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Stand: 12. August 2005
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HiN - Humboldt im Netz

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Eberhard Knobloch

Naturgenuss und Weltgemälde. Gedanken zu Humboldts Kosmos

 

6. Das letzte Ziel: Gesetze

 

Humboldts „Einleitende Betrachtungen“ zum „Kosmos“ gelten der Ergründung der Weltgesetze (I, 49). Deren Auffinden ist in der Erfahrungswissenschaft das letzte Ziel menschlicher Forschung (I, 32), der erste und erhabenste Zweck geistiger Tätigkeit (I, 37), der Zweck aller Forschungen (IV, 63). Sie sind ewig: Humboldt sagt es wiederholt (I, 6; I, 12; III, 4). Oder noch prägnanter: Gesetzhaftigkeit impliziert Ewigkeit. Das heißt im Umkehrschluß: was nicht ewig ist, kann nicht Gesetz sein. Ein gesetzliches und darum ewiges Band umschlinge die ganze lebendige Natur (I, 9). Sie ergeben sich aus der Verkettung sinnlicher Anschauungen: so stand es auch bei Laplace.

 

Die Kant-Laplacesche Natureinheit erzwingt die gegenseitige Abhängigkeit scheinbar isoliert stehender Tatsachen (I, 345). Humboldts Beispiele sind u.a. Temperatur, Luftdruck, Windrichtung, die im innigsten Zusammenhang mit der Feuchtigkeit der Luftschichten stehen (I, 358) oder allgemeiner der meteorologische Teil seines Naturgemäldes: Jeder einzelne geheimnisvolle – so Humboldt – (II, 40) meteorologische Prozeß wird durch alle anderen gleichzeitigen modifiziert: die Lichtabsorption, die Wärmeentwicklung, die Elastizitätsveränderung, der hypsometrische Zustand, die elektrische Spannung der Atmosphäre, in Humboldts Worten des „unermeßlichen Luftmeeres“ (I, 364.). Nur aus Voreiligkeit werden Anomalien Ungesetzlichkeit genannt: die Einsicht in die Verkettung der Phänomene führt auf die Ursachen dieser Anomalien. Humboldts Beispiel im vierten Kosmosband sind die noch unbekannten geothermischen Verhältnisse (IV, 47). Ja, seine Forschungsmethodik erlaubt ihm ein Forschungsfortschrittsgesetz aufzustellen (I, 31):

 

Je unverketteter die Tatsachen sind, desto mehr Entdeckungen sind noch zu erwarten.

 

Aber nicht nur dies: Der Erkenntnisoptimist Humboldt sieht einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Intensität des Naturgenusses und der Tiefe der Einsicht in das innere Wesen der Natur, das heißt dem Maß, in dem Mannigfaltigkeit in Einheit aufgelöst wurde (I, 18, 21f.).

 

Der besondere Zweck seiner Unterhaltungen über die Natur, wie er seine Kosmos-Vorlesungen nannte (I, 18), war genau der: den Naturgenuss durch tiefere Einsicht zu vermehren.

 

Gesetze sind das Bleibende im ewigen Wechsel angesichts der wirkenden Kräfte der Natur. Das Gesetzliche im Veränderlichen zu ergründen, ist danach das nächste Ziel aller Untersuchung einer Kraft in der Natur (I, 197; IV, 48): Humboldt hat bei dieser Bemerkung den ihn besonders interessierenden Erdmagnetismus vor Augen. Ausdrücklich lobt er Edmond Halley dafür, Punkte gleicher Abweichung oder Deklination – Humboldt spricht im Anschluß an William Gilbert noch von Variation – durch Linien, Isogone, miteinander verbunden zu haben (IV, 59). Halleys mathematische Visualisierungsstrategie brachte Übersicht und Klarheit in die Einsicht vom Zusammenhang der aufgehäuften Resultate. Humboldt selbst ist ihm in dieser Strategie mit seinen Linien gleicher Wärme, den Isothermen, gefolgt.

 

Der Zweck seines Werkes bringt es mit sich, dass er das Allgemeinste und Dauerndste zu erfassen bemüht ist (II, 169). Kurz: die Verallgemeinerung der Ideen ist die Aufgabe des „Kosmos“ (II, 164). Diese Aufgabe ist ein nicht endender, nicht abschließbarer Prozeß. Wer freilich von vornherein, wie der Verfasser der pseudoaristotelischen Schrift „Über die Welt“, darauf verzichtet, die Erscheinungen des Kosmos auf allgemeine physikalische, das heißt in den Eigenschaften der Materie gegründete Prinzipien zurückzuführen, wird von Humboldt aus dem  Kreise derer ausgeschlossen, die zum Verstehen des Weltplans, das heißt der Naturordnung beigetragen haben (III, 10, 16).

 

Die Gesetze werden stets nur teilweise erkannt sein. Und nur soweit sie erkannt sind, können sie als Ordnungsprinzip für die Erscheinungen dienen und haben dies für Humboldt getan (I, 386). Wir haben davon gehört. Sie übernehmen die Rolle der ordnenden aristotelischen Gottheit (III, 15 ). Freilich ist sich Humboldt nur zu gut bewußt, wie weit seine Zeit noch von dem Zeitpunkt entfernt ist, wo man es für möglich halten könnte, alle unsere sinnlichen Anschauungen zur Einheit des Naturbegriffs zu konzentrieren (III, 10). Und eben deshalb spricht er von dem „Entwurf einer physischen Weltbeschreibung“, die nur in Teilen eine „Welterklärung“ sei. Die Geistesarbeit ist so ein Streben „nach dem Unendlichen, nach dem Erfassen dessen, was in ungemessener, unerschöpflicher Fülle das Seiende, das Werdende, das Geschaffene uns offenbart.“

 

Einen religiösen Bezug wie Guericke oder Herder stellt er angesichts der Begrenztheit menschlichen Wissens nicht her. Hatten doch Guericke seine „Neuen Versuche über den leeren Raum“ ebenso wie Herder seine Abhandlung „Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit“ mit dem großartigen Bekenntnis des Apostels Paulus enden lassen, dass unser menschliches Wissen bis zur Ankunft des Vollkommenen Stückwerk bleibe: „Wir blicken nämlich durch einen Spiegel in einem Rätsel, dann aber von Angesicht zu Angesicht“ (Knobloch 2004, 185).

 

In seinem physischen Naturgemälde zog Humboldt gleichwohl eine Grenze, die er nicht überschritt, diejenige zwischen der physischen, ihn betreffenden Sphäre und der geistigen Sphäre der Intelligenz: dort walten Gesetze anderer, geheimnisvoller Art einer anderen Welt (I, 386).

 

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