Gespiegelte Fassung der elektronischen Zeitschrift auf dem Publikationsserver der Universität Potsdam, Stand: 20. April 2010 |
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Ulrich Päßler
Alexander von Humboldt
und die transnationale Wissenschaftskommunikation im 19. Jahrhundert3. „The illustrious Humboldt“ – Humboldts Rolle als wissenschaftlicher Gutachter
Durch die in (wissenschaftlichen) Zeitschriften und Zeitungen veröffentlichten Berichte über die Sitzungen der Pariser Akademie wurde Humboldts Mittlerrolle in der Académie des sciences europaweit wahrgenommen. Dies lässt sich anhand der Diskussion um das neue Fotografieverfahren nachzeichnen, die ihren Anfang in der Académie des sciences nahm. Arago hatte das Daguerreotypieverfahren am 7. Januar 1839 erstmals im Plenum Akademie vorgestellt.[1] Humboldt kehrte wenige Tage nach der Präsentation aus Paris nach Berlin zurück. Auf der anderen Rheinseite hatten sich die Berichte über das fotografische Verfahren bereits verbreitet und Humboldt wurde, wie er Arago berichtete, mit Anfragen zur Daguerrotypie überhäuft.[2]
Unmittelbar nach Aragos Präsentation der Daguerreotypie behauptete der englische Physiker und Chemiker William Henry Fox Talbot gegenüber der Pariser Akademie, unabhängig von Daguerre und Niépce und früher als diese ein fotografisches Verfahren entwickelt zu haben. Talbot richtete seine Prioritätsansprüche aber nicht nur an die Académie des sciences – wo sie einhellig zurückgewiesen wurden – sondern auch an Alexander von Humboldt. Talbot vermutete irrtümlicherweise, Humboldt habe der Akademiekommission angehört, welche die Erfindung Daguerres und Niépces begutachtet hatte.[3]
Zwar versicherte Humboldt Arago, er werde auf Talbots Schreiben nicht reagieren, antwortete ihm aber gleichwohl. In seinem Brief an Talbot wich Humboldt einer direkten Stellungnahme zur Behauptung des Briten allerdings aus. Hatte sich Talbot an Humboldt als Pariser Akademiker und Mitglied der Pariser Wissenschaftsgemeinde gewandt, so zog sich Humboldt in seinem Antwortschreiben nun auf seine Stellung als ausländischer, „preußisch-amerikanischer“ Gelehrter zurück:
Quoique que le Soleil de mon pays (je parle en Prussien et non en citoyen du Mexique) ne peigne les objets qu’en gris, je serois bien heureux de l’espoir de Vous recevoir avant que je me pétrifie complètement dans notre Oasis de Berlin. Vous y trouveriez bien des personnes au courant de vos beaux travaux d’optique, de mathématique et de chimie.[4]
Wiederum griff Humboldt somit auf das eingangs beschriebene rhetorische Mittel der nationalen Selbstpositionierung zurück. Hier nun diente es freilich als Neutralitätserklärung angesichts des Prioritätsstreits zwischen den Wissenschaftsnationen Frankreich und Großbritannien.
Humboldt beschränkte sich allerdings nicht darauf, der britisch-französischen Kontroverse aus dem Weg zu gehen. Während der gesamten 1840er Jahre wurde in der Académie des sciences die Weiterentwicklung der fotografischen Technik diskutiert und Humboldt nutzte seine Verbindungen zu preußischen Physikern, um optische Untersuchungen des Königsberger Physikers Ludwig Ferdinand Moser und dessen jungen Berliner Kollegen Gustav Karsten bekannt zu machen. Es gelang ihm somit, eine ansonsten weitgehend bilaterale französisch-britische Diskussion um preußische Beiträge zu erweitern.[5]
In der Académie des sciences stellte der Weltbürger Humboldt seine transnationalen Verbindungen bereitwillig in den Dienst einer preußisch-staatsbürgerlichen Wissenschaftsförderung.[6] Zugleich weitete er seit der Rückkehr nach Berlin 1827 diese kosmopolitischen wissenschaftlichen Kommunikationslinien aus und bewahrte sich so weit wie möglich die Stellung als unabhängiger Privatgelehrter. Nicht zuletzt außerhalb Preußens erschien Humboldt dadurch mehr und mehr als eine Idealgestalt übernationalen Forschergeistes. Initiatoren wissenschaftlicher Projekte nahmen Humboldt ab den 1830er Jahren als prominenten Gutachter und (scheinbar) neutralen Kronzeugen für ihre Zielsetzungen in Anspruch. Das bedeutendste Beispiel ist sicherlich Humboldts Unterstützung des „Magnetic Crusade“ (1840-1849) der British Association for the Advancement of Science.[7] 1836 drohte das von der BAAS konzipierte System weltweiter geophysikalischer Messstationen an mangelnder finanzieller und organisatorischer Unterstützung der britischen Regierung zu scheitern. Einer ihrer Wortführer, Sir Edward Sabine, wandte sich aus diesem Grund an Humboldt. Dessen frühere Versuche, korrespondierende Messungen des Erdmagnetismus zu koordinieren und sein weltweiter Ruhm als Forschungsreisender machten ihn in den Augen der BAAS zum idealen Impulsgeber gegenüber der britischen Regierung. Auf Bitten Sabines setzte Humboldt ein Schreiben an den Herzog von Sussex, den Präsidenten der Royal Society auf.[8] Humboldt argumentierte darin äußerst geschickt. Er umriss die bisherigen Forschungen auf dem Gebiet des Erdmagnetismus und stellte seine eigenen Beiträge als die eines unabhängigen Gelehrten dar, der uneigennützig und ohne nationale Bindung die weltweite erdmagnetische Forschung koordiniert habe:
Je suis entré dans ce long et minutieux détail historique pour faire voir jusqu’où j’ai réussi, conjointement avec mes amis, à étendre le concours d’observations simultanées.[9]
Wie von Sabine gewünscht, bat Humboldt die Royal Society, sich an die Spitze des Unternehmens zu stellen und die Wissenschaftsakademien in Göttingen, Paris und St. Petersburg zur Zusammenarbeit einzuladen. Vom Erfolg einer solchen Aufforderung zeigte er sich überzeugt:
L’un des heureux effets de la civilisation et le progrès de la raison est que, lorsqu’on s’adresse aux sociétés savantes, on peut compter sur leur concours volontaire si l’objet qu’on leur soumet tend à augmenter le progrès des sciences ou le développement intellectuel de l’humanité.[10]
Humboldt wählte also einen rhetorischen Rückgriff auf das weltbürgerliche Wissenschaftsideal des 18. Jahrhunderts und die aufklärerische Idee der Perfektibilität, um eine internationale Zusammenarbeit der Wissenschaftsnationen des 19. Jahrhunderts zu begründen. Diese Kooperation europäischer und nordamerikanischer Wissenschaftler im Rahmen des britischen „Magnetic Crusade“ gelang tatsächlich ab 1840 – wenn auch nur für einen kurzen Zeitraum.
Humboldts geradezu schiedsrichterliche Autorität in geowissenschaftlichen Fragen lässt sich anhand der in den 1850er Jahren in Großbritannien und Nordamerika geführten Diskussionen um die Durchführbarkeit einer Kanalverbindung zwischen Atlantik und Pazifik nachzeichnen. Humboldt hatte bereits in seinem amerikanischen Reisewerk mehrere mögliche Routen des Kanalbaus untersucht.[11] Seine brieflichen Stellungnahmen zu diesem Problem wurden in Broschüren und geographischen Zeitschriften auf beiden Seiten des Atlantiks gedruckt. 1856 empfing Humboldt den New Yorker Kanalbau-Lobbyisten Frederick M. Kelley und stattete ihn mit einem Schreiben aus, in welchem er die grundsätzliche Durchführbarkeit eines Kanalprojektes konstatierte, auf seine eigenen Vorarbeiten verwies und zu weiteren Anstrengungen ermutigte.[12] Kelley veröffentlichte dieses Schreiben in einer französischsprachigen Beschreibung seines Projektes.[13]
Hier nun erschien „the illustrious Humboldt, whose works are text-books for the world”[14] als wissenschaftlicher Gutachter, mehr aber noch als Symbolfigur der geographischen Forschung.
Auf ähnliche Weise wie Kelley versuchte 1857 der Präsident der Royal Geographical Society Sir Roderick I. Murchison Humboldts öffentliche Unterstützung zu gewinnen. Murchison berichtete Humboldt von Plänen des ehemaligen Gouverneurs von Trinidad Sir Charles Elliot das Orinoko-Flusssystem per Dampfboot zu erkunden. Murchison erinnerte Humboldt an dessen eigene Überlegungen, dass die Reichtümer Südamerikas dem Welthandel durch die Erschließung der Flussläufe zugänglich gemacht werden könnten und schloss:
If therefore you could favour me with a reply which could be read to the society & that you should continue to advocate your old & noble suggestions, we should be deeply grateful, whilst your words would weigh much into our Government.[15]
Humboldts erfüllte Murchisons Wunsch nicht. In seinem Antwortschreiben erwähnte er die geplante Forschungsreise nur im Nebensatz.[16] Zu deutlich hatte Elliot möglicherweise in seinem Vortrag vor der Royal Geographical Society geäußert, dass die Erforschung und wirtschaftliche Erschließung Südamerikas letztendlich einer Stärkung der kolonialen Präsenz Großbritanniens in diesem Erdteil dienen sollte.[17]
[1] Vgl. Zum Folgenden Crosland, S. 254-260.
[2] Humboldt an Arago, Berlin, Februar 1839, Hamy, S. 187: „M. Daguerre est d’ailleurs mon Chimborazo. Quarante fois par jour on me fait les mêmes questions. » Humboldt erteilte deutschen Gelehrten wie Carl Gustav Carus Auskunft bereitwillig Auskunft über die neue Technik, die er in Paris kennengelernt hatte. Vgl. Humboldt an C.G. Carus, Berlin, 25. Februar 1839, Elmar Jansen (Hg.), Carl Gustav Carus. Lebenserinnerungen und Denkwürdigkeiten, 2. Bde., Weimar 1966, Bd. 2, S. 330-332.
[3] Talbot an Humboldt, 29. Januar 1839, The Correspondence of Henry Fox Talbot:
http://foxtalbot.dmu.ac.uk/letters/transcriptDocnum.php?docnum=03778 (30.08.08).
[4] Humboldt an Talbot, Berlin, 5. März 1839, Hervorhebung im Original. The Correspondence of Henry Fox Talbot:
http://foxtalbot.dmu.ac.uk/letters/transcriptDocnum.php?docnum=3830 (30.08.08).
[5] M. Regnault communique à l’Académie, des résultats très-curieux obtenus par M. Moser, de Kœnigsberg, sur la formation des images daguerriennes, et qui lui ont été adressés par M. de Humboldt (Comptes Rendus hebdomadaires des séances de l’Académie des sciences 15 (1842), séance du lundi 18 juillet 1842, S. 119-125); Expériences de M. Karsten relatives à la formation des images de Moser – Extrait de deux lettres de M. de Humboldt à M. Arago (ebd., 16 (1843), séance du lundi 3 avril 1843, S. 696).
[6] Dass weltbürgerliches Ethos und staatsbürgerliches Handeln für Humboldt keinen Widerspruch bildeten, hat bereits Ette am Beispiel der „Kosmos-Vorlesungen“ (1827) verdeutlicht. Siehe Ette, „…daß einem leid tut, wie er aufgehört hat, deutsch zu sein“: Alexander von Humboldt, Preußen und Amerika, in: Sandra Carreras/Günter Maihold (Hg.), Preußen und Lateinamerika. Im Spannungsfeld von Kommerz, Macht und Kultur (Europa-Übersee. Historische Studien 12), Münster 2004, S. 31-57, S. 54.
[7] Zu diesem Projekt vgl. John Alan Cawood, The Magnetic Crusade: Science and Politics in Early Victorian Britain, in: Isis 70 (1979), S. 493-518.
[8] Siehe Walter Cannon, History in Depth: The Early Victorian Period, in: History of Science 3 (1964), S. 20-38, S. 33.Vgl. auch Jack Morrell/Arnold Thackeray, Gentlemen of Science. The Early Years of the British Association for the Advancement of Science, Oxford 1981, S. 357.
[9] Humboldt an den Herzog von Sussex, Berlin, 23. 4. 1836, Royal Society, Archives, AP/20/7.
[10] Ebd.
[11] Vgl. zum Beispiel die Übersichtskarte „Points de partage et communications projetées entre le Grand Océan et l’Océan Atlantique » (Humboldt, Atlas géographique et physique du royaume de la Nouvelle-Espagne, Paris 1811, Planche 4).
[12] Humboldt an Kelley, Berlin, 27.1. 1856, Schwarz, Alexander von Humboldt und die Vereinigten Staaten, S. 371-373.
[13] Frederick M. Kelley, Projet d’un canal maritime sans écluses entre l’océan Atlantique et l’océan Pacifique à l’aide des rivières Atrato et Truando, par M.F. Kelley, de New-York. Précédé d’une introduction, avec une carte, sur les différents projets de communication interocéanique proposés jusqu’à ce jour, par M. V. A. Malte-Brun; et suivi d’une lettre de M. le baron Alex. de Humboldt, Paris 1857.
[14] So Robert FitzRoy in der Einleitung zu seinen Überlegungen über die Durchführbarkeit des Kanalprojekts: „Besides the illustrious Humboldt, whose works are text-books for the world, many authorities have been consulted, and the most recent information has been studied, as well as that of early date.” (FitzRoy, Considerations on the Great Isthmus of Central America, in: Journal of the Royal Geographical Society 25 (1850), S. 161-189, S. 161).
[15] Murchison an Humboldt, London 17.1.1857, SBB PK, Slg. Darmstaedter 1927.25, Lex 1844. Hervorhebung im Original.
[16] Vgl. Humboldt an Murchison, Berlin, 31. März 1857, Edinburgh University Library, GEN. 523/4 Nr. 8 (Abschrift).
[17] Vgl. Charles Elliot, Proposed Exploration of the River Orinoco, &c., in: Proceedings of the Royal Geographical Society 1 (1855-1857), S. 251-255.
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