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Kurt-R. Biermann
Ein „politisch schiefer Kopf“ und der „letzte Mumienkasten“
Humboldt und Metternich [1]Der als Exponent des Konservatismus geltende österreichische Staatskanzler Clemens Graf (später Fürst) Metternich (1773 - 1859) hätte es sich nicht träumen lassen, daß er eines Tages mit dem Mathematiker Matthias Metternich (1758 - 1825), einem 1792/93 führenden Mainzer Jakobiner verwechselt werden würde[2] und daß man ihn für einen Göttinger Kommilitonen und Nachbarn des liberalen Alexander von Humboldt halten werde,[3] indem man ihn mit Maximilian Graf Wolff-Metternich verwechselte.
In Wahrheit hat der Staatsmann nie in Göttingen studiert, hat also auch nie „in demselben Haus und bei denselben Wirtsleuten“ wie Humboldt gewohnt. Vielmehr haben sich Metternich und Humboldt erst 1807 in Paris kennengelernt. Ersterer war dort österreichischer Botschafter, und letzterer, 1804 von seiner Amerikareise zurückgekehrt, sollte in Paris daran mitwirken, die Herabsetzung der den Preußen auferlegten Kontributionen zu erreichen. Später sind sich Humboldt und Metternich wiederholt begegnet, so 1811 in Wien, 1836 in Teplitz und 1845 auf Metternichs Schloß Johannisberg bei Rüdesheim.
Für den österreichischen Staatskanzler war der freisinnige Preuße „ein politisch schiefer Kopf“, während Humboldt in Metternich den „letzten Mumienkasten von festem Sykomorholze“ erblickte. Und dennoch korrespondierten beide 35 Jahre lang in den liebenswürdigsten Formen miteinander. Die Grundlage für diesen Briefwechsel bildete das beiden gemeinsame Interesse an der Förderung der Wissenschaften und ihrer Repräsentanten.
Während des Kongresses von Verona im Herbst 1822 bemerkte Humboldt, daß Metternich Wert darauf legte, als Freund von Wissenschaft und Kunst ästimiert zu werden und daß er sich durch die Annäherung des berühmten Forschungsreisenden geschmeichelt fühlte. Kurz nach seiner Rückkehr aus Italien eröffnete Humboldt den Austausch von Empfehlungsbriefen, von Hinweisen auf Fortschritte in der Forschung, von Informationen über Publikationen und anderes mehr. Seine Fingerzeige fanden wohlwollende Aufnahme, und der Staatskanzler revanchierte sich mit entsprechenden Gegengaben. Aktuelles Zeitgeschehen wurde aus der Korrespondenz zwar nicht völlig ausgeschlossen, aber so abgehandelt, daß der Briefpartner keinen Anstoß nehmen konnte. Metternich verstand es, Unerwünschtes zu überhören, und Humboldt war ein Meister in der Kunst, jedem etwas ihm Angenehmes zu sagen. Dergestalt wurde ihr Briefwechsel ein Lehrstück geistigen Austausches unter Vermeidung jeglicher Kontroverse. So nimmt es nicht Wunder, daß Metternich schließlich die förmliche Anrede „Mon cher Baron“ durch das gefühlvollere „Mein alter Freund“ ersetzte. In den letzten beiden Jahrzehnten ihres Lebens ergab sich ein neuer Schwerpunkt in ihrem Schriftverkehr, nachdem Friedrich Wilhelm IV. von Preußen 1842 die Friedensklasse des Ordens Pour le mérite gestiftet hatte, Humboldt Kanzler des Ordens und Metternich einer seiner Ritter geworden war. Metternich präsentierte sich als ein dem Ordenskanzler höchst angenehmer Ritter, indem er bei Zuwahlen den Vorschlägen Humboldts folgte oder sein Votum einfach in dessen Ermessen stellte. Freundschaft trat an die Stelle von Wohlwollen, Vertrauen ersetzte Skepsis.
[1] Der Aufsatz erschien erstmalig in: Alexander von Humboldt. Netzwerke des Wissens [Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt, Berlin, 6.6.-15.8.1999 und in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 15.9.1999-9.1.2000], S. 135.
[2] Vgl. Hartau, Friedrich: Clemens Fürst von Metternich. Reinbek b. Hamburg 1977, S. 19.
[3] Vgl. Bruhns, Karl, (Hg.): Alexander von Humboldt. Leipzig 1872, Bd. 1, S. 81, Bd. 2, S. 333.
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