Gespiegelte Fassung der elektronischen Zeitschrift auf dem Publikationsserver der Universität Potsdam, Stand: 18. August 2009
Originalfassung zugänglich unter http://www.hin-online.de

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Ingo Schwarz
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

Ein Humboldt-Brief
in der Autographensammlung Lion Feuchtwangers

Frau Dr. Margot Faak zu ihrem 80. Geburtstag gewidmet.

Auch Briefe können ihr Schicksal haben. Die rund 14.000 im Original erhaltenen Schreiben Alexander von Humboldts befinden sich heute in Archiven, Bibliotheken und privaten Sammlungen in Europa, Amerika, ja selbst in Australien. Eines dieser Dokumente gehört zur Autographensammlung Lion Feuchtwangers (1884-1958), die in der Feuchtwanger Library an der University of Southern California, Los Angeles, aufbewahrt wird. Das elektronische Verzeichnis dieser Kollektion gibt darüber Auskunft:

“Humboldt, Alexander von. German naturalist and geologist (1769-1859).
Letter, in own handwriting, to a musician Edmund Neumann. Regrets that in musical matters he had no influence with the King. The chances for a musician were excellent at the court.
Berlin, Dec. 21, 1849.“ [1]

Das Archiv stellte der Alexander-von-Humboldt-Forschungsstelle in Berlin dankenswerterweise eine Fotokopie des Briefes zur Verfügung. Bei seiner inhaltlichen Analyse traten interessante Details zutage, die hier mitgeteilt werden sollen.

Ein Humboldt-Brief in der Autographensammlung Lion Feuchtwangers

Ein Humboldt-Brief in der Autographensammlung Lion Feuchtwangers

Quelle: „Feuchtwanger Memorial Library“, Spezialized Libraries & Archival Collections. University of Southern California.

Zunächst mußte der Brief vollständig entziffert werden. Humboldt schrieb:

„Ich erhalte, mein theurer Neumann[?], diesen Freitag Morgen[2], werde den Brief an den König heute Mittag nach Charlottenburg nehmen, aber wie können Sie etwas jugendlich ein so ehrenvolles Vertrauen in die Schnelligkeit des Geschäftsganges haben, dass bis Montag Sie zum Musik Director ernannt wären. Wo giebt es eine menschliche Macht um den König die so etwas hervorbrächte!! Der König präparirt sich zum Heil[igen] Abendmal u[nd] bleibt unzugänglich Sonnab[end] u[nd] Sontag. Dann kommt die unruhigste Zeit des ganzen Jahres in der alles unterbrochen ist: die Weinachtsgeschenke der ganzen kön[iglichen] Familie, die Rükreise nach Char Potsdam, ein Aufenthalt dort von 10 Tagen ... Bei des Königs geistiger Lebendigkeit wird er sich zu keinem Titel eher entschließen, ehe er nicht Ihre Anstellung beim Dome zu Stande bringt. Diese Association des Lohns ist unvermeidlich. Ueber diese Angelegenheit und Ihre Anstellung hört der König allein die für Sie sehr warmen Strauss und Graf Redern. Alle andern Einflüsse sind = 0. Ich werde sehr sehr [2] gern heute schon dem König sagen wie angenehm u[nd] nüzlich Ihnen der Titel als Mus[ik] Dir[ector] wäre. Er wird mich sehr freundlich anhören, aber ertheilen, ausfertigen lassen, geschieht nie Inspirationsweise, sondern nach Discussion mit den einzigen Personen die für bestimmte Objecte der König anhört, für geistl[iche] Musik Hofpred[iger] Strauss u[nd] Gr[af] Redern, für Ankauf von Gemälden und Titel Hofmaler Geh[eim] Rath von Olfers. Meine Macht in den Tönen ist die[,] den König[,] wenn er es schon früher eigenwillig beschlossen hat, an den Concerttag zu erinnern!!
Alles ist auf das Freundlichste für Sie und Ihr schönes Talent gestimmt aber das menschliche Leben ist was die Mathematiker eine Bedingungsgleichung nennen.
Kommen Sie uns froh wieder und versichern Sie Ihren theuren Eltern und unserem Dechen meine innige Verehrung und Freundschaft. Ihr

Al Humboldt

Berlin den 21 Dec[ember] 1849
Ich lebe in allen Gräueln des Auspackens.“[3]

Der Brief war zwar vergleichsweise mühelos zu lesen, lediglich der Name des Empfängers ließ sich nicht mit letzter Sicherheit bestimmen. Der Kenner Humboldtscher Schreibgewohnheiten weiß, daß der Gelehrte es mit der Orthographie von Personennamen nicht so genau nahm. Als Adressat kam also ein jüngerer Musiker mit dem Familiennamen „Neumann“ oder „Naumann“ in Betracht. Die übrigen vorkommenden Personen waren unschwer zu ermitteln: der König war Friedrich Wilhelm IV. von Preußen (1795-1861), zu dessen Gefolge Humboldt als Kammerherr gehörte. Friedrich Strauß (1786-1863) war Hofprediger in Berlin; Friedrich Wilhelm Graf von Redern (1802-1883) wirkte als Generalintendant der Hofmusik am preußischen Hofe. Der mit Humboldt freundschaftlich verbundene Ignaz von Olfers (1793-1872) hatte das Amt des Generaldirektors der königlichen Museen inne. Der am Schluß des Briefes erwähnte Heinrich Ernst Karl von Dechen (1800-1889) war als Geologe[4] gewissermaßen ein Kollege Humboldts. Dechen leitete das Oberbergamt in Bonn.

Humboldt teilte dem offenbar um eine Anstellung bemühten Briefempfänger in verbindlicher, aber durchaus bestimmter Form mit, daß er eigentlich nichts für ihn tun könne. Er hatte sich gerade längere Zeit mit dem königlichen Hof in Potsdam aufgehalten. So kann der etwas unvermittelte Hinweis auf die „Gräuel des Auspackens“ als zarter Hinweis des achtzigjährigen Gelehrten auf den dringenden Wunsch nach ein wenig Ruhe zu eigener Arbeit interpretiert werden.

Nun aber stellte sich die Frage nach dem Empfänger. Im Katalog der Sammlung wird ein Musiker namens Edmund Neumann genannt. Dieser lebte von 1819 bis 1873, kam also als Schützling Humboldts durchaus in Betracht. Aber es fanden sich keine weiteren Hinweise auf einen brieflichen oder persönlichen Kontakt mit dem Gelehrten. Andererseits ließen der persönliche Ton des Briefes – Humboldt bediente sich der von ihm wiederholt gebrauchten Sentenz von „Leben als Bedingungsgleichung“[5] – und vor allem der Hinweis auf die Eltern darauf schließen, daß wir es mit einem Bekannten Humboldts zu tun hatten, der gewiß mehr als nur einen Brief von ihm erhalten hatte. Die Suche nach einem „Neumann“ im Verzeichnis der Humboldt-Korrespondenten – es umfaßt gegenwärtig rund 2750 Namen – führte zu keinem Ergebnis. Aber unter „Naumann“ fanden sich gleich drei Korrespondenten, die sogar miteinander verwandt waren: (1) Karl Friedrich N. (1797-1873), Mineraloge, Professor in Freiberg und Leipzig; (2) Moritz Ernst Adolf N. (1798-1871), seit 1828 ordentlicher Professor der Medizin in Bonn, Bruder von Karl Friedrich N.; schließlich (3) Emil N. (1827-1888), Komponist und Musikschriftsteller, Sohn von Moritz Ernst Adolf N. und Schüler Felix Mendelssohn Bartholdys.

Wir erinnern uns: der Briefempfänger war ein junger Musiker, der offenbar eine Anstellung suchte. Emil Naumann war 1849 zweiundzwanzig Jahre alt. Humboldt ließ den Vater des Briefempfängers und den in Bonn wirkenden Dechen grüßen. Emil Naumanns Vater lebte ebenfalls in Bonn und war mit Humboldt bekannt. Aus dieser Reihe von Indizien ließ sich schon die Vermutung ableiten, daß Emil Naumann der Briefempfänger sein konnte.

Um diesen Verdacht zu erhärten, mußte nun die überlieferte Korrespondenz mit Emil Naumann durchgesehen und nach Erwähnungen seines Namens in Briefen an Dritte gesucht werden. Auch diese Recherche war erfolgreich. Tatsächlich sind sieben Briefe von Humboldt an Emil Naumann vor allem aus der Zeit um 1856 nachweisbar. Besonders aufschlußreich war jedoch ein Brief Humboldts an den Berliner Kaufmann, Publizisten und Amateurastronomen Wilhelm Beer (1797-1850) folgenden Inhalts:

„Potsdam, den 26 Oct[ober] 1849.

Ich hoffe mich übermorgen, Sonntags von hier frei machen zu können um Ihre verehrte Mutter und Ihre liebenswürdige Familie, Verehrter Freund, in der Villa[6] aufzusuchen. Ihre Frau Mutter und Sie haben mich dazu berechtigt. Ich bin dazu so unbescheiden von Ihnen die Gunst zu erbitten, einen Gast mitbringen zu dürfen. Ich wünsche Ihnen vorzustellen: einen jungen recht liebenswürdigen Componisten Emil Naumann, dessen Oratorium ‚Christus der Friedensbote’ in Dresden Beifall eingeerndtet hat und der (eine Gefahr!) der Enkel des berühmten Naumann ist. Man hat ihn mir von Bonn aus, wo sein Vater Professor der Medicin ist, dringend empfohlen. Sie sehen, wie sehr ich auf Ihre Güte rechne. Wenn Sie uns wollen, so schreiben Sie mir gütigst 2 Zeilen Sontag früh in mein Berliner Hauss und bestimmen gütigst Sie die Stunde, wann Sie speisen wollen. Ich muss mit der Eisenbahn um 7 Uhr zurük.

Mit alter Freundschaft
Ihr
AlHumboldt

[Anschrift:] Sr Hochwohlgeboren
Herrn Geheimen Rath
Wilhelm Beer
Heilige Geist Str. n. 4.

von Al Humboldt
durch Herrn Compositeur
Emil Naumann“[7]

Der in diesem Brief erwähnte Großvater Emil Naumanns war der Dresdner Komponist und Kapellmeister Johann Gottlieb Naumann (1741-1801)[8]. Mit seinem Schreiben führte Humboldt den jungen Musiker in die Familie Amalie Beers (1767-1854) ein. So brachte Humboldt seinen Schützling auch in die Nähe des gefeierten Komponisten Giacomo Meyerbeer (1791-1864), Wilhelm Beers Bruder, der zu den vertrauten Freunden Humboldts zu rechnen ist. Eine persönliche Begegnung der beiden Musiker konnte jedoch Ende 1849 noch nicht zustande kommen, denn Meyerbeer hielt sich zu dieser Zeit in Paris auf. Spätere Begegnungen sind allerdings belegt. In einem Brief Meyerbeers an seinen Freund, den Dresdner Bankier Carl Kaskel (1797-1874), vom 24. März 1850 lesen wir: „Es wird mir zur größten Freude gereichen, wenn ich Deinem Neffen Emil [Naumann] in irgend einer Beziehung nützlich und förderlich sein kann. Schreibe mir nur auf welche Weise dieses geschehen kann. Hier in Berlin ist zur Zeit keine musikalische Stelle vacant.“[9] Offenbar konnte zu diesem Zeitpunkt auch Meyerbeer dem jungen Emil Naumann nicht entscheidend weiterhelfen, obwohl er der Neffe eines seiner besten Freunde war. Die edierten Tagebücher Meyerbeers verzeichnen noch weitere Begegnungen. Allerdings fand sich für Naumann erst 1856 eine Stelle als Hof-Kirchenmusikdirektor in Berlin. Die meisten der erwähnten Briefe von Humboldt an den Musiker stammen aus dieser Zeit.

Den Naumannschen Kompositionen war schon zu Lebzeiten ihres Schöpfers kein überragender Erfolg beschieden. Aber seine Schriften „Die Tonkunst in der Kulturgeschichte“ (1869/1870), „Deutsche Tondichter“ (1871), „Italienische Tondichter“ (1876) und insbesondere sein Wirken als Lehrer am Dresdner Konservatorium machten ihn in der Fachwelt bekannt.

Nachdem diese Zusammenhänge ermittelt waren, bestand kein Zweifel mehr: der Humboldt-Brief in der Feuchtwanger-Sammlung war an Emil Naumann gerichtet. Wie kam aber der Name Edmund Neumann in den Katalog der Sammlung? Lion Feuchtwanger hatte den Brief kurz vor seinem Tode im Antiquariat J. A. Stargardt in Marburg erworben. Der Katalog Nr. 539 vom September 1858 verzeichnet das Schreiben unter der Los-Nr. 383 so:

„E.Br.m.U. Berlin 21. XII. 1849. 2 S. 8°. 48, – [DM]
An den Musiker Edmund Neumann. In Angelegenheit der Musik habe er auf König Friedrich Wilhelm IV. keinen Einfluß. ‚Meine Macht in den Tönen ist die, den König wenn, er es schon früher eigenwillig beschlossen hat, an dem Concerttage zu erinnern!! Alles ist auf das Freundlichste für Sie … gestimmt, aber das menschliche Leben ist … eine Bedingungsgleichung …‘

Vielleicht hatten die Katalogbearbeiter kurzerhand einen in Betracht kommenden Musiker mit Namen Neumann zum Briefempfänger erklärt. Möglicherweise hatte auch ein früherer Besitzer des Autographs angenommen, Edmund Neumann sei der Adressat.

Über das Schicksal des Briefes vor seiner Erwerbung durch Feuchtwanger wissen wir nichts. Auch über die Gesichtspunkte, nach denen gerade dieses Stück für die Sammlung ausgewählt wurde, können wir keine Auskunft geben. In der Kollektion finden sich Autographen von berühmten Schriftstellern und Dichtern, Komponisten und Musikern, Malern und Schauspielern, Philosophen und Historikern, Naturforschern und nicht zuletzt von gekrönten Häuptern. Da kann es nicht wunder nehmen, daß auch Alexander von Humboldt vertreten sein sollte.

Der Ertrag der inhaltlichen Untersuchung des Humboldt-Briefes, der schließlich seinen Weg in die Sammlung Lion Feuchtwangers fand, ist trotz der offen gebliebenen Fragen nicht unbedeutend. Durch die Recherche konnte der Brief einem Adressaten zweifelsfrei zugeordnet werden. Dabei kamen auch, insbesondere durch den bisher unpublizierten Brief Humboldts an Wilhelm Beer, neue Details über Humboldts schier unermeßliche Fördertätigkeit in einem Netz von Freunden und Bekannten ans Licht.



[2] Es sollte wohl heißen: … diesen Freitag Morgen Ihren Brief, …

[3] Courtesy of University of Southern California, on behalf of the USC Specialized Libraries and Archival Collections, Feuchtwanger Memorial Library.

[4] Ihm verdankt man die vulkanologische Erforschung der Eifel; vgl. Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 4. Stuttgart und Augsburg 1858, S. 518. (Dankenswerter Hinweis von Herbert Pieper.)

[5] Vgl. Briefe von Alexander von Humboldt an Christian Carl Josias Bunsen. Neu ediert von Ingo Schwarz. Berlin 2006, S. 43-44; Biermann, Kurt-R. (Hrsg.): Briefwechsel zwischen Alexander von Humboldt und Heinrich Christian Schumacher. Berlin 1979, S. 67 (Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung. Bd. 6); Pieper, Herbert: Netzwerk des Wissens und Diplomatie des Wohltuns. Berliner Mathematiker, gefördert von A. v. Humboldt und C. F. Gauß. Leipzig 2004, S. 105.

[6] Über die Villa vgl.: Becker, Heinz: Die Beer’sche Villa im Tiergarten. In: Berlin in Geschichte und Gegenwart. Jahrbuch des Landesarchivs Berlin 1990. Berlin 1990, S. 61-86.

[7] Handschrift: Frankfurt am Main, Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Handschriftenabteilung, Autogr. A. v. Humboldt. Die Wiedergabe des Briefes erfolgt mit der freundlichen Genehmigung der Bibliothek.

[9] Meyerbeer, Giacomo: Briefwechsel und Tagebücher. Hrsg. und kommentiert von Sabine Henze-Döhring unter Mitarbeit von Hans Möller. Bd. 5: 1849-1852. Berlin, New York 1999, S. 189; siehe auch den Kommentar zu diesem Brief S. 834-835.

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Letzte Aktualisierung: 12 Januar 2007 | Kraft

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