Gespiegelte Fassung der elektronischen Zeitschrift auf dem Publikationsserver der Universität Potsdam, Stand: 18. August 2009 |
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Jörn Thiede
Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, BremerhavenRussisch-Deutsche Zusammenarbeit
in Erforschung und Erschließung Nordsibiriens seit den Tagen von Alexander von Humboldt2. Von den heroischen zu den modernen Zeiten: Die Erschließung Nordost-Sibiriens
Humboldts Reise war bei weitem nicht der erste Versuch deutscher Forscher, zur wissenschaftlichen Erschließung des damals nur unter schwierigsten Bedingungen erreichbaren und über weite Gebiete hinweg unerschlossenen riesigen Naturraumes Zentral- und Nordsibirien beizutragen. Durch die engen Verbindungen deutscher Forscher mit den aufstrebenden akademischen Einrichtungen im russischen Zarenreich, die auch durch die dynastischen Verflechtungen der herrschenden Familie mit zahlreichen deutschen Adelshäusern gefördert wurden, entwickelte sich bereits im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch die Berufung deutscher oder deutschstämmiger Gelehrter an die jungen russischen Universitäten und an die Akademie, vor allem in St. Petersburg, ein reger Austausch zwischen den wissenschaftlichen Sphären beider Länder, über die Wissenschaftshistoriker berufener und qualifizierter berichten können als der Autor dieses kurzen Berichts.
Stellvertretend für viele andere Professoren und wissenschaftlichen Forschungsreisenden für die Zeit vor A. von Humboldt sollen hier die Namen Gmelin, Pallas und Steller genannt werden, deren Namen auch heute noch in Gemälden und Archiven der Akademie, der wissenschaftlichen Einrichtungen in St. Petersburg, aber auch in weit entfernt liegenden Institutionen in Jakutsk und Irkutsk verewigt sind. Erinnerungen an sie und ihre Leistungen haben 70 Jahre Sowjetunion überlebt. Reisen östlich des Urals war damals aufwendig und gefährlich und oft nur unter Einsatz des eigenen Lebens möglich. Die aufsehenserregendste und wissenschaftlich ergiebigste Forschungsreise mit deutscher Teilnahme war in dieser Zeit die „Große Nordische Expedition“, die mit großem logistischen Aufwand, aber auch entsetzlichen Verlusten die nördlichsten (Lena-Delta) und östlichsten Teile (Ochotskisches Meer und Kamschatka) erreichte. Wegen unzureichender ernährungsphysiologischer Kenntnisse brach damals Skorbut aus und als der Lena-Mündungsbereich im Winter 1736/37 von einer Abordnung der „Großen Nordischen Expedition“ untersucht wurde, vermelden die Expeditionsberichte, daß im Januar sieben, im Februar und März zwölf sowie im April 1737 drei Teilnehmer an Skorbut starben. Steller selber führte gewissenhaft Buch über die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Entdeckungen der Expedition; er starb aber selber während der Rückreise. Im Namen der „Stellerschen Seekuh“ (inzwischen ausgestorben) werden sein Name und die Erinnerung an die Leistungen dieser Forschungsreise für die Zukunft bewahrt.
Alexander von Humboldt hatte schon einige Jahre mit russischen Behörden und Forschungseinrichtungen korrespondiert, bis er 1829 auf Einladung der zaristischen Regierung (vor allem Finanzminister Cancrin) und von diesem mit großzügigen finanziellen Mitteln ausgestattet über St. Petersburg in den Ural und nach Sibirien reisen konnte. Seine Forschungsreise (zeitweise in Begleitung des Mineralogen Rose) war vor allem der bergmännischen Untersuchung von Gold- und Platinlagerstätten, naturwissenschaftlichen Beobachtungen (Astronomie, Magnetik) und der Anlage naturwissenschaftlicher Sammlungen (Botanik, Geologie, Mineralogie) gewidmet. Die („versprochene“, s.o.) Entdeckung von Diamantenvorkommen im Ural (Bericht 5. Juli 1829) legt Zeugnis ab von der großen wissenschaftlichen Sorgfalt, aber auch der Erfahrung und dem Weitblick dieses weltberühmten deutschen wissenschaftlichen Forschungsreisenden, dessen Sibirienreise erfolgreich im selben Jahre über St. Petersburg abgeschlossen werden konnte und seine letzte Forschungsreise war. Er hat sich danach noch viele Jahre wissenschaftlichen Tätigkeiten und Korrespondenz gewidmet, die Erstellung der Sibirien-Berichte aber hauptsächlich seinen begleitenden Wissenschaftlern überlassen.
Russischer und deutscher Titel des Berichtes der Lena-Expedition, die zur ganzjährigen Erhebung geophysikalischer Daten während des von Georg von Neumayer initiierten 1. Internationalen Polarjahres (1882-1883) durchgeführt wurde.
Der Einfluß deutscher oder deutschstämmiger (z. T. aus dem Baltikum) Wissenschaftler riß nach Humboldt und nach dem Zusammenbruch des Zarenreiches nicht ab. Beispielhaft sollen die Namen von Middendorf und Brehm genannt werden. Von Behr schrieb das erste Buch über Phänomene des Permafrostes, und während des ersten Internationalen Polarjahres (IPY, initiiert von Georg von Neumayer) 1882/83 wurde eine russische Überwinterungsstation zur Gewinnung geophysikalischer Messungen im Lena-Delta eingerichtet (
Abb.1), die von A. Aigner, Dr. A. Bunge und N. Jürgens besetzt war (
Abb. 2). (Baron) Hans von Toll erkundete auf der „Sarja“ das Laptev-Meer, er selbst verscholl nach einem Besuch der Bennett-Insel Anfang des 20. Jahrhunderts. Schließlich entstammte in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts der Direktor des Polarforschungsinstitutes in St. Petersburg, das später in dem heute existierenden staatlichen Arktis-Antarktis Forschungsinstitut (
AARI) von Roshydromet einer deutschen Familie, die allerdings schon seit längerer Zeit in Rußland naturalisiert worden war.
Wissenschaftliche Teilnehmer der Lena-Expedition (aus dem Expeditionsbericht): A. Eigner, Dr. A. Bunge und N. Jürgens.
Sowjetische Ozeanographen (z. B. N. Knipowitsch) waren nach dem 1. Weltkrieg Mitglieder im ICES (International Council for the Exploration of the Sea) und konnten daher auch internationale Kooperationen eingehen, z. B. mit deutschen Ozeanographen (z. B. C. Heinrici und andere); und eine enge Zusammenarbeit entwickelte sich in der Erforschung des nördlichen Barents-Meeres; die meisten gewonnenen Daten aus dieser Zeit blieben jedoch unpubliziert und die Zusammenarbeit wurde aus politischen Gründen wenig später eingestellt (Lajus 2005).
In den Jahren nach dem 2. Weltkrieg entwickelten sich enge Kooperationen zwischen den wissenschaftlichen Einrichtungen der DDR auf dem Gebiet der Meeresforschung (z. B. auf dem Gebiet der Erkundung nicht-lebender Rohstoffe) und der Antarktisforschung, aber es kann keine Fokussierung auf Zentral- und Nordsibirien sowie den angrenzenden Arktischen Ozean/die sibirischen Randmeere erkannt werden. Aus politischen Gründen waren die meisten dieser Gebiete damals auch für die Forscher der westdeutschen Bundesrepublik Deutschland gesperrt.
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