Gespiegelte Fassung der elektronischen Zeitschrift auf dem Publikationsserver der Universität Potsdam, Stand: 27. Juli 2012 |
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HiN XIII, 24 (2012)
Von Humboldts Hand From Humboldt's hand De la mano de Humboldt
Über den Autor
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Ilse Jahn
Die Beziehungen Karl Ernst von Baers zu Berliner Zoologen während seines Wirkens in Königsberg (1818-1834)
[mit einer Einleitung von Thomas Schmuck]
Zuerst erschienen in: Folia Baeriana VI. Baer and modern biology. Proceedings of the International Conference held in Tartu 29.02.-03.03.1992. Tartu 1993, S. 109-115.
Einleitung
Ilse Jahn (1922-2010) hat in ihrem ebenso breit gefächerten wie gründlichen Werk zur Wissenschafts-, insbesondere zur Biologiegeschichte nicht nur mehrfach zu Alexander von Humboldt, sondern auch zu Karl Ernst von Baer gearbeitet. So stammt (neben Aufsätzen zum selben Thema) die einzige Monographie zu Humboldts physiologischen Forschungen von ihr (Jahn 1969), aber auch Arbeiten über die Beziehungen Humboldts oder Baers zu Berliner Zoologen und Naturforschern (Jahn 1984 und 2003; für weitere Arbeiten vgl. Werther/Schwarz 2010). In vielen dieser Arbeiten greift Jahn auch auf nicht ediertes oder kaum genutztes Material zurück, so auch im folgenden wieder abgedruckten Aufsatz von 1993, in dem Baers Beziehungen zu Berliner Zoologen, vor allem zu Karl Asmund Rudolphi (1771-1832), einem der Begründer der Helminthologie, und zu Hinrich Lichtenstein (1780-1857) im Mittelpunkt stehen.
Berlin als Wissenschaftsstadt spielte für Baer eine wichtige Rolle. Im Herbst 1816 kam er, nachdem er in Dorpat (estnisch Tartu) Medizin studiert und seine Ausbildung in Wien und Würzburg fortgesetzt hatte, zum ersten Mal nach Berlin, um hier seine medizinischen, mehr noch seine naturwissenschaftlichen Studien weiterzuführen. Sein Studienfreund Christian Heinrich Pander (1794-1865) aus Riga, selbst ein bedeutender Embryologe und Paläontologe, hatte ihn auf die reichen naturhistorischen Sammlungen Berlins aufmerksam gemacht, und versuchte ihn nun zu überreden, von der Medizin ganz zu den Naturwissenschaften zu wechseln. Mehr als zehn Jahre später, im September 1828, nahm Baer, der inzwischen die praktische Medizin lange aufgegeben hatte, an der von Humboldt und Lichtenstein organisierten Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte teil. Hier stellte Baer auch seine ein Jahr zuvor in Königsberg gemachte Entdeckung des Säugetier- und menschlichen Eies (resp. der Eizelle) vor. Diese Vorführung, an der neben Rudolphi auch Jan Evangelista Purkyně (1787-1869) teilnahm, und die Baer in seiner Selbstbiographie geschildert hat, war die erste Präsentation dieser bedeutenden Entdeckung vor einem großen und wissenschaftlich gebildeten Publikum. Die Enttäuschung über die – Baers Ansicht nach – geringe Resonanz wirkte lange nach und ließ ihn letztlich Preußen verlassen und nach St. Petersburg gehen.
Dennoch: Baer, der deutschbaltische Este und russische Staatsbürger, fühlte sich nahezu als Preuße, er heiratete eine Preußin und verbrachte fast zwei Jahrzehnte in seiner Wahlheimat Königsberg. Nach Berlin kam Baer immer wieder, so bereits im April 1829 und dann im Juli 1830, als er sich um die Drucklegung von Peter Simon Pallas’ Arbeit über die russische Fauna bemühte. In Preußen wurde er auch nach seinem Weggang geehrt: 1834 wurde Baer korrespondierendes Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 1839 Ehrenmitglied der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin und 1849 Ritter der Friedensklasse des preußischen Ordens Pour le mérite. Noch in älteren Jahren hielt sich Baer öfters in Berlin auf, so im Herbst 1858, im Herbst 1861 und zuletzt – zehn Jahre vor seinem Tod – im September 1866. Berlin war also ein wichtiger Bezugspunkt für Baers wissenschaftliche Forschung.
Ilse Jahns Aufsatz über Baers Beziehungen zu Berliner Zoologen 1818-1834, für dessen Wiederabdruckgenehmigung wir Herrn Erki Tammiksaar (Baer-Museum, Tartu) sehr herzlich danken, zeigt, wie sich Baer bei dem Versuch, die zoologische Forschung in Königsberg zu etablieren, auf Ratschläge, Specimina (überwiegend Vögel) und Literaturaustausch seiner Berliner Kollegen stützte. Baer ließ außerdem einen Studenten in Berlin zum Präparator ausbilden und suchte in Berlin auch nach einem Kupferstecher für seine embryologischen Tafeln. Baer war dabei der überwiegend nehmende Teil; zu geben hatte er, der im fernen Ostpreußen das Zoologische Museum praktisch neu begründen musste, vor allem helminthologische und vergleichend-anatomische Beobachtungen.
Literatur
Jahn, Ilse: Dem Leben auf der Spur. Die biologischen Forschungen Alexander von Humboldts. Leipzig, Jena, Berlin 1969.
Jahn, Ilse: Alexander von Humboldt zu biologischen Problemen in seinem Briefwechsel mit Berliner Zoologen. In: Alexander-von-Humboldt-Ehrung in der DDR. Festakt und Wissenschaftliche Konferenz aus Anlaß des 125. Todestages Alexander von Humboldts, 3. und 4. Mai 1984 in Berlin. Bearbeitet von Heinz Morgenroth und Inga Deters. Berlin 1984, 106-112.
Jahn, Ilse: Alexander von Humboldt und die Beziehungen Pariser und Berliner Zoologen. In: Alexander von Humboldt in Berlin. Sein Einfluß auf die Entwicklung der Wissenschaften. Beiträge zu einem Symposium. Hrsg. Von Jürgen Hamel, Eberhard Knobloch und Herbert Pieper. Augsburg 2003, 133-146 (Algorismus. Studien zur Geschichte der Mathematik und der Naturwissenschaften, Heft 41).
Werther, Romy, Ingo Schwarz: Ilse Jahn. Schriften zur Alexander-von-Humboldt-Forschung – Eine Auswahlbibliographie. In: HiN. Internationale Zeitschrift für Humboldt Studien XI, 21 (2010), 88-90. (
http://www.uni-potsdam.de/u/romanistik/humboldt/hin/hin21/jahn_bibliographie.htm).
In der großen Baer-Biographie von Raikov (1968) ist nur wenig über Baers Studienaufenthalt in Berlin (1816/17) und über spätere Beziehungen zu Berliner Zoologen mitgeteilt worden, obwohl diesen beim Aufbau des Königsberger Zoologischen Museums eine wichtige Rolle zukam. Denn durch Verfügungen des Preußischen Ministeriums waren 1818 die Berliner Museen verpflichtet worden, Dubletten aus Sammlungskäufen und Expeditionsausbeuten an die anderen preußischen Universitätsmuseen zum Aufbau von Unterrichtssammlungen abzugeben (Jahn, 1985). Nur in einer Arbeit von Knorre (1973) wird über vier Briefe Baers an den Berliner Anatomen Carl Asmund Rudolphi aus dem Prager Purkyne-Archiv und über die 1971 in Giessen aufgefundenen 20 Briefe von Rudolphi an Baer berichtet.
Kaum genutzt wurde bisher aber die Baer-Korrespondenz, die in der Schriftgut-Sammlung des Zoologischen Museums der Humboldt-Universität Berlin aufbewahrt wird. Es handelt sich um 9 meist recht umfangreiche Briefe von Baer an Rudolphi (1771-1832) aus den Jahren zwischen 1819 und 1828 (insgesamt rund 35 Briefseiten, auch mit Zeichnungen), sowie um 22 Briefe von Baer an Martin Karl Hinrich Lichtenstein (1780-1857), den Direktor des Zoologischen Museums der Universität, sowie zwei Briefkonzepte Lichtensteins an Baer. Sie werfen ein Licht auf die intensiven Bemühungen Baers um die fachgerechte Institutionalisierung der Zoologie an der Universität Königsberg, wobei die Berliner Museen zum Vorbild wurden. Denn bei der Gründung der Berliner Universität (1810) waren zwei neue Lehrstühle zur Vertretung der Zoologie geschaffen worden: die Professur für vergleichende Anatomie in der Medizinischen Fakultät für C. A. Rudolphi und eine Professur für Zoologie in der Philosophischen Fakultät für H. Lichtenstein, was zu dieser Zeit eine Besonderheit an deutschen Universitäten war (Jahn, 1985). Für beide Fächer war von Anfang an eine wissenschaftliche Sammlung nach dem Vorbild des Pariser Muséum national d’Histoire naturelle vorgesehen und sowohl ein „Anatomisch-zootomisches Museum“ als auch ein „Zoologisches Museum“ gegründet worden, die schon im Jahre 1816 beträchtliche Sammlungen besaßen (Lichtenstein, 1816).
Zweifellos hatte Baer nach seinen Würzburger Studien, die seine berufliche Wendung von der Medizin zur Zoologie einleiteten, die noch junge Berliner Universität speziell auch wegen der zoologischen Einrichtungen aufgesucht und die fünf Monate des Wintersemesters 1816/17 genutzt, um neben Karl Christian Wolfarts (1778-1832) Lehrveranstaltungen über „tierischen Magnetismus“ (Raikov, 1968:40) auch Kontakt zu den zwei zoologischen (zootomischen) Museen und ihren Direktoren aufzunehmen. An diese Beziehungen knüpfte Baer schon kurz, nachdem er in Königsberg Fuß gefasst hatte, brieflich wieder an, als er am 22. Dezember 1817, 9. Februar und 14. September 1818 an Rudolphi schrieb und um Fachliteratur bat (Knorre, 1973:238-243).
Der erste im Berliner Museum vorhandene Brief Baers an Rudolphi vom 30. April 1819 leitete einen Erfahrungsaustausch über Baers eigene Arbeiten und Pläne zu „zoologisch-zootomischen Untersuchungen über einige noch nicht gehörig gekannte Thiere Preußens“ ein, über Störe und Seehunde, Elen und Schwertfisch, die er mit Abbildungen publizieren wollte. Zu einem Vorabdruck über den Stör erhoffte er sich auch von Rudolphi die Klärung „zweifelhafter Punkte“, um dem geplanten Gesamtwerk „einen bleibenden Werth zu geben.“ Außerdem teilte er Rudolphi seine Beobachtungen über Eingeweidewürmer in den von ihm sezierten Tieren mit und unterstützte damit Rudolphis helminthologische Arbeiten, ein Anliegen, das sich durch die gesamte Korrespondenz hindurchzieht (Knorre, 1973:269). Von Interesse ist aber auch die Nachschrift dieser ersten Briefe, in der sich Baer für die gehäuften Literaturzitate in seinem kleinen Aufsatz entschuldigt und damit zugleich auf die Gründe seiner Ablehnung des Dorpater Lehrstuhls (3. März 1819) anspielt: Die Zitate seien nämlich
nur zum Nutzen und Frommen der Dorpatenser da, mit denen ich eine Zeit lang in Unterhandlung war, die aber nicht glauben wollten, daß man zu zootomischen Arbeiten auch Bücher braucht (MfN Z.M. S I Rudolphi, BI. 56-57).
Wenn in fast allen Briefen die Bitte um Fachliteratur und der Dank für Geschenke (Rudolphis „Entozoorum Synopsis“ 1819 oder „Grundriß der Physiologie“ Bd. 1, 1821) und Leihgaben (Otto Frederik Müllers „Infusorien“-Werke) enthalten ist, so kam es Baer jedoch vorrangig auf einen wissenschaftlichen Erfahrungsaustausch mit dem älteren Fachkollegen an. Inwieweit Rudolphi diesem Anliegen gerecht wurde, müsste die Auswertung der Briefe Rudolphis im Baer-Archiv Gießen erbringen. Die Briefe Baers im Berliner Museum enthalten neben den helminthologischen Fragestellungen (der Briefband kam zusammen mit Rudolphis Helminthensammlung testamentarisch 1832 an das Zoologische Museum Berlin) eine ganze Reihe anderer aufschlussreicher Mitteilungen über Baers Königsberger Forschungsarbeiten. So teilte er in seinem Brief vom 25. Juni 1822 anhand einer Skizze seine „Entdeckung“ der Anatomie der weiblichen Genitalien des Dreizehenfaultieres (Bradypus tridactylus) während einer Vorlesung mit, wobei man über Baers Lehrmethode erfährt, er trage
Zoologie in Verbindung mit Zootomie klassenweise vor und zergliedere dabei meinen Zuhörern vor, was sich darbietet. (a.a.O. Bl. 64-69).
Der gleiche Brief enthält Skizzen eines Delphinschädels mit detaillierten Beschreibungen und von der klassischen Literatur (Camper, Cuvier) abweichenden Beobachtungen, zugleich mit den Gründen für die lange Dauer der Untersuchungen. Hierbei berichtet Baer Über seine „schlechte Gewohnheit ... mehreres durcheinander zu treiben,“ z. B. über den Beginn „einer langen Reihe von Untersuchungen über die Entwicklungsgeschichte der Vögel“ im Herbst 1821 und die Schwierigkeiten, in der „Brutmaschine“ viele Eier auszubrüten (a.a.O. Bl. 68), die er für einen Vorlesungskurs in der Medizinischen Gesellschaft benötigte (vgl. Raikov, 1968:92. der das Manuskript in der HUB Tartu erwähnt), so dass er im Frühjahr 1822 damit nochmals beginnen musste.
Mehr fachzoologische Details in den Briefen Baers an Rudolphi müssen einer späteren Auswertung vorbehalten bleiben. Doch soll noch etwas aus Baers Brief vom 30. Dezember 1819 wiedergegeben werden, der eindrucksvoll den ersten Besuch Baers im Petersburger Naturalienkabinett dokumentiert, der danach bereits im Herbst 1819 und nicht erst 1829 (Zaunick, 1925) stattfand. Bereits damals suchte Baer zur Ergänzung seiner Arbeit „De fossilibus mammalium ...“ (1823) nach Wirbeltierfossilien in den Akademie-Sammlungen von Peter Simon Pallas (1741-1811), Johann Georg Gmelin (1709-1755) und anderen, und schilderte Rudolphi seine Eindrücke von dieser Russlandreise (September-Oktober 1819):
Von meiner Reise in den Norden die sich bis nach St. Petersburg erstreckte, könnte ich Ihnen vieles, das incredibile dictu audituque ist, erzählen. Von dem Geiste des Pallas, Wolff, Gmelin ist keine Spur mehr an der Newa.
Von seinem Besuch in der Kunstkammer der Akademie, wo er Neues über fossile Säugetiere zu finden hoffte, berichtet Baer zunächst humorvoll, mit welchem Unverständnis man seiner Bitte begegnete, 2 Tage in den Sammlungen arbeiten zu dürfen; das „schien seit Menschengedenken nicht vorgekommen zu sein.“ Als er endlich vom Sekretär der Akademie ein Eintrittsbillett erhalten und die Kunstkammer betreten hatte, sah er
Geschichten zum Erbarmen. Alles in der größten Unordnung. Das meiste ohne Etiquetten! Die Säugethiere hatte man angefangen zu benamen, allein nachher die Etiquetten verwechselt ... Die fossilen Knochen lagen recht malerisch in großen Haufen zusammen, sogar ohne Nummern. Backenzähne vom Mammuth hätte ich nach Belieben mitnehmen können. Viele von Pallas beschriebene Stücke fand ich gar nicht mehr, worüber ich mich nicht wundern durfte, da alles der Raubgier bloß lag. So fand ich in einem Berge fossiler Knochen den nicht fossilen Schädel eines Moschusthiers, den ich des Versuches wegen in die Tasche steckte und lange mit mir herumtrug, nur aus Rechtlichkeit ihn wieder zurücklegend.
Auch den Zustand der Bibliotheken (mit Ausnahme der der Eremitage) fand er höchst unbefriedigend und meinte abschließend, dass es in anderen Fächern der Akademie nicht so schlimm stünde, „nur mit den Naturwissenschaften sieht es so kraus aus“.
Der gleiche Brief an Rudolphi enthielt auch die Mitteilung, dass nunmehr auch in Königsberg ein zoologisches Kabinett gestiftet und ihm die Sorge dafür anvertraut werden solle. Sobald er offiziell dazu autorisiert worden sei, bitte er um Unterstützung beim Aufbau einer zoologischen, Fachbibliothek und der Sammlungen durch Zusendung von Dubletten.
Dieser Anlass bildete auch den Beginn eines regelmäßigen Briefverkehrs mit Hinrich Lichtenstein, dem er schon am 14. März 1820 für eine Sendung von Vögeln dankte und weitere Wünsche vortrug, denn Königsberg
besitze nichts als eine Sammlung von Insecten, einige Reste von Crustaceen und die Berliner Vögel – noch keine Säugethiere, sehr wenige Amphibien, Fische und Strahlthiere, keine Mollusken, Zoophyten und Anneliden.
Im Frühling hoffe er das Museum zu eröffnen und erbitte bis dahin noch einiges aus dem Berliner „Reichthum“ (MfN Z.M. S I, Mappe B II, Bl. 2). Besonderes Interesse äußerte Baer wiederholt für Objekte, die „noch zur Zergliederung tauglich sind“ und damals speziell für Knorpelfische (Gastrobranchus). Doch damit konnte Lichtenstein meist nicht helfen, weil Dubletten solcher Tiere und alle Alkoholpräparate sowie Skelette an das zootomisehe Museum Rudolphis abgegeben werden mussten (Briefkonzept Lichtensteins an Baer vom 24. August 1820; a.a.O. Bl. 5).
In den nächsten Jahren befolgte Baer den Rat Lichtensteins, vor allem einheimische Tiere zu sammeln und anstelle von Barzahlungen im Tausch an das Berliner Museum zu senden, denn „eine Sammlung deutscher Thiere scheint mir Bedürfnis jeder Universität,“ hatte Lichtenstein am 20. April 1821 geschrieben (a.a.O.),
Das Ausländische ist gewiß weniger wichtig und muß immer Stückwerk bleiben, wenn, wie in unserm kleinen Staat, für 6 Universitäten zugleich vollständige Museen angelegt werden sollen.
Baers Beziehungen zum Berliner Zoologischen Museum, an dem seit 1818 auch der Entomologe Johann Christoph Friedrich Klug (1775-1856) als zweiter Direktor wirkte, beschränkten sich ebenfalls nicht auf Sammlungs- und Literaturaustausch. Vielmehr ließ er dort auch seine späteren Mitarbeiter ausbilden. So hatte Baer im Dezember 1820 den Studenten Carl Ludwig Ebel nach Berlin gesandt, um ihn bei dem Inspektor A. Rammelsberg (gest. 1860) als „Tierausstopfer und Sammlungskonservator“ ausbilden zu lassen. Als er nach 4 Monaten nach Königsberg zurückkehrte, nahm er nicht nur die „Zuneigung und Achtung“ aller Berliner Kollegen, sondern 80 für Königsberg aufgestellte Vögel mit, worin er sich am meisten geübt hatte (Briefkonzept Lichtensteins an Baer vom 20. April 1821; a.a.O. Bl. 14). Wenig später konnte C. L. Ebel sein „Ornithologisches Taschenbuch für Preußen ... (Königsberg, 1823) veröffentlichen, zu dem Baer ein Vorwort schrieb (Raikov. 1968:430).
Auch in den letzten Königsberger Jahren bei Einrichtung seines neu erbauten Zoologischen Museum erhielt Baer manche Hilfe von Lichtenstein. Im Herbst 1831 ließ er den aus Görlitz berufenen Carl August Wiedemann (1796-1866) fast zwei Monate lang „in den verschiedenlichsten Lehrstätten eines Inspectors oder Conservators“ durch Rammelsberg unterrichten und holte Lichtensteins Urteil über seine Persönlichkeit ein (Brief Baers an Lichtenstein vom 29. November 1831; MfN Z.M. a.a.O. Bl. 47). Wie aus Empfehlungen und Zeugnissen von der Naturforschenden Gesellschaft Görlitz hervorgeht, war Wiedemann bis dahin dort als Konservator tätig und hatte sich vermutlich über Lichtenstein um eine neue Anstellung bemüht (a.a.O. Mappe G III). Lichtenstein konnte Baers Befürchtungen zerstreuen, „einen Mann, den niemand persönlich kannte, für geringes Gehalt aus dem Auslande zu berufen.“ Als er dann Anfang Januar 1832 in Königsberg eintraf, brachte er auch Maße und Zeichnungen des Berliner „Schrank-Systems“ und Ratschläge für die Farbgebung mit, worum Baer gebeten hatte (Brief vom 29. November 1831; a.a.O. Mappe II, BI. 45).
Schließlich muss noch auf die Bemühungen Baers um einen Kupferstecher eingegangen werden, die ihn auch nach Berlin führten, und die so entscheidend wichtig für sein geplantes Werk über die Entwicklungsgeschichte der Tiere waren. Am 18. Juli 1828, als er Rudolphi seine Teilnahme an der «Versammlung der Naturforscher» (18. bis 24. September 1828 in Berlin) ankündigte, hoffte er, sein „im Druck“ befindliches „Buch über Entwicklungsgeschichte“ mitbringen zu können und der Zustimmung Rudolphis sicher zu sein, da er glaubte,
die Vorstellung vom Durchlaufen der verschiedenen Thierformen während der Entwicklung des Embryonenlebens als unbegründet zu erweisen (MfN Z.M.S I, Briefe an Rudolphi, Bl. 78 a).
In dem von Knorre (1973, S. 269-271) publizierten Antwortbrief vom 28. August 1828 geht Rudolphi ebenso wenig auf diesen Sachverhalt – die Widerlegung der naturphilosophischen „Rekapitulationshypothese“ – ein, wie in späteren Briefen des Jahres 1829 auf Baers Berliner Vortrag am 23. September 1828 und seine Demonstration des Säugetiereies am 24. September in Rudophis anatomisch-zootomischem Kabinett (Knorre, 1973: 255-258, wo ausführlich diese Veranstaltungen und das Echo auf Baers Demonstrationen analysiert werden). Allerdings ist zu berücksichtigen, dass sowohl 1828 als auch im April 1829 und nochmals Ende Juli 1830 bei Baers Anwesenheit in Berlin ausgiebig Gelegenheit zu mündlichem Gedankenaustausch mit den Berliner Zoologen bestanden hat.
In diesen Jahren hatte sich Baer intensiv um die Anstellung eines Kupferstechers in Königsberg bemüht, ein Desiderat, das von 1823 bis 1834 permanent durch die Korrespondenz mit preußischen Behörden zieht (Koch, 1981). In den Vorschlägen zur Errichtung eines „Institutes zur Vervollkommnung der Entwicklungsgeschichte“ bzw. einer „Anstalt für Untersuchungen über die Bildung der Säugethiere“ vom 27. Dezember 1828 und 26. Januar 1829 liegt der Hauptakzent auf zwei Forderungen, die aus bisherigen Erfahrungen resultierten: Finanzielle Unterstützung zur Haltung lebender Tiere und „artistische Hilfe“ durch einen ortsansässigen Künstler. Seine Begründung ist einleuchtend: „Zum Verständnis der Entwicklungsgeschichte sind Abbildungen unentbehrlich“, schrieb Baer am 20. Juli 1830 aus Berlin an den preußischen Kultusminister Karl Freiherr von Stein zum Altenstein,
Zur Anfertigung derselben gehört nicht nur ein besonderes künstlerisches Talent, sondern es ist auch erforderlich, dass der Zeichner stets bei der Hand ist, um besonders die Eier und Embryonen früherer Zeit, die ungemein schnell verderben, abbilden zu können. Diese schnelle Verderbnis hat die Folge gehabt, dass bei Versuchen, die ich, um selbst die Zeichnungen anzufertigen, gemacht habe, sehr häufig die Zeichnung und die Beobachtung und das Niederschreiben derselben nicht vollendet werden konnten.“ Kupferstecher müssen deshalb „unter den Augen des Beobachters“ arbeiten, weil „Correcturen aus der Ferne sich fast gar nicht genügend besorgen lassen ....(Koch, 1981: 182).
Wenn Baer dabei auf „viele verdrießliche Erfahrungen“ anspielt, mögen nicht nur seine eigenen mit dem Leipziger Künstler Julius Athanasius Dietze (vgl. Knorre, 1973:251) gemeint gewesen sein, sondern auch diejenigen, die sich soeben aus den Recherchen nach den Kupfertafeln von Christian Gottfried Friedrich Geißler (1770-1844) zu Pallas’ „Fauna Rosso-Asiatica“ ergeben hatten, denen dieser Aufenthalt Baers in Deutschland (Mai-Juli 1830) eigentlich galt.
Auf dieser letzten Reiseetappe in Berlin, wo Baer auch am 20. Juli 1830 eine Versammlung der „Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin“ in Anwesenheit der Zoologen Christian Gottfried Ehrenberg, Friedrich Klug und Hinrich Lichtenstein besuchte (MfN GNFBln.), gelang es ihm durch Vermittlung der Berliner Kollegen, den Zeichner und Kupferstecher Bernhard Wienker (geb. 1801) der ab 1822 am Königlichen Gewerbeinstitut tätig war und schon für den Entomologen F. Klug gearbeitet hatte (MfN Z.M. S I, Mappe W III), ab 1831 nach Königsberg zu verpflichten. Baer verband seinen Antrag auf Versetzung Wienkers mit dem Plan, an der Königsberger Universität ein „naturhistorisch-künstlerisches Atelier“ wie in Berlin zu begründen und einige ostpreußische Schüler im Kupferstechen zu unterrichten, um „diese Kunst einheimisch in Ostpreussen“ zu machen (Koch, 1981: 182).
Die Zustimmung des Preußischen Ministeriums bewog Baer am 4. September 1830 zur Absage in Petersburg und zum Verbleib in Königsberg (Brief an Altenstein vom 10. September 1831; Koch, 1981: 183). Obwohl Baer mit Wienkers Arbeiten sehr zufrieden war und ihn für 3 Jahre behalten wollte (23.6.1831; Koch a.a.O.), verließ Wienker Königsberg aus „Cholera-Furcht“ schon 1832 wieder, was nicht nur Baers entwicklungsgeschichtliche Arbeiten, sondern auch die Baer übertragene weitere Herausgabe der Kupfertafeln von PaIlas’ Werk hemmte (Brief an Lichtenstein vom 24. Januar 1833; MfN Z.M. a.a.O). Als letzte Sendung aus Königberg gingen 10 Exemplare der „Berichte“ (Baer, 1831) an Lichtenstein mit der Bitte, sie den genannten Berliner Empfängern (u.a. Alexander von Humboldt) zuzustellen.
So blieb das Zoologische Museum Berlin in vielfältiger Weise Vermittlungsstelle, auch nach Baers Übersiedlung nach St. Petersburg, als Lichtenstein die Ehrenmitgliedschaft Baers in der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin (7. April 1839) bewirkt hatte.
Literatur
Baer, K. E. 1831. Berichte über die Zoographia Rosso-Asiatica von P. S. Pallas. Königsberg, 36 S. (Widmungsexplar an F. Klug in Berlin). Folia Baeriana IV (Bibliografija Bera). 1983. Tallinn: Valgus.
Jahn I. 1985. Zur Vertretung der Zoologie und Entwicklung ihrer institutionellen Grundlagen an der Berliner Universität. Wiss. Z. Humboldt-Univ. Berlin. math.-nat. R. 34, H. 3/4, S. 260-280.
Knorre H. v. 1973. Die Entstehungsgeschichte von K. E. Baers „Sendschreiben“ ... und vier Briefe Karl Ernst von Baers an Carl Asmund Rudolphi. — In: Leopoldina R. 3, Jg. 17 (1971) Halle/S., S. 237-286.
Koch H.-Th. 1981. Karl Ernst von Baers Korrespondenz mit den preussischen Behörden. Wiss. Beitr. Univ. Halle 39 (T 41), S. 169-191.
Lichtenstein, H. M. K. 1816. Das Zoologische Museum zu Berlin. Berlin.
Raikov, B. E. 1968. Karl Ernst von Baer (1792-1876). Sein Leben und sein Werk. Deutsche Übers. mit Anm. von H. v. Knorre. Acta historica Leopoldina Nr. 5. Leipzig: Johann Ambrosius Barth. 516 S.
MfN Z. M. S I. Schriftgut-Sammlung des Museums für Naturkunde Berlin, Bestand Zool. Museum. Abt. I
MfN GNFBln Schriftgut-Sammlung des Museums für Naturkunde Berlin, Bestand Gesellschaft Naturforschender Freunde zu BerUn, Protokolle.
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Letzte Aktualisierung: 11 Juni 2012 | Kraft
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