Gespiegelte Fassung der elektronischen Zeitschrift auf dem Publikationsserver der Universität Potsdam, Stand: 27. Juli 2012 |
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HiN XIII, 24 (2012)
Von Humboldts Hand From Humboldt's hand De la mano de Humboldt
Über den Autor
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Aliya-Katarina Südfels
Ludwig Leichhardt und Alexander von Humboldt
Zusammenfassung
Im Juli des Jahres 1841 kommt es zu einem Treffen zwischen zwei Männern, das zunächst belanglos erscheint, sich aber Jahre später als wichtige historische Begebenheit herausstellen wird. In seinem Pariser Büro empfängt der 71jährige Naturforscher Alexander von Humboldt den jungen Preußen Ludwig Leichhardt. Der angehende Naturwissenschaftler erhofft sich Zuspruch und Empfehlung des berühmten Alexander von Humboldts. Die Unterredung ist kurz und verläuft für Leichhardt ergebnislos. Es wird das einzige Treffen der beiden Naturwissenschaftler bleiben. Aus heutiger Sicht unverständlich, da Ludwig Leichhardt und Alexander von Humboldt mehr verband, als ihre Leidenschaft für die Naturwissenschaften. Viel zu wenig ist sich bis jetzt den biographischen Analogien und den vergleichbaren geographischen Leistungen der beiden Preußen gewidmet worden.
Abstract
During July 1841 a meeting between two men takes place, which seems to have been extraneous, but turns out to be a significant historical incident. 71 year old natural scientist Alexander von Humboldt welcomes young Ludwig Leichhardt from Prussia in his office in Paris. The prospective young scientist expects help and references from famous Alexander von Humboldt. The conversation is short and ends from Leichhardt’s point of view without results. Unfortunately this is going to be the only meeting between the two scientists even though the two Prussians have more in common than their passion for the natural sciences. Way too seldomly have biographical analogy and geographical productivity of the two men been compared.
Résumé
En juillet 1841 une rencontre entre deux hommes a lieu, qui au premier abord semble sans importance, mais qui des années plus tard est considéré comme un événement historique majeur. Dans son bureau parisien, le naturaliste Alexandre de Humboldt, alors âgé de 71 ans, reçoit le jeune Prussien Ludwig Leichhardt. Le jeune scientifique en devenir espère de la part du célèbre Alexandre de Humboldt encouragement et recommandations. La conversation est courte et n’aboutit aucun résultat pour Ludwig Leichhardt. Elle restera la seule rencontre entre ces deux savants. Aujourd’hui pourtant, cela paraît incompréhensible, car Ludwig Leichhardt et Alexandre de Humboldt avaient bien plus en commun que leur passion pour les sciences naturelles. Jusqu’à présent, les analogies biographiques ainsi que les travaux géographiques très ressemblants de ces deux Prussiens ont été très peu comparés.
I. Ludwig Leichhardt und Alexander von Humboldt auf einen Blick
Dieser Mann vereinigt in sich eine ganze Akademie.“[1]
Die Rede ist von Alexander von Humboldt, dem Mann, der so viel für die Naturwissenschaft getan hat wie wohl kein anderer. Seine spektakuläre fünfjährige Reise durch Lateinamerika zwischen den Jahren 1799 und 1804, die ereignisreiche Russlandreise im Jahr 1829 und die daraus resultierenden Reisewerke haben die Forschungsreisen des 19. Jahrhunderts revolutioniert und bis dahin unbekannte Erkenntnisse im Bereich der Naturwissenschaften erlangt. Die Ansichten der Natur und natürlich sein Alterswerk Kosmos haben ihm einen unvergesslichen Platz in der Reihe der bedeutendsten Männer der Geschichte gesichert. Sein Bekanntheitsgrad erstreckt sich nicht nur auf sein Geburtsland Preußen, sondern reicht über die europäischen Grenzen hinaus bis nach Amerika und Asien. Seine Vorgehensweisen sind oft kopiert und doch unerreicht geblieben, denn
Einen Mann so enzyklopädischen Wissens hat es in der Geschichte der Naturwissenschaften nicht wieder gegeben, (...).[2]
Wissend um die Außergewöhnlichkeit Humboldts ist es umso erstaunlicher, dass es einem Landsmann und Zeitgenossen gelingt, dem berühmten Naturforscher nachzueifern und gleichfalls große Erfolge im Bereich der Botanik, der Zoologie und der Geographie zu feiern. Der Name dieses eifrigen Kollegen Humboldts ist Ludwig Leichhardt. Ein Mann aus bescheidenem Elternhaus, doch gesegnet mit großem Verstand, Tatendrang und der Vision, durch außergewöhnliche Taten Weltenruhm zu erlangen. In Australien, einem Kontinent den Alexander von Humboldt nie betreten und über dessen natürliche Beschaffenheit er kaum Kenntnisse hat, führt Ludwig Leichhardt zwischen den Jahren 1844 und 1848 drei Exkursionen durch, die ihm sowohl naturwissenschaftliche als auch gesellschaftliche Anerkennung einbringen. Während der dritten Expedition, die ihn von der Ostküste Australiens quer durch den Kontinent bis zur Westküste führen soll, findet er im australischen Busch den Tod. Sein Bestreben ein ebenso beispielhaftes und naturwissenschaftlich produktives Leben zu führen wie Alexander von Humboldt, erfüllt sich auf Grund dieses tragischen Vorfalls nicht. Bis zum heutigen Tag versuchen Forscher, Historiker und Nachlassverwalter seinen Namen gebührend zu würdigen. Diesem Bestreben ist zu schulden, dass Ludwig Leihhardt fälschlicherweise ein Doktortitel zugesprochen wird und er in heutigen Fachkreisen den Beinamen „Der Humboldt Australiens“ trägt. Trotz dieser Bemühungen erlangte Ludwig Leichhardt nur spärliche Bekanntheit in Preußen und Europa, wohingegen er in Australien als Nationalheld gefeiert wird.
Abgesehen vom ungleichgewichteten Nachruhm weisen Lebens- und Arbeitsweisen von Alexander von Humboldt und Ludwig Leichhardt interessante Parallelen auf, die es wert sind dargestellt zu werden.
II. Biographische Analogien und der gleiche Berufswunsch
Als Ludwig Leichhardt am 23.10.1813 als sechstes Kind des königlichen Torfstechers Christian Hieronymus Leichhardt und seiner Frau Sophia, in Trebatsch das Licht der Welt erblickt, befindet sich Alexander von Humboldt bereits in seinem 44ten Lebensjahr.[3] Seine Amerikareise hat er vollbracht, ein Teil des großen 33-teiligen Reisewerks ist geschrieben und veröffentlicht und seine Gedanken sind schon bei der Planung einer umfassenden Asienexpedition, die er bedingt durch politische Umstände allerdings erst im Jahre 1829 realisieren kann.
Alexander von Humboldt entstammt einer wohlhabenden und einflussreichen Familie. Er ist das zweite Kind des Kammerherrn und Majors Alexander Georg von Humboldt und seiner Ehefrau Marie Elisabeth, geborene Colomb. Die Colombs stammen aus der Provence und haben sich nach dem Edikt von Nantes in der Mark Brandenburg angesiedelt und mit dem Betreiben einer Spiegelmanufaktur ein Vermögen erarbeitet. Marie Elisabeth Colomb ist in erster Ehe mit Baron Ernst von Hollwede verheiratet, aus dieser Beziehung entstammt ein Sohn, den sie nach dem Tod ihres Mannes mit in die neue Ehe mit Major Humboldt bringt, ebenso wie ein beachtliches Vermögen. Unter anderem das Schlösschen in Tegel und das Stadthaus in Berlin, in dem Alexander von Humboldt am 14. September 1769 geboren wird. Alexander und sein älterer Bruder Wilhelm erhalten schon in frühen Kinderjahren die bestmögliche Ausbildung. Hauslehrer unterrichten sie auf dem Familienschloss in Tegel in alten Sprachen, Mathematik und Naturwissenschaften. Im Gegensatz zur Familie Leichhardt plagen die Humboldts keinerlei finanzielle Nöte. Kein Beispiel könnte die Unterschiede der sozialen Bedingungen, in denen Alexander von Humboldt und Ludwig Leichhardt aufwachsen, besser beschreiben, als die Tatsache, dass die Patenschaft des kleinen Ludwigs die Frau des Dorfpfarrers übernimmt und bei Alexander von Humboldts Taufe die gesamte bessere Gesellschaft der damaligen Zeit vertreten ist.
Bei seiner Taufe führten ein Prinz von Preussen, der spätere König Friedrich Wilhelm II. und der regierende Herzog Karl von Braunschweig die Reihe der Paten; (…). [4]
Anders als Humboldts Vorfahren stammen Leichhardts Eltern aus Familien aus bürgerlichem Milieu. Ludwigs Vater Christian Hieronymus Leichhardt kommt aus einer kinderreichen Landarbeiterfamilie aus der Umgebung von Halberstadt. Fleiß und harte körperliche Arbeit prägen sein Leben und er bewährt sich als Torfgräber. 1803 wird er zum königlichen Torfmeister ernannt und ins Moor- und Sumpfgebiet versetzt, dort wo die Spree in den Schwielochsee mündet. Die preußische Regierung hat die Eigenschaft des Torfs als äußerst ergiebiges Brennmaterial erkannt und versucht nun die Torfgebiete der Mark Brandenburg zu erschließen. Dazu werden fähige Leute gesucht, denn Torf hat der Steinkohle den Rang als wichtigstes Heizmaterial abgelaufen. Christian Hieronymus Leichhardt erkennt die Zeichen der Zeit und durch Fleiß und Disziplin erarbeitet er sich die Beförderung zum Torfinspektor. Diese Stelle ermöglicht ihm die gewünschte finanzielle Sicherheit, um eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen. Er hält um die Hand der Gutsbesitzertochter Charlotte Sophie Strehlow an und sie lassen sich in einem kleinen Dorf in der Nähe des Schwielochsees, in Trebatsch, nieder. Hier werden alle ihre neun Kinder geboren. Die Leichhardtkinder besuchen die Dorfschule in Trebatsch und werden nach den bestehenden finanziellen Möglichkeiten der Familie gefördert. Alte Sprachen und eine umfassende Lehre der Naturwissenschaften, die Alexander von Humboldt von klein auf vermittelt bekommt, stehen nicht auf dem Schulplan der Dorfschule in Trebatsch. Diese Unzulänglichkeiten muss Ludwig Leichhardt später mühevoll durch intensives Selbststudium ausgleichen.
Bereits als Kind zeigt sich Ludwig Leichhardts Lerntalent, seine Wissbegierde und sein unglaublicher Fleiß. Hieronymus Leichhardt fördert besonders Ludwigs Leidenschaft zur Natur und nimmt ihn häufig zu seinen Torfinspektionen mit und vermittelt ihm sein Wissen der Tier- und Pflanzenwelt der Mark Brandenburg. Im Gegensatz zu Alexander von Humboldt, der unter der gestrengen Mutter und dem strikten Unterrichtsplan seiner Hauslehrer leidet, wächst Ludwig Leichhardt unbeschwert und frei auf. Er hat ein herzliches Verhältnis zu seinen Eltern und seinen Geschwistern. Besonders vertraut ist er mit seiner Schwester Henriette. Ludwig wohnt während seiner Gymnasialzeit bei ihr und ihrem Mann Friedrich August Schmalfuß in Cottbus. Sein Schwager Schmalfuß wird später zu seinem Hauptkorrespondenten während seiner Zeit in Australien. Auch mit den Kindern des Dorfes ist Leichhardt gut befreundet und er unternimmt mit ihnen oft Streifzüge in die Natur. Diese Streifzüge, die dem naturwissenschaftlichen Interesse geschuldet sind, stellen nur eine von vielen Übereinstimmungen im Leben von Alexander von Humboldt und Ludwig Leichhardt dar. Beide legen als Kinder umfangreiche Gesteins- und Pflanzensammlungen an. Alexander von Humboldt beweist allerdings mehr Talent beim Zeichnen und in der Malerei, was sich auch bei den späteren Auswertungen der durchgeführten Exkursionen als Vorteil für Humboldt erweisen wird. Gemein ist den jungen Männern auch ihre schwächliche Konstitution. Sie leiden unter starken Kopfschmerzen und weder Alexander noch Ludwig wird körperlich viel zugetraut, da sie stets kränkeln und geschwächt sind. Von Stolz und Ehrgeiz getrieben beginnen beide Männer systematisch ihren Körper abzuhärten und ihre physische Konstitution ihrer starken psychischen Verfassung anzupassen. Besonders Leichhardt ist der Idee verfallen, seinen Körper zu disziplinieren und unterzieht sich tagelangen Hungerkuren und anstrengenden Gewaltmärschen. Als er als 13jähriger auf Grund seiner hervorragenden schulischen Leistungen das Gymnasium in Cottbus besuchen darf, legt er die 40 km Strecke zwischen Cottbus und Trebatsch oft zu Fuß zurück, um seine Eltern zu besuchen. Überwiegend wandert er nachts, um neben der körperlichen Ertüchtigung auch zu lernen sich an den Sternen zu orientieren und sich die wichtigsten Sternbilder einzuprägen.[5] Doch nicht nur Ehrgeiz und die Leidenschaft zur Natur verbinden die beiden preußischen Landsmänner. Beide unterstehen auch den gleichen gesellschaftlichen Zwängen. Sowohl für Alexander von Humboldt als auch Ludwig Leichhardt liegt ihr weiteres Leben schon vorgezeichnet vor ihnen. Auf Wunsch der Eltern Leichhardts soll Ludwig eine Gelehrten- oder Lehrerlaufbahn einschlagen. Alexander von Humboldts dominante Mutter verlangt hingegen von ihrem Sohn Kameralia zu studieren, um sich auf eine Karriere im höheren Staatsdienst vorzubereiten.
Zunächst entsprechen beide Männer den Wünschen ihrer Elternhäuser. So schreibt sich Alexander von Humboldt am 1. Oktober 1787 an der Universität Frankfurt an der Oder im gewünschten Studienfach ein. Bereits im Frühjahr 1788 verlässt er die Universität wieder, da er das Studium als unergiebig empfindet und zunächst Selbststudien vorzieht. Mit Hilfe von Privatlehrern befasst er sich nach einem Umzug nach Berlin ausgiebig mit technologischen Studien, bevor er sich im April 1789 an der Universität in Göttingen immatrikuliert. 34 Jahre später wird sich auch Ludwig Leichhardt an der Universität in Göttingen immatrikulieren, die einen besonders guten Ruf für die Lehre der Naturwissenschaften vorzuweisen hat.
Für Alexander von Humboldt sind allerdings weiterhin das Selbststudium und ausgiebige Naturbeobachtungen der wahre Weg zur Erkenntnis der Welt. Er verlässt die Göttinger Universität und besucht fortan die Handelsakademie von Büsch und Elbing in Hamburg. Am 14. Juni 1791 reist Humboldt nach Freiberg in Sachsen, um dort seine Ausbildung zu vollenden. Er untersucht Gesteinsmaterial in den Bergwerken und hört Vorlesungen über Geologie. Nach Beendigung der Ausbildung wird er als Assessor in den preußischen Bergdienst aufgenommen. Aufgrund seiner hervorragenden Leistungen wird er schnell zum Oberbergmeister ernannt. Er veröffentlicht seine mineralogischen, geologischen und chemischen Untersuchungen in Zeitschriften und
[…] im Jahr 1793 wird er Mitglied der Leopoldina und erhält die Sächsische Medaille für Kunst und Wissenschaft in Gold.[6]
Er unternimmt mehrere Exkursionen nach Polen, Böhmen, Oberitalien und in die Alpen, um geologische Lagerverhältnisse zu untersuchen. Schon zu seinen Studienzeiten hat Alexander von Humboldt Exkursionen durchgeführt und neben naturwissenschaftlichen Erkenntnissen auch einflussreiche Kontakte knüpfen können. Bereits im Jahr 1790 verabredet er mit Georg Forster eine gemeinsame Reise an den Niederrhein, nach Frankreich und England. Georg Forster ist zu dieser Zeit bereits eine Berühmtheit, da er an der Weltumsegelung Cooks teilgenommen hat. Somit erarbeitet sich Alexander von Humboldt schon Jahre vor seiner spektakulären Amerikareise ein stabiles soziales Netzwerk zu anderen bekannten Persönlichkeiten. All dies bleibt Leichhardt in seiner Heimat verwehrt. Seine Wirkungsstätte ist nie Preußen, sondern ausschließlich Australien und auch dort verfügt er nicht über den Einfluss der für Humboldt eine Selbstverständlichkeit ist.
Zunächst beugt sich auch Ludwig Leichhardt dem Wunsch seiner Eltern und immatrikuliert sich im Oktober 1831 an der Philosophischen Fakultät der Berliner Universität. Er belegt Vorlesungen in Klassischer Philologie, Psychologie und Logik, um die von seinen Eltern geforderte Gelehrtenlaufbahn einschlagen zu können. Ebenso wie Alexander von Humboldt kann Ludwig Leichhardt sein Interesse an den Naturwissenschaften nicht ablegen. Er besucht Vorlesungen in Geographie, Anthropologie und Astronomie. Nach vier Semestern exmatrikuliert er sich in Berlin und setzt seine Studien an der Georg-August-Universität in Göttingen fort, diesmal allerdings ausschließlich mit dem Fächerschwerpunkt Naturwissenschaften. Nicht nur in der Wahl seiner Universität folgt Ludwig Leichhardt dem Beispiel von Alexander von Humboldt, sondern auch in Humboldts Vorgabe, sich durch Exkursionen selbst im Fach des Naturwissenschaftlers zu bilden. Nach einem erneuten Wechsel zurück an die Universität in Berlin, lernt Ludwig Leichhardt den jungen englischen Adligen William Nicholson kennen, der in den kommenden Jahren nicht nur sein engster Vertrauter und Begleiter auf seinen Exkursionen, sondern auch sein Finanzier wird.
Ludwig Leichhardt verlässt im Jahr 1837 Preußen und reist mit seinem Freund William Nicholson in dessen Heimat England. Sie verbringen arbeitsreiche Tage in London, besuchen Museen, Kunstgalerien und Vorlesungen und reisen weiter nach Clifton zum Familiensitz der Nicholsons. Dort setzen sie ihre Selbststudien fort, wie sie es auch bereits in Preußen zu tun pflegten. Die hauseigene Bibliothek der Nicholsons enthält viele naturwissenschaftliche Werke zur Geologie, Astronomie und Geographie, darunter auch Alexander von Humboldts Ansichten der Natur, so dass für genügend Studienmaterial gesorgt ist. Kleinere Exkursionen in die Umgebung reichen den beiden Studienfreunden bald nicht mehr aus. Eine größere Expedition nach Frankreich und Italien wird geplant, schließlich wollen sich beide erst auf europäischem Boden erproben, bevor sie zu einer Exkursion auf einem anderen Kontinent aufbrechen. Dies ist schon seit geraumer Zeit ihr Ziel. Ihre Reise führt sie zunächst nach Paris. Leichhardt kann sich mit der französischen Mentalität nicht anfreunden, doch er ist von den Studienbedingungen begeistert.
Alle öffentlichen und königlichen Sammlungen sind offen, ohne Geld; man kann alles sehen, alles lernen. Die Bibliotheken kann man ungehindert benutzen, die Hospitäler, die Vorträge der Professoren kann man besuchen, ohne dafür zu bezahlen. In dieser Beziehung herrscht hier eine Liberalität, welche selbst die Berliner weit hinter sich lässt […].[7]
Hier stimmt er mit der Meinung Alexander von Humboldts überein, der es Zeit seines Lebens bedauert, dass Berlin nicht in der Lage ist, es Paris als Lehr-und Ausbildungsstätte nur im Entferntesten gleichzutun. Um ihre Exkursion fortzusetzen verlassen Nicholson und Leichhardt Paris und gelangen über Südfrankreich nach Italien. Sie unternehmen biologische und botanische Untersuchungen, studieren erloschene Vulkane und treiben ihre geologischen Untersuchungen voran. Doch schon während der Reise wird klar, dass er und Nicholson ihre gemeinsamen naturwissenschaftlichen Arbeiten nicht fortsetzen werden. „As his analysis and classifications of the rocks gathered from the volcanic areas around the city expanded, Leichardt´s urged to be a second Humboldt intensified. He was disappointed by William´s lack of interest.”[8]
Zurück in Paris teilt William Nicholson dem Freund mit, dass er sich als Arzt in Edinburgh niederlassen und Ludwig nicht auf eine Exkursion auf einem anderen Kontinent begleiten wird. Allerdings finanziert er seinem enttäuschten Freund die kostspielige Schiffsreise nach Australien und übergibt ihm weitere 200 Taler, damit Leichhardt mit diesem Startkapital in der Fremde Fuß fassen kann. Einer der großen Unterschiede zwischen Alexander von Humboldt und Ludwig Leichhardt wird hier deutlich. Bis an sein Lebensende ist Ludwig Leichhardt bei all seinen Vorhaben auf die finanzielle Unterstützung großzügiger Gönner angewiesen, wohingegen Alexander von Humboldt frei und ungebunden über ein beträchtliches Erbe verfügen kann und dies auch ganz für seine Forschungsreisen verwendet.
III. Das Treffen in Paris und die Auswirkungen
Schon zu seinen Schulzeiten lässt sich Ludwig Leichhardt von den einflussreichen Männern seiner Zeit inspirieren und widmet sich mit besonderer Hingabe den Schriften von preußischen Literaten und Wissenschaftlern. Er studiert die Werke von Friedrich Schiller, Johann Wolfgang Goethe und mit Friedrich Raumers Herbstreisen nach Venedig begibt er sich gedanklich auf die Reise der Erforschung der Naturwissenschaften. Einen besonderen Einfluss haben Fürst Pücklers Briefe eines Verstorbenen auf ihn und er schwärmt;
Wie oft hat mich der Adlerflug des Fürsten Pückler mit sich fortgezogen und die Brust mit dem Drang nach dem Blauen Fernen erfüllt, […] [sic].[9]
Die Ergüsse der geistigen Elite der damaligen Zeit prägen und fördern ihn, doch kein Werk hat den jungen Leichhardt so nachhaltig geprägt wie Alexander von Humboldts Ansichten der Natur.
Von nun an ist sein gesamter beruflicher Werdegang darauf ausgerichtet, es Alexander von Humboldt gleichzutun. Seine Studienzeit und seine frühen Forschungsreisen ähneln in Umsetzung und Ausführung auffallend denen von Alexander von Humboldt. Umfassende Bildung, Steigerung des Intellekts und Ignoranz gegenüber den eigenen Schwächen und Gebrechen zum Wohle der Erforschung der Natur werden für ihn zum Humboldt’schen Leitmotiv. Daher ist es nicht verwunderlich, dass auch in späteren Jahren in Australien Leichhardts Gedanken seinem Vorbild gelten. In einem seiner letzten Briefe vor seinem Verschwinden im australischen Busch lässt er verlauten:
Und Humboldt? Sein Beispiel war und ist mir beständig vor Augen.[10]
Leichhardts Bewunderung für Alexander von Humboldt bleibt Zeit seines Lebens ungebrochen, doch die letzten Worte weisen darauf hin, dass sich Leichhardt nur mit dem jungen agilen Humboldt vergleichen und messen möchte und nicht mit dem späten Humboldt, auf den er im Juni 1841 in Paris trifft und der ihn über die Maßen enttäuscht. Das einzige Treffen zwischen den beiden preußischen Naturwissenschaftlern ist eine Kombination aus Unverständnis, Scheu und einem schlecht gewählten Zeitpunkt.
Bereits im Jahr 1838 hätte es zu einem Treffen der beiden Männer kommen können. Leichhardts Eltern empfehlen ihrem Sohn sich an Alexander von Humboldt zu wenden, da er sich durch seinen Auslandsaufenthalt in große Schwierigkeiten gebracht hat. Er hätte nach seinem Aufenthalt in England nach Preußen zurückkehren müssen, um seinen Militärdienst abzuleisten. Dies hätte zur Folge gehabt, dass Leichhardts geplante Studienreise nach Frankreich und Italien gemeinsam mit Nicholson nicht hätte verwirklicht werden können. Leichhardt beantragt das nötige Visum für Paris, doch wie erwartet wird es ihm vom preußischen Gesandten verweigert, da die politische Situation zwischen den beiden Ländern angespannt ist. Die preußische Obrigkeit fürchtet, dass junge preußische Intellektuelle sich ein Beispiel an den französischen Barrikadenkämpfen von 1830 oder den Lyoner Seidenweberaufständen von 1831 und 1834 nehmen könnten. Doch Leichhardt hat die feste Absicht seine Exkursion mit Nicholson fortzusetzen und reist mit Hilfe eines gefälschten englischen Passes nach Paris. Eine Entscheidung, die weitreichende Folgen mit sich bringt. Er gilt nun in Preußen als Deserteur und eine Rückkehr in die Heimat ist nur noch in Verbindung mit einer langen Haftstrafe möglich. Die Eltern Leichhardts erhoffen sich Hilfe von Alexander von Humboldt, der als Kammerherr des Königs großen Einfluss hat. Sie fordern ihren Sohn auf einen Bittgesuch an Alexander von Humboldt zu schicken. Ludwig Leichhardt jedoch befürchtet, Humboldt die Aufrichtigkeit seines Vorhabens nicht erläutern zu können.
Was konnte ich ihm sagen? Ich will mich zu einer großen Reise nach Westindien und Amerika vorbereiten! Gut! Doch wie konnte ich ihm darüber Gewissheit geben? Sollte ich bei ihm in den Verdacht fallen, eine gewaltige Lüge zu machen, um vom Militärdienst freizukommen? [11].
Auch ein Begnadigungsgesuch der Eltern an Fürst Pückler lehnt er ab.
Du schreibst mir lieber Vater, dass du dir den Grafen Pückler zu Oppeln für mich verpflichten willst. Ich erkenne Deine Güte und sage Dir herzlichen Dank. Doch hast Du es noch nicht gethan, so thue es nicht, denn soll ich irgend mit Vortheil nach Preussen zurückkehren, so muss ich dies durch meine eigenen Leistungen zuwege bringen.[12]
Das Ablehnen jeglicher Hilfe mag zu diesem Zeitpunkt nicht nur Stolz gewesen sein. Für Leichhardt handelt es sich nicht um eine akute Problematik, da er sich bereits mit dem gefälschten englischen Pass in Frankreich befindet. Die geplante Exkursion wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen und eine baldige Rückkehr nach Preußen hat der junge Naturwissenschaftler in naher Zukunft nicht vorgesehen. Zwei Jahre später hat sich die Situation allerdings geändert und ihn veranlasst, doch um eine Audienz bei Alexander von Humboldt zu bitten. Es ist das Jahr 1841 und Leichhardts Pläne, Europa zu verlassen, um auf einem anderen Kontinent sein berufliches Glück zu finden, sind nun ausgereift. Dass Humboldt sich zur gleichen Zeit in Paris aufhält sieht Leichhardt als untrügliches Zeichen, die wahrscheinlich letzte Chance zu nutzen seinem Idol gegenüberzutreten. Er lässt seinen Schwager Ernst August Schmalfuß wissen:
Ich habe gehört, dass Humboldt nach Paris kommen wird ich lasse ihn dann nicht, ohne Gewisses über meine Zukunft zu haben.[13]
Leichhardt lässt Taten folgen und ersucht Humboldt in einem Brief, der auf den 14. Juni 1841 datiert ist, um eine Unterredung:
Ich habe mich zu Berlin, London, Paris mit den Naturwissenschaften beschäftigt mit der Absicht, mich soviel als möglich, mit Kenntnissen zu bereichern, die mich tüchtig machen, in Neu Holland durch lange Zeit fortgesetzte Beobachtungen für die Wissenschaft nützlich zu werden. […] und da ich jetzt fast am Ende meiner europaeischen Laufbahn steh, und das Glück mir so un verhofft den Großmeister nah geführt, […] wird er mir zurecht weisenden Rath über die gethane Arbeit, oder über das, was in der Zukunft zu leisten ist, vorsagen? [sic].[14]
Ludwig Leichhardt erhofft sich aber nicht nur Rat und Unterstützung für sein berufliches Vorhaben von Alexander von Humboldt, sondern er möchte ihn noch um eine weitere Gefälligkeit bitten, von der er zunächst nichts in seinem Brief erwähnt. Der enge Kontakt Alexander von Humboldts zum preußischen König weckt in Leichhardt die Hoffnung, dass er durch Humboldts Fürsprache vor seiner Abreise noch einmal nach Preußen reisen können wird, um sich von seiner Familie zu verabschieden. Leichhardt weiß um die unermüdliche Unterstützung Humboldts für junge Naturwissenschaftler und hofft nun auch selbst bei Humboldt auf Verständnis zu stoßen und seine Hilfe in Anspruch nehmen zu können. Doch Leichhardt wird bitter enttäuscht. Nach nur zehn Minuten wird Leichhardt aus der Privataudienz bei Humboldt entlassen. Er hatte ihm zunächst über sein Vorhaben, Australien zu bereisen, berichtet und bereits hier zeigt sich Humboldt nicht geneigt Ludwig Leichhardt unterstützend an die Seite zu treten. Die Bitte nach einem Empfehlungsschreiben, das ihm den Start in der englischen Kolonie erleichtern soll, lehnt Alexander von Humboldt ab, mit der Begründung, dass Leichhardt ein Empfehlungsschreiben im fernen Australien nichts nützen würde. Auch zeigt er sich nur mäßig interessiert an den hochfliegenden Ideen und naturwissenschaftlichen Vorhaben seines jungen Landsmannes. Leichhardt ist enttäuscht über die ablehnende Haltung Humboldts und sein Stolz verbietet es ihm, die Problematik bezüglich der Verurteilung als Deserteur in Preußen überhaupt anzusprechen. Seine Hoffnungen, dass Humboldt für ihn beim König ein gutes Wort einlegt, haben sich nicht erfüllt. Er beschreibt die Situation seinem Schwager Schmalfuß.
Ihr könnt Euch leicht vorstellen, dass ich unter so bewandten Umständen nicht gewillt war, ihm weiter von meiner Militärgeschichte zu sprechen [...].[15]
Es ist Leichhardt zu Gute zu halten, dass er Humboldt trotz dieser enttäuschenden Unterredung weiterhin als Vorbild sieht und Verständnis für Humboldts Situation zeigt.
Er bewilligte mir eine Unterredung von 10 Minuten, und ich ging eben so weise von ihm, wie ich gekommen war. Diese Männer sind so sehr an neugierigen Besuch gewöhnt, dass sie alle für Neugierige halten, welche nicht mit einem Haufen von Empfehlungsbriefen kommen, und da sie sich jenen nur eben zeigen wollen, oekonomisieren sie so viel als möglich mit ihrer Zeit.[16]
Leichhardt erkennt, dass der mittlerweile 71-jährige Humboldt zu sehr mit seiner noch zu verrichtenden Arbeit, seinen Publikationen, Korrespondenzen und natürlich den vielen Bittgesuchen beschäftigt ist und er sich nicht mit den Träumen und Problemen eines jungen und völlig unbekannten Naturforschers beschäftigen kann. In späteren Jahren wird Humboldt selbst diesen Grund angeben, für die ablehnende Reaktion auf Leichhardts Bittgesuch während der Audienz in seinem Pariser Büro im Jahre 1841. Er räumt ein, dass Leichhardts Ruf
[…] in Deutschland nur deshalb so eingeschränkt gewesen, weil man vorher gar nichts wissenschaftliches von ihm wusste […].[17]
Tatsächlich verfasst Leichhardt hat all seine Werke erst in Australien und nie auf europäischem Boden. Alexander von Humboldt ebnet zwar nicht Leichhardts Weg in der Anfangszeit, doch nach Leichhardts Verschwinden im australischen Busch ist Humboldt maßgeblich daran beteiligt, seinen Namen in Deutschland publik zu machen und ihm die lange verweigerte Anerkennung zu Teil werden zu lassen. Bereits im Jahr 1846 werden die ersten Erfolge Leichhardts in Europa bekannt gemacht. Sein Schwager Schmalfuß nutzt die Gunst der Stunde und wendet sich an den Fürsten Pückler und bittet ihn, eine Begnadigung für Leichhardt beim preußischen König zu erwirken. Hilfesuchend wendet sich Fürst Pückler in diesem schwierigen Fall an Alexander von Humboldt, da er um seine guten Beziehungen zu Friedrich Wilhelm IV. weiß. Tatsächlich erwirkt Humboldt die Begnadigung für Leichhardt. Die glückliche Nachricht erreicht ihn im fernen Australien kurz bevor er zu seiner schicksalhaften dritten Expedition aufbrechen wird, von der er nicht mehr zurückkehrt. Er schreibt an seinen Schwager:
Es ist ein beruhigendes Gefühl, mit dem Vaterlande in Frieden zu sein, ungehindert zu ihm zurück kehren, die Meinigen wiedersehen zu können, selbst wenn das Schicksal es wollte, daß meine Wünsche in dieser Beziehung nie in Erfüllung gingen. Es ist das Können, welches dem freien Mann so theuer ist.[18]
Doch es ist letztendlich nicht nur die Begnadigung allein, die Leichhardt mit großem Glück erfüllt. Nach der großen Enttäuschung mit Humboldt im Jahr 1841 ist er überwältigt von der Tatsache, dass sich sowohl Fürst von Pückler als auch Alexander von Humboldt für ihn eingesetzt und seine Begnadigung erwirkt haben.
[…], so wächst unwillkürlich ein Gefühl des Stolzes, daß ich dieses Glück dem Vorworte von Männern zu verdanken habe, deren Thaten dem Knaben wie Wundermährchen anklangen, [...][19]
Dank Humboldt, der sich auch nach der Begnadigung weiterhin für Leichhardt einsetzt, erscheint ein Abdruck von Leichhardts brieflichen Reisemitteilungen in einem geographischen naturkundlichen Reisejournal. Langsam aber stetig tragen Humboldts Bemühungen dazu bei, dass Leichhardts Name in Europa publik wird. Das nur in englischer Sprache verfasste Reisewerk von Ludwig Leichhardt wird von dem Historiker Professor Ernst Amandus Zuchold endlich ins Deutsche übersetzt, so dass Leichhardts Taten nun auch in seiner Muttersprache zu lesen sind. Das erste Exemplar schickt Zuchold an Humboldt.
Ich eile Ihnen meinen innigen Dank für das schöne und interessante Geschenk, ein Prachtexemplar von unseres Leichardt´s Reise, darzubringen. […] ich habe stets mit grosser Freude in der Ursprache aller Schriften des Dr. Leichhardt wie die Berichte über ihn im Journ. oft he geogr. Soc. Gelesen, und Ew. Wohlgeb. haben sich durch Ihre mit kurzen aber sehr gründlichen naturhistorischen Erläuterungen versehene Uebersetzung ein wahres Verdienst um die Reiseliteratur erworben.[20]
Weiterhin regt Alexander von Humboldt Professor Ernst Amandus Zuchold dazu an, Materialien aus Leichhardts Kinder-und Jugendjahren zusammenzutragen, da es dazu noch keinerlei Veröffentlichungen gibt. Alexander von Humboldt stellt den Kontakt zwischen Zuchold und Leichhardts Schwager Schmalfuß in Cottbus her, da er selbst keinerlei Kenntnisse über Leichhardts Jugendjahre hat. Zu diesem Zeitpunkt gilt Leichhardt in Australien bereits als verschollen, aber er ist noch nicht für tot erklärt worden. Dass sich Humboldt so für Leichhardt einsetzt und auf eine Biographie Leichhardts drängt, ist nicht als späte Entschuldigung an seinen jungen Kollegen zu verstehen. Vielmehr ist es ehrliche Begeisterung und Interesse an Leichhardts Erfolg auf dem fremden Kontinent Australien, den Humboldt niemals selbst betreten hat und nur aus Erzählungen kennt. Er hat nur Lob und Anerkennung für seinen Landsmann übrig.
Es ist mir immer unbegreiflich gewesen, wie in Deutschland der Name eines durch Kenntnisse, Charakterstärke und seine geographischen Entdeckungen in England so hochgeachteten Mannes wenig Anklang gefunden habe.[21]
Bis jedoch Leichhardts Biographie erscheint, vergehen mehrere Jahre, da sein Schwager Schmalfuß sich zunächst weigert persönliche Daten Leichhardts weiterzugeben. Auf die vielen Briefe von Zuchold erwidert er nach längerer Zeit des Zögerns mehr als verhalten.
Sie irren nicht, wenn Sie vermuthen, dass ich schätzbare Papiere über meinen Schwager habe. […] Ehe sich aber sein Tod nicht unwiderleglich bestätigt, […] wird keine Zeile von ihm und über ihn veröffentlicht; dies bin ich ihm, dies bin ich seiner Familie schuldig.[22]
Erst Jahre später gelingt es Zuchold, Leichhardts Schwager zu einer Zusammenarbeit zu überreden. Nach Abschluss der Arbeit wendet sich Schmalfuß an Humboldt mit der Bitte, eine Vorrede für die Veröffentlichung von Leichhardts Familienbriefen zu schreiben. Der mittlerweile 86jährige Humboldt lehnt dies ab, da sein hohes Alter und die Sorge um seine eigenen noch zu erledigenden Arbeiten und seine zeitraubenden Korrespondenzen keine weiteren schriftstellerischen Arbeiten zulassen. Die Absage an Schmalfuß ist aber versehen mit einer letzen lobenden Aussage über Ludwig Leichhardt.
Sie werden nicht zweifeln an dem warmen und herzlichen Antheil, den ich an Allem nehme, was auf das Andenken an ihren berühmten und in seinem edlen Beruf sich aufopfernde Schwager Dr. Leichhardt Bezug hat.[23]
IV. Exkursionen und Ergebnisse auf zwei Kontinenten
Sowohl Alexander von Humboldt als auch Ludwig Leichhardt befinden sich kurz vor ihrem Aufbruch zu einem fremden Kontinent in ungewissen Situationen. Leichhardt ist von William Nicholson, seinem besten Freund und Kollegen verlassen worden und ist sich zudem nicht mehr sicher, wohin ihn seine Reise führen soll. Zurück in seine Heimat kann er auf Grund seines Deserteurstatus nicht.
Alexander von Humboldt muss in seiner Jugendzeit zwar keinen Militärdienst ableisten, aber auch seine Reisepläne lassen sich nicht ohne Probleme verwirklichen. Anders als Leichhardt ist er jedoch finanziell unabhängig. Als Marie Elisabeth von Humboldt am 19. November 1796 verstirbt, hinterlässt sie ihren Söhnen Wilhelm und Alexander ein beträchtliches Vermögen. Für Alexander von Humboldt eröffnen sich nun neue Möglichkeiten. Er beschließt, sich im Frühjahr 1798 einem reichen Engländer anzuschließen, der eine Expedition nach Ägypten organisiert. Kurz vor der Abreise wird der englische Finanzier der Unternehmung der Spionage verdächtigt und verhaftet. Alexander von Humboldt ist bereits nach Paris gereist, um die nötigen Instrumente für die Reise einzukaufen und erfährt enttäuscht von der Absage der Exkursion. Hatte er sich doch bereits in die Nutzung des Sextanten eingearbeitet, um diesen für seine geplanten geodätischen Messungen benutzen zu können. Doch kurz darauf scheint sich für Humboldt die Möglichkeit zu ergeben, sich einer französischen Expedition nach Ägypten anzuschließen. Um die Wartezeit bis zur Abreise zu überbrücken, vervollständigt Alexander von Humboldt seine naturwissenschaftlichen Arbeiten in den Ostalpen, eine Studienreise, die er mit seinem alten Kommilitonen Leopold von Buch kurz zuvor unternommen hatte. Während der Auswertungen lernt Humboldt den jungen Botaniker Aimé Bonpland kennen, der ihn nicht nur als treuer Gefährte auf seiner Südamerikareise begleiten, sondern auch bis zu seinem Lebensende in tiefer Freundschaft verbunden sein wird. Humboldt muss erneut einen Rückschlag verkraften, da auch die geplante französische Expedition nach Ägypten nicht stattfindet. Nach zwei Monaten vergeblicher Wartezeit, in der Hoffnung mit einer anderen Expedition nach Ägypten zu gelangen, gibt Humboldt dieses Reiseziel auf. Stattdessen macht er sich mit seinem neuen Freund und Kollegen Aimé Bonpland auf den Weg nach Madrid, um dort das Pflanzenleben des Südens zu erforschen. Es ist schließlich ein Zufall, der die beiden jungen Männer nach Südamerika führt.
In Marseille treffen sie auf den sächsischen Gesandten am spanischen Hofe. Er hilft den beiden Naturwissenschaftlern die Erlaubnis des spanischen Königs zu erwirken, um von Spanien aus in die amerikanischen Kolonien zu reisen. Ohne diese Erlaubnis ist allen Nichtspaniern der Eintritt in die Kolonie Südamerika verboten. Im Mai 1799 reisen Humboldt und Bonpland nach La Coruña, um von dort nach Cumaná in Venezuela zu gelangen. Auch bei Leichhardt ist es eine Fügung des Schicksals, dass ihn sein Weg nach Australien führt. Verlassen von seinem engsten Vertrauten William Nicholson überlegt Leichhardt, sein Vorhaben einer Expedition in Übersee abzubrechen und wie William ein bürgerliches Leben zu führen. Sein Wissensdrang und die Tatsache, dass er anders als William die Universität ohne Abschluss verlassen hat, lassen ihn schließlich an seinen Plänen festhalten. Eine Expedition in Westindien zieht er allerdings nicht mehr in Betracht. Wahrscheinlich, weil dieses Vorhaben immer zusammen mit William Nicholson geplant gewesen ist. Australien rückt ins Zentrum seines Interesses. Während seiner Studien in Paris hat Leichhardt bereits einige Pflanzen vom fünften Kontinent untersucht und zudem ist Australien über die Jahre regelrecht in Mode gekommen. Trotzdem bewirbt sich Leichhardt zunächst für eine englische wissenschaftliche Expedition zur Westküste Afrikas. Eine von anderen bereits organisierte Expedition scheint dem jungen Leichhardt eine sicherere Alternative zur ungewissen Reise auf eigene Faust nach Australien zu sein. Doch Ludwig Leichhardts Bewerbung erreicht die englische Expedition zu spät. Nun ist Australien endgültig das unumstößliche Ziel. Doch neue Zweifel plagen Leichhardt bei der Frage, ob er sich nach Sydney oder nach Port Philipp Bay einschiffen lassen soll. Dass Ludwig Leichhardt am 01.10.1841 die Sir Edward Paget besteigt, die ihn nach Sydney bringt, ist einem weiteren Zufall geschuldet. Kurz vor der Abreise trifft Leichhardt auf einen alten Bekannten, der ihm den Kontakt zu Professor Richard Owen vermittelt. Owen stellt Ludwig Leichhardt ein Empfehlungsschreiben aus für Thomas Mitchell, dem Generalinspektor fürs Landvermessungswesen in Sydney.[24]
Weder Alexander von Humboldt noch Ludwig Leichhardt wählen Südamerika und Australien zu ihrem Ziel. Vielmehr führen Zufall und zeitliche wie politische Umstände die beiden Naturforscher an die Orte, an denen sie durch ihre Entdeckungsreisen berühmt werden. Bis zu diesem Zeitpunkt sind die Übereinstimmungen im Leben der beiden Männer deutlich zu erkennen, doch während der nächsten Jahre zeigen sich gravierende Unterschiede, trotz Leichhardts ständigem Bemühen, es seinem Vorbild Humboldt in allen Dingen gleichzutun. In fünf Jahren bereist Alexander von Humboldt Kuba, Kolumbien, Ecuador, Peru, Mexiko und die USA. Dank seiner finanziellen Unabhängigkeit kann er spontan auf unvorhergesehene Ereignisse reagieren und nichts kann ihn daran hindern, die Expedition nach seinen Vorstellungen zu leiten. Darüber hinaus sind Humboldts wissenschaftliche Fähigkeiten im Gegensatz zu anderen Forschern beispiellos. Die Handhabung der Geräte, seine exakten Messungen und seine gute Ausrüstung stellen ihn an die Spitze der Naturwissenschaftler seiner Zeit. Er führt zu jeder Tages- und Nachtzeit Messungen durch, notiert sie akribisch und wird sie später auswerten, um seine Erkenntnisse der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Er misst die Temperatur der Luft und des Meeres, die Feuchtigkeit der Luft, die Bläue des Himmels und die magnetische Inklination.[25] Das Sammeln von Daten und Faktum ist sein Hauptanspruch an die Reise und die Liste seiner mitgeführten Instrumente ist lang.
Ich werde Pflanzen und Foßilien sammeln, mit vortrefflichen Sextanten von Ramsden, einen Quadrant von Bird, und einen Chronometer von Louis Berthoud werde ich nützliche astronomische Beobachtungen machen können; ich werde die Luft chemisch zerlegen,-[…].[26]
Weiter kommen zu seinen Instrumenten hinzu, ein achromatisches Fernrohr, ein Messfernrohr mit einem Glasmikrometer, zwei Elektrometer, mehrere Thermometer, ein Eudiometer, zwei Arämeter, eine Probierwaage, eine Messkette, ein Magnetometer ein Hyetometer und elektroskoppische Apparate. Zur Winkelbestimmung führt er einen Dosen-Sextant mit und mehrere Thermometer.[27] Im Vergleich zu Humboldts Ausstattung ist Leichhardts Ausrüstung während seiner ersten Expedition hingegen klein und ungenügend. Zunächst hat Ludwig Leichhardt auch kein Interesse eine eigene Expedition zu leiten. Im Sommer 1844 scheint sich für ihn die Möglichkeit zu ergeben an einer Expedition von Sydney nach Port Essington teilzunehmen, unter der Leitung von Sir Thomas Mitchell. Die Expedition soll größtenteils durch das noch unerforschte Hinterland Australiens führen und auch strategisch ist die Strecke von der Ostküste des Kontinents bis zum im Norden gelegenen Militärstützpunkt Port Essington von größter Bedeutung. Könnte eine Landverbindung nachgewiesen werden, gäbe es endlich eine Alternative zu den gefährlichen Schifffahrtswegen. Sir Thomas Mitchell lässt viel Zeit mit der Planung verstreichen und Ludwig Leichhardt wird unruhig. Die Zeit erscheint ihm günstig, denn nach drei regenreichen Jahren sind gefüllte Wasserreservoirs im Hinterland von Australien zu erwarten. So fasst Ludwig Leichhardt den Entschluss eine eigene Expedition zu organisieren, die lange vor der Mitchell Expedition Port Essington erreichen soll. Finanziell schlecht gestellt, stellt er seine Expedition zum Teil aus Spenden von Farmern aus der Umgebung zusammen und zum Teil aus seinem geringen Geldvermögen, das er sich nach der Ankunft in Australien bei reichen Siedlern als Hauslehrer verdient hat. So verfügt er bald über eine beträchtliche Summe an Sachspenden, doch Geld, um Instrumente kaufen zu können, fehlt.
Die einzigen Instrumente, welche ich mit mir führte, waren ein Sextant, ein künstlicher Horizont, ein Chronometer, ein katerscher Handkompass, ein kleines Thermometer (welches leider in der ersten Zeit zerbrach), und Arrowsmiths Karte vom Kontinent von Neuholland.[28]
Leichhardt ist bewusst, dass er mit seinen Instrumenten nicht gut genug ausgestattet ist, um exakte Messungen durchzuführen. Ihm fehlt eine genau gehende Uhr, so dass ihm die Bestimmung der geographischen Länge nicht möglich ist, denn der mitgeführte Sextant ermöglicht nur eine einigermaßen genaue geographische Breite darzustellen. Auch auf wichtige Instrumente wie Luftdruck- und Höhenmesser muss Leichhardt aus finanziellen Gründen verzichten. Er versucht den Mangel durch Akribie in den Aufzeichnungen und durch riesige botanische geologische Sammlungen auszugleichen, doch er ist sich seines Mangels bewusst.
Jedoch hatte ich häufig Ursache zu bedauern, dass ich nicht besser mit Instrumenten, besonders Barometern oder einem Apparat zum Wasserkochen versehen war, um die Höhe des Landes oder der Gebirgsketten, die wir zu übersteigen hatten, zu bestimmen.[29]
Schon die Zusammenstellung seiner Expedition erweist sich als schwierig und gleich zu Beginn unterläuft ihm ein folgenschwerer Fehler. Zu diesem Zeitpunkt glaubt er noch, die zu bestreitende Strecke betrüge 3200 km und sein Vorhaben würde fünf bis sechs Monate dauern. Noch in Sydney verfasst er einen Brief an einen Freund und berichtet, dass er mit der Reise von Sydney nach Moreton Bay, den Vorbereitungen in Moreton Bay, der Expedition selbst und der Rückkehr von Port Essington nach Sydney, einen Zeitraum von einem Jahr veranschlagt. Allein die Expedition wird die von Leichhardt geplante Jahresfrist um drei Monate übersteigen. Diese Fehleinschätzung lässt ihn zu wenig Proviant mitnehmen, so dass Leichhardts Männer die letzten sieben Monate der Reise ohne Mehl auskommen müssen und sich überwiegend von trockenem Fleisch ernähren.[30] Insgesamt 15 Monate, von Oktober 1844 bis Dezember 1845, dauert die Expedition Leichhardts und auch hier zeigt sich, dass Alexander von Humboldt mehr Weitsicht und Geschick bei der Planung und Durchführung seiner Expeditionen bewiesen hat, denn die Leichhardt Expedition legt im Durchschnitt 6 Kilometer pro Tag zurück, was für die Größe seiner Expedition eine normale tägliche Kilometeranzahl ist. Das tägliche Skizzieren der Route, das Einfangen entlaufender Tiere und Messungen nehmen viel Zeit in Anspruch, die Leichhardt nicht eingeplant hat. Als die Vorräte knapp werden, muss sich Leichhardt vor seinen Reisebegleitern verantworten, die zu meutern beginnen. Anders als Alexander von Humboldt, der Botaniker und andere Forscher zu seinem Expeditionskreis zählt, muss sich Leichhardt mit einer Expeditionsgruppe von Siedlern und freigelassenen Sträflingen begnügen. Er hat keinerlei einflussreiche Kontakte oder noble Gönner und darf keine Ansprüche stellen. Viele abenteuerlustige Männer meldeten sich zur Teilnahme an der Expedition ins unerforschte Hinterland Australiens, obwohl kaum jemand aus der Bevölkerung davon überzeugt ist, dass Leichhardts Vorhaben gelingen könnte. Leichhardt muss sich mit Zweifel und Gespött abfinden.
Andere hielten das Unternehmen für ausserordentlich gefährlich und sahen die Idee als eine Tollheit von meiner Seite, als die Folge eines blinden Enthusiasmus an, der entweder durch einen unklaren Hang für die Wissenschaften oder durch vernunftwidrige Ruhmsucht genährt würde, während noch Andere es selbst nicht gerechtfertigt fanden, einen Mann zu unterstützen, der absichtlich einen Selbstmord begehen wollte.[31]
Leichardt wählt fünf Gefährten aus, die ihm am zuverlässigsten und willensstärksten erscheinen. Unter ihnen John Murphy, mit seinen 16 Jahren der Jüngste in der Gruppe, den britischen Strafgefangenen William Phillips, den aboriginestämmigen Harry Brown und zwei weitere Männer namens James Calvert und John Roper.[32] In Brisbane wird Leichhardt klar, dass das vorgesehene Gepäck samt Proviant nicht von sechs Männern bewältigt werden kann. Er heuert vier weitere Männer an.
Folgende Personen traten der Expedition bei: Pemperdon Hodgson in dieser Gegend wohnhaft, Gilbert, Caleb ein Amerikanischer Neger und „Charley“ ein Eingeborener vom Bathurst – Stamm.[33]
Mit der Wahl seiner Begleiter soll Leichhardt sowohl auf seiner ersten Expedition, als auch auf seiner zweiten Expedition kein Glück haben. Unklar ist dabei, ob Leichhardt sein Vertrauen in die falschen Leute gesetzt hat, oder ob seine begrenzten Fähigkeiten als Expeditionsleiter die Gruppendynamik negativ beeinflusst haben. In seinem Tagebuch beklagt Leichhardt die Unstimmigkeiten, die den Erfolg seiner Reise gefährden. Doch zu Beginn herrschen noch keine Unstimmigkeiten und die Gesellschaft bricht von Moreton Bay auf und zieht 600 Kilometer nordwestlich zur Siedlung Jimba, die an der äußersten Grenze der Kolonie liegt. Dahinter erstreckt sich die Wildnis.[34] Nachdem sie Jimba verlassen, lassen sie auch die Zivilisation und damit jegliche Möglichkeit auf Hilfe hinter sich. Bald werden die Teilnehmer der Expedition auf einen schweren Prüfstand gestellt. Hitze, Proviantverlust und die ständige zermürbende Suche nach Wasser schwächt und demotiviert die Männer. Leichhardt erkennt früh, dass er die Entfernung unterschätzt und den Proviant falsch berechnet hat. Die Lebensmittel werden schnell knapp und die tägliche Jagd muss die Versorgungslage sichern.[35] Die mitgeführten Ochsen erweisen sich als störrisch und nicht gewillt, die Lasten zu tragen. Einige Ochsen und Pferde gehen verloren und das erschwert zusätzlich das Vorankommen, da viel Zeit auf die Suche nach den Tieren verwendet werden muss. Leichhardt unternimmt oft kleinere Exkursionen ohne seine Begleiter. Er gewinnt naturwissenschaftliche Erkenntnisse, vergrößert seine botanische Sammlung und verbringt viel Zeit allein im Busch mit seinen Erkundigungen. Nicht immer findet er auf Anhieb den Rückweg zur Gruppe und bringt sich in Gefahr.
At one time, for example, he was without food for 36 hours and it took him four days to find his way back to his camp, where he arrived exhausted.[36]
Die beiden teilnehmenden Aborigines, Charlie und Harry, beginnen sich gegen Leichhardt aufzulehnen. Ihr aggressives Verhalten beunruhigt die ganze Gruppe. Die Situation eskaliert, als Charlie Leichhardt mit der Faust ins Gesicht schlägt und Leichhardt fast ein paar Zähne verliert.[37] Das Geschehen veranlasst Leichhardt, sie von der Expedition auszuschließen. Allerdings folgen sie der Expedition in einigem Abstand und ihr reumütiges Verhalten und die Tatsache, dass sie als Spurenleser von essentieller Wichtigkeit für das Gelingen der Expedition sind, lassen sie Leichhardt wieder in den Tross aufnehmen. Gilbert kritisiert dieses in seinen Augen schwache Verhalten von Leichhardt. Er ist nicht der einzige, der mit der Art wie Leichhardt die Gruppe führt, unzufrieden ist. Hodgson und Caleb verlassen schon nach den ersten Wochen die Expedition und kehren in die Zivilisation zurück. Bis jetzt scheint die Expedition wenig Aussicht auf Erfolg zu haben, doch Leichhardt hält stoisch an seinem Vorhaben fest. Der Botaniker Gilbert unterstützt Leichhardt während der Expedition bei seinen botanischen Sammlungen. Gemeinsam sammeln sie Pflanzen und präparieren Insekten und Vögel. Leichhardt ist besonders an den geologischen Strukturen des Landes interessiert und widmet sich den Untersuchungen und Skizzierungen mit großer Sorgfalt. Er macht erstaunliche Beobachtungen.
[...] Bäume und Pflanzen verschwanden in Folge der veränderten Bodenbeschaffenheit wie der Abnahme der Feuchtigkeit, und die Vögel hielten sich an eine bestimmte Vegetation.[38]
Den Untersuchungen zum Vorkommen von Steinkohle schenkt er die größte Beachtung da er weiß, dass diese Untersuchungen zur weiteren Siedlungspolitik Australiens beitragen werden, da Steinkohle an noch unberührten Gebieten auf mögliche spätere Siedlungen hinweist.
An der Vereinigung des Comet-Creek und des Flusses fand ich vom Wasser ausgeworfene Stücke guter Kohle und in Eisenstein verwandelte Baumstämme. Ich nannte diesen Fluss den „Mackenzie“ zu Ehren des Sir Evan Mackenzie Bart.[39]
Wetter und Klimabeobachtungen sowie ethnologische Erkenntnisse über die Aborigines wertet Leichardt während der Abendstunden aus. Die Exkursion trifft auf viele Aboriginestämme und Leichhardt bemerkt, dass sich die Stämme untereinander nur bedingt mit einer anscheinend allgemeingültigen Zeichensprache verständigen können. Die verschiedenen Sprachen sind selbst für ihn am Klang deutlich zu unterscheiden. Er notiert ein Erlebnis in seinem Tagebuch.
Lange versuchten wir vergebens uns verständlich zu machen, da weder Charley noch Brown ein einziges Wort ihrer Sprache verstanden.[40]
Heutzutage wird geschätzt, dass es bis zu 4000 verschiedene Sprachstämme gegeben hat, die durch die Ausrottung der Aborigines untergegangen sind. Leichhardt beobachtet die Anpassung der Ureinwohner an die Gegebenheiten des kargen Kontinents. Sie leben im Einklang mit der Natur und erschöpfen ihre lebenserhaltenden Ressourcen nicht gänzlich, sondern erhalten einen natürlichen biologischen Kreislauf.
Die Eingebornen schienen das Gras, besonders an jedem Wasserlaufe und rings um die Hälter abgebrannt zu haben, damit sich diese Stelle sogleich beim Eintritte der Regenzeit mit neuem Grün bekleideten.[41]
Soweit es Leichhardt möglich ist, untersucht er verlassene Lagerstätten von Aborigines und studiert ihre Werkzeuge, die Nahrung und die Lebensweise und hält seine Erkenntnisse schriftlich fest.[42] Erstaunt stellt Leichhardt fest, dass sie Feuer auf unterschiedliche Art und Weise nutzen. Einmal, um die Erde fruchtbar zu machen, aber auch zur Jagd, um ihre Nahrungszufuhr zu sichern.
Die Eingeborenen brannten indess häufig das hohe steife Grass besonders längs der schattigen Creeks ab in der Absicht, das sich darin verborgen haltende Wild hinauszutreiben, [...].[43]
Die Verständigung mit den Ureinwohnern ist schwierig und erfordert Geduld, doch ist sie meist erfolgreich und von großem Nutzen für die Expedition.
Glücklicher weise besassen wir eine kleine Wörtersammlung, welche Herr Gilbert bei seinem früheren Aufenthalt in Port Essington zusammengestellt hatte, so dass wir vermochten sie nach Wasser (Obert), nach dem Weg (Allum) [...] zu fragen.[44]
Hier offenbart sich ein weiterer Fehler Leichhardts, den er bei seinen Vorbereitungen gemacht hat. Er hat keine Tauschmittel, um sie den Aborigines im Gegenzug für Informationen und Nahrung anzubieten. Zwar schenkt er ihnen Gebrauchsgegenstände, die die Expedition mit sich führt, doch diese sind für die Aborigines nicht von Nutzen. Der häufigen Bitte nach Tabak kann Leichhardt nicht nachkommen.[45] Wahrscheinlich hätte er weitaus besseren Zugang zu den Eingeborenen Australiens bekommen, hätte er dies bei seinen Vorbereitungen bedacht. Anthropologisch sammelt und ordnet er Vokabeln der unterschiedlichen Sprachen und versucht die Benennung und Katalogisierung der vielen Aboriginestämme. Als den Männern der Expedition von den Aborigines geröstete Lotussamen angeboten werden, nennt Leichhardt den Stamm Lotophagi, was so viel wie Lotusesser bedeutet.[46] So sehr Leichhardt die Aborigines faszinieren, so vergisst er doch nicht seinen botanischen, naturwissenschaftlichen Auftrag. Besonders reich ist seine Sammlung an Blättern der unterschiedlichen Eukalyptusbäume, die er entlang der Strecke findet. Leichhardt erkennt den Zusammenhang zwischen dem Vorkommen von Eukalyptusbäumen und dem Vorkommen von Koalas, einem Beuteltier, das nur in Australien lebt und sich ausschließlich von Eukalyptus ernährt. Detailgetreu erstellt Leichhardt eine Landkarte, auf der er die tägliche Reisestrecke vermerkt, inklusive Flussläufen, Seen und Bergen, die sie passieren.[47] In der Nähe des Dawson Rivers, den Leichhardt nach einem finanziellen Gönner benennt, entdeckt er Sandstein- und Lehmvorkommen, fossile Pflanzenreste und versteinertes Holz. Für seine Sammlung nimmt Leichhardt von allen Entdeckungen eine Probe mit. Ihm fällt die üppige Vegetation entlang der vielen ausgetrockneten Creeks auf und er schließt daraus, dass zu bestimmten Zeiten große Wassermengen in den Flussläufen mitgeführt werden. An den Wasserlöchern fangen und sezieren Leichhardt und Gilbert unbekannte Frösche, exotische Schlangen und Eidechsen. An einem Nebenfluss des Suttor, den Leichhardt Burdekin nennt, findet er mehrere Kalksteinschichten, von denen er Proben mitnimmt, die bei genauer Untersuchung Muschel- und Korallenversteinerungen aufweisen. Eine darin noch unentdeckte Korallenart wird später nach Ludwig Leichhardt „C. Leichhardti“ benannt.[48]
Herr W. B. Clarke in Parramatta war so freundlich, sich der Untersuchung der aus dieser Gegend mitgebrachten Versteinerungen zu unterziehen. Eine bestimmte er als ein noch unbeschriebenes Carypphyllum und erzeigte mir die Ehre, demselben meinen Namen zu geben.[49]
Die naturwissenschaftliche Arbeit in der Wildnis fordert ihre Opfer.
Zu jener Zeit litt ich an grosser Reizbarkeit der Haut und war am ganzen Körper mit Hitzebläschen bedeckt. Der leiseste Druck oder die unbedeutendste Reibung erzeugten Entzündungen und Geschwüre, [...].[50]
Ludwig Leichhardt kämpft nicht nur mit gesundheitlichen Problemen, sondern auch mit botanischen Rückschlägen. Seine botanische Sammlung wächst stetig an und wird zur Belastung für die geschwächte Gruppe und ihre Lasttiere. Er erkennt, dass nicht alle wissenschaftlichen Befunde mitgeführt werden können und oft müssen interessante Belege zurückgelassen werden. Nach Gilberts Tod trennt er sich von einem großen Teil der Sammlung.
[...] [U]nd es war jetzt von der äussersten Nothwendigkeit geboten, so wenig als möglich beschwert weiter zu reisen. Deshalb warf ich das zu den getrockneten Pflanzen bestimmte Papier, einige Holzstücke, eine kleine von Herrn Gilbert gemachte Steinsammlung und die Doubletten der zoologischen Gegenstände weg. Nur die Nothwendigkeit, welche mich zwang so zu handeln, liess mich den Verlust verschmerzen.[51]
Aber nicht einmal die verkleinerte wertvolle Sammlung erreicht vollständig Moreton Bay. Kurz vor Schluss der Expedition verliert Leichhardt sechs der mitgenommen Pferde und
dies zwang mich, meine schönen geologischen und botanischen Sammlungen fast gänzlich wegzuwerfen. Ich verbrannte allein an 3000 trockne Pflanzen – das Berliner Herbarium mag mit mir zugleich jammern; denn ich hatte die Absicht, einen Theil meiner Sammlung nach Berlin zu senden.[52]
Als sei dies nicht schon genug, stürzt ein Ochse in einen Flusslauf und die gesamte Pflanzensammlung, die er als Last trägt, wird aufgeweicht und ist somit wertlos.[53] Auf seiner Expedition skizziert Leichhardt alle entdeckten Gebirgsketten, Wasserläufe, Creeks, Berge und Täler und fertigt eine Karte des durchwanderten Gebietes an. Er benennt die Entdeckungen nach seinen Begleitern, seinen Freunden aus der Heimat und nach den Unterstützern und Geldgebern der Expedition.
Ebenso wie sein großes Vorbild Alexander von Humboldt veröffentlicht auch Ludwig Leichhardt ein großes Reisewerk über seine Expedition. Die Art und Dauer der Auswertungen und die Wirkung der beiden Reisewerke sind jedoch grundverschieden.
Noch während seines Aufenthalts in Südamerika hat die europäische Öffentlichkeit Anteil an Alexander von Humboldts Abenteuern, da er regelmäßig Berichte aus Südamerika schickt. Mit Begeisterungsstürmen wird Humboldt nach seiner Rückkehr in Paris begrüßt. Die Hauptstadt der Publikationen motiviert Humboldt, bereits in Paris mit der Auswertung seiner Reise zu beginnen und er holt sich zahlreiche namenhafte Gelehrte der Zeit zu Hilfe. Gemeinsam mit dem Chemiker Joseph Louis Gay-Lussac untersucht er die chemische Zusammensetzung der Luft. Und mit dem französischen Physiker Jean-Baptiste Biot die Variationen des Geomagnetismus.[54] Trotz Humboldts Eifer laufen die Auswertungen seiner Arbeiten nur schleppend, denn das amerikanische Reisewerk ist eine Mammutaufgabe und kaum zu bewältigen. Bis zu seinem Lebensende veröffentlicht Humboldt seine Bearbeitung der Amerikareise in sechs Teilen und 30 Bänden und sie bleibt trotzdem unvollständig. Das Reisewerk, dessen Veröffentlichung Humboldt als Privatmann finanziert, gilt als „das größte private Reisewerk der Geschichte.“[55]
Durch seine aufwendige Bearbeitung, die vielen Bände und die kostspieligen Kupferstiche in jeder Ausgabe, ist das Werk fast unverkäuflich. Kein Privatmann kann so viel Geld in ein Buch investieren, geschweige denn in alle Bände des riesigen Werkes. Hat die Amerikareise an sich schon große Teile des Vermögens Humboldts gefordert, so ist sein Vermögen mit der Herausgabe des Reisewerkes endgültig verbraucht. Im Dienste der Wissenschaften hat er alles geopfert und begibt sich im Jahr 1827 an den preußischen Hof in die Dienste des Königs und damit in eine erneute Abhängigkeit, die er seit dem Tod der Mutter nicht mehr verspürt hatte. Bis 1838 erscheinen die Bände des Amerikawerks Voyage aux régions équinoxiales du nouveau Continent.
Ludwig Leichhardt veröffentlicht seinen in englischer Sprache verfassten Reisebericht kurz nach seiner Rückkehr unter dem Namen Journal of an overland expedition in Australia from Moreton Bay to Port Essington, a distance of upwards 8000 miles, during the years 1844-1845 by Dr. Ludwig Leichhardt. In Deutschland wird von seinem Werk kaum Notiz genommen, doch in Australien und Großbritannien ist sein Reisebericht ein Erfolg. Die Königlich-Geographische-Gesellschaft Englands verleiht ihm im Jahr 1847 ihre jährlich vergebene goldene Medaille.[56] Die Übersetzung ins Deutsche, die durch den Historiker Professor Ernst Amandus Zuchold im Jahre 1851 erfolgt, erlebt Leichhardt nicht mehr. Anders als Humboldt, der Jahre in die Veröffentlichung seiner Notizen verwendet, wertet Leichhardt seine Daten in kürzester Zeit aus. So schnell wie möglich möchte er eine zweite Expedition anführen, diesmal durch das Innere von Australien, von der Ostküste zur Westküste nach Swan River. Vorher muss aber sein Reisebericht der ersten Expedition vollendet sein. Er überträgt seine Beobachtungen und seine Tagebucheinträge und formt damit ein umfassendes, aber einseitig ausgewertetes Reisewerk. Er stellt deutlich weniger Anspruch an seine Publikation als Alexander von Humboldt. Leichhardts Reisewerk ist keine umfassende Gemeinschaftsarbeit wie die Humboldts, der mit den führenden Chemikern, Botanikern, Physikern und Biologen zusammengearbeitet hat, um ein Buch mit höchstem Anspruch herauszugeben. Die Motivation Leichhardts dürfte eine deutlich andere gewesen sein. Ruhm und Anerkennung lassen bei ihm den wissenschaftlichen Anspruch in den Hintergrund rücken. Anders ist die eilige Organisation einer zweiten Expedition kurz nach seiner Rückkehr nicht zu erklären und die damit überstürzte Fertigstellung des Reiseberichts. Trotzdem darf Leichhardts Arbeit nicht unterschätzt werden, trägt sie doch beträchtlich zur Entwicklung und Kolonialisierung Australiens bei. Seine Ergebnisse sind bedeutend und er genießt deswegen bis zum heutigen Tag große Anerkennung in Australien. Straßen in den australischen Städten Brisbane, Sydney und Canberra tragen den Namen Ludwig Leichhardts und es stehen Denkmäler des jungen deutschen Naturwissenschaftlers im Stadtzentrum von Sydney und im Hafen von Darwin.
Er entdeckte das System permanenter Flüsse im mittleren Queensland, [….] er zeigte die leichte Verbindbarkeit der Ostküste mit dem Golf von Carpentaria an der Basis der York Halbinsel. Er umzog die ganze Südhälfte des Golfes und benannte viele seiner Flüsse, bis er zuletzt in das ganz unbekannte Arnehmland eindrang. […] Und von der weiten durchwanderten Strecke brachte er die erste Kunde, wie sie geologisch gebaut, wie ihre Vegetation beschaffen sei.[57]
Im direkten Vergleich steht Leichhardt hier zu dem Mann, an dem sich kaum zu messen ist. Alexander von Humboldt zu Ehren sind vor allem in Südamerika Schulen, Straßen Gewässer, Pflanzen, Tiere, Berge, Universitäten und Mineralien benannt. Weiterhin ist er
[…] Mitglied von 30 Akademie und etwa 1000 wissenschaftlichen Gesellschaften in 23 Ländern, Ehrenmitglied von einem Dutzend wissenschaftlicher Institutionen, siebenfacher Ehrendoktor, Ehrenbürger der Städte Berlin und Potsdam.[58]
Er gilt als Förderer der Unabhängigkeitsrevolution in Lateinamerika und als „Zweiter Entdecker Amerikas“. Er hat als unabhängiger Wissenschaftler Amerika neu entdeckt und teilt sein Wissen mit den Menschen in Südamerika. Vergleichend sind Humboldts Verdienste in Südamerika und Leichhardts Verdienste in Australien in einem großen Punkt verschieden. Alexander von Humboldt setzt sich als Humanist aktiv im Kampf gegen die Sklaverei in Amerika ein. Er veröffentlicht seine Untersuchungen und Erfahrungen unter dem Namen Essai politique sur lile de Cuba.
Zweifelsohne ist die Sklaverei das größte aller Übel, welche jemals die Menschheit betroffen [. . .][59].
Auch nach seiner Rückkehr nach Preußen setzt er sich für die Rechte der Indianer ein und kämpft beständig gegen die Sklaverei. Im Jahr 1857 gelingt es ihm, für einen brasilianischen Sklaven, der mit seinem Besitzer Berlin bereiste, die Freiheit zu erwirken. Durch ihn wird ein neues Gesetz verabschiedet. Dazu schreibt Humboldt:
Ich habe zustande gebracht, was mir am meisten am Herzen lag, das von mir lange geforderte Negergesetz; jeder Schwarze wird frei werden, sobald er preußischen Boden berührt.[60]
Es würde zu weit gehen, Leichhardt nicht auch als Humanisten zu bezeichnen, doch er engagiert sich politisch kaum. Zwar zeigt er die Missstände der Ureinwohner Australiens auf, doch er setzt sich nicht aktiv für bessere Lebensbedingungen der Aborigines ein.
V. Schlussbetrachtungen
Es gibt unverkennbare Analogien in den Biographien und den wissenschaftlichen Arbeiten von Alexander von Humboldt und Ludwig Leichhardt. Aus diesem Grund können Rückschlüsse bezüglich der Ähnlichkeiten und Unähnlichkeiten der Naturforscher gezogen werden. Die ländliche Umgebung Brandenburgs nennen beide ihre Heimat und gerade diese Umgebung ist es, die beide früh prägt für die Liebe zur Natur und ihren Studien. Sie stammen aus unterschiedlichen sozialen Schichten, doch der Wunsch ein Leben als erfolgreicher Naturforscher zu führen, ist beiden gemein. Dementsprechend lehnen beide den von den Eltern vorgeschlagenen Karriereweg als Gelehrter und Staatsmann ab. Das Interesse an den Naturwissenschaften führt beide zum Studium an die Universität in Göttingen, wenn auch mit einem zeitlichen Abstand von 34 Jahren. Sie bilden sich nicht nur an einer der renommiertesten Universität Preußens, sondern planen von dort ihre zahlreichen Exkursionen in Europa, die sich in ihrer Planung und Durchführung stark ähneln. Unermüdlich steigern sie ihr Wissen bezüglich der exakten Wissenschaften und sie fördern ihre Beobachtungsgabe, um gerüstet zu sein für ihr großes Ziel, eine Exkursion auf einem fremden Kontinent. Physische Schwäche begleitet sowohl Alexander von Humboldt als auch Ludwig Leichhardt durch ihre Kinder- und Jugendjahre. Dank ihrer eisernen Disziplin erreicht Humboldt Südamerika und Leichhardt Australien, wo sie ihre beispielhaften Expeditionen durchführen. Beide teilen das Schicksal, nie den Kontinent zu bereisen, den sie ursprünglich für ihre Exkursion erdacht hatten. Oberflächlich betrachtet erscheinen die Lebenswege der beiden Männer kongruent zu sein, doch die Umstände und die Motivation für ihre Forschungstätigkeit sind nicht die gleichen.
Ludwig Leichhardt orientiert sich an der bereits geleisteten Arbeit und der Vorgehensweise von Alexander von Humboldt. Dem überragenden Beispiel des 45 Jahre älteren Naturforschers kann Leichhardt allerdings nicht in Gänze folgen. Dies hat unter anderem mit Umständen zu tun, die Leichhardt nicht beeinflussen kann. Während Leichhardt Zeit seines Lebens auf die finanzielle Unterstützung von Freunden und Gönnern angewiesen ist, kann Humboldt seine Vorhaben mit größerer Nachdrücklichkeit und mit einer besseren Ausrüstung verfolgen. Die Unterstützung der einflussreichsten Persönlichkeiten seiner Zeit ist ihm gewiss. Das Wissen, das Alexander von Humboldt schon in frühester Kindheit vermittelt wurde, muss sich Leichhardt später mühsam selbst aneignen. Im Gegenzug müssen Alexander von Humboldt aber auch bessere wissenschaftliche Fähigkeiten zugeschrieben werden, die ihn zu einem Genie seiner Zeit emporheben. Als er seine Expedition im Alter von 30 Jahren in Südamerika beginnt, kann er schon auf eine Karriere in Europa zurückblicken. Seine früheren Forschungsergebnisse in Europa und seine Veröffentlichungen haben ihn berühmt gemacht. Ludwig Leichhardt hingegen, der sich bei seiner Reise nach Australien auch in seinem 30ten Lebensjahr befindet, kann keine derartige Karriere vorweisen. Seine wissenschaftliche Produktivität beginnt erst auf dem fünften Kontinent.
Der größte Unterscheid zwischen den beiden preußischen Naturforschern ist ihr politisches Engagement und ihre humanistische Überzeugung. Humboldt dokumentiert in Südamerika nicht nur die sozialen und kulturellen Verhältnisse der Ureinwohner, sondern er zeigt auch die Missstände auf. In mehreren Artikeln und Pamphleten versucht er ein Bewusstsein für die ungerechte und grausame Behandlung der Ureinwohner durch die Kolonialmächte zu schaffen. Er setzt sich aktiv für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Ureinwohner Amerikas ein und verurteilt die Sklaverei aufs Schärfste. Darüber hinaus stellt Alexander von Humboldt all seine Entdeckungen den Menschen Amerikas zur Verfügung und weist auf die Möglichkeiten der Nutzung des Landes hin. Ludwig Leichhardt verhält sich während seiner Exkursionen den Aborigines gegenüber human, ja er zeigt sogar reges Interesse an den Sitten und Gebräuchen der Ureinwohner. Missstände bekämpft er allerdings nicht. Er forscht nur unter dem europäischen Aspekt der Kolonialisierung. Sein Interesse gilt der Möglichkeit der Ansiedlung auf dem großen unerforschten Kontinent Australiens und wie bislang brach liegende Gebiete ökonomisch nutzbar gemacht werden können. Anders als Alexander von Humboldt zieht er nie in Betracht seine gewonnen Erkenntnisse den Ureinwohnern Australiens zur Verfügung zu stellen. Sowohl Alexander von Humboldt als auch Ludwig Leichhardt veröffentlichen nach ihrer Expedition ein Reisewerk. Allerdings reicht Ludwig Leichhardts unter Zeitdruck entstandenes Werk nicht an die akribischen Auswertungen der Südamerikareise von Alexander von Humboldt heran. Alexander von Humboldt publiziert mit anderen Wissenschaftlern ein Gemeinschaftswerk, mit den höchsten Ansprüchen an die moderne Wissenschaft. Er lässt zu, dass die Publikation ihn in den finanziellen Ruin treibt, da seine Ansprüche keine schnellere und kürzere Bearbeitung zulassen.
Bei Leichhardt hingegen überwiegt nicht der wissenschaftliche Aspekt, sondern der Wunsch, seinen Namen publik zu machen. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass er genau wie Alexander von Humboldt große Opfer bringt, um seinen Traum vom Leben als Naturwissenschaftler leben zu können. Beide Männer begeben sich in die Gefahr der Wildnis und mehr als einmal setzen sie ihr Leben für die Wissenschaft aufs Spiel.
Das einzige Treffen zwischen den beiden Naturforschern ist für Humboldt nicht von Bedeutung und für Leichhardt ist es eine Enttäuschung. Dennoch ist im Nachhinein betrachtet der Verlauf der Dinge günstig für Leichhardt. Ohne die erhoffte Hilfe von Humboldt ist es ihm möglich, eine eigenständige Expedition auf einem fremden Kontinent durchzuführen, ohne als Günstling von Alexander von Humboldt abgewertet zu werden. Beide Männer haben auf den Kontinenten ihrer Erfolge eine große Wirkung erzielt. Doch während Humboldt nur einer von vielen Südamerikaforschern ist und allesamt mit seinen Leistungen übertrumpft, so feiert Leichhardt seine Erfolge auf einem Kontinent, der noch weitestgehend unerforscht ist. Um es zu konkretisieren, steht sich hier eine Ersterforschung auf einem fast unbekannten Kontinent einer wissenschaftlich perfektionierten Entdeckungsreise gegenüber. Ein direkter Vergleich ist deshalb nur ansatzweise möglich und selbst Leichhardt schreibt in einem seiner letzten Briefe aus Australien:
Ich strebe ihm nach und ich fühle daß meine Mittel immer noch zu gering sind ihm gleich zu thun, ich meine ihm dem Wanderer durch America, nicht dem großen ruhigen Forscher, der nun den Gewinn seiner Jugend so herrlich ausprägt.[61]
Aber Leichhardts Leistungen dürfen weder von ihm selbst noch von anderen geschmälert werden, denn Leichhardt ist nicht gescheitert in seinem Versuch Alexander von Humboldt nachzueifern, sondern er reiht sich nur hinter ihm ein, in die Liste der bedeutendsten deutschen Naturforscher.
[1] Holl, Frank; Kruse, Petra: Alexander von Humboldt. Netzwerke des Wissens. Bonn 1999. S 113.
[2] Scurla, Herbert: Entdeckungen auf vier Kontinenten; Georg Forster, Alexander von Humboldt, Ludwig Leichhardt, Hermann Schlagintweit, Heinrich Barth; Berichte deutscher Forschungsreisender. Berlin, 1962. S. 6.
[3] Felden, Dietmar: Durch den fünften Kontinent. Leben und Leistung Ludwig Leichhardts. 1. Auflage. Gotha, 1996. S.8.
[4] Fouqet, Karl: Alexander von Humboldt 1769-1859. Bildnis eines grossen Menschen. São Paulo, 1959. S.11.
[5] Marx, Bernd: Ludwig Leichhardt zum 150. Todestag. In: Kultur- und Sportamt Landkreis Oder Spree (Hrsg.): Kreiskalender Oder- Spree 1998. Beeskow, 1998. S. 72.
[6] Biermann, Kurt-R.: Alexander von Humboldt. 2. Auflage. Leipzig, 1980. (Biographien hervorragender Naturwissenschaftler, Techniker und Mediziner. 47.) S.25.
[7] Neumayer, G: Leichhardt, Otto (Hrsg): Dr. Ludwig Leichhardts Briefe an seine Angehörigen. Hamburg, 1881. S.29.
[8] Roderick, Collin: Leichhardt the dauntless explorer. With an appendix on his last and fatal journey. Angus & Robertson. 1988. S. 106.
[9] Leichhardt, Ludwig: The letters of F.W Ludwig Leichhardt. Collected and newly translated by M. Aurousseau. Volume III. University Press. Cambridge, 1968. S. 958.
[10] Leichhardt, Ludwig: The letters of F.W Ludwig Leichhardt. Collected and newly translated by M. Aurousseau. Volume III. University Press. Cambridge, 1968. S. 958.
[11] Leichhardt, Ludwig: The letters of F.W Ludwig Leichhardt. Collected and newly translated by M. Aurousseau. Volume I. University Press. Cambridge, 1968. S. 180.
[12] Neumayer, G.; Leichhardt, Otto (Hrsg.): Dr. Ludwig Leichhardts Briefe an seine Angehörigen. Hamburg, 1881. S.53.
[13] Leichhardt, Ludwig: The letters of F.W Ludwig Leichhardt. Collected and newly translated by M. Aurousseau. Volume I. University Press. Cambridge, 1968. S. 325.
[14] Leichhardt, Ludwig: The letters of F.W Ludwig Leichhardt. Collected and newly translated by M. Aurousseau. Volume I. University Press. Cambridge, 1968. S. 331 f.
[15] Neumayer, G.; Leichhardt, Otto (Hrsg.): Dr. Ludwig Leichhardts Briefe an seine Angehörigen. Hamburg, 1881. S.92.
[16] Neumayer, G.; Leichhardt, Otto (Hrsg.): Dr. Ludwig Leichhardts Briefe an seine Angehörigen. Hamburg, 1881. S.92.
[17] Zitiert nach Fiedler, Horst: Ludwig Leichhardt und Alexander von Humboldt. Unter: http://www.uni-potsdam.de/u/romanistik/humboldt/hin/hin15/fiedler.htm
[18] Leichhardt, Ludwig: The letters of F.W Ludwig Leichhardt. Collected and newly translated by M. Aurousseau. Volume III. University Press. Cambridge, 1968. S.956.
[19] Leichhardt, Ludwig: The letters of F.W Ludwig Leichhardt. Collected and newly translated by M. Aurousseau. Volume III. University Press. Cambridge, 1968. S. 958.
[20] Zuchold, Ernst Amandus: Dr. Ludwig Leichhardt. Eine biographische Skizze. Nebst einem Bericht über dessen zweite Reise im Inneren des Austral-Continents nach dem Tagebuch seines Begleiters, des Botanikers Daniel Bunce. Leipzig, 1856. S. 4.
[21] Zuchold, Ernst Amandus: Dr. Ludwig Leichhardt. Eine biographische Skizze. Nebst einem Bericht über dessen zweite Reise im Inneren des Austral-Continents nach dem Tagebuch seines Begleiters, des Botanikers Daniel Bunce. Leipzig, 1856. S. 4.
[22] Zuchold, Ernst Amandus: Dr. Ludwig Leichhardt. Eine biographische Skizze. Nebst einem Bericht über dessen zweite Reise im Inneren des Austral-Continents nach dem Tagebuch seines Begleiters, des Botanikers Daniel Bunce. Leipzig, 1856. S. 5.
[23] Zitiert nach Fiedler, Horst: Ludwig Leichhardt und Alexander von Humboldt. Unter: http://www.uni-potsdam.de/u/romanistik/humboldt/hin/hin15/fiedler.htm
[24] Finger, Hans Wilhelm: Das Unmögliche wagen. Ein australisches Epos. Ludwig Leichhardt- Wanderer zwischen Traum, Wissenschaft und Anspruch. München, 2000. S.10.
[25] Knobloch, Eberhard: Erkundung und Erforschung. Alexander von Humboldts Amerikareise. Unter
http://www.uni-potsdam.de/u/romanistik/humboldz/hin/hin13.knobloch.htm
[26] Zitiert nach Knobloch, Eberhard: Erkundung und Erforschung. Alexander von Humboldts Amerikareise. Unter
http://www.uni-potsdam.de/u/romanistik/humboldz/hin/hin13.knobloch.htm
[27] Holl, Frank; Kruse, Petra: Alexander von Humboldt. Netzwerke des Wissens. Berlin, 1999. S 59 ff.
[28] Zuchold, Ernst Amandus: Dr. Ludwig Leichhardt. Eine biographische Skizze. Nebst einem Bericht über dessen zweite Reise im Inneren des Austral-Continents nach dem Tagebuch seines Begleiters, des Botanikers Daniel Bunce. Leipzig, 1856. S.20.
[29] Leichhardt, Ludwig: Tagebuch einer Landreise in Australien von Moreton Bay nach Port Essington während der Jahre 144-145. Aus dem Englischen von Ernst A. Zuchold. Halle, 1851. S.5.
[30] Wright, Ed: Lost and found in history. Lost explorers. Adventures who disappeared off the face of the Earth. 2008.
[31] Leichhardt, Ludwig: Tagebuch einer Landreise in Australien von Moreton- Bay nach Port Essington während der Jahre 1844-1845. Aus dem Englischen von Ernst A. Zuchold. Halle, 1851. S. 4.
[32] Felden, Dietmar: Durch den fünften Kontinent. Leben und Leistung Ludwig Leichhardts. 1. Auflage. Gotha, 1996. S. 89.
[33] Leichhardt, Ludwig: Tagebuch einer Landreise in Australien von Moreton-Bay nach Port Essington während der Jahre 1844-1845. Aus dem Englischen von Ernst A. Zuchold. Halle, 1851. S. 6.
[34] Felden, Dietmar: Durch den fünften Kontinent. Leben und Leistung Ludwig Leichhardts. 1. Auflage. Gotha, 1996. S. 91.
[35] Leichhardt –Museum (Trebatsch, Germany): Ludwig Leichhardt zum 150.Todestag. Eigenverlag Trebatsch. 1998. S. 9.
[36] Politzer, L.L: Bibliographie of literature on Dr. Ludwig Leichhardt, German explorer in Australia during 1842-1848. Including a list of documents, letters to and by Leichhardt with a biography. Melbourne, 1953. S. 3.
[37] Roderick, Collin: Leichhardt the dauntless explorer. With an appendix on his last and fatal journey. Angus&Robertson. 1988. S. 278.
[38] Leichhardt, Ludwig: Tagebuch einer Landreise in Australien von Moreton-Bay nach Port Essington während der Jahre 1844-1845. Aus dem Englischen von Ernst A. Zuchold. Halle, 1851. S. 181.
[39] Leichhardt, Ludwig: Tagebuch einer Landreise in Australien von Moreton-Bay nach Port Essington während der Jahre 1844-1845. Aus dem Englischen von Ernst A. Zuchold. Halle, 1851. S. 92.
[40] Ebd. S. 161.
[41] Leichhardt, Ludwig: Tagebuch einer Landreise in Australien von Moreton-Bay nach Port Essington während der Jahre 1844-1845. Aus dem Englischen von Ernst A. Zuchold. Halle, 1851. S. 288.
[42] Felden, Dietmar: Durch den fünfte Kontinent. Leben und Leistung Ludwig Leichhardts. 1. Auflage. Gotha, 1996. S. 117.
[43] Leichhardt, Ludwig: Tagebuch einer Landreise in Australien von Moreton- Bay nach Port Essington während der Jahre 1844-1845. Aus dem Englischen von Ernst A. Zuchold. Halle, 1851. S. 288.
[44] Leichhardt, Ludwig: Tagebuch einer Landreise in Australien von Moreton- Bay nach Port Essington während der Jahre 1844-1845. Aus dem Englischen von Ernst A. Zuchold. Halle, 1851. S. 403.
[45] Helbig, Karl; Schlieben, Hans Joachim (Hrsg.) Ludwig Leichhardt. Schicksal im australischen Busch. Vorstoß in das Herz eines Kontinents. Brockhaus. Leipzig, 1959. S. 52 f.
[46] Chisholm, Alec H.: Strange journey. The adventures of Ludwig Leichhardt and John Gilbert. Hong Kong, 1973. S .174.
[47] Felden, Dietmar: Durch den fünften Kontinent. Leben und Leistung Ludwig Leichhardts. 1. Auflage. Gotha, 1996. S. 94.
[48] Felden, Dietmar: Durch den fünften Kontinent. Leben und Leistung Ludwig Leichhardts. 1. Auflage. Gotha, 1996. S. 114.
[49] Leichhardt, Ludwig: Tagebuch einer Landreise in Australien von Moreton- Bay nach Port Essington während der Jahre 1844-1845. Aus dem Englischen von Ernst A. Zuchold. Halle, 1851. S. 175.
[50] Leichhardt, Ludwig: Tagebuch einer Landreise in Australien von Moreton- Bay nach Port Essington während der Jahre 1844-1845. Aus dem Englischen von Ernst A. Zuchold. Halle, 1851. S. 367.
[51] Leichhardt, Ludwig: Tagebuch einer Landreise in Australien von Moreton-Bay nach Port Essington während der Jahre 1844-1845. Aus dem Englischen von Ernst A.Zuchold. Halle, 1851. S. 344.
[52] Leichhardt, Ludwig: The letters of F. W. Ludwig Leichhardt. Collected and newly translated by M. Aurousseau. Volume III. University Press. Cambridge, 1968. S. 839.
[53] Leichhardt, Ludwig: Tagebuch einer Landreise in Australien von Moreton-Bay nach Port Essington während der Jahre 1844-1845. Aus dem Englischen von Ernst A. Zuchold. Halle, 1851. S. 376.
[54] Biermann, Kurt-R.: Alexander von Humboldt. 2. Auflage. Leipzig, 1980 (Biographien hervorragender Naturwissenschaftler, Techniker und Mediziner.47.) S. 50.
[55] Holl, Frank; Kruse, Petra: Alexander von Humboldt. Netzwerke des Wissens. Berlin, 1999. S.83.
[56] Felden, Dietmar: Durch den fünften Kontinent. Leben und Leistung Ludwig Leichhardt. 1. Auflage. Gotha, 1996. S.144.
[57] Diels, L.: Zum Gedächtnis von Leichhardts 100. Geburtstag. In: Sonderabdruck aus der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. No. 10. 1913.
[58] Biermann, Kurt-R.: Alexander von Humboldt. 2. Auflage. Leipzig, 1980 ( Biographien hervorragender Naturwissenschaftler, Techniker und Mediziner.47.) S. 5.
[59] Humboldt, Alexander von; Beck, Hanno (Hrsg.): Cuba-Werk. 2. Auflage. Darmstadt, 2008. S. 156.
[60] Zitiert nach Foner, Philip S. (Hrsg.) Alexander von Humboldt über die Sklaverei in den USA. Eine Dokumentation mit einer Einführung und Anmerkung. Berlin, (1984). S. 28.
[61] Leichhardt, Ludwig: The letters of F.W Ludwig Leichhardt. Collected and newly translated by M. Aurousseau. Volume III. University Press. Cambridge, 1968. S. 958.
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Letzte Aktualisierung: 05 Juni 2012 | Kraft
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