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Reflexion und Reflexivität
(2023)
Reflexion gilt in der Lehrkräftebildung als eine Schlüsselkategorie der professionellen Entwicklung. Entsprechend wird auf vielfältige Weise die Qualität reflexionsbezogener Kompetenzen untersucht. Eine Herausforderung hierbei kann in der Annahme bestehen, von der Analyse schriftlicher Reflexionen unmittelbar auf die Reflexivität einer Person zu schließen, da Reflexion stets kontextspezifisch als Abbild reflexionsbezogener Argumentationsprozesse angesehen werden sollte und reflexionsbezogenen Dispositionen unterliegt. Auch kann die Qualität einer Reflexion auf mehreren Dimensionen bewertet werden, ohne quantifizierbare, absolute Aussagen treffen zu können.
Daher wurden im Rahmen einer Physik-Videovignette N = 134 schriftliche Fremdreflexionen verfasst und kontextspezifische reflexionsbezogene Dispositionen erhoben. Expert*innen erstellten theoriegeleitet Qualitätsbewertungen zur Breite, Tiefe, Kohärenz und Spezifität eines jeden Reflexionstextes. Unter Verwendung computerbasierter Klassifikations- und Analyseverfahren wurden weitere Textmerkmale erhoben. Mittels explorativer Faktorenanalyse konnten die Faktoren Qualität, Quantität und Deskriptivität gefunden werden. Da alle konventionell eingeschätzten Qualitätsbewertungen durch einen Faktor repräsentiert wurden, konnte ein maximales Qualitätskorrelat kalkuliert werden, zu welchem jede schriftliche Fremdreflexion im Rahmen der vorliegenden Vignette eine computerbasiert bestimmbare Distanz aufweist. Diese Distanz zum maximalen Qualitätskorrelat konnte validiert werden und kann die Qualität der schriftlichen Reflexionen unabhängig von menschlichen Ressourcen quantifiziert repräsentieren. Abschließend konnte identifiziert werden, dass ausgewählte Dispositionen in unterschiedlichem Maße mit der Reflexionsqualität zusammenhängen. So konnten beispielsweise bezogen auf das Physik-Fachwissen minimale Zusammenhänge identifiziert werden, wohingegen Werthaltung sowie wahrgenommene Unterrichtsqualität eng mit der Qualität einer schriftlichen Reflexion in Verbindung stehen können.
Es wird geschlussfolgert, dass reflexionsbezogene Dispositionen moderierenden Einfluss auf Reflexionen nehmen können. Es wird empfohlen bei der Erhebung von Reflexion mit dem Ziel der Kompetenzmessung ausgewählte Dispositionen mit zu erheben. Weiter verdeutlicht diese Arbeit die Möglichkeit, aussagekräftige Quantifizierungen auch in der Analyse komplexer Konstrukte vorzunehmen. Durch computerbasierte Qualitätsabschätzungen können objektive und individuelle Analysen und differenzierteres automatisiertes Feedback ermöglicht werden.
Für die Entwicklung professioneller Handlungskompetenzen angehender Lehrkräfte stellt die Unterrichtsreflexion ein wichtiges Instrument dar, um Theoriewissen und Praxiserfahrungen in Beziehung zu setzen. Die Auswertung von Unterrichtsreflexionen und eine entsprechende Rückmeldung stellt Forschende und Dozierende allerdings vor praktische wie theoretische Herausforderungen. Im Kontext der Forschung zu Künstlicher Intelligenz (KI) entwickelte Methoden bieten hier neue Potenziale. Der Beitrag stellt überblicksartig zwei Teilstudien vor, die mit Hilfe von KI-Methoden wie dem maschinellen Lernen untersuchen, inwieweit eine Auswertung von Unterrichtsreflexionen angehender Physiklehrkräfte auf Basis eines theoretisch abgeleiteten Reflexionsmodells und die automatisierte Rückmeldung hierzu möglich sind. Dabei wurden unterschiedliche Ansätze des maschinellen Lernens verwendet, um modellbasierte Klassifikation und Exploration von Themen in Unterrichtsreflexionen umzusetzen. Die Genauigkeit der Ergebnisse wurde vor allem durch sog. Große Sprachmodelle gesteigert, die auch den Transfer auf andere Standorte und Fächer ermöglichen. Für die fachdidaktische Forschung bedeuten sie jedoch wiederum neue Herausforderungen, wie etwa systematische Verzerrungen und Intransparenz von Entscheidungen. Dennoch empfehlen wir, die Potenziale der KI-basierten Methoden gründlicher zu erforschen und konsequent in der Praxis (etwa in Form von Webanwendungen) zu implementieren.