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Wolfgang Griep
Die Bedeutung der Umkreisquellen für
Alexander von Humboldts südamerikanische Reise1. Sammeln und Sichten
Entgegen landläufiger Ansicht hatte Alexander von Humboldt kaum Gelegenheit, sich auf sein spezielles Reiseziel vorzubereiten. Als er im März 1799 unerwartet die Erlaubnis der spanischen Regierung erhielt, die Besitzungen der Krone in Süd- und Mittelamerika bereisen zu dürfen, wollte er eigentlich in eine ganz andere Richtung aufbrechen: nach Nordafrika und in den Orient. Für die Vorbereitung auf das neue Reiseziel blieb ihm kaum mehr als ein Monat, den er vor allem für Studien im Real Gabinete de Historia Real, dem Naturhistorischen Museum in Madrid, für Gespräche mit spanischen Wissenschaftlern und für intensive Lektüren nutzte.[1] Glücklicherweise hatte er auch seine umfangreiche Sammlung physikalischer, chemischer und astronomischer Instrumente, die er eigentlich für eine geplante Weltreise angeschafft hatte, mit nach Spanien genommen.
Die kurze Vorbereitungszeit erklärt sowohl die komplizierte und nur selten folgerichtige Reiseroute der folgenden Jahre mit den spontanen Wegänderungen wie auch die umfassende, aber kaum auf vorbedachte Ziele ausgerichtete Meß- und Sammeltätigkeit der beiden Reisenden Humboldt und Aimé Bonpland. Die Reise ist eben nicht nur, wie Humboldt später selbst einräumte, vorzeitig beendet worden, sondern in Verlauf und zeitlichem Rahmen kaum geplant gewesen.[2]
Daß die ehrgeizige wissenschaftliche Expedition von weitreichenden erkenntnisleitenden Zielen geprägt war, lesen wir erst nachträglich in ihrer Beschreibung.[3] Es ist müßig, darüber zu spekulieren, wann sich diese Zielsetzungen tatsächlich ausgeformt haben - vor, während, oder nach der Reise. Sicher ist jedenfalls, daß Humboldt nach seiner Rückkehr - wie jeder Reisende - vor der notwendigen Aufgabe stand, die vielen mitgebrachten Materialien - von den Sammlungsgegenständen über die Meßdaten bis hin zu den Skizzen und Texten - zu sichten und in eine systematische, chronologische und geographische Ordnung zu bringen. Sicher ist auch, daß er erst nachträglich die meisten der Texte und Materialien aufsuchen und verarbeiten konnte, die die Reisenden vor ihm aus Süd- und Mittelamerika mitgebracht hatten, um sie dann in Anlehnung oder Abgrenzung in den Kontext seiner eigenen Unternehmung zu integrieren. Beides ist ihm in hohem Maße gelungen, hat seine Expedition geschichtsmächtig und seine interdisziplinäre Ordnungsstruktur beispielhaft werden lassen. Gerade aus diesem Grunde ist aber auch der analytische Blick auf die Entstehungs- und Konstruktionsprinzipien seines Werks unabdingbar.
Mehrere Jahre hat sich Humboldt intensiv mit den Sammlungen, Berichten und Darstellungen seiner Vorgänger von der Conquista bis zum Ende des 18. Jahrhunderts auseinandergesetzt, hat neben publiziertem auch unpubliziertes Material einzusehen versucht. Wenn ihm auch die spanischen Archive nach der Rückkehr versperrt waren, boten die Bestände der Pariser und anderer europäischer Bibliotheken in hohem Maße Ersatz.[4] Seine Reisen nach 1804 nutzte er konsequent auch zu Bibliotheks- und Archivrecherchen; so beispielsweise die Italienreise 1805 zu umfangreichen Studien in der vatikanischen Bibliothek in Rom.[5]
[1] Vgl. dazu auch die näheren Ausführungen bei Schuster, Dorothea: Die Rezeption des Corpus Americanum von Humboldt in spanischen Medien des 19. Jahrhunderts. - Köln: Arbeitskreis Spanien - Portugal - Lateinamerika 2001, S. 10 (Arbeitspapiere zur Lateinamerikaforschung; II-04)
[2] Vgl. dazu meinen Beitrag: Der Maler ist immer mit im Bild. Alexander von Humboldts Beschreibung seiner Reise in eine neue Welt. - In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur. Bd. 28 (2003), H. 2, S. 116 ff. Vgl. auch die Einleitung zu Alexander von Humboldt: Reise durch Venezuela. Auswahl aus den amerikanischen Reisetagebüchern. Hrsg. von Margot Faak. - Berlin 2000, S. 16 (Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung; 12)
[3] Vgl. Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoctial-Gegenden des Neuen Kontinents in den Jahren 1799, 1800, 1801, 1802, 1803 und 1804. Thl. 1. Stuttgart: Cotta 1815, S. 32
[4] Vgl. dazu Beck, Hanno: Alexander von Humboldt. Bd. 2. - Wiesbaden 1961, S. 1 ff.
[5] ebd., S. 12 f. Vgl. auch die Einleitung von Margot Faak zu Alexander von Humboldt: Lateinamerika am Vorabend der Unabhängigkeitsrevolution. Eine Anthologie von Impressionen und Urteilen, aus seinen Reisetagebüchern zusammengestellt und erläutert durch Margot Faak. Mit einer einleitenden Studie von Manfred Kossok. – Berlin 1982, S. 32 f.
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