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Stand: 12. August 2005
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H i N

Alexander von
HUMBOLDT im NETZ

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HiN                                                     I, 1 (2000)
 
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Ottmar Ette: Unterwegs zu Weltbewußtsein
Alexander von Humboldts Wissenschaftsverständnis
und die Entstehung einer ethisch fundierten Weltanschauung

 

Jenseits der Prophezeiungen

Auf den ersten Seiten des 26. Kapitels seiner Relation historique, das als Teil des dritten Bandes als erste Lieferung im Juni 1825 in Paris erschien (54), ging Humboldt auf den sich nunmehr abzeichnenden Sieg des Unabhängigkeitskampfes der kontinentalen kolonialspanischen Gebiete Amerikas über ihr Mutterland Spanien ein:

Sans doute qu'après les grandes révolutions que subit l'état des sociétés humaines, la fortune publique qui est le patrimoine commun de la civilisation, se trouve différemment répartie entre les peuples des deux mondes; mais peu à peu l'équilibre se rétablit, et c'est un préjugé funeste, j'oserois presque dire impie, que de considérer commune calamité pour la vieille Europe la prospérité croissante de toute autre portion de notre planète. L'indépendance des colonies ne contribuera pas à les isoler, elle les rapprochera plutôt des peuples anciennement civilisés. Le commerce tend à unir ce qu'une politique jalouse a séparé depuis long-temps. Il y a plus encore: il est de la nature de la civilisation de pouvoir se porter en avant sans s'éteindre pour cela dans le lieu qui l'a vu naître. Sa marche progressive de l'est à l'ouest, de l'Asie en Europe, ne prouve rien contre cet axiome. Une vive lumière conserve son éclat même lorsqu'elle éclaire un plus grand espace. La culture intellectuelle, source féconde de la richesse nationale, se communique de proche en proche; elle s'étend sans se déplacer. Son mouvement n'est point une migration: s'il nous a paru tel dans l'Orient, c'est parce que des hordes barbares se sont emparées de l'Egypte, de l'Asie-Mineure, et de cette Grèce jadis libre, berceau abandonné de la civilisation de nos ancêtres.(55)

Begleitet Humboldts Reisebericht, aus unzähligen direkten und indirekten Quellen über den Verlauf der Unabhängigkeitsbewegung im allgemeinen gut dokumentiert, als ein work in progress zwischen den ersten Lieferungen von November 1814 bis zu den letzten von März/April 1831(56) die einzelnen Stationen der hispanoamerikanischen Independencia auch recht aufmerksam, so erweist sich doch seine Prophezeiung, zwischen jenen Gebieten und Europa werde sich schon bald ein Gleichgewicht (wieder-) herstellen, aus heutiger Sicht als falsch. Dies ist, wie wir bereits sahen, nicht die einzige Prophezeiung Alexander von Humboldts, die in die Irre führte. Wir sollten sie nicht achselzuckend mit dem Hinweis quittieren, daß hier der große Mann sich eben täuschte. Denn er irrte sich bedeutungsvoll.

Le commerce, der Handel und mehr noch der Welthandel, werde schon verbinden, so Humboldt, was die Politik voneinander trennte. Er tat es rasch, aber doch ohne im Verlauf der beiden zurückliegenden Jahrhunderte eine Balance herzustellen. Humboldts Vertrauen in die von Adam Smith wesentlich geprägten und wirkungsvoll verbreiteten Ideen des Wirtschaftsliberalismus war ungebrochen, handelte es sich hier doch um eine der scheinbar tragfähigsten Säulen des Projekts der europäischen Moderne. In den Prophezeiungen Humboldts spiegeln sich oftmals weniger die Realitäten, die dank umfangreichen empirischen Datenmaterials gesichert schienen, als die Visionen nicht nur seines eigenen Denkens, sondern mehr noch des damals vorherrschenden Konsenses innerhalb eines (mehr oder minder) liberalen europäischen Moderne-Projekts. Alexander von Humboldts Prophezeiungen weisen nicht so sehr auf individuelle Irrtümer und Fehleinschätzungen als darauf hin, daß dieser Teil seines Werkes und vor allem eines europäischen Projekts der Moderne längst historisch geworden ist. Diese Fehl-Leistungen sind dem Projekt inhärent.

Dies gilt - wie die obige Passage zeigen mag - aber nicht für sein Denken in toto. Gerade der Auszug aus dem 26. Kapitel zeigt, wie sehr Humboldts Denken in einem Weltbewußtsein verankert ist, dessen Ethos und dessen Einsichten noch immer von größter Aktualität sind. Der wachsende Wohlstand anderer Teile unseres Planeten dürfe in dem schon für Humboldts Zeit »alten« Europa nicht als eine Bedrohung, sondern müsse als Chance wahrgenommen werden: Dies ist keineswegs nur im Sinne einer europazentriert agierenden Weltwirtschaft im Kontext wirtschaftsliberalistischer (oder heute neoliberalistischer) Vorstellungen gedacht. Il y a plus encore: Humboldts Denken ist kulturtheoretisch untermauert und geht von einer für die Ursprungsländer nicht mit negativen Konsequenzen versehenen Ausbreitung der civilisation über den ganzen Globus aus.

Auch hier sind heute Einschränkungen zu machen, ist doch die Vorstellung, daß sich die im Sinne Humboldts westeuropäische Zivilisation oder, mit Clifford Geertz Worten, die Ansicht, "daß die moderne Welt in Nord- und Westeuropa erschaffen wurde und sich wie ein Ölteppich über den Rest der Erde ausgebreitet hat"(57), ein Kernbestand des Denkens der Moderne, der längst - auch wenn sich eine breitere europäische Öffentlichkeit vor dieser Einsicht erfolgreich verschließt - einer fundamentalen Eurozentrismus-Kritik unterworfen und im übrigen auch von den tatsächlichen Entwicklungen bei weitem überholt wurde.

Alexander von Humboldts der europäischen Aufklärung verbundene Vorstellungswelt schlägt sich nicht zuletzt in der von ihm hier benutzten Lichtmetaphorik nieder, die von ihm mit einer Erweiterung des (auszuleuchtenden) Raumes und dergestalt mit der expansiven Bewegung des alten Europa verknüpft wird. Bedeutsam ist vor allem sein Denken in weltweiten kommunikativen Beziehungen, die sich nicht auf den Welthandel beschränken, sondern die culture intellectuelle und damit die geistige Produktion als den eigentlichen Reichtum der Nationen - und damit ist kein moderner Nationenbegriff, sondern jegliche Gruppe innerhalb der weltweiten menschlichen Gesellschaft gemeint - ausmachen. Mag Griechenland für Humboldt wie für viele seiner Zeitgenossen auch als eigentlicher Ursprungsort einer Zivilisation angesehen werden und mit einer vom kleingekammerten und vielfältig kulturell gegliederten Mittelmeer geokulturell verbunden sein: Entscheidend ist für Humboldts Überlegungen doch ein Weltbewußtsein, daß trotz aller zeitbedingten eurozentrischen Schieflage den Zugang aller Menschen zum Wissen und zur kulturellen Entwicklung in den Mittelpunkt stellt. Im Kern der Humboldtschen Überlegungen - und hierin unterschied er sich sehr wohl von vielen seiner Zeitgenossen - stand nicht die Prosperität Europas, sondern des gesamten Planeten.

Humboldts Projekt der Moderne ist dem europäischen Moderne-Projekt zweifellos verpflichtet, geht an aus heutiger Sicht entscheidenden Stellen aber weit über dieses hinaus. Seine Vorstellung eines künftigen Gleichgewichts impliziert keine einseitige, sondern eine multipolare Entwicklung, die zu einer neuen, gerechteren Weltordnung führen sollte. Diese neue Welt-Ordnung, dieser neue Kosmos, ist für Humboldt ohne ein Zusammenwirken verschiedenster Faktoren, ohne ein Ineinandergreifen verschiedener Kulturen, ohne eine Einbindung des Menschen in die Kräfte der Natur nicht vorstellbar. Ist eine derartige Überzeugung im Verlauf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts historisch, ja obsolet geworden?

Die von Clifford Geertz in seinen Vorlesungen am Wiener »Institut für die Wissenschaften vom Menschen« gestellte Frage, ob wir nicht neue Konzepte brauchen, um die Heterogenität unserer Welt im kulturellen Bereich durchdringen zu können, ist zweifellos ebenso berechtigt wie drängend (58). In der Sichtweise des renommierten Anthropologen und Kulturtheoretikers seien in den zurückliegenden Jahren zu dieser neuen konzeptuellen Herausforderung im wesentlichen zwei Vorschläge unterbreitet worden: zum einen die These der Postmoderne, derzufolge laut Geertz die Suche nach umfassenden Mustern als Relikt eines antiquierten Strebens nach dem Ewigen, Wahren, Wesentlichen und Absoluten aufgegeben werden müsse; zum anderen Versuche, die großen Visionen durch noch größere, die verschlissenen grands récits durch noch dramatischere große Erzählungen zu ersetzen (59). Geertz zieht daraus plakativ den Schluß:

Wir können also wählen zwischen einer abgeklärten Skepsis, die uns kaum mehr zu sagen erlaubt, als daß Differenz eben Differenz ist und wir um diese Tatsache nicht herumkommen, und melodramatischen Wortmalereien, die noch spektakulärere Kollisionen beschwören als jene, denen wir gerade erst um Haaresbreite entgangen sind.(60)

Angesichts dieser - fraglos überzeichneten - Schematisierung plädiert Clifford Geertz vor der historischen Kulisse des Falls der Berliner Mauer für die Notwendigkeit eines Navigierens in einer zersplitterten Welt, was nur das Ergebnis einer geduldigen und bescheidenen Näherungsarbeit sein könne - eine Arbeit, bei der uns weder der Rückzug in coole Szenen noch in heiße Szenarien helfen werde (61). Heißt dies, daß nun jeder seinen eigenen Garten bestellen solle?

Sicherlich nicht. In einer Situation wie der von Geertz umschriebenen, die seit 1996 an Dramatik eher zugenommen hat, scheint mir das Gesamtwerk Alexander von Humboldts - und dessen Erforschung - gerade auch für den deutschsprachigen Kulturraum noch an Bedeutung gewonnen zu haben. Dies bedeutet nicht, sich - wie man nun vielleicht einwenden könnte - einem Forscher zuzuwenden, der mit den besten Absichten in längst vergangenen Zeiten zu den falschesten Prophezeiungen kam. Wenn es eine Moderne gibt, die bislang ein unvollendetes Projekt geblieben ist, dann die Konzeption einer Moderne, die auf der Vision eines planetarischen Zusammenlebens und auf regionalen Fallstudien, auf der ästhetischen Behandlung komplexer Sachverhalte und auf geduldiger Feldforschung, auf der beständigen Ausweitung und Vertiefung des Weltbewußtseins und auf einer hochspezialisierten empirischen Forschung aus komparatistischer Perspektive beruht, Toleranz und Differenz zusammendenkt, ohne Europa und die abendländische Welt ein für allemal als den Nabel der Welt zu begreifen. Humboldts Weltanschauung verbindet nicht nur Erfahrungswissenschaft und Philosophie, literarische Innovation und naturwissenschaftliches Experiment, transdisziplinäre Praxis und interkulturellen Dialog miteinander. Gewiß ist die Kosmos-Idee zu einer großen Erzählung, ja vielleicht sogar zu einer künstlichen Mythologie im Sinne der Romantik geworden. Vielleicht ist sie in die Rolle und Position der Poesie gerückt, insofern sie zum "Vorschein eines Zustandes" wird, "in dem Gesetzmäßigkeit und Zweckmäßigkeit nicht auseinanderfallen" (62). Die Poesie aber, so wissen wir heute, teilte "das Schicksal des analytischen Geistes", nicht zuletzt, weil sie im Gegensatz zum Mythos "privat hervorgebracht und privat konsumiert" wird (63). Humboldts Denken und Schreiben ent-springt diesen Bedingungen in einem doppelten Sinne: Indem es dessen Voraussetzungen teilt und zugleich überschreitet. Denn es ist zugleich (wie die Poesie) Synthese und analytischer Geist, darüber hinaus aber auf einer nächsthöheren Ebene der Versuch, eine Synthese zwischen der Synthese der Poesie und der »Scheidekunst« naturwissenschaftlicher Forschung zu erzielen.

Man kann daher die Begeisterung und Erregung verstehen, mit der Humboldt am 27. Oktober 1834 Varnhagen schrieb, er habe

den tollen Einfall, die ganze materielle Welt, alles was wir heute von den Erscheinungen der Himmelsräume und des Erdenlebens, von den Nebelsternen bis zur Geographie der Moose auf den Granitfelsen, wissen, alles in Einem Werke darzustellen, und in einem Werke, das zugleich in lebendiger Sprache anregt und das Gemüth ergötzt. Jede große und wichtige Idee, die irgendwo aufgeglimmt, muß neben den Thatsachen hier verzeichnet sein. Es muß eine Epoche der geistigen Entwickelung der Menschheit (in ihrem Wissen von der Natur) darstellen.(64)

Signalisiert die Tatsache, daß es sich bei Humboldts Texten im Ergebnis um komplexe Hybride handelt, ein Scheitern seines Ansatzes? Ich glaube nicht. Denn in dieser wichtigen Briefpassage sind die gewaltigen Dimensionen - und die Gewalt - seines letzten großen Entwurfes ebenso skizziert wie dessen epochenverhaftete Geschichtlichkeit. Humboldts Kosmos ist eine transdisziplinär und interkulturell angelegte große Erzählung, die sich ihrer Historizität, aber auch ihres Versuchs, die zeitliche Begrenztheit zu überdauern, bewußt ist. Die Hybridität dieser Erzählung rührt nicht zuletzt aus Humboldts Einsicht in die Tatsache, daß der Vergänglichkeit des Datenmaterials nur mit der Dauer, die das Kunstwerk im Sinne der Romantik - gerade auch als Fragment - anstrebt, zu begegnen war.

Das Humboldtsche Denken ist kein statisches Gedankengebäude, das der gerade im Bereich der Wissenschaft mit ihren raschen Entwicklungen alles zerstörenden Zeit trotzen soll, sondern vielmehr - und hierin steht es aktuellen Wissenschaftskonzeptionen ebenso nahe wie dem sich unterschiedlichsten historischen Kontexten anpassenden Mythos - ein dynamisches Netzwerk, das nicht zum System gerinnt. Die Humboldtian Science ist keine Doxa, keine Lehre, sondern eine Theorie, die das Partikuläre mit einer Besessenheit studiert, welche ihre Leser bisweilen in Verzweiflung treibt, ohne doch dabei stehenzubleiben, und die das Allgemeine entwirft, ohne dessen geschichtliche Verfaßtheit zu vergessen und vom Besonderen abzuziehen. Spezialisierung des Wissens konnte einer solchen Wissenschaftsauffassung nichts anhaben, solange sie noch auf einen Gesamtzusammenhang gerichtet blieb. Als dies im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts aufgrund der rapiden Ausdifferenzierung in immer neue Disziplinen nicht mehr gewährleistet war, verlor sie rasch ihr Prestige innerhalb eines Wissenschaftsbetriebs, in dem Zusammendenken nur noch eine Aufgabe für Dilettanten und Divulgatoren zu sein schien. Vielfältig spezialisiert zu sein, galt nicht mehr als wissenschaftliche Spezialisierung. Wir stehen heute erst im Begriff, andere Arten von Spezialisierungen zu erlernen, die wieder vergleichend zu denken erlauben. Der Verfasser der Ansichten der Natur arbeitete nicht am Bau eines philosophischen Systems oder ethischen Lehrgebäudes, sondern an einer integrativen, mobilen und anpassungsfähigen Praxis von Ethik und Philosophie. Als reine Epistemologie ist sie nicht erfaßbar, sie schließt ethisch verantwortliches Handeln mit ein.

Daß sich Alexander von Humboldt gerade mit jenem Teil der Erde beschäftigte, den wir heute als Lateinamerika bezeichnen, ist - dies sollten wir nicht vergessen - einem Zusammenwirken verschiedener Zufälle, geschichtlicher Chancen und Notwendigkeiten zu verdanken, die sich erst wenige Wochen vor seiner Abreise in die sogenannte Neue Welt konkretisierten. Nach dem Tod seiner Mutter setzte er sich zum generellen Ziel, Gebiete außerhalb Europas zu bereisen und zu erforschen, wobei sich viele seiner zunächst gefaßten Pläne, andere außereuropäische Gebiete zu erreichen, zerschlugen. Es ist müßig, nach den Wegen zu fragen, welche die deutschsprachige Lateinamerikaforschung eingeschlagen hätte, wenn Humboldts Reise ihn nicht nach Amerika, sondern nach Afrika oder Asien geführt hätte. Sicher ist: Seine vergleichende, komparatistische Ausrichtung verdankt seiner Neugier und seinem Interesse an verschiedensten Gebieten der Erde ungeheuer viel: Humboldts Begeisterung für unterschiedlichste außereuropäische Regionen entsprach seinem Enthusiasmus für die verschiedensten Disziplinen.

Aus heutiger Sicht enthält seine komparatistische Perspektive eine konstruktive Antwort auf die Grundforderung von Clifford Geertz an eine neue Wissenschaftskonzeption für das 21. Jahrhundert, derzufolge Probleme und Phänomene unseres Planeten nicht mehr isoliert voneinander betrachtet werden dürfen (65). Humboldts natur-, geistes- und kulturwissenschaftlich fundiertes Weltbewußtsein weist einen Weg zwischen einer Theologie, die Weltethos im Sinne Hans Küngs letztlich immer transzendent begründet, und einer Philosophie, die sich als "Anwalt der Menschheit" im Sinne Otfried Höffes "lediglich auf die allgemeinmenschliche Vernunft und auf allgemeinmenschliche Erfahrungen" stützen will (66).

Ohne ein gütiges Eingreifen des Zufalls wäre Humboldt niemals nach Amerika gelangt. Daß nicht wenige der Fäden der Lateinamerika-Forschung im Berlin-Brandenburgischen Raum, aber auch in Europa und weltweit, bewußt oder - häufiger noch - unbewußt mit Alexander von Humboldts dynamischem Netzwerk verbunden sind, ist hingegen gewiß keinem Zufall geschuldet. Wenn Humboldt - wie Wolf Lepenies am Ende seines Vortrags im Berliner Haus der Kulturen der Welt mit Recht betonte - "das Beste" repräsentiert, "was unser Land den Kulturen der Welt zu bieten hat"(67), dann sicherlich auch deshalb, weil er es mit spezialisierten Forschungen nicht bewenden ließ. Humboldts früh feststellbares und ständig vertieftes Weltbewußtsein isolierte auch im Falle Lateinamerikas seinen Forschungsgegenstand niemals: Er band ihn ein in eine Weltanschauung, die stets das Forschungssubjekt als erkennendes und zugleich verantwortliches Individuum miteinbezog und vor allem auf einer ethischen Grundhaltung basierte. Die konstruktive Offenheit seines Wissenschaftsbegriffs und seiner Wissenschaftspraxis sowie seine ethische Haltung sind das wohl kostbarste Vermächtnis dieses weltbürgerlich denkenden und handelnden Intellektuellen für die Forschung über Lateinamerika am Ausgang der Moderne - gerade in diesem Teile der Welt.

 

Anmerkungen:

(54) Vgl. hierzu die verdienstvolle Arbeit von Fiedler, Horst (+) / Leitner, Ulrike: Alexander von Humboldts Schriften. Bibliographie der selbständig erschienenen Werke. Berlin: Akademie Verlag 2000, S. 77.

(55) Humboldt, Alexander von: Relation historique du Voyage aux Régions équinoxiales du Nouveau Continent fait en 1799, 1800, 1801, 1802, 1803, et 1804 par Al. de Humboldt et A. Bonpland rédigé par Alexandre de Humboldt. Neudruck des 1814 - 1825 in Paris erschienenen vollständigen Originals, besorgt, eingeleitet und um ein Register vermehrt von Hanno Beck. 3 Bde. Stuttgart: Brockhaus 1970, hier Bd. III, S. 58 f.

(56) Vgl. Fiedler, Horst (+) / Leitner, Ulrike: Alexander von Humboldts Schriften, a.a.O. S. 77 f.

(57) Diese ironische Metaphorik wurde selbstverständlich nicht von Humboldt benutzt, sondern von Geertz, Clifford: Welt in Stücken, a.a.O., S. 34.

(58) Geertz, Clifford: Welt in Stücken, a.a.O. S. 20.

(59) Ebda., S. 21. Geertz verweist hier in erster Linie auf die auch von Hans Küng in ähnlicher Weise diskutierte bekannte These Huntingtons vom »Zusammenstoß der Kulturen«, dem Clash of Cultures.

(60) Ebda., S. 22.

(61) Ebda.

(62) Vgl. hierzu den Alexander von Humboldt in keiner Weise miteinbeziehenden Band von Frank, Manfred: Der kommende Gott. Vorlesungen über die Neue Mythologie. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1982, S. 184.

(63) Ebda.

(64) Briefe von Alexander von Humboldt an Varnhagen von Ense, a.a.O., S. 20.

(65) Vgl. Geertz, Clifford: Welt in Stücken, a.a.O., S. 85.

(66) Höffe, Otfried: Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, a.a.O., S. 36.

(67) Lepenies, Wolf: Alexander von Humboldt - Vergangenes und Gegenwärtiges. In: Ette, Ottmar / Suckow, Christian / Hermanns, Ute / Scherer, Bernd M. (Hg.): Alexander von Humboldt - Aufbruch in die Moderne, a.a.O. im Druck, Ms. S. 23.

 

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