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Am 24. Mai 2002 verstarb der Alexander-von-Humboldt-Forscher Kurt-R. Biermann nach kurzer, schwerer Krankheit. Am 5. Dezember 1919 in Bernburg an der Saale geboren, konnte Biermann seine wissenschaftliche Laufbahn nach Krieg und Gefangenschaft erst als Mittdreißiger beginnen. Im Zentrum seiner Forschungstätigkeit stand die Arbeit in der Alexander-von-Humboldt-Forschungsstelle der Berliner Akademie der Wissenschaften, an deren Aufbau er maßgeblich beteiligt war und die er von 1969 bis 1984 leitete. Hier setzte Biermann durch die Veröffentlichung der Briefwechsel Alexander von Humboldts mit dem Mathematiker Carl Friedrich Gauß, dem Astronomen Heinrich Christian Schumacher, um nur zwei Beispiele zu nennen, Maßstäbe für die quellenkritische personen- und werkbezogene wissenschaftshistorische Arbeit. Auch als Emeritus blieb er der Forschungsstelle eng verbunden. Bis 1996 wirkte er in der Alexander-von-Humboldt-Kommission der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Viele seiner späten Aufsätze verfaßte er mit Co-Autoren, denen er in der praktischen Arbeit seine Förderung angedeihen ließ. Mehrfach wurde Biermann als Tutor wirksam, darunter auch für Stipendiaten der Alexander von Humboldt-Stiftung. Biermann erwarb sich auch einen internationalen Ruf als Mathematikhistoriker. Sein Buch über die „Mathematik und ihre Dozenten an der Berliner Universität 1810-1933“ (2. Aufl. 1988) gilt heute als Standardwerk und trug ihm die Bezeichnung „father of historiography of Berlin mathematics“ (1998) ein. Unter den Ehrungen, die Biermann für seine herausragenden Leistungen erfuhr, ist die 1971 erfolgte Wahl zum Membre effectif de l’Académie internationale d’histoire des sciences hervorzuheben. Von 1989 bis 1993 war er Vizepräsident dieser Akademie. Im Jahre 1972 wählte ihn auch die Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina zu ihrem Mitglied und 1991 ernannte ihn die Gauß-Gesellschaft in Göttingen zu ihrem Ehrenmitglied. Zu verschiedenen Anlässen widmeten ihm Kollegen und Schüler Festschriften und publizierten Bibliographien seiner Arbeiten. Die 2002 in 5., ergänzter Auflage erschienene Zusammenstellung der Veröffentlichungen Kurt-R. Biermanns (Berliner Manuskripte zur Alexander von Humboldt-Forschung, H. 9) verzeichnet 22 Monographien, Sammelbände und Editionen sowie 287 Aufsätze. Eine annotierte Bibliographie, die das Gesamtwerk dieses großen Forschers erschließt, wird bis zum Ende des Jahres 2002 fertiggestellt. Zu seinem fünfundsiebzigsten und seinem achtzigsten Geburtstag veröffentlichten die Mitteilungen der Alexander von Humboldt-Stiftung ausführliche Würdigungen des wissenschaftlichen Werkes von Kurt-R. Biermann (Nr. 65, Juli 1995, S. 82-83; Nr. 74, Dezember 1999, S. 87-88).
Inhalt:
- Kristian Köchy: Das Ganze der Natur – Alexander von Humboldt und das romantische Forschungsprogramm
- Gerhard Kortum: „Alexander von Humboldt“ als Name für Forschungsschiffe vor dem Hintergrund seiner meereskundlichen Arbeiten
- Ulrike Leitner: „Anciennes folies neptuniennes!“ Über das wiedergefundene „Journal du Mexique à Veracruz“ aus den mexikanischen Reisetagebüchern A. v. Humboldts
- Oliver Lubrich: „Egipcios por doquier“. Alejandro de Humboldt y su visión ‘orientalista’ de América
- Jose Alberto Navas Sierra: Humboldt y el ‘Área de Libre Comercio de las Américas (ALCA)’ – Un ejercicio de ‘ciencia humboldtiana
- Miguel Ángel Puig-Samper und Sandra Rebok: Un sabio en la meseta. El viaje de Alejandro de Humboldt a España en 1799
- Ingo Schwarz: Nachruf – Zur Erinnerung an Kurt-R. Biermann
Die Entstehungsgeschichte des bekannten Aufrufs Alexander von Humboldts von 1836, der zur weltweiten Errichtung geomagnetischer Beobachtungsstationen geführt hat, erfährt hier an Hand teilweise unveröffentlichter Briefe Humboldts an Astronomen insofern eine neue Beleuchtung, als gezeigt wird, daß seine endgültige Gestaltung zu einer ernsten Belastungsprobe des Verhältnisses Humboldts zu C. F. Gauß geführt hat. Zugleich werden neue Eindrücke von der Denk- und Arbeitsweise der beiden großen Forscher vermittelt.
- Anne Jobst: Ein Brief von Alexander von Humboldt an Christian Gottfried Ehrenberg vor der Russischen Reise
- Eberhard Knobloch: Einführung
- Christian Suckow: Humboldt und Rußland. Thesen zu Biographie und Werk
- Jörn Thiede: Russisch-Deutsche Zusammenarbeit in Erforschung und Erschließung Nordsibiriens seit den Tagen von Alexander von Humboldt
- Alexander Zemtsov: Alexander von Humboldt’s ideas on volcanism and their influence on Russian scientists
- Krzysztof Zielnica: Karolina Jaenisch-Pavlova, Adam Mickiewicz und Alexander von Humboldt. Ein Beitrag zu den deutsch-russisch-polnischen Literaturbeziehungen des 19. Jahrhunderts
- Sandra Rebok: Alexander von Humboldt: Biblioteca digital
- Michael Zeuske: Alexander von Humboldt y la comparación de las esclavitudes en las Américas
- Kurt-R. Biermann: Aus der Vorgeschichte der Aufforderung Alexander von Humboldts von 1836 an den Präsidenten der Royal Society zur Errichtung geomagnetischer Stationen (Dokumente zu den Beziehungen zwischen A. v. Humboldt und C. F. Gauß)
Wegen seiner riesigen Ausdehnung hat Russland bei der wissenschaftlichen Erforschung des Erdmagnetismus bereits im 18. Jahrhundert und erst recht im 19. Jahrhundert eine herausragende Rolle gespielt. Alexander von Humboldts Engagement auf dem Gebiet des Erdmagnetismus, sein organisatorisches und diplomatisches Geschick verhalfen dazu, dass man sich international und vielerorts dem Phänomen des Erdmagnetismus zuwandte. Carl Friedrich Gauß stellte dessen Erforschung in der relativ kurzen Zeit zwischen 1833 und 1839 auf ein ganz neues wissenschaftliches Fundament. Die Pläne Humboldts, die Erde möglichst global physikalisch zu erforschen, und die Pläne von Gauß, die erdmagnetischen Forschungen zentral zu koordinieren, gipfelten 1849 in der Gründung des Physikalischen Hauptobservatoriums in St. Petersburg, das zu jener Zeit eine absolut neuartige Institution darstellte – es war der Erforschung der neuen Disziplin Geophysik gewidmet. An der Spitze dieser Institution stand der russische Physiker Adolph Theodor Kupffer, Mitarbeiter und Kollege sowohl von Humboldt als auch von Gauß.
Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß als Wegbereiter der neuen Disziplin Erdmagnetismus
(2011)
Alexander von Humboldt hatte sich bereits in Freiberg mit dem Erdmagnetismus beschäftigt; jedoch erst in Frankreich lernte er die entsprechenden Beobachtungsmethoden kennen. Auf allen seinen Reisen machte er erdmagnetische Messungen. Seine Zusammenarbeit mit Arago in Paris war besonders fruchtbar, hier wurde das erste magnetische Observatorium gebaut. Humboldt beschäftigte sich vor allem mit Intensitätsmessungen; sein wichtigster Beitrag war die Feststellung, dass die magnetische Intensität vom magnetischen Äquator bis hin zu den Polen zunimmt. Carl Friedrich Gauß interessierte sich seit mindestens 1803 für den Erdmagnetismus; vor allem trachtete er danach, die Humboldtschen Messergebnisse zu bekommen. Als im Jahre 1831 Wilhelm Weber als Professor der Physik nach Göttingen berufen worden war, war dies ein Wendepunkt für Gauß. Bereits 1833 war Göttingen zum Zentrum für erdmagnetische Forschungen geworden; eine neue Ära begann, welche allerdings nur bis 1843 währte. Gauß’ wichtigste Beiträge waren theoretischer Natur; zunächst stellte er Humboldts relative Intensitätsmessungen auf absolute Messungen um, die unabhängig von der jeweils gebrauchten Magnetnadel waren. Mit Gauß’ Publikation „Allgemeine Theorie des Erdmagnetismus“ (1839) begann eine neue Epoche. Der springende Punkt war der neu definierte Terminus „Potential“. Gauß präsentierte erstmals das Bild der Erdoberfläche mit Äquipotentiallinien.
Während der im September 1837 in Göttingen stattfindenden Universitätsfeierlichkeiten initiierten Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß gemeinsam ein Projekt; es ging dabei um die Frage, ob Sternschnuppen die erdmagnetischen Erscheinungen beeinflussen würden, dem Nordlicht vergleichbar. Dies sollte im folgenden November, anlässlich des zu erwartenden großen Sternschnuppenschauers, überprüft werden. Im Zentrum dieser Untersuchung steht der Brief von Alexander von Humboldt an Gauß vom 30. November 1837 (Briefwechsel Humboldt-Gauß, S. 63–65); in diesem wurden zwei Beilagen bzw. Anlagen angesprochen, die zwar noch existieren, die aber bei der Ausgabe des Humboldt-Gaußschen Briefwechsels fast ganz unberücksichtigt blieben. Es handelt sich erstens um einen Brief von dem in Breslau wirkenden Astronomen Boguslawski an Humboldt vom 15. November 1837, den Humboldt, versehen mit eigenen Anmerkungen, Gauß zukommen ließ, und zweitens um ein Dokument, enthaltend die von Humboldt und Herter in Berlin während der Zeit vom 12. bis 21. November angestellten erdmagnetischen Beobachtungen. Diese Dokumente sollen hier erstmals in den historischen Kontext eingebettet, vorgestellt werden, zusammen mit dem Bericht über die in Marburg gemachten Sternschnuppenbeobachtungen vom 12. bis 14. November, die Gerling veranlasst hatte.
Inhalt:
- Michael Anisch: Bloß keine Tiziane! Poker um den Posten des Generaldirektors der Kunstmuseen
- Reinhard Andress: Alexander von Humboldt und Carlos Montúfar als Reisegefährten: ein Vergleich ihrer Tagebücher zum Chimborazo-Aufstieg
- Gilles Bancarel: L’Histoire des deux Indes ou la découverte de la mondialisation
- Karin Reich: Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß als Wegbereiter der neuen Disziplin Erdmagnetismus
- Elena Roussanova: Russland ist seit jeher das gelobte Land für Magnetismus gewesen: Alexander von Humboldt, Carl Friedrich Gauß und die Erforschung des Erdmagnetismus in Russland
-Kurt-R. Biermann/Ingo Schwarz: Gefälschter Humboldt (mit einer Einleitung von Ulrich Päßler)
Inhalt:
- Eberhard Knobloch/Ingo Schwarz: Die Feuer von Baku – ein wiederentdeckter Brief von Alexander von Humboldt
- Ottmar Ette: Alexander von Humboldt: Wissenschaft im Feld - Transareale Wissenschaftsfelder in den Tropen
- Laura Péaud: Le politique, opérateur de la construction des savoirs géographiques modernes: l'exemple des voyages d'Alexander von Humboldt
- Karin Reich: Sternschnuppen und Erdmagnetismus, ein von Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß während der Universitätsfeierlichkeiten in Göttingen im September 1837 initiiertes Projekt
- Kurt-R. Biermann: War Alexander von Humboldt ein „Freiherr“ (oder „Baron“)?
Daniel Kehlmann gibt vor, mit seinem Roman Die Vermessung der Welt „verschwiegene oder übersehene Wahrheiten sichtbar“ zu machen. Dadurch, dass er die Leser bewusst im Zweifel lässt, was historisch belegt und was erfunden ist, entstehen Missverständnisse. Der Beitrag analysiert die wichtigsten Charakteristika des Kehlmann‘schen und des historischen Alexander von Humboldt und weist nach, dass diese nicht übereinstimmen. Der Aufsatz fragt nach Kehlmanns Rolle, der in der Öffentlichkeit gerne die Pose des Gelehrten einnimmt, seine Erfindungen jedoch nicht offenlegt und sie als angebliches Humboldt-Zitat sogar in einem wissenschaftlichen Text publiziert. Der Beitrag kommt zu dem Schluss, dass alle, die etwas für ihre Allgemeinbildung tun möchten, bei Die Vermessung der Welt an der falschen Adresse sind.