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Ilse Jahn (Berlin)
„Vater einer großen Nachkommenschaft von Forschungsreisenden ...“
Ehrungen Alexander von Humboldts im Jahre 1869
3. Emil du Bois-Reymond (1818-1896)
In den 15 Jahren nach den enthusiastischen Humboldtfeiern von 1869 war Alexander von Humboldts Popularität bereits merklich abgeschwächt, wie aus der Rektoratsrede deutlich wird, die Emil du Bois-Reymond am 3. August 1883 in der Aula der Berliner Universität hielt.
„Es war für die deutsche Wissenschaft eine glorreiche Zeit, wie gering auch eine altkluge und verwöhnte Jugend jetzt oft die Männer schätze, die, selber fast ohne Lehrer, ihr die Lehrer bildeten. […] Von der beherrschenden Stellung, welche Humboldt hier ganz von selbst zufiel, ist es dem heutigen Geschlechte schwer, in dieser alles nivellierenden Zeit sich ein richtiges Bild zu machen [...]“ (Schwarz und Wenig 1997, S. 198.)
In werbendem Tone schilderte der Redner Humboldts Verdienste – auch wenn dieser „nicht bis zur letzten Sprosse der Naturwissenschaft emporstieg,“ so war er doch „der Mann, die Brücke zu schlagen zwischen der alten und der neuen Zeit, zwischen dem philologisch-historischen, ästhetisch-spekulativen Deutschland [...] und dem mathematisch-naturwissenschaftlichen, technisch-induktiven Deutschland unserer Tage. […] Die Sitte, das Andenken eines großen Mannes durch ein Denkmal zu ehren, hätte wenig Sinn, wenn das Denkmal nur diente, dies Andenken zu erhalten: denn wenn ohne das Denkmal das Andenken verloren ginge, so wäre es ja der Erhaltung nicht wert gewesen. Vielmehr soll das Denkmal uns den entschwundenen Heros öfter ins Gedächtnis rufen, und im Hinblick auf seine Tugenden sollen wir den Entschluß erneuern, ihnen nachzueifern. Wir sollen uns fragen, wie der Mann, zu dem wir dankbar bewundernd emporblicken, wenn er unter uns wiederkehrte, wohl über uns urteilen, ob er uns für würdige Fortsetzer des von ihm Begonnenen anerkennen würde.“ (Schwarz und Wenig 1997, S. 201.)
Emil du Bois-Reymond gehörte zu den Initiatoren moderner naturwissenschaftlicher Richtungen durch seine elektrophysiologischen Experimente, und auch er verdankte Humboldt die entscheidenden Anregungen dazu. Anfang der 40er Jahre des 19. Jahrhunderts hatte Humboldt in Anknüpfung an seine eigene Jugendarbeit „Über die gereizte Muskel- und Nervenfaser“ (1797) und Experimente eines Italieners in Paris den damaligen Doktoranden Johannes Müllers in Berlin auf diese Forschungsrichtung aufmerksam gemacht und in den folgenden Jahren lebhaften Anteil an dessen Experimenten genommen. (Vgl. Jahn 1967.)
Du Bois-Reymond erinnerte sich 1883 daran und schilderte, wie Humboldt „noch als Sechzigjähriger mit der Kollegienmappe unter dem Arm in unseren Hörsälen“ unter Studenten Platz genommen hatte (Schwarz und Wenig 1997, S. 201), und wie er im Beisein von Helmholtz, Dove und Johannes Müller – fast 80jährig – mit ihm zusammen experimentiert hatte, um die Einwände der Pariser Gelehrten zu widerlegen. Humboldt nahm nur wenige Jahre vor seinem Tod auch noch einen Mikroskopierkurs bei dem Schleidenschüler Hermann Schacht (1814-1864), um die Struktur der Zellen und Muskelfasern zu untersuchen.
Die 94 Briefe, die Humboldt an Du Bois-Reymond zwischen 1840 und 1859 schrieb, sind inzwischen ediert und spiegeln viel von Humboldts Aktivitäten in diesem Zeitraum in Berlin wieder. Sie zeigen auch, wie sorgfältig Humboldt sich für die Aufnahme des bedeutenden Physiologen in die Berliner Akademie der Wissenschaften einsetzte. In dem von Johannes Müller und Humboldt unterzeichneten Wahlvorschlag für die Akademie heißt es:
„Seine Arbeiten über die thierische Elektricität, die er seit 10 Jahren unausgesetzt verfolgt, haben ihn an die Spitze dieses Theils der organischen Physik gestellt.“ (Schwarz und Wenig 1997, S. 170.)
Emil du Bois-Reymond gehörte dann 1859 auch zu den Berliner Gelehrten, welche die von Virchow vorgeschlagene „Alexander von Humboldt-Stiftung“ ins Leben riefen, um „hervorragenden Talenten, wo sie sich finden mögen, in allen Richtungen, in welchen Alexander von Humboldt seine wissenschaftliche Thätigkeit entfaltete, namentlich zu naturwissenschaftlichen Arbeiten und grösseren Reisen, Unterstützung zu gewähren“ (Jahn 1967, S. 152).
Um so verständlicher ist es, daß Du Bois-Reymond dann um 1880 zum Vorsitzenden des Kommittees bestimmt wurde, um die Aufstellung der Humboldt-Denkmäler zu betreuen.
Es war etwa um diese Zeit, als sich in England der Botaniker Joseph Dalton Hooker veranlaßt sah, in einem Brief nach Charles Darwins Meinung über Humboldts wissenschaftliche Leistung zu fragen, denn es war nach Humboldts Tod auch viel Kritik an seinem letzten Werk, dem „Kosmos“, geäußert worden.
Darwin antwortete Hooker unverzüglich:
„ […] ich möchte sagen, er war wundervoll, mehr noch wegen seiner Universalität, als wegen seiner Originalität. Aber ob nun seine Stellung als Naturwissenschaftler so bedeutend ist, wie wir beide denken, oder nicht, so kannst Du ihn doch in Wahrheit den Vater einer großen Nachkommenschaft von Forschungsreisenden nennen, die insgesamt sehr viel für die Naturwissenschaft geleistet haben.“
Diese Aussage, ein Jahr vor Darwins Tod, ist ebenfalls in Darwins eigener Biographie begründet.
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