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Ilse Jahn (Berlin)
„Vater einer großen Nachkommenschaft von Forschungsreisenden ...“
Ehrungen Alexander von Humboldts im Jahre 1869
2. Matthias Jacob Schleiden (1804-1881)
Zehn Jahre nach seinem Tod war Humboldts Name und sein Werk in Deutschland (damals kein einheitliches „Reich“) noch allenthalben lebendig, und auf der Suche nach der Beschreibung weiterer Feiern fiel mein Auge zunächst auf Dresden, wo die Gesellschaft „Isis“ eine große Gedenkfeier veranstaltete (vgl. Scholz 2001).
Das Besondere an dieser Feier ist der Umstand, daß die Festrede ein damals ebenso bekannter Naturforscher hielt, einer jener Vertreter, ja Mitbegründer der neuen „naturwissenschaftlichen“ Richtungen in der Naturforschung: Matthias Jacob Schleiden. Schleiden, der die „Zellentheorie“ angeregt hatte und durch sein Lehrbuch über „induktive Botanik“ für die zweite Hälfte des 19. Jh. die naturwissenschaftliche Methode auch in der Biologie durchsetzte, betonte aber trotz allem auch immer wieder : „Es gibt nur Eine Natur und Eine Wissenschaft von derselben!“
Seine wichtigen mikroskopischen Pflanzenstudien über die Entwicklungsgeschichte der Blütenpflanzen (1837, 1838) und die erste Konzeption seines entscheidenden Lehrbuches „Grundzüge der wissenschaftlichen Botanik“ (1842) entstanden etwa 1836-40 in Berlin, gleichsam unter den Augen Alexander von Humboldts, dessen Empfehlung er auch seine Universitätslaufbahn in Jena verdankte. So widmete Schleiden ihm sein Lehrbuch über induktive Botanik (Schleiden 1842/1843), mit dem sich die neue naturwissenschaftliche Methode in Deutschland rasch verbreitete.
Auf diese Widmung antwortete Alexander von Humboldt mit einem zwei Seiten langen Brief (Kohut 1904/05, S. 326-327), dessen Original ich im August 2003 in Aarhus, Dänemark, wiederentdeckte.
Er ist so aufschlußreich für Humboldts Art und Weise, mit jüngeren Wissenschaftlern zu verkehren und ihre Schriften treffend zu analysieren, überhaupt, zeitgenössische Literatur zu rezipieren, und darüber hinaus in leicht spöttischem Ton seine Kritik an Schleidens polemischem Stil einzuflechten. daß ich den Brief hier (nach der Handschrift) zitieren möchte:
„Wenn ich gleich noch nicht allen Genuß mir habe schaffen können, den Ihre geistvolle Schrift in einem so hohen Grade gewähren kann, so eile ich doch schon, teurester Herr Professor Ihnen meinen freundlichsten Dank für Ihre mich ehrende Zueignung darzubringen. Dieser Beweis Ihres Wohlwollens musste mich überraschen. Was ich in vorweltlicher Zeit geleitet und angeregt, gehört zur mythischen Geschichte Ihrer Wissenschaft. Wenn man die Unvorsicht hat 72 Jahr alt zu werden, muß einem auch der Muth nicht fehlen, sich längst litterarisch vergraben zu wissen. Dieser Muth nun aber ist in mir der heiteren Stimmung zugesellt eines lebendigen Antheils an dem Treiben einer neueren Generation[,] an den erfreulichen Fortschritten einzelner Theile der Pflanzenphysiologie, an dem neuen Glauben der den älteren verdrängt. Bei der genauen Kenntniß, die ich von Ihren treflichen Arbeiten mir zu erwerben gesucht habe, wünschte ich das Verdienst mir zueignen zu dürfen, mit dazu beigetragen zu haben einen Mann Ihres Talents und Ihres kräftigen Willens der Naturwissenschaft gewonnen zu haben. Was Sie über den status adultus der Thiere, über die ewige Gestaltveränderung der Pflanze p. 23-33 sagen, gegen die allgemeine Saftcirkulation p. 66 und 283, über Cytoblasten und Gährungspilze p. 197 und 191, von der sogenannten Unbefangenheit unwissender Beobachter p. 138, über das Leben der Pflanzenzelle p. 190-289 ist vortreflich. Da ich dem grausamen Cellularsystem der philantropisirenden Gefängniß-Philosophie sehr entgegen bin, so gab es auch eine Epoche, in der ich von der so überhandnehmenden Domination der Zellenbotanik eine gleiche Einkerkerung fürchtete. Meine Besorgniß ist geschwunden, in Ihren Ansichten finde ich die Mannichfaltigkeit des Formen-Lebens wieder ohne welche mir die Natur ein polyädrisch erstarrtes Agregat von Lamellen wird. Ich kenne keine Schrift, theurester Herr Professor in der die vitalen Fragen der Wissenschaft mit solcher Vollständigkeit, mit so ernstem Scharfsinn, mit so vielumfassender Naturkenntniß [2] behandelt worden sind. Das Wort Ernst hat sich nicht umsonst in das Lob eingeschlichen, das ich Ihnen so gern und seit vielen Jahren zolle. Ihr
e LiebeWahrheitsgefühl hält Sie gewiß von aller ‚Katzenpfötigkeit‘ (p. 98) ab, die Feigheit der ‚moralischen Lumpen‘ (p. 91) ist Ihnen unerträglich, aber Ihre Wahrheitsliebe giebt Ihren Schriften auch die Form eines blutigen Feldzuges. Irrthümer und abweichende Meinungen stellen sich Ihnen stets als Nachtgestalten der Lüge und bösartigen Truges dar; Meyen und Corda sind Ihre Hausdämonen; und einer der ausgezeichnetsten Chemiker unseres Zeitalters, Liebig, ist ‚unsinnig und unverschämt‘ (p. XVII, 15, 175) wenn er nicht ‚albern‘ (p. 182) ist.[1] Ob Sie mir die Heiterkeit meiner Citate verzeihen werden? Sie sehen, ich zähle die Verwundeten auf dem Schlachtfelde, unternehme aber nicht die Heilung der Schwer-Verwundeten. Möge die anmuthige Landschaft, die hinter Ihren gespensterartigen Jenaer Kalkbergen liegt, möge ein reger Kreis von Menschen, die wie ich, die herrlichen Anlagen und Kräfte Ihrer geistigen Natur zu schäzen wissen Sie fröhlicher stimmen, Ihnen milde Lüfte zuwehen.
Mit der ausgezeichnetsten Hochachtung und freundschaftlicher ErgebenheitEw. Wohlgeboren
gehorsamster
Al HumboldtBerlin, den 13 April 1842
Meine innige Verehrung dem Herrn Hofrath Fries und wenn Sie ihr nahe treten der geistreichen Frau von Wollzogen.“
Zu der Zeit, als Schleidens Lehrbuch erschien und Humboldt diesen Brief schrieb, hatte der preußische Gelehrte schon 15 Jahre lang sein segensreiches Wirken in Berlin entfaltet, das auch in der Förderung deutscher Naturforscher lag.
Auf diese Tätigkeit, die der Herausgabe seines Reisewerkes in Paris (1807-1827) folgte, geht Schleiden in seiner Festrede 1869 besonders ein, als er die öffentlichen Vorträge 1827-28 in Berlin, die sogenannten „Kosmos-Vorträge“, als besondere Leistung erwähnte.
Wie Georg Gerland, schilderte Schleiden ausführlich Humboldts Leben und Werk. Seine Bewunderung für Humboldt gipfelte in der Betonung
„der ihm eigenthümlichen wissenschaftlichen Methode, durch welche er eben so Großes geleistet hat, und die durch ihn in die neuere wissenschaftliche Thätigkeit eingebürgert worden ist. Man hat sie wol die vergleichende Methode genannt, ich möchte den Ausdruck combinatorische Methode vorziehen. Die Fähigkeit, bei jeder Beobachtung, bei jedem Gedanken gleichsam die ganze Reihe aller Erscheinungen in der ganzen Welt zu durchlaufen, um zu sehen, nach welchen hin eine geistige Brücke etwa zu schlagen, ob und wie sie miteinander in Beziehung zu setzen seien, setzt offenbar nicht nur einen unerschöpflichen Schatz des Aufgefaßten und Treubewahrten, sondern auch die Fähigkeit voraus, die Einzelheiten jeden Augenblick durch den leichtesten Anstoß wieder in den Vorgrund der Seele zu rufen, um sie auf ihre Verbindbarkeit mit jener Beobachtung oder jenem Gedanken zu prüfen. Nur dadurch war er im Stande, die folgenschweren Verknüpfungen zwischen scheinbar einander fern liegenden Wissensgebieten zu finden und durchzuführen [...].“ (Schleiden 1869, S. 491.)
Während nun Gerland in jener Eröffnungsrede zwar auch hervorhob, wie Humboldt „durch sein Wissen stets mit wärmster Liebe zur öffentlichen Thätigkeit gedrängt wurde,“ (Gerland 1869, S. 25) so bemerkt er doch auch, daß seine Schriften nicht eigentlich „populär“ seien und selbst seine gedruckten öffentlichen Vorträge in den „Ansichten der Natur“ – dem meistgelesenen Buch -. (vgl. Leitner und Fiedler 2000) „keine leichte Lectüre für die größesten Kreise“ waren. (Gerland 1869, S. 6.) Schleiden dagegen betonte:
„Er [Humboldt] hieß die Wissenschaft heraustreten aus ihrer Zelle und lehrte sie eine Sprache, durch welche sie sich auch andern vernünftigen Menschen verständlich mittheilen konnte. Mit seinen ‚Ansichten der Natur‘, mit seinen öffentlichen Vorlesungen in Berlin gab er den ersten Anstoß und zugleich das edelste Beispiel zu dem wahren Popularisiren der Wissenschaft, das sehr wohl ohne Trivialität und Verwässerung bestehen kann. […] Eine ganze umfassende, früher nicht gekannte Literatur hat sich aus dieser Quelle ergossen und ein Feld zu ungemein segensreicher Thätigkeit ist dadurch den Männern der Wissenschaft in den öffentlichen Vorlesungen aufgeschlossen worden. Humboldt hat die Wissenschaft ins Volk übergeführt und vieles, was noch vor hundert Jahren nur die Gelehrten wußten, weiß jetzt jeder Handwerker und lesende Bauer.“ (Schleiden 1869, S.486.)
Als Schleiden diese seine Festrede in der Revue „Unsere Zeit“ drucken ließ, konnte er schon von weiteren Humboldtfeiern berichten, wobei er auch Magdeburg erwähnt:
„In Dresden hatten die meisten Schulen eine Frühfeier veranstaltet [...] Elf wissenschaftliche Vereine waren zu einer solennen Feier zusammengetreten, die in den festlich geschmückten und mit der Büste Humboldt’s gezierten Sälen der Societät stattfand. [...] In mehr oder weniger gleicher Weise wurde der Tag an unzähligen deutschen Orten festlich begangen. [....] Am umfassendsten und allgemeinsten war wol die Festlichkeit in Berlin, der Vaterstadt Humboldt’s. Hier theilte sich die Feier gewissermaßen in eine bürgerliche und wissenschaftliche. Zu der erstern gehörte außer den besondern Festlichkeiten der Bezirksvereine die von der Stadt veranstaltete Einweihung des Humboldt-Parks, eines im äußern Theil Berlins angelegten öffentlichen Spazierganges, und die Grundsteinlegung zu dem in diesem Park aufzustellenden Denkmal. Der zu dieser Festlichkeit angeordnete Festzug führte 58 Vereine zusammen. [...] Die wissenschaftlichen Vereine versammelten sich abends um 6 Uhr im Concertsaale des Schauspielhauses, um die Festrede des Vorsitzenden vom Geographischen Verein anzuhören.“
Als „sehr bedeutend“ hob Schleiden die Rede des Physikers Heinrich Wilhelm Dove am 1. Juli 1869 (Dove 1869), dem Leibniz-Tag der Berliner Akademie der Wissenschaften, hervor und fuhr dann fort:
„Dem Beispiele der beiden genannten Städte folgten in Norddeutschland fast alle größeren Städte, so Frankfurt a. O., Breslau, Magdeburg, Leipzig, Hamburg, Bremen, Hannover, Kassel, Frankfurt a. M., Köln u.s.w. [...] Man kann bemerken, daß, wie ganz besonders technische, gewerbliche und Arbeitervereine die Feier Humboldt’s in die Hand nahmen, so auch gerade die meisten Städte aus den Industriegegenden mit großer Theilnahme an der allgemeinen Feststimmung sich bethätigten. Je weiter man nach Süden blickt, je mehr sich der romanisch-katholische Einfluß bei einer Bevölkerung geltend gemacht hat, desto geringer sehen wir auch die Betheiligung an dem allgemeinen Feste der gebildeten Menschheit werden.“ (Schleiden 1869, S. 496-497.)
Diese Aussage Schleidens soll hier nicht hinterfragt werden; man müßte sie nachprüfen, denn seine spitze Zunge, die auch vor ungerechten Angriffen nicht zurückscheute, ist bekannt. Doch gibt eben sein kurzer Bericht – im Anschluß an seine enthusiastische Festrede für Humboldt – einen allgemeinen Eindruck von der zeitgenössischen Situation, in der auch der „Naturwissenschaftliche Verein“ in Magdeburg gegründet wurde.
Eng mit den Humboldtfeiern des Jahres 1869 verbunden war ein weiteres erwähnenswertes Ereignis. Um das Andenken des großen Forschers zu ehren, ergriff der Berliner Mediziner Rudolf Virchow (1821-1902) die Initiative zur Errichtung eines öffentlichen Humboldt-Denkmals in der preußischen Hauptstadt. Virchow gehört ja zu den jüngeren Vertretern der naturwissenschaftlichen Methode in der Medizin und übertrug die Schleiden-Schwannsche Zellentheorie in die Praxis. Auch er hatte Humboldt noch persönlich gekannt.
Eine im In- und Ausland veranstaltete Geldsammlung erbrachte binnen eines Jahres 100.000 Mark. Die Realisierung des Projektes wurde jedoch zunächst durch den deutsch-französischen Krieg von 1870/1871 verzögert. Als Standort wurde das Gelände der Universität vorgeschlagen, die damals noch (bis 1949) Friedrich-Wilhelms-Universität hieß. Rektor und Senat gaben ihre Zustimmung, aber nur unter der Bedingung, daß man gleichzeitig auch für Wilhelm von Humboldt, den eigentlichen Initiator der Universität, ein Denkmal errichten würde. „Dafür stand jedoch kein Geld zur Verfügung. 1875 bewilligte Kaiser Wilhelm I. die Mittel für dieses Denkmal als Parallelstatue zu dem Standbild Alexanders, nicht ohne zu verfügen, daß die Denkmäler von Scharnhorst und Bülow vor der Neuen Wache nicht überragt werden dürften und daß das Denkmal für Wilhelm links, also gegenüber dem Kaiserlichen Palais aufzustellen sei.“ (Schwarz 1992, S. 4.)
Daraufhin wurde ein Wettbewerb um die besten Entwürfe ausgeschrieben, die bis zum 31. Dezember 1876 einzureichen waren. Der Entwurf für das Denkmal Wilhelm von Humboldts von Martin Paul Otto (1846-1893) wurde sofort von der Auswahlkommission akzeptiert. Die Arbeit des Bildhauers Reinhold Begas (1831-1911) wurde zwar gelobt, entsprach jedoch nicht den Vorgaben für ein Denkmal Alexander von Humboldts. Die Kommission beauftragte dennoch Begas, das Denkmal für Alexander von Humboldt in Angleichung an den Entwurf von Otto zu schaffen. Im Sommer 1880 akzeptierte Kaiser Wilhelm I., der sich die letzte Entscheidung vorbehalten hatte, beide Entwürfe, so daß die Enthüllung der zwei Denkmäler, die der Universität als Eigentum übergeben wurden, endlich am 28. Mai 1883 stattfinden konnte.
Eine spanische Inschrift am Sockel den Denkmals für Alexander: „Dem zweiten Entdecker Kubas“, wurde am 1. November 1939 von der Universität Habana gestiftet und mit großer Beteiligung der Regierungsvertreter von Cuba, Guatemala, Nicaragua, Uruguay, Venezuela und der Domikanischen Republik enthüllt. (Vgl. Schwarz 1992, S. 4-5.)
[1] Zu den Auseinandersetzungen zwischen Schleiden und Liebig siehe Werner 2001, insbesondere die Seiten 240-247.
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