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Ilse Jahn (Berlin)[1]
„Vater einer großen Nachkommenschaft von Forschungsreisenden ...“
Ehrungen Alexander von Humboldts im Jahre 1869
1. Einleitung
Als im Jahre 1869 an vielen Orten der Welt Alexander von Humboldts einhundertstes Geburtsjubiläum gefeiert wurde, versammelten sich die Magdeburger Naturforscher, um einen Verein zu gründen, der bemerkenswerterweise den Namen „Naturwissenschaftlicher Verein“ erhielt. Diese Benennung ist kennzeichnend für das Programm der Naturforscher in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Es war nicht mehr „Naturkunde“ oder „Naturgeschichte“, also deskriptive Naturforschung, die im Mittelpunkt des Interesses stand, sondern die Suche nach Naturgesetzen, die von der Mitte des 19. Jahrhunderts die Naturforschung bestimmte und die als „Naturwissenschaft“ definiert wurde.
Das kommt in der Festrede zur Gründungsfeier im Jahre 1869 zum Ausdruck, in der Georg Gerland sagte:
„Im Leben […] steht nichts allein: in der Wirklichkeit hängt jedes Ding mit jedem andern durch tausend Fäden zusammen, welche sich dem gewöhnlichen Blick meist ganz entziehen, der Wissenschaft aber, da sie ja doch den Zusammenhang, den Grund der Dinge erforschen will, sich nicht entziehen dürfen. Allein auch das schärfste Auge menschlicher Art, wie könnte es alle diese Fäden sehen! Und so ist menschlicher Beschränktheit wegen die Wissenschaft gezwungen, ihr Gebiet in lauter einzelne Felder abzutheilen und jedem Forscher seine Specialarbeit anzuweisen, die um so specieller ausfallen wird, je reichlicher die Kenntnisse sich mehren. Wer aber übersieht die Gefahr, welche hier liegt?“ (Gerland 1869, S. 19-20.)
So ist diese Zeit durch die Gründung zahlreicher naturwissenschaftlicher Spezialgesellschaften in Deutschland gekennzeichnet:
Die Physikalische Gesellschaft (1845),
die Geologische Gesellschaft (1848),
die Ornithologische Gesellschaft (1850),
die Entomologische Gesellschaft (1856),
die Chemische Gesellschaft (1867),
die Botanische Gesellschaft (1882),
die Zoologische Gesellschaft (1890).Georg Gerland feierte Alexander von Humboldt „als ein ideales Vorbild dessen, was Noth thut. Er besaß eine seltene Totalität [...]“(Gerland 1869, S. 210) – trotz all seiner einzelnen Spezialstudien, über die Humboldt in der Vorrede zu seinem „Kosmos“ 1845 selbst sagte:
„Wenn durch äußere Lebensverhältnisse und durch einen unwiderstehlichen Drang nach verschiedenartigem Wissen ich veranlaßt worden bin, mich mehrere Jahre und scheinbar ausschließlich mit einzelnen Disziplinen: mit beschreibender Botanik, mit Geognosie, Chemie, astronomischen Ortsbestimmungen und Erdmagnetismus als Vorbereitung zu einer großen Reise-Expedition zu beschäftigen; so war doch immer der eigentliche Zweck des Erlernens ein höherer. Was mir den Hauptantrieb gewährte, war das Bestreben, die Erscheinungen der körperlichen Dinge in ihrem allgemeinen Zusammenhange, die Natur als ein durch innere Kräfte bewegtes und belebtes Ganzes aufzufassen.“ (Humboldt 1845, S. V-VI.)
In seiner Zusammenfassung wies Gerland auf Humboldts Vielseitigkeit hin:
„Beschäftigte ihn die Geologie und Bergwissenschaft vorzüglich, für die er ja auch praktisch thätig war: so schloß sich doch sehr eng die Botanik und bald auch die Zoologie oder besser Physiologie und Anatomie der Thiere und Pflanzen an; Physik und Chemie betrieb er gleichfalls eifrig, wie die Schriften seiner ersten Zeit beweisen und daß ihm naturphilosophische Betrachtungen nicht fern standen, zeigt der schöne Aufsatz ‚der rhodische Genius’, welcher 1795 in Schillers Horen erschien.“ (Gerland 1869, S. 12.)
Mit diesen Worten umriß der Festredner Humboldts Arbeiten vor 1800, woran sich dann jene große Reise 1799-1804 anschloß, „die seinen Namen durch ganz Europa bekanntmachen sollte“ und „durchaus bleibenden klassischen Werth“ hat. (Gerland 1869, S. 12.)
Unter dem Stern von Humboldts Namen und seines Werkes wurde der „Naturwissenschaftliche Verein“ in Magdeburg 1869 begründet, und er hatte gewiß – wie auch andere lokale Vereine in dieser Zeit – die Aufgabe, viele einzelne Fachgebiete und Interessenten zur Kommunikation zusammenzuführen und dadurch in der Gemeinschaft zu erreichen, was der Einzelne nicht mehr leisten konnte.
Die neue Naturwissenschaft war kausalforschend, suchte nach Ursachen und Gesetzen auch in der Biologie ( mein Fachgebiet) und ist an Namen geknüpft, die den Entwicklungsgedanken und das Experiment ins Zentrum der Forschung rückten. Ich werde deshalb heute das Wirken Alexander von Humboldts exemplarisch im Spiegel von drei Vertretern der neuen Naturwissenschaften darstellen, die ihn nicht nur persönlich kannten, sondern ihre Laufbahn zwischen 1830 und 1850 wesentlich Humboldt verdankten und das auch zu seinem Geburtsjubiläum 1869 zum Ausdruck brachten.
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