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Eberhard Knobloch / Ingo Schwarz
Alexander von Humboldt und Hector Berlioz
2. Humboldt und die Vorbereitung der Rußland-Reise von Berlioz 1847
Im Jahre 1847 entschloß sich Berlioz zu einer neuen Auslandsreise, nachdem seine «Légende dramatique» für Soli, Chor und Orchester, La damnation de Faust in Paris bei weitem nicht den erhofften Erfolg gezeitigt hatte. Ziel der Reise war St. Petersburg, wo er am 28. Februar 1847 eintraf. Vom 18. bis 20. Februar machte der Komponist Station in Berlin. Während seines Aufenthalts in der preußischen Hauptstadt traf Berlioz auch Alexander von Humboldt. Ob nun Humboldt von sich aus anbot, den König um eine Empfehlung für St. Petersburg zu bitten, oder ob Berlioz den Kammerherrn um diesen Gefallen bat, steht dahin. Der Berlioz-Biograph David Cairns sieht die Zusammenhänge so:
“In Berlin he [Berlioz] stayed long enough to get the letter of recommendation from the King to his sister the Tsarina which he had asked Alexander von Humboldt a few weeks earlier to obtain for him. The letter, written in French, shows Frederick William IV addressing Alexandra Fedorovna in skittish vein:
Dearest Empress and Sister
Humboldt is pressing me to write you a line which Berlioz (the z is aspirated in French) can take with him to Petersburg. As the said musician, about whom I spoke in my last humble and obedient communication, is a sort of prodigy on the little Kilikeya and the great Gumbgum, but most of all with the Boumboum, I shall not disappoint the joy of the aforesaid Alexander and of this Boumboum Berlioz, and I write you this note which will serve the great pupil of the supreme Apollo Musagetes Delios Delphicus Dreifussicus as a key to all positions of power and honour in the Russian portion of the globe. Much good may his music do your ears, without deafening you to the expressions of purest fraternal love from your fat, faithfulFritz.”[1]
Den folgenden Brief schrieb Humboldt am Tage der Ankunft des Musikers in St. Petersburg. Es handelt sich um das einzige der Humboldt-Forschung bisher bekannt gewordene Schreiben des Gelehrten an den Komponisten. Es wurde Mitte der 1960er Jahre durch die Deutsche Staatsbibliothek - Preußischer Kulturbesitz erworben und ist bislang nicht publiziert worden.[2]
«Monsieur,
Je me trouve heureux, Monsieur, de pouvoir remplir ma promesse que je Vous ai faite lors de Votre passage trop rapide par notre ville. Le Roi a d’abord écrit longuement à S[a] M[ajesté] l’Impératrice dans une des Ses lettres de famille sur le plaisir qui l’attendoit en assistant à Vos grandes et puissantes compositions. Comme je Lui ai fait observer ce matin que je désirais surtout Vous envoyer quelques lignes de sa main pour les remettre Vous même à l’Impératrice, le Roi surchargé d’affaires, a cédé cependant à ce voeu de la manière la plus gracieuse.
La lettre du Roi est de ce soir 6h le 28 février, et ce soir même à 8h je la remettrai à Mr le Baron de Meyendorf[3], afin que par son entremise elle Vous arrive bien sûrement. Puissez-Vous nous revenir satisfait d’un séjour que Vous devez prolonger assez pour voir l’antique capitale de Moscou. Agréez, je Vous supplie, Monsieur, l’assurance renouvellée de ma haute et affectueuse considération. Le Grand Frédéric de notre grand ami rêve avec succès à Vienne, comme il a rêvé à Berlin.
Al Humboldt
à Berlin ce 28 Févr[ier] 1847.» [4]
Der von Humboldt so dringend empfohlene Besuch in Moskau fand tatsächlich statt. Der letzte Satz des Briefes deutet auf zwei gemeinsame Bekannte hin. Offenbar vertraute Humboldt hier seinem Briefpartner ein Stück Hofklatsch an. Wer mit dem «Grand Frédéric» und «notre grand ami» gemeint sein könnte, läßt sich bei unserem jetzigen Kenntnisstand nicht sagen. Eine Durchsicht der Korrespondenz beider aus dem in Betracht kommenden Zeitraum, die vielleicht einen Hinweis auf die Identität der genannten Personen bergen könnte, brachte nur vage Vermutungen. Mit «Frédéric» ist möglicherweise Friedrich Wilhelm Konstantin, Fürst von Hohenzollern-Hechingen (1801-1869) gemeint, der als großer Musikliebhaber bekannt war und Berlioz während dessen erster Deutschlandreise 1842/43 auf sein Schloß einlud. Ende 1849 mußte der Fürst übrigens seine Regierungsgewalt dem preußischen König abtreten.
Ein gemeinsamer „großer Bekannter“ war der österreichische Staatskanzler Clemens Fürst Metternich, bei dem sich Berlioz während seiner zweiten Auslandstournee 1845 in Wien unter Umgehung aller Etikette eine Audienz verschafft hatte. Humboldt und Metternich korrespondierten miteinander während vieler Jahre trotz tiefer Differenzen in ihren politischen Anschauungen. Ihr gemeinsames Ziel war die Förderung der Wissenschaften. Die Hinweise in dem vorliegenden Brief sind allerdings viel zu ungenau, um eine halbwegs sichere Vermutung auszusprechen.
[1] Cairns 1999, S. 370-371.
[2] Handschrift: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung, Autogr. I/378. Veröffentlichung mit freundlicher Erlaubnis der Bibliothek.
[3] Peter Freiherr von Meyendorff (1796-1863), seit 1839 russischer Gesandter in Berlin.
[4] Übersetzung:
Mein Herr,
ich fühle mich glücklich, mein Herr, mein Versprechen erfüllen zu können, das ich Ihnen während Ihrer allzu schnellen Durchreise durch unsere Stadt gegeben habe. Der König hat zunächst ausführlich ihrer Majestät der Kaiserin in einem seiner Familienbriefe über das Vergnügen geschrieben, das ihn erwartete, als er bei Ihren großartigen und mächtigen Kompositionen zugegen war. Als ich heute morgen seine Aufmerksamkeit auf meinen vornehmlichen Wunsch richtete, Ihnen einige Zeilen von seiner Hand zu schicken, damit Sie sie persönlich der Kaiserin aushändigen können, ist der von Aufgaben überlastete König dennoch diesem Wunsch auf die gnädigste Weise nachgekommen.
Der Brief des Königs stammt vonm heute Abend, dem des heutigen 28. Februar, 6 Uhr, und noch heutigen Abends um 8 Uhr werde ich ihn dem Herrn Baron von Meyendorff aushändigen, damit er Sie durch seine Vermittlung ganz sicher erreicht. Könnten Sie doch zu uns zurückkehren mit der Befriedigung eines Aufenthalts, den Sie noch genügend verlängern müssen, um die alte Hauptstadt Moskau zu sehen. Empfangen Sie, Ich bitte Sie darum, mein Herr, die erneuerte Versicherung meiner hohen und herzlichen Verehrung. Der große Friedrich unseres großen Freundes träumt erfolgreich in Wien, wie er in Berlin geträumt hat.
Al Humboldt
Berlin, den 28. Februar 1847.
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