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Symposium |
Teilnehmer/ Tagungsstruktur
Teilnehmer des Symposiums
Prof. Dr. Haroldo de Campos
Die transamerikanische Wanderschaft des Guesa
von Sousândrade
Die erneute Betrachtung des Werkes von Joaquim de Sousa Andrade,
Sousândrade (1832-1902) in den 60er Jahren veränderte den traditionellen Kanon der
brasilianischen Romantik (der von Sílvio Romero bis zu Antonio Candido reichte). Die
jüngere Literaturgeschichtsschreibung (Alfredo Bosi, Massaud Moisés) würdigt bereits
die Originalität dieses Dichters, seine Vorreiterschaft, und seine Universalität. Im
Gegensatz zum romantischen Indianismo, der vom mittelalterlichen heldenhaften Code
geprägt ist und im Werk von Gonçalves Dias und José de Alencar idealisiert wird, wählt
Sousândrade für sein langes narratives Gedicht, das von seinen Reiseerfahrungen gespeist
wird, die mythische jugendliche Gestalt des Guesa zum Protagonisten aus. Guesa ist für
ein rituelles Götteropfer vorgesehen, das von den Muisca-Indianern Kolumbiens kultiviert
wird. Er wurde vom Bericht Alexander von Humboldts (Vues des Cordillères et Monuments des
peuples indigènes de lAmérique, 1810-1813) dazu angeregt. Ebenso wie Goethe in Die
Wahlverwandtschaften (1809) zollt er seiner Bewunderung für Humboldts Erzählkunst einen
Tribut. Sousândrade stellt den Bericht Humboldts, der sich auf den Sonnenmythos des Guesa
bezieht, seinem Gedicht als Motto voran. Außerdem ehrt er an mehreren Stellen seines
langen Gedichts den herausragenden deutschen Wissenschaftler, den er "Vater
Humboldt" nennt. Das Werk wird im Verlauf von 20 Jahren veröffentlicht (1868-1888)
und spielt in seinen bedeutendsten Teilen in den Gegenden (Amazonien, Anden), die der
weise Naturforscher auf seiner Reise in die Neue Welt erkundet hat (1799-1804). Im
Unterschied zu unserer kanonisierten Romantik, die versucht, dem brasilianischen Indianer
Privilegien des vornehmen Rittertums zuzuschreiben, stellt Sousândrade mit einem
Rückgriff auf den kolumbianischen Mythos des Guesa oder des Wanderers und die Chronik des
Inkareichs als ein umfassendes Symbol des amerikanischen Aborigine heraus, der dem weißen
Eroberer zum Opfer fiel. Er macht aus dem Guesa, mit dem er sich identifiziert, die
persona des exilierten, pilgernden Dichters und projiziert ihn schließlich mitten in die
"Börse von New York", in die Zentrale von Korruption und Spekulatino im
sogenannten "Goldzeitalter" (1870-1880) des erstarkenden nordamerikanischen
Kapitalismus. Das Gemeinschaftssystem der Inkas, das mit der sozialutopischen Republik
Platons und den ethischen Inhalten des Christentums verschmilzt, erlaubt es ihm, sich eine
ideale, gerechte und brüderliche Gesellschaft vorzustellen. Dies ist der paradiesische
Pol des Gedichtes ("das Morgenlicht-Paradies der Inkas") im Gegensatz zu den
beiden Abteilungen der Hölle (dem Tatuturema, einem orgiastischen Tanz der dekadenten,
durch den weißen Mann verdorbenen Eingeborenen des Amazonasgebietes, und der
Wall-Street-Hölle, dem Strudel des aufsteigenden Kapitalismus, über den der Gott Mamonas
herrscht).
Andererseits läßt sich das Gedicht in
"landschaftliche Malereien" zerteilen, in Verse, die mit der Farbigkeit ihrer
Bilder und einer gewagten Syntax überraschen. In den Gipfeln der Kordillieren scheint die
Natur sich in den Augen des Dichters Guesa zu vergeistigen, "zu vergöttlichen".
Er sieht den "Ewigen Geist" durchscheinen, wo die "Anden, hoch sich
auftürmen/ In den Himmeln, in transparenten Nebeln...; er kann in einem "Diamanten/
Aus weißem Licht...", in einem "kristallenen Licht" "den moralischen
Prozeß der Natur/ farblose Anfänge, die Existenz/ Absolutheit irdischer und jenseitiger
Schönheit" erkennen. Wird es dort ebenfalls eine holistische Auffassung vom Kosmos
geben, die den Grundzug des Humboldtschen Werkes bildet, jener "Synthese von
physischer und moralischer Natur", die den deutschen Natur-Philosophen so sehr
fasziniert hat?

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* 1929. Bis 1989 Professor der Pontífica
Universidade Católica von São Paulo für Literatursemiotik des Graduiertenprogramms der
PUCSP. Dichter, Literarischer Übersetzer, Essayist. Begründer mit Augusto de Campos und
Décio Pignatari der nationalen und internationalen Bewegung der Konkreten Poesie (1956).
Herausgeber der Sammlung SIGNOS der Editora Perspectiva, São Paulo. Ehrendoktor der
Universität von Montréal, Quebec, Kanada seit 1996. Chevalier dans LOrdre des
Palmes Académiques de France (1995). Teilnehmer des Internationalen PEN-Kongresses in New
York (1966) (Teilnehmer des Round-Table I "Der Schriftsteller im elektronischen
Zeitalter", Vorsitz von Marshall Mc Luhan). Biographien in der Enciclopédia
Britânica (1997), in der Geschichte der Literatur Band VI ; Propyläen Verlag,
Berlin (1988). Auszeichnungen mit dem JABUTI-Preis in den Jahren 1991, 1992, 1993, 1994.
Preis der Stiftung Octavio Paz für Poesie (1999) |
Veröffentlichungen (Auswahl): Literatur:
Auto do Possesso (1950); Galáxias (1963-1976); Finismundo:A última
viagem (1990); Gatinmanhas e Felinuras, (Gedichte über Katzen) (mit Guilherme
Mansur) (1994); Crisantempo (Gedichte und Transkreationen) (1998); Kritische und
theoretische Schriften: Deus e o Diabo no Fausto de Goethe (Gott und der Teufel
in Goethes Faust) (1981); Morfologia de Macunaíma (1973); Macunaíma: A
imaginação estrutural (Die strukturale Imagination, (1973); übersetzt von Alrun
Almeida Faria (1984); Guimarães Rosa em três dimensões (1970); A Arte no
horizonte do provável (1976); Metalinguagem (1976); erweiterte Ausgabe:
Metalinguagem e outras metas (1992); Sousândrade-Poesia mit Augusto de Campos (1995);
Teoria da Poesia Concreta mit A. de Campos und Décio Pignatari (1965, 1975,1987); Revisão
de Sousândrade mit A. de Campos (1964, 1982); Transkreationen: Pedra e Luz
na poesia de Dante (1968); Dante: Seis Cantos do Paraíso (1976, 1978); Poemas de
Maiakóvski (mit A. Campos und B. Schnaiderman) (1967); Poesia Russa Moderna
(1968,1985); Traduzir é trovar (Übersetzen ist Dichten)(1968); Cantares de Eszra
Pound (mit A. Campos und D.Pignatari) (1983, 1985)
CD: Marisa Monte und Haroldo de Campos: Barulinho
Bom/Uma viagem musical; Poema Blanco von Octavio Paz, fragmentiert und übersetzt von
Haroldo de Campos, Emir Music Ltda, 1996; Madan e Haroldo de Campos. CD, darauf: Refrão
à maneira de Brecht, Haroldo de Campos (Stimme), Disc Digital Audio(1997);
Verschiedentlich Mitarbeit bei Videoaufzeichnungen, Filmproduktionen und
Theaterinszenierungen mit namhaften Regisseuren
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