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Gespiegelte Fassung auf dem Publikationsserver der Universität Potsdam
Stand: 12. August 2005
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HiN - Humboldt im Netz

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Ulrike Leitner

Vielschichtigkeit und Komplexität
im Reisewerk Alexander von Humboldts - Bibliographischer Hintergrund

III. Dimension: Multilingualität

Der Kosmopolit Humboldt hatte sein Werk von Anfang an mehrsprachig geplant: Es sollte in den Sprachen französisch, deutsch, englisch und spanisch erscheinen, mit Ausnahme der botanischen Bände, die dem damaligen Sprachgebrauch entsprechend im wesentlichen in Latein abgefaßt sind.

Die französische und die deutsche Ausgabe wollte Humboldt, der in beiden Sprachen wie in beiden Metropolen gleichermaßen zu Hause war, selbst schreiben. Das war etwas Besonderes in der Zeit der Napoleonischen Kriege und des keimenden deutschen Nationalitätsdenkens. Realisiert wurde sein Plan jedoch nur für die ersten Bände, denn im Laufe der langen Publikationszeit von mehr als dreißig Jahren entglitt ihm die Arbeit mehr und mehr. Dazu kamen neue wissenschaftliche Vorhaben, die seine Zeit bereits während des Pariser Aufenthalts in Anspruch nahmen, finanzielle Probleme, häufige Verleger- und Mitautorenwechsel, die Rückkehr nach Berlin 1827 und die Rußlandreise mit neuen Publikationsvorhaben. Insofern muß für die meisten Teile die französischen Fassung als autorisierte angesehen werden, bis auf die folgenden Ausnahmen: Pflanzengeographie, Astronomie, Teile der Zoologie, der Beginn des Mexikowerks. Diese Tatsachen sind für jede Form einer Edition zu beachten.

Vom zuerst veröffentlichten Band des Reisewerks, der die pflanzengeographischen Ergebnisse beinhaltet, erschienen die deutsche und die französische Fassung fast gleichzeitig 1807. Die deutsche Fassung schrieb Humboldt jedoch, während an der französischen bereits gedruckt wurde. Sie weist einige Änderungen gegenüber der französischen Fassung auf und kann deshalb nicht als bloße Übersetzung gelten, sondern ist eine Bearbeitung. Beide sind daher als gleichwertig anzusehen. 

Noch stärker gilt dies für die gemeinsam mit Oltmanns (s. u. Dim. V) verfaßte Partie 4 (”Astronomie”), die die geographischen Ortsbestimmungen und Höhenmessungen der Reise beinhaltet, da beide entstehungsgeschichtlich ineinander verschachtelt sind. Sie erschienen zwischen 1808 und 1811. Die deutsche Fassung erschien nach dem Druck des französischen Hauptteils des französischen ersten, jedoch vor dem französischen zweiten Band. Während der Druckvorgänge hatten die Autoren jeweils an der anderen Fassung weitergearbeitet. Außerdem gab es in beiden Fassungen Umstellungen, die sich nicht entsprechen. Beispielsweise rückten die zuletzt erschienenen französischen Lieferungen an den Beginn des ersten Bandes. In der deutschen Fassung fehlen diese umfangreichen Einleitungen zu den Instrumenten, zur Meßmethodik und den Berechnungsverfahren, dagegen ist diese durch historische Erörterungen ergänzt. Da diese Bände als einzige den gesamten Reiseverlauf mit vielen Datierungen enthalten, sollten sie für eine Ergänzung des Reiseverlaufs (die Reiseschilderung bricht ja nach einem Drittel des Weges ab) gleichwertig benutzt werden. 

Ebenfalls 1808-11 erschien das sog. Mexiko-Werk (Partie 3) in den beiden Sprachen Deutsch und Französisch fast gleichzeitig. Im Deutschen gilt die Humboldtsche Autorschaft jedoch nur für den ersten Band. Humboldt berichtet seinem Verleger von der Überarbeitung des Textes, so daß ”das deutsche Publikum nicht zu wissen braucht, in welcher Sprache das Buch zuerst geschrieben sei”[1]. Die weiteren vier Bände sind jedoch von Ph. J. Rehfues übersetzt.

Für die französische Fassung ergibt sich eine besondere Komplikation dadurch, daß bereits 1826 eine durch Humboldt stark überarbeitete Nachauflage erschien, die somit als wesentlichere (hinsichtlich Autornähe) anzusehen ist.

Noch vor der ”Pflanzengeographie” war mit dem Druck von Partie 2 (”Zoologie”) begonnen worden: 1805-1809 erschienen 6 Lieferungen der französischen Fassung und 3 Hefte der deutschen Fassung. Da diese (vermutlich auf Grund von Verlegerschwierigkeiten) abbrachen und ab 1814 mit einem Neudruck der französischen Fassung von Anfang an begonnen wurde, muß diese Fassung als die eigentliche angesehen werden. Die deutsche Fassung wurde dagegen weder neu begonnen noch weitergeführt. Folglich ist sie - die von Humboldt selbst bearbeitet oder zumindest beaufsichtigt wurde - für eine deutsche Fassung als eigentliche (wenn auch ein Torso), jedoch nicht gleichwertig der französischen anzusehen.

Die weiteren Teile des Reisewerks sind von Humboldt selbst nur noch in der französischen Sprache geschrieben. Der deutsche Text wurde - teilweise gekürzt - durch vom Verleger beauftragte Übersetzer erstellt. Besonders stark betreffen die Kürzungen die eigentliche Reiseschilderung, über die sich Humboldt mehrfach erbittert geäußert hat.[2]

Von den sieben Textlieferungen der ”Vues des Cordillères” sind zu Humboldts Lebzeiten nur die beiden ersten (vermutlich ebenfalls von Rehfues) ins Deutsche übertragen,[3] wogegen der Text des ”Examen critique” vollständig und sogar durch besondere Anmerkungen des Übersetzers und durch ein nützliches Register gegenüber der französischen Fassung verbessert publiziert wurde.

Für eine englische Fassung hatte Humboldt eine ähnliche parallele Ausgabe geplant. Die Übersetzung sollte unter der Aufsicht des Genfer Physikers und Astronomen Marc-Auguste Pictet geplant und unternommen werden.[4] Die einzige Frucht war die Übersetzung des Mexikowerks durch J. Black 1811. Nach dem Scheitern dieses Projekts kam durch die englische Übersetzerin Helen Maria Williams, die mit Humboldts zeitweiligem französischen Verleger Stone liiert war und während Humboldts Zeit in Paris ebenfalls dort lebte, eine durch Humboldt geschätzte englische Übersetzung der ”Relation historique” und der ”Vues des Cordillères” zustande. Diesen Übersetzungen ist besonderer Wert beizumessen, da sie unmittelbar nach den französischen Korrekturbögen und in enger Zusammenarbeit mit dem Autor entstanden waren. Direkten Einfluß nahm Humboldt auf die Entstehung der Einleitung der „Personal narrative“: Sie ist fast wörtliche Übersetzung eines Textes, den Humboldt in einem Brief an H. M. Williams gesandt hatte.[5] Bereits früh hat sie ihren Neffen Charles Coquerel zur Mitarbeit herangezogen, der die Arbeit nach ihrem Tod zu Ende führte. Mehr Bände des Reisewerks wurden zu Humboldts Lebzeiten nicht ins Englische übersetzt.

Naturgemäß fanden Humboldts Berichte aus den Kolonien in Spanien besonderes Interesse. In Paris gab es einen auf spanische Übersetzungen spezialisierten Verlag, der mit dem Verleger des französischen Originals in geschäftlicher Verbindung stand. Der Übersetzer war mit Humboldt persönlich bekannt, so daß Humboldt auf Übersetzungen teilweise direkten Einfluß nehmen konnte. Dies ist zumindest für die zweite Ausgabe (1825-1827) des besonders erfolgreichen Mexikowerks nachgewiesen. Die Ergänzungen und Hinzufügungen sind beträchtlich, sie enthalten neues Material und müssen für eine eventuelle Neuedition mit in Betracht gezogen werden. Weiter erschienen noch zu Humboldts Lebzeiten auf Spanisch: die ”Relation historique” und der ”Essai sur la Géographie des Plantes”.



[1] Humboldt an J. F. v. Cotta, Marbach, DLA, Cotta-Archiv; s. Bibliographie S. 194

[2] Vgl. Leitner 1995

[3] Erst 2004 ist es mit der verdienstvollen Neuübersetzung (Humboldt 2004a) gelungen, die Aufnahme dieses wichtigen Werkes endlich auch im deutschen Sprachraum zu ermöglichen.

[4] Vgl. Leitner 1997

[5] Abdruck in Biermann 1982

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