Gespiegelte Fassung der elektronischen Zeitschrift auf dem Publikationsserver der Universität Potsdam, Stand: 18. August 2009
Originalfassung zugänglich unter http://www.hin-online.de

H i N

Alexander von
HUMBOLDT im NETZ

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HiN                                                     I, 1 (2000)
 
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Ottmar Ette: Unterwegs zu Weltbewußtsein
Alexander von Humboldts Wissenschaftsverständnis
und die Entstehung einer ethisch fundierten Weltanschauung

 

Offene Räume

Der Name Alexander von Humboldts mag in diesen Diskussionen eigentümlich deplaziert scheinen. Weder Jürgen Habermas noch Hans Küng, weder Stephen Toulmin noch Otfried Höffe (11) beziehen sich auf den Verfasser der Ansichten der Natur. Weder die zeitweise hitzig geführten Debatten um Moderne und Postmoderne - die noch in Küngs Äußerungen zur »postmodernen Beliebigkeit« nachklingen - noch in den Diskussionen um Fragestellungen und Theoriebildungen der Interkulturalität, weder in den aktuellen Erörterungen um Global Citizenship und Cosmopolitan Democracy noch beim Entwurf einer planetarischen Ethik fällt sein Name. Und doch, so scheint mir, läßt sich Moderne und das, was wir heute darunter verstehen, nicht länger begreifen, ohne Alexander von Humboldts Denken an herausgehobener Stelle miteinzubeziehen.(12) Mit dem Verfasser der Reise in die Äquinoktial-Gegenden des Neuen Kontinents eröffnet sich uns der Blick nicht allein auf die Verschiedenheit der Moderne, sondern mehr noch auf die Entstehung verschiedener Modernen, die Humboldt freilich ganz in der Tradition des 18. Jahrhunderts von Europa aus dachte. Dies hinderte ihn nicht daran, im stets weltweiten Vergleich Entwicklungen zu konstatieren, die das seltsam homogene Habermassche Projekt der Moderne als das Projekt einer europäischen Moderne zeigen, die sich noch immer ihrer weltweiten Durchschlagskraft und ihrer vermeintlich universalen Gültigkeit sicher zu sein scheint. Mit Humboldt hat an der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert eine Entprovinzialisierung des deutschen Denkens aus der Erfahrung außereuropäischer Wirklichkeiten stattgefunden, die seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht zuletzt nationalistisch verschüttet und auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch immer nicht entscheidend freigelegt werden konnte (13). Diese »Verdrängung« Alexander von Humboldts hat bis heute ebenso in den Debatten um die Moderne wie in den davon nicht zu trennenden Diskussionen um Globalisierungsprozesse negative Folgen gezeitigt: Sie verstellte unseren Blick auf Außereuropa nicht weniger als den auf die Geschichte des europäischen Denkens als europäischem Denken.

Auch Humboldt hegte im übrigen Hoffnungen und Erwartungen, die sich nicht nur auf das kommende Jahrhundert, sondern mehr noch auf das kommende Jahrtausend richteten. So schrieb er am 17. Mai 1837 an seinen Freund und literarischen Ratgeber Varnhagen von Ense im Bewußtsein, daß sich die Geschichtsschreibung "angesichts der Fülle des Materials, das neu eröffnete Quellen von allen Völkern her" zuführe (14):

Einfacher wird sich alles im nächsten Jahrtausend gestalten. [...] Seit der großen Epoche von Columbus und Gama, seitdem ein Theil, eine Seite des Planeten, der andern kund ward, hat das bewegliche Element, das Meer, gleichsam die Allgegenwart einer Gattung der Civilisation (der westeuropäischen) möglich gemacht. Von allen Konturen des Starren aus dringen andre Sitte, andrer Glaube, anderes Lebensbedürfniß auch in die ungegliedertsten Ländermassen ein. Die Südsee-Inseln sind ja schon protestantische Kirchspiele; eine schwimmende Batterie, ein einziges Kriegsschiff verändert das Schicksal von Chili...(15)

Die Erwartungen und Prophezeiungen Alexander von Humboldts an das nächste Jahrtausend, an dessen Beginn wir heute stehen, richten sich vor dem Hintergrund einer ständig sich verstärkenden Expansion der damals zu Recht als westeuropäisch bezeichneten "Civilisation" im kulturellen, religiösen, wirtschaftlichen wie militärischen Sinne auf eine rasche Homogenisierung des gesamten Planeten, eine also von der sogenannten Alten Welt ausgehenden Prozeß zunehmender Uniformisierung der Welt, den wir durchaus auch als Europäisierung bezeichnen dürfen. Mag sein, daß Humboldt in dieser von ihm beobachteten und in die Zukunft verlängerten Entwicklung deutlich mehr Chancen als Gefahren erkannte: Unkritisch aber blieb sein Blick nicht. Als Beginn dieses (nicht nur für ihn) letztlich unaufhaltsamen Prozesses gab Humboldt die Entdeckungsfahrten der iberischen (in diesem Sinne westeuropäischen) Mächte und an erster Stelle Columbus an, ein geschichtlicher Prozeß, in den sich Alexander selbst - den man nicht von ungefähr als »zweiten Columbus« bezeichnete - eingebunden wußte und diese Einbindung auch in seinem gesamten Werk betonte (16).

Aus heutiger Sicht dürfen wir diesen historischen Einschnitt im Verbund mit weiteren Faktoren als den eigentlichen Beginn der Neuzeit apostrophieren, deren andauernder, wenn auch in Schüben verlaufender Expansionsprozeß seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts eine nachhaltige Beschleunigung erfuhr, an der Alexander von Humboldts Werk selbst in vielfältiger Weise Anteil hatte. Diese Beschleunigung der zunächst ausschließlich von der Alten Welt gesteuerten politischen und militärischen, vor allem aber auch wirtschaftlichen und kulturellen Durchdringungsprozesse unseres Planeten ist mit der Entstehung der europäischen Moderne, aber auch aller anderen peripheren und divergierenden Modernen auf fundamentale Weise verknüpft. Und doch wissen wir heute, daß dieser Prozeß, der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine neue Qualität erhielt und dank des Siegeszuges der elektronischen Medien eine ungeheure Wirkmächtigkeit entfaltete, keineswegs allein - wie auch nach Humboldt bis in unsere Zeit so häufig prognostiziert - zu einer Homogenisierung der Räume weltweit geführt hat. Nationbildungsprozesse haben im globalen Maßstab dazu geführt, daß sich die Zahl unabhängiger Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg nahezu vervierfacht hat, ein Prozeß, der nicht nur ein Ergebnis der Entkolonialisierung ist, sondern auch in Europa selbst beständig und mit immer stärkerer Virulenz und Gewaltanwendung fortzuschreiten scheint. Der leicht beobachtbaren Ent-Differenzierung kultureller und ökonomischer, aber auch sozialer und politischer Phänomene steht eine zunehmend ins Bewußtsein tretende neue Differenzierung von Räumen entgegen, insoweit die nun enger und direkter als je miteinander vernetzten Regionen auf der Basis ihrer eigenen geschichtlichen, religiösen oder gesellschaftlichen Entwicklungen spezifische Formen interkultureller Aneignung und Ausdifferenzierung entfalten. Längst sind auch die großen Städte unseres Planeten mit einer Ideologie des Schmelztiegels nicht mehr zu begreifen oder zu beherrschen. Die Welt ist nicht einfacher und schon gar nicht einförmiger geworden. Humboldts Prognose, derzufolge sich im nächsten, also dem mittlerweile angebrochenen dritten Jahrtausend alles »einfacher gestalten« werde erweist sich aus heutiger Sicht geradezu als naiv, eine Naivität freilich, die sie ihrem schon wenige Jahrzehnte später historisch gewordenen geokulturellen Kontext und dem verbreiteten Vertrauen in eine homogenisierende Wirkung von Weltverkehr und Welthandel verdankte. Die Dynamik der Entstehung neuer Partikularismen ließ sie dabei ebenso außer Acht wie die Fähigkeit von Kulturen, durch ständige kreative Aneignungsprozesse die Formen einer internationalisierten Kultur ihrerseits einem kreativen Veränderungsdruck zu unterwerfen. Nein, die Weltgeschichte ist noch lange nicht an ihr Ende gekommen, vielleicht auch, weil sich partikulare Geschichten nach einer Implosion der Spaltung in antagonistische Blöcke deutlich mehr Gehör verschafften. Weder die Globalisierung von oben mit ihren weltweiten Strömen eines internationalisierten Kapitals noch die Globalisierung von unten mit ihren nicht weniger weltweiten Migrationen schutz- und arbeitsuchender Menschen, weder die touristische Globalisierung mit ihrer Zoologisierung des Anderen noch eine transversale Globalisierung mit ihren weltweiten Strömen kulturellen und wissenschaftlichen Kapitals haben zu einer homogenen Welt oder auch nur zu einer gleichmäßigeren Verteilung gesellschaftlichen und symbolischen Reichtums geführt. Die Welt ist vielleicht nicht - wie Clifford Geertz formulierte - gesplittert und »in Stücke« zerbrochen, wohl aber in noch immer grundverschiedene, zunehmend interdependente und in ihren Differenzen globalisierte Welten unterteilt, deren vielleicht plastischstes und symbolträchtigstes Bild die vielfach gebrochene Artikulation der Riesenstädte unserer Erde darstellt.

Alexander von Humboldt hat die Eigendynamik kultureller Prozesse innerhalb eines zunehmend sich globalisierenden Erfahrungshorizonts zweifellos beträchtlich unterschätzt. Und dennoch: Sein entprovinzialisierendes und darum gerade nicht enthistorisierendes Denken blieb sich der eigenen räumlichen wie zeitlichen Kontexte bewußt. Er formulierte dieses Bewußtsein gerne auch mit spitzer Zunge, derentwegen man ihn ihn Berlin, Potsdam oder auch Paris nicht selten fürchtete. Neben vielen anderen Zeugnissen mag dies der Briefwechsel mit Varnhagen selbst belegen, heißt es mit Blick auf Frankreich im soeben angeführten Brief von 1837 doch nur wenige Zeilen später:

Glücklicherweise ist man in der großen französischen Welt ganz von der kleinlichen Moquerie und Tadelsucht frei, die in Berlin und Potsdam herrscht, wo man Monate lang gedankenleer an einem selbstgeschaffenen Zerrbilde matter Einbildungskraft naget.(17)

Die eigene Welt war für Humboldt ohne die anderen Welten nicht zu denken. Erst durch den Kontrast, erst durch den Vergleich wird das Eigene erkennbar und das Andere im Eigenen denkbar. Der Andere ist, um es mit den auf ihre eigene Dichtung bezogenen Worten der Lyrikerin Emma Kann zu sagen,

eine Herausforderung für mich als Gegenspieler und als mögliche Erweiterung und Bereicherung meiner Erfahrungswelt. Das Verhältnis zu ihm kann fruchtbar werden. Er ist das große Rätsel, das ich zu lösen versuche, um auch in meinem eigenen Ich-Sein vorwärts zu kommen. Wie ich ist auch er ein Teil des umgreifenden Ganzen. Daher besteht eine sehr entfernte Verwandtschaft zu ihm.(18)

Diese Herausforderung durch den nicht touristisch folklorisierten und zoologisierten Anderen, durch das in seiner kulturellen Vielfalt wahrgenommene Andere wirkte für Humboldt gerade im Bereich des Denkens, etwa auf dem Gebiet der Philosophie, stets fruchtbar. Kaum zwei Wochen später, am 30. Mai 1837, gestand der Naturforscher und Schriftsteller, der in Berlin bei Hegel Vorlesungen hörte, seinem Freund Varnhagen von Ense:

Hegel's geschichtliche Studien werden mich besonders interessiren, weil ich bisher ein wildes Vorurtheil gegen die Ansicht hege, daß die Völker, ein jedes, etwas repräsentiren müssen; daß alles geschehen sei, »damit erfüllet werde« was der Philosoph verheißt. Ich werde aufmerksam lesen, und gern von meinem Vorurtheile zurückkommen.(19)

Die Humboldtsche Kritik an Hegel, die in vielerlei Hinsicht repräsentativ für seine eigene Vorgehensweise ist, zielt nicht nur auf die mangelnde empirische Basis verabsolutierter Behauptungen sowie auf den Mangel an eigener Welt-Erfahrung, die Humboldt nicht nur gegen Hegel, sondern auch gegen Buffon, Raynal, Kant, Schelling und viele andere Philosophen ins Feld hätte führen können und tatsächlich auch führte; sie zielte auch auf die Systemhaftigkeit und immanente Teleologie philosophischer wie wissenschaftlicher Systeme überhaupt. Nicht die »Einpassung« vorhandenen Materials in vorgefertigte Denksysteme, sondern die beständige Beziehung zwischen Analyse und Synthese, zwischen Datensammlung und Generalisierung, zwischen partikulärer Beobachtung und stets vorläufig bleibender Schlußfolgerung, die immer auf einer vergleichenden Vorgehensweise basierte, bildeten die Grundlage für die Humboldtsche Wissenschaft.

Die Humboldtian Science kann weder auf die konkrete Feldforschung noch auf das Archiv verzichten; sie beruht auf der Anhäufung eines immensen Datenmaterials, doch bleibt sie bei diesem nicht stehen. Die im Verlauf der letzten Jahre zunehmend privilegierte Metapher des Netzwerks wird ihr dann gerecht, wenn dieses als ein Netzwerk in ständiger Bewegung begriffen wird. Die Humboldtsche Wissenschaft bleibt nicht auf einzelne Disziplinen beschränkt, fühlt sich nicht an disziplinäre Grenzen gebunden, sondern ist transdisziplinär in dem Sinne, daß sie sich gleichsam nomadisierend zwischen den unterschiedlichsten akademisch verankerten oder noch nicht institutionalisierten Wissensgebieten bewegt. Sein Wissen ist gerade kein Allgemeinwissen, auch wenn es später vom Bildungsbürgertum als solches genutzt und geplündert wurde. Alexander von Humboldt hat sich darauf spezialisiert, vielfältig spezialisiert zu sein. Seine eigentliche Spezialisierung ist daher der Vergleich.

Die Humboldtian Science ist darüber hinaus interkulturell, insoweit sie von der eigenen, abendländischen Kultur ausgehend Kontakte zu den verschiedensten Kulturen der Welt sucht, ohne freilich vom für sie maßgeblichen Meridian der okzidentalen Kulturentwicklung abzurücken. Vergleiche und Beschäftigungen mit den unterschiedlichsten Kulturen verwandeln Alexander von Humboldts Werke in eine Art Panorama der Kulturen der Welt, dessen Blickpunkt in Europa selbst verankert bleibt. Transkulturelle Beziehungen, so scheint mir, waren für Humboldt keineswegs grundsätzlich ausgeschlossen; in seiner Lebenspraxis sind derartige Beziehungen der Transkulturalität, die nicht mehr von einem unverrückbaren Zentrum des eigenen ausgehen, sondern mehrpolig zwischen verschiedenen Kulturen »wandern«, allerdings nur innerhalb des abendländischen Kontexts realisierbar. Nicht zu Unrecht konnte behauptet werden, daß Alexander von Humboldt selbst in Preußen als Franzose erschien, während sein Bruder Wilhelm - der Europa bekanntlich nie verließ - auch im Ausland stets als Preuße auftrat. Vielleicht zeigt uns dieser gegensätzliche Habitus vor allem, wie sehr die auf den ersten Blick so ungleichen Brüder die beiden Seiten der Medaille eines okzidentalen universalistischen Denkens bilden.

Wie dem auch sei: Der Lebensstil Alexander von Humboldts war - zumindest innerhalb der westeuropäischen "Civilisation" - auf kulturelle Mehrpoligkeit angelegt; für seinen Denkstil wie seinen Wissenschaftsstil ließe sich mit Sicherheit dasselbe sagen. Nicht nur Humboldts Denken, sondern auch sein Wissenschaftsbegriff waren auf immer neue Erweiterungen hin angelegt; sie waren nicht nur weltläufig und weltmännisch, sondern im Sinne jenes neuen Kosmopolitismus, der jenseits klarer Grenzziehungen offene Räume für andere Kulturen und Kulturen des Anderen bereithält, zutiefst weltbürgerlich ausgerichtet (20).

 

Anmerkungen:

(11) Toulmin, Stephen: Kosmopolis. Die unerkannten Aufgaben der Moderne. Übersetzt von Hermann Vetter. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1994; Höffe, Otfried: Demokratie im Zeitalter der Globalisierung. München: Beck 1999 (dort wird zwar Wilhelm, nicht aber Alexander von Humboldt zumindest einer Erwähnung für würdig befunden).

(12) Vgl. hierzu Verf.: Alexander von Humboldt und das Projekt der Moderne. In: Ette, Ottmar / Bernecker, Walther L. (Hg.): Ansichten Amerikas. Neuere Studien zu Alexander von Humboldt. Frankfurt am Main: Vervuert 2000, S. 9-18.

(13) Vgl. hierzu Ette, Ottmar: Alexander von Humboldt heute. In: Alexander von Humboldt - Netzwerke des Wissens. Katalog der Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt (Berlin) vom 6. Juni bis 15. August 1999 und in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (Bonn) vom 15. September 1999 bis 9. Januar 2000. Bonn: Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland 1999, S. 19-31.

(14) Briefe von Alexander von Humboldt an Varnhagen von Ense aus den Jahren 1827 bis 1858. Nebst Auszügen aus Varnhagen's Tagebüchern und Briefen von Varnhagen und Andern an Humboldt. Hg. von Ludmilla Assing. Leipzig: F.A. Brockhaus 1860, S. 41.

(15) Ebda.

(16) Vgl. hierzu Ette, Ottmar: Entdecker über Entdecker: Alexander von Humboldt, Cristóbal Colón und die Wiederentdeckung Amerikas. In: Heydenreich, Titus (Hg.): Columbus zwischen zwei Welten. Historische und literarische Wertungen aus fünf Jahrhunderten. Bd. I. Frankfurt am Main: Vervuert 1992, S. 401-439.

(17) Briefe von Alexander von Humboldt an Varnhagen von Ense, a.a.O., S. 42.

(18) Kann, Emma: Das »Ich«, das »Du« und der »Andere«. In: Mnemosyne (Klagenfurt) 24 (1998), S. 10 f.

(19) Briefe Alexander von Humboldts an Varnhagen von Ense, a.a.O., S. 43. Bereits am 1. Juli 1837 aber meldete Humboldt in der für ihn typischen ironischen Diktion an Varnhagen: "Ein Wald von Ideen ist freilich für mich in jenem Hegel, dem Gaus so meisterhaft den Karakter seiner großen Individualität gelassen hat, aber für einen Menschen, der, wie ich, insektenartig an den Boden und seine Naturverschiedenheit gebannt ist, wird ein absolutes Behaupten rein falscher Thatsachen und Ansichten über Amerika und die indische Welt freiheitraubend und beängstigend. Dabei verkenne ich alles das Großartige nicht." (ebda., S. 44). In einer kurzen Nachschrift kann sich Humboldt doch nicht ganz des offenen Spotts enthalten: "Mein Leben habe ich recht schlecht eingerichtet, ich thue alles um recht früh stupide zu werden. Ich hätte gern »Verzicht auf das europäische Rindfleisch,« das Hegel S. 77 so viel besser als das amerikanische fabelt, und lebte neben den schwachen kraftlosen (leider 25 Fuß langen) Krokodilen." (ebda., S. 44 f) Diese auf die im 18. Jahrhundert von Buffon, de Pauw, Raynal und vielen anderen und von Hegel fortgeführte Degenerationsthese, die alles in Amerika als kränklich und schwächlich ansah, zielende Bemerkung Humboldts ist übrigens in neuerer Zeit - nicht ohne eine leichte Verfälschung des Zitats - zum Gegenstand einer künstlerischen Installation geworden. Eine photographische Wiedergabe der 25 Fuß langen Installation »El cocodrilo de Humboldt no es el cocodrilo de Hegel« (Das Krokodil Humboldts ist nicht das Krokodil Hegels) des kolumbianischen Künstlers José Alejandro Restrepo findet sich in der Alexander von Humboldt gewidmeten schönen Sondernummer der Zeitschrift Humboldt (Bonn) 126 (1999), S. 16 f.

(20) Vgl. hierzu Verf.: Der Wissenschaftler als Weltbürger. Alexander von Humboldt auf dem Weg zur Kosmopolitik. In: Ette, Ottmar / Bernecker, Walther L.: Ansichten Amerikas. Neuere Studien über Alexander von Humboldt, a.a.O. S. 231-262.

 

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