war allgemein bekannt, dass Humboldt schon vielen aufstrebenden Talenten geholfen, ihnen die Wege geebnet hatte.
[530] Leichhardt fasste daher Mut und schrieb an den damals 71jährigen Humboldt am 14. Juni 1841 den folgenden Brief[5]:
Mein verehrtester Herr!
Entschuldigen Sie, dass ich mir die Freiheit nehme, Sie um eine kurze Unterredung zu bitten. Ich habe mich zu Berlin, London, Paris mit den Naturwissenschaften beschäftigt, mit der Absicht, mich soviel als möglich mit Kenntnissen zu bereichern, die mich tüchtig machten, in Neuholland Australien durch lange Zeit fortgesetzte Beobachtungen für die Wissenschaft nützlich zu werden. Meine Aufmerksamkeit war successive auf Physiologie, vergleichende Anatomie, Zoologie, Botanik, Mineralogie u. Geologie gerichtet. Wie ich noch mit einem Zweige mehr vertraut, trieb er mich bei der innigen Vereinigung aller zum Studium des anderen. Bei dem gegenwärtigen Zustande jeder einzelnen Wissenschaft ängstigten mich dann die, die sich ausschließlich einem Studium ergeben, mit ihrem Sprüchworte qui trop embrasse mal étreint und der Meister fehlte, um Rath oder Trost zu geben. So habe ich denn nach eigenem Plane meine Studien fortgesetzt und erweitert, immer den neu hervortretenden Bedürfnissen folgend, oft bedenklich, oft unzufrieden: und da ich jetzt fast am Ende meiner Europaeischen Laufbahn stehe, und das Glück mir so unverhofft den Großmeister nahe geführt, den wir ja alle als Vater verehren – wird er mir zurechtweisenden Rath über die gethane Arbeit, oder über das, was in der Zukunft zu leisten ist, versagen? – Soviel weiß ich, daß keiner mich im aufmerksamen Hören oder an herzlichem Dank übertreffen wird: daß die Saat Früchte bringe, ist Gottes Werk.
L. Leichhardt
Humboldt reagierte sofort und lud den unbekannten Briefschreiber schon für den folgenden Tag zu einem Besuch in der Französischen Akademie ein:
„Wollen Ew. Wohlgeboren mir die Ehre erzeigen, mich morgen Dienstag, um halb zwölf Uhr mit Ihrem Besuche zu erfreuen, auf dem Institute. Al. Humboldt.“[6]
Heinz Haufe hat in seiner schönen und grundlegenden Leichhardt-Biographie[7] die Unterredung zwischen Humboldt und Leichhardt zu rekonstruieren versucht. So oder ähnlich, wie dort geschildert, mag die Begegnung wohl verlaufen sein. Auf jeden Fall wurde sie für Leichhardt zu einer Enttäuschung.
Knapp vier Wochen später berichtete er in einem Brief an seinen Schwager: Humboldt gewährte „mir eine Unterredung von 10 Minuten und ich ging so weise von ihm, wie ich kam ... Er war äußerst höflich, sagte mir, daß es ihn freue, meine Bekanntschaft gemacht zu haben, besonders da ich Preuße wäre pp. Doch alles dies war nur Wort und Redensart. Ihr könnt Euch leicht vorstellen, daß ich unter so bewandten Umständen nicht gewillt war, ihm weiter von meiner Militairgeschichte zu sprechen.“[8] Warum erwies sich Humboldt gegenüber Leichhardt so unnahbar? Zweifellos war Humboldt wie immer mit Arbeiten, Besuchen, Bittgesuchen und Korrespondenzen überhäuft und musste seine Zeit aufs genaueste einteilen. Leichhardt reflektierte darüber in seinem schon zitierten Brief an den Schwager: „Diese Männer sind so sehr an neugierigen Besuch gewöhnt, daß sie alle für neugierige Leute halten, welche nicht mit einem Haufen von Empfehlungsbriefen kommen, und da sie sich jenen eben zeigen wollen, so oeconomisieren sie soviel als möglich ihre Zeit.“ Einen anderen, sehr wesentlichen Grund für sein Verhalten deutete Humboldt in einem am 5.5.1853, also nach Leichhardts Tod, an den Geographen Carl Ritter gerichteten Brief an, in welchem er feststellte, Leichhardts Ruf sei „in Deutschland nur deshalb so eingeschränkt gewesen, weil man vorher (Sperrung: H. F.) gar nichts Wissenschaftliches von ihm wußte.[9] In der Tat hatte Leichhardt in Europa nichts publiziert, alle seine Schriften entstanden erst in Australien, und wie konnte Humboldt einem derart Unbekannten auf eine bloße kurze Unterredung hin eine Empfehlung etwa an seine wissenschaftlichen Freunde in England, wie es unter anderen Voraussetzungen nahe gelegen hatte, mit auf den Weg geben?
Es spricht für Leichhardts Einsicht und Charakter, dass jene bittere Enttäuschung seiner Verehrung für Humboldt keinen Abbruch tat. Auch bedeutete die einzige kurze Begegnung nicht das Ende der Beziehungen zwischen Humboldt und Leichhardt.
Als nämlich im Jahre 1846 der Erfolg bekannt wurde, den Leichhardts Expedition nach [531] Nordaustralien hatte, gelang es Humboldt, helfend einzugreifen, um dem jungen Forscher eine künftige Heimkehr nach Deutschland zu ermöglichen. Da der Australienforscher in Preußen noch immer als Deserteur galt, hatte sich Leichhardts Schwager Schmalfuß um Hilfe an dem Fürsten Pückler in Branitz gewandt. Pückler legte die Angelegenheit in Humboldts Hände, wobei er seinem eigenen Schreiben Leichhardts jüngsten Reisebrief vom 19. August 1846 abschriftlich beilegte. Dieser Brief, fügte Pückler hinzu, verdiene es wegen seiner „Naivität und Einfachheit bei so viel Kühnheit des Entschlusses und ruhiger Beharrlichkeit der Ausführung“[10] von Humboldt gewürdigt und vielleicht auch dem König vorgelegt zu werden. Dafür veranlasste Humboldt im Januar 1847 Schmalfuß zu einer Eingabe, die er durch einige Bemerkungen ergänzte, und brachte die Sache vor Friedrich Wilhelm IV. Am 4. März erließ der König eine Kabinettsordre, der zufolge Leichhardt „begnadigt“ wurde, nach seiner Rückkehr jedoch „nach Maasgabe seiner körperlichen Befähigung … seinen Militärdienst nachthun“[11] sollte. Humboldt, der die Entscheidung sofort an Schmalfuß weitergab, fügte beruhigend hinzu, ein Nachholen des Militärdienstes sei leicht zu umgehen und bloße Formsache. Leichhardt hatte die Genugtuung, von der Berliner Entscheidung noch vor Aufbruch zu seiner letzten, unglücklichen Unternehmung Kenntnis zu erhalten. Er war nach seinen Worten „vollkommen zufrieden“[12], sei er doch nicht grundsätzlich gegen die allgemeine Militärpflicht, sondern nur der Auffassung, dass „in besonderen Fällen Ausnahmen“ stattfinden sollten. Daher fügte er seiner Antwort folgende kritische Betrachtung hinzu: „Es war die Frage, ob ich meinem Lande und der Wissenschaft nach einer gründlichen Bildung in den größten Museen Europas durch Reisen in ferne Welttheile nützlich ... werden, oder ob ich ein Jahr auf dem Cöpenicker Felde die Exercitien lernen sollte. Die Regierung entschied für das Letztere, ich für das Erstere. Ich that Unrecht, denn ich folgte meinem Drange und überschritt das Gesetz – das Gesetz als eine todte unabänderliche Gewalt“ – nicht gemäßigt durch den freidenkenden Lenker“.
Mit ungeteilter Freude erfüllte ihn jedoch, dass er in der Heimat nunmehr Männer wie Pückler und Humboldt zu Fürsprechern hatte. In diesem Zusammenhang fiel auch sein schon oben zitiertes Bekenntnis, dass Alexander von Humboldt sein Vorbild sei, dem er zeitlebens nachstrebe und das er auch in Australien „beständig vor Augen“ habe.
Humboldt war in den folgenden Jahren bemüht, Leichhardts wissenschaftlicher Leistung auch in Deutschland gebührende Anerkennung zu verschaffen. Noch im Frühjahr 1847 sorgte er für den Abdruck von brieflichen Reisemitteilungen Leichhardts in einer angesehenen geographisch-naturkundlichen Zeitschrift[13]. 1851 schickte ihm der Übersetzer von Leichhardts Reisejournal, Ernst Zuchold, ein Exemplar der deutschen Ausgabe – das Exemplar, sehr kostbar gebunden, befand sich noch beim Tode Humboldts in dessen Bibliothek – und Humboldt dankte „für das schöne und interessante Geschenk“ mit folgenden Worten: „Es ist mir immer unbegreiflich gewesen, wie in Deutschland der Name eines durch Kenntnisse, Charakterstärke und seine geographischen Entdeckungen in England so hochgeachteten Mannes wenig Anklang gefunden habe! Ich habe stets mit großer Freude in der Ursprache alle Schriften des Dr. Leichhardt wie die Berichte über ihn ... gelesen. Eine angenehme Betrachtung ist es, zu finden, wie mitten unter den Mühseligkeiten des Lebens und unter den peinlichsten Entbehrungen in dem edlen Manne das Gefühl für Naturschönheit, Stimmen des Tierlebens, Anblick des gestirnten Himmels, Freundschaft mit seinen treuen Hunden erhöht wird.“[14] Humboldt bedauerte, dass keine Beschreibung von Leichhardts Leben, vor allem von dessen Jugendjahren, existiert, und versuchte Zuchold anzuregen, entsprechende Materialien zusammenzutragen. Abschließend drückte er die Hoffnung aus, dass „das Gerücht über Leichhardts Tod ein falsches sein“ möge.
Als dieses Gerücht vom Untergang der letzten Leichhardtschen Expedition sich zur Gewissheit verdichtete und Pläne zur Suche nach den Verschollenen entstanden, wurde ein solches Projekt auch Humboldt vorgelegt. Das geplante Unternehmen, von dem uns Näheres nicht bekannt ist, scheint jedoch allzu abenteuerlich gewesen zu sein, denn Humboldt verhielt sich skeptisch abwartend. Immerhin informierte er sogleich den Geogra- [532] phen Carl Ritter und wies dabei nochmals auf Leichhardts „Verdienst“ hin, das „unleugbar“ sei[15].
Eine letzte Veranlassung, sich über Leichhardt zu äußern, hatte der inzwischen 86jährige Humboldt drei Jahre vor seinem Tode. 1855 plante Friedrich Schmalfuß eine Ausgabe von Leichhardts Familienbriefen – ein Plan, der später von anderen Herausgebern[16] durchgeführt wurde – und bat Humboldt um „eine empfehlende Vorrede“[17]. Humboldt mußte zwar mit Rücksicht auf sein hohes Alter und noch ausstehende eigene Arbeiten eine „Durchsicht u. Beurtheilung der wichtigen Correspondenz“ ablehnen, gab aber verlegerische Ratschläge und fand ein letztes Mal anerkennende Worte über Leichhardt, indem er schrieb: „Sie werden nicht zweifeln an dem warmen u. herzlichen Antheil, den ich an Allem nehme, was auf das Andenken an Ihren berühmten und in seinem edlen Berufe sich aufopfernden Schwager Dr. Leichhardt Bezug hat.“
Kurz zusammenfassend lässt sich sagen: Obwohl die persönliche Begegnung zwischen Leichhardt und Humboldt nur eine Episode ohne erkennbare Folgen blieb, so gibt es doch eine Reihe von wesentlichen ideellen Beziehungen zwischen beiden Forschern. Vor allem war es der Einfluss von Humboldts Vorbild, der wie kein anderer in Leichhardts eigener Leistung wirksam wurde. Mit eben dieser Leistung errang sich Leichhardt einen würdigen Platz in der vom Humboldt vier Jahrzehnte zuvor eröffneten Geschichte der großen modernen wissenschaftlichen Forschungsreisen zu Lande. Seinerseits hat Humboldt durch sein Eintreten für Leichhardt zu dessen persönlicher, bürgerlicher Rehabilitierung und wissenschaftlicher Anerkennung in Deutschland förderlich beigetragen.
[1] Haufe, H.: Der Humboldt Australiens. – In: Neues Deutschland, Wiss. Beil. Nr. 50 v. 14.12.1963
[2] The letters of F. W. Leichhardt. – Collected and newly translated by M. Aurousseau. – Vol. 3. – Cambridge 1968. – (Works issued by the Hakluyt Society, Second Series, No. 135.) S. 957-962. (Zitate hier und im folgenden nach den jeweiligen Quellen revidiert)
[3] Ebd. Vol. 1. Cambridge 1967. (Works issued … No. 133). S. 180. Ebd. auch die folgenden Anführungen
[4] Ebd. Vol. 1. S. 325
[5] Ebd. Vol. 1. S. 331-332
[6] Abschrift in Leichhardts Tagebuch von 1814. (The Mitchell Library, Sydney: C. 153.)
[7] Haufe, H.: Entdeckungsreisen in Australien. – Ludwig Leichhardt. – Ein deutsches Forscherschicksal. – (Berlin 1972) S. 18-20 – 2. Aufl. 1984
[8] The letters of … Leichhardt. Vol. 1. S. 346
[9] Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz. – Handschriftenabt. (Nachlass Ritter)
[10] Abschrift im Staatsarchiv Potsdam (Pr. Br. Rep. 37, Branitz Nr. 940, S. 4)
[11] Tagebuch des Friedrich Schmalfuß 1832/70: 1847 (Privatbesitz Cottbus)
[12] The Letters of ... Leichhardt. Vol. 3. S. 957-958. (Ebd. auch die folgenden Anführungen)
[13] Tagebuch Schmalfuß (s. Anm. 11): 1847
[14] Humboldt an Ernst Amandus Zuchold, 7. Aug. 1851. In. Zuchold, E.A..: Dr. Ludwig Leichhardt. – Leipzig 1856. S. 4
[15] Deutsche Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabt. (Nachlass Carl Ritter)
[16] Dr. Ludwig Leichhardts Briefe an seine Angehörigen. – Hrsg. von G. Neumayer u. Otto Leichhhardt. – Hamburg 1881
[17] Tagebuch Schmalfuß (s. Anm. 11): 1855. (Ebd. auch die folgende Anführung)
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