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Ein transnationaler jüdischer Kanon als Verlagsprogramm

  • Der Verleger, Kaufhausunternehmer und Mäzen Salman Schocken (1877– 1959)neigte nicht zu übertriebener Bescheidenheit. Als er 1945 in New York seinen amerikanischen Verlag ins Leben rief, kündigte er ihn mit folgenden Worten an: Schocken ignorierte damit die Arbeit der zahlreichen bestehenden amerikanisch-jüdischen Verlagshäuser, da diese seiner Meinung nach nicht die Aufgabe erfüllten, die ihm vorschwebte: die Rückführung traditionsferner und damit in ihrer Identität unsicherer Juden durch Auseinandersetzung mit ihrem kulturellen Erbe. Dieses Ziel hatte bereits das Programm des Berliner Schocken Verlags (1931– 1938) bestimmt, der die vom Gründer genannten „repräsentative[n] Kostproben des Judentums“ veröffentlicht und damit zur „jüdischen Kulturrenaissance“ der 1930er Jahre beigetragen hatte.² Auch nach seiner Emigration nach Palästina 1934 blieb Schocken einer deutsch-jüdischen Wissenskultur zeitlebens verhaftet. Mit seiner verlegerischen Arbeit in den USA wollte Schocken das Programm seines Berliner Verlags für das amerikanischeDer Verleger, Kaufhausunternehmer und Mäzen Salman Schocken (1877– 1959)neigte nicht zu übertriebener Bescheidenheit. Als er 1945 in New York seinen amerikanischen Verlag ins Leben rief, kündigte er ihn mit folgenden Worten an: Schocken ignorierte damit die Arbeit der zahlreichen bestehenden amerikanisch-jüdischen Verlagshäuser, da diese seiner Meinung nach nicht die Aufgabe erfüllten, die ihm vorschwebte: die Rückführung traditionsferner und damit in ihrer Identität unsicherer Juden durch Auseinandersetzung mit ihrem kulturellen Erbe. Dieses Ziel hatte bereits das Programm des Berliner Schocken Verlags (1931– 1938) bestimmt, der die vom Gründer genannten „repräsentative[n] Kostproben des Judentums“ veröffentlicht und damit zur „jüdischen Kulturrenaissance“ der 1930er Jahre beigetragen hatte.² Auch nach seiner Emigration nach Palästina 1934 blieb Schocken einer deutsch-jüdischen Wissenskultur zeitlebens verhaftet. Mit seiner verlegerischen Arbeit in den USA wollte Schocken das Programm seines Berliner Verlags für das amerikanische Nachkriegsjudentum neu auflegen, da sich dieses – seiner Meinung nach – in einer ähnlichen geistigen Situation befand wie das deutsche Judentum der Weimarer Republik. Entsprechend verkündete er 1945 in einer Rede in Jerusalem: „Sie wissen, dass ich jetzt daran arbeite, den Schockenverlag in Amerika zu machen. Das ist eine Imitation des deutschen Verlages. [...] Entfernungen existieren nicht mehr und Einfluss von hier nach dort und dort nach hier ist nicht mehr zu übersehen.“³ In diesen Aussagen klingen bereits verschiedene Schlüsselthemen der Rolle von Schocken Books New York an, dessen Geschichte bisher nur ansatzweise erforscht ist: Der Bezug auf Schockens Erfahrungen in Deutschland und das davon geprägte kulturpolitische Programm, das Kontinuitäten zwischen zwei räumlich und zeitlich fundamental getrennten jüdischen Gemeinschaften postulierte und auf einen transnationalen Kanon jüdischen Wissens zielte. Schocken wirkte mit seinen Verlagen, die er in Deutschland, Palästina/Israel und den USA gründete, nicht nur an drei Schlüsselorten der jüdischen Moderne. Sein Verlagsprogramm stand zudem im Kontext eines Schlüsselprozesses jüdischer Modernisierung: der Transformation traditionell-religiösen Wissens in posttraditionell-kulturelle Formen. Dieser Beitrag stellt anhand von Quellen aus dem Verlagsarchiv, der Nachlässe von Schockens Lektoren in den USA und der Rezeption von Schocken Books in den USA den Verlagsgründer Salman Schocken und die beiden Verlage in Berlin und New York vor. Im Zentrum der Analyse stehen die transnationale Verflechtung der Verlagshäuser und die Frage nach dem in den Publikationsprogrammen angestrebten transnationalen Kanon jüdischen Wissens in der Moderne.show moreshow less
  • Salman Schocken (1877– 1959), department store magnate, cultural Zionist, and philanthropist, founded book publishing companies in Germany, Palestine/Israel, and the US. The Schocken Verlag in Berlin (1931– 1938) and Schocken Books in New York (founded in 1945) shared a mission: to culturally and spiritually fortify beleaguered Jewish communities, who were no longer anchored in the religious tradition. Despite the dramatic changes in the Jewish world, Schocken found that both German and American Jewry needed to be grounded in a positive sense of Jewishness. He sought to shape this new identity by offering texts from the religious tradition and the Jewish cultural heritage – and to make them relevant to post-traditional Jews by packaging them in new forms: Anthologies and (cultural) translations presented texts like prayers and mystical texts as cultural expressions; series of small, affordable, and attractive books – the Schocken Bücherei in Germany and the Schocken Library in the US – were meant as a new transnational canon of JewishSalman Schocken (1877– 1959), department store magnate, cultural Zionist, and philanthropist, founded book publishing companies in Germany, Palestine/Israel, and the US. The Schocken Verlag in Berlin (1931– 1938) and Schocken Books in New York (founded in 1945) shared a mission: to culturally and spiritually fortify beleaguered Jewish communities, who were no longer anchored in the religious tradition. Despite the dramatic changes in the Jewish world, Schocken found that both German and American Jewry needed to be grounded in a positive sense of Jewishness. He sought to shape this new identity by offering texts from the religious tradition and the Jewish cultural heritage – and to make them relevant to post-traditional Jews by packaging them in new forms: Anthologies and (cultural) translations presented texts like prayers and mystical texts as cultural expressions; series of small, affordable, and attractive books – the Schocken Bücherei in Germany and the Schocken Library in the US – were meant as a new transnational canon of Jewish cultural knowledge. In reality, however, Schocken Books mostly imported and translated texts, which the Verlag had selected according to German-Jewish ideals of Bildung. The American company almost went bankrupt in the 1950s, before it connected with the specifically American cultural needs of its audience. While this experience calls into question the Schocken mission of a transnational Jewish cultural canon, it suggests that the formation of a new Jewish epistemology was a crucial process of Jewish modernization.show moreshow less

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Metadaten
Author details:Markus KrahGND
DOI:https://doi.org/10.1515/9783110772388-011
ISBN:978-3-11-077070-4
ISBN:978-3-11-077249-4
Title of parent work (German):Juden und ihre Nachbarn : die Wissenschaft des Judentums im Kontext von Diaspora und Migration
Subtitle (German):Salman Schockens Verlage in Berlin und New York
Publisher:de Gruyter
Place of publishing:Berlin
Publication type:Part of a Book
Language:German
Year of first publication:2022
Publication year:2022
Release date:2023/03/16
First page:193
Last Page:212
Organizational units:Extern
DDC classification:2 Religion / 29 Andere Religionen / 290 Andere Religionen
9 Geschichte und Geografie / 94 Geschichte Europas / 940 Geschichte Europas
Publishing method:Open Access / Gold Open-Access
License (German):License LogoCC-BY-NC-ND - Namensnennung, nicht kommerziell, keine Bearbeitungen 4.0 International
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