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Stand: 12. August 2005
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Alexander von Humboldt
Archiv 2000
 

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Artikel zur Expedição Humboldt - Amazônia 2000 | Projektbeschreibung auf Portugiesisch

 

Basler Zeitung

Samstag/Sonntag, 12./13. Februar 2000, Nr. 36

 

Auf Humboldts Spuren auf dem Amazonas

Es war ein wagemutiges Unternehmen, das der Universalgelehrte Alexander von Humboldt und sein französischer Freund Aimé Bompland da im Juni 1799 starteten - eine Expedition ins Unbekannte. Jetzt wollen brasilianische Forscher den beiden nacheifern, mit hohen Zielen.

Von Prof. Eugen Gander

 

Eine lange Tour wird's, die da die Forschenden von der Universidade de Brasilia vorhaben:

Von Güiria bis Belém auf Orinoco, Rio Negro und Amazonas soll nachgefahren werden, was Alexander Humboldt eigentlich im Sinne hatte. Das Projekt soil viele verwertbare Resultate ergeben - und mithelfen, Ausbeutung zu begegnen.

Verlauf der Expedition
Grafik BaZ

«Welch ein Glück ist mir eröffnet! Mir schwindelt der Kopf vor Freude. Ich gehe ab mit der spanischen Fregatte ‹Pizarro›. Wir landen auf den Kanarischen Insein und an der Küste von Caracas in Südamerika... Der Mensch muss das Gute und Grosse wollen... Ich werde Pflanzen und Fossilien sammein, mit vortrefflichen Instrumenten astronomische Beobachtungen machen können, werde die Luft chemisch zerlegen... Das alles ist aber nicht der Hauptzweck meiner Reise. Auf das Zusammenwirken der Kräfte, den Einfluss der unbelebten Schöpfung auf die belebte Tier- und Pflanzenwelt, auf diese Harmonie sollen stets meine Augen gerichtet sein...»

 

So schrieb Alexander von Humboldt am 15. Juni 1799, an Bord der spanischen Fregatte, am Anfang einer Reise, die fünf Jahre dauern sollte und ihm und seinem Freund Aimé Bompland höchsten wissenschaftlichen Ruhm einbringen sollte. Alexander von Humboldt, am 17. September 1769 in Berlin geboren, war einer der letzten «univer-salen» Naturalisten und einer der Ersten, der systematisch versuchte, die komplexen Zusammenhange zwischen Biosphäre und unbelebter Geosphäre zu untersuchen. Sein grosses Werk, «Entwurf einer physischen Weltbeschreibung», ist das Resultat dieser sechzig Jahre dauernden Bemühungen, und nur noch Darwins Beschreibung der «Beagle»-Reise, die rund 30 Jahre spater realisiert wurde, kann mit Humboldts und Bomplands Beitragen verglichen werden.

Aimé Bompland wurde am 18. August 1773 in La Rochelle geboren, studierte Medizin und Botanik und wurde 1798 auserkoren, an einer Südsee-Expedition teilzunehmen, derselben, der sich Humboldt anschliessen wollte. Die beiden wurden sehr schnell Freunde, und als die Expedition aufgegeben wurde, beschlossen sie, gemeinsame Studien zu betreiben.

Ihre Namen sind untrennbar mit den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen des späten 18. Jahrhunderts verbunden und ihre Methoden umfassten geografische, klimatologische, geologische, botanische, zoologische und anthropologische Untersuchungen, kurz, sämtliche Gebiete der damaligen Wissenschaften. Im 18. Jahrhundert, zu einer Zeit, da das Ziel einer formellen Erziehung darin bestand, zu einem holistischen Verständnis des Universums zu gelangen, war dies keineswegs ein megalomanisches Unterfangen, das war normal!

Der Spionage verdächtigt

Nach seiner Ankunft im heutigen Venezuela im Juli 1799 plante Humboldt den damals kaum erforschten Orinoco hochzuschiffen und uber den 1744 vom Jesuitenpater Roman entdeckten Kanal von Cassiquiare via Rio Negro über das Amazonas-Einzugsgebiet bis zum heutigen Belém an der Amazonasmündung vorzustossen. Damit wäre der Beweis erbracht, dass die beiden grössten amazonischen Flusssysteme miteinander in Verbindung stünden. Neben den unschätzbaren wissenschaftlichen Resultaten waren fur Humboldt die wirtschaftlichen und verkehrstechnischen Konsequenzen dieses Nachweises offensichtlich.

Das Unternehmen der beiden Forscher gelang nur teilweise; zwar konnten sie den Nachweis erbringen, dass die beiden Flussgebiete untereinander in Verbindung stehen, dass die Karibik und die Amazonasmündung durch schiffbare Wasserwege miteinander verbunden sind, ihre Reise jedoch nahm an der damaligen spanischen (heute venezolanischen) und portugiesischen (heute brasilianischen) Grenze ein jähes Ende.

Spanien und Portugal standen zu jener Zeit, der Zeit der napoleonischen Kriege, in verschiedenen Lagern und der portugiesische Gouverneur jener Region vermutete in Humboldts Expedition eine Truppe als Forscher verkleidete spanischer Spione. Und verweigerte ihnen den Eintritt auf portugiesisches Gebiet aufs Hartnäckigste. Humboldt und Bompland warteten noch eine Weile an der Grenze auf eine Wendung zum Besseren und vertrieben sich die Zeit, wenn sie nicht forschten, mit Schachspiel. (Sie kreierten die Bompland-Humboldtsche Eröffnung, die nur den wenigsten Grossmeistern bekannt ist, die aber von Dr. Urs Widmer schon mehrere Male mit Erfolg bei Fernschachkampfen eingesetzt wurde. Dies nur nebenbei.)

Natürlich hinterliess dieses Einreiseverbot Wunden in brasilianischen Seelen und, wie es ein Professor der Universidade de Brasilia (UnB) ein wenig pathetisch formulierte, «das Land hat eine historische Schuld an Humboldt abzutragen». Bon, «historische Schulden» klingen seltsam, aber wie dem nun auch sei, die Universität hat beschlossen, im Rahmen der 500-Jahr-Feier der Entdeckung Brasiliens und der 200 Jahre, die seit Humboldts Anstrengungen vergangen sind, diese Schuld abzutragen und die ursprüngliche Humboldt-Expedition zu Ende zu fuhren.

Die Expedition der UnB

Geplant ist eine multidisziplinäre Expedition, deren Ziel natürlich nicht nur ist, Humboldt zu kopieren. Vielmehr erwartet man Resultate in Bezug auf die genetischen Reserven von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen dieser Regionen, Einsicht in die Lebensart und - qualität der indianischen Bevölkerung der Flussregionen sowie neue Erkenntnisse in Bezug auf die natürlichen Reservoire der Erreger der wichtigsten Tropenkrankheiten, unter denen die dortige Bevölkerung zu leiden hat.

Im Rahmen dieser praktischen Ziele soll vor allem auch die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen Brasilien, Venezuela sowie internationalen Institutionen gefordert werden.

Dem multidisziplinären Charakter entsprechend nehmen an dem Unternehmen Biologen, Mediziner, Anthropologen, Geologen, Historiker, Ökologen, Agronomen und Astronomen sowie ein Maler und ein Fotograf teil. Die Expedition soll am 1. Juni 2000 beginnen und umfasst vier Etappen (siehe Karte). Die erste führt von der karibischen Küstenstadt Güiria für 70 nautische Meilen durchs Karibische Meer bis an die Orinoco-Mündung. Anschliessend folgen 570 Meilen den Orinoco hoch bis nach Puerto Ayacucho. Kontakte mit venezolanischen Forschern werden in Ciudad Bolivar geknüpft.

Die zweite Etappe führt von Puerto Ayacucho via den Orinoco-Oberlauf zum Kanal von Cassiquiare und in den oberen Rio Negro, der bereits zum Amazonassystem gehört. Diese Reise führt durch das Gebiet der Yanomamis, einer Indiogruppe die - Gott sei Dank - bis dahin weitgehend von den Segen der Zivilisation verschont geblieben ist, bis zur brasilianisch-venezolanischen Grenzstadt Cucuí.

2000 Kilometer auf dem dritten Abschnitt

Der dritte Abschnitt, der längste mit 2000 km, folgt dem Rio Negro nach Manaus, wo sich der Rio Negro mit dem Amazonas vereinigt, und reicht bis nach Santarém. Während dieser Etappe, die rund 45 Tage dauern wird und durch verschiedene Nationalparks und biologische Reservationsgebiete führt, werden an den verschiedenen Aussenstationen der Universität von Amazonien Intensivkurse in den Spezialgebieten der beteiligten Forscher gegeben. Ausserdem soll der Einfluss des Gold- und Bauxitabbaus im Einzugsgebiet des Tapajós-Flusses auf die Lebensqualität der Anwohner und generell auf die gesamte Biosphäre der Region analysiert werden.

Die letzte Etappe schliesslich geht von Santarém nach Belém in der Amazonasmündung. Dieser Teil der Reise führt durch Gebiete, in denen in jüngster Zeit grössere urbane Zentren entstanden sind, und der Einfluss dieser Neubesiedelungen auf Umwelt und angestammte Bevölkerung soll kritisch analysiert werden.

Mit Hängematten und Satellit

Humboldt und Bompland liessen sich auf ihrer Reise von Indianern rudern; die moderne Version der Expedition verlässt sich auf lokale Schifffahrtsgesellschaften und landeskundige Mannschaften. Hingegen jetzt wie damals muss in Hängematten geschlafen werden, was nicht jedermanns Sache ist... Online-Verbindungen zu den interessierten Medien und zurückgebliebenen Familienangehörigen sind vorgesehen und ausserdem kann der Fortschritt der Expedition auf einer speziellen Homepage verfolgt werden.

Nach Abschluss der Reise wird jeder beteiligte Forscher einen zusammenfassenden Bericht verfassen, welche von der Universidade de Brasilia in Buchform herausgegeben werden. Das gesammelte biologische Material wird interessierten Universitätsinstituten zur Verfügung stehen und, so erwarten die Organisatoren der Expedition – der Historiker Prof. Victor Leonardi und der Biologe Prof. Martins de Sá – substanziell zum Verständnis der Biologie der Lebensformen in einer der reichsten und noch weitgehend unerforschten Regionen des Planeten beitragen. Ausserdem darf man hoffen, dass die gewonnenen Erkenntnisse dazu beitragen, rücksichtsloses und unverantwortliches exploratorisches Verhalten durch erhaltende Massnahmen zu ersetzen. Ein prioritäres Ziel, das zwar unaufhörlich gepredigt wird, leider aber noch in weiter Ferne liegt.

 

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