Gespiegelte Fassung der elektronischen Zeitschrift auf dem Publikationsserver der Universität Potsdam, Stand: 20. April 2010
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Ulrich Päßler

Alexander von Humboldt
und die transnationale Wissenschaftskommunikation im 19. Jahrhundert

1. „Französischer Preuße“ oder „preußischer Amerikaner“? – Selbstinszenierung eines Kosmopoliten [1]

Das Medium Brief war ein integraler Bestandteil der Humboldtschen Wissenschaftskommunikation.[2] Es diente ihm zur Verbreitung von Forschungsergebnissen, dem Einholen wissenschaftlicher Auskünfte und der Vernetzung der Wissenschaftsgemeinde durch Empfehlungsschreiben. Ottmar Ette bezeichnet Humboldt in diesem Zusammenhang als „kosmopolitischen Wissenschaftler“ oder „wissenschaftlichen Kosmopoliten“ und verweist auf seine „an die République des lettres des 18. Jahrhunderts anknüpfende und deren Reichweite zugleich beträchtlich überschreitende Kommunikationsfähigkeit.“[3]

Humboldts wissenschaftliche Korrespondenz führte auf bemerkenswert erfolgreiche Weise eine kosmopolitische Praxis des Gelehrtenbriefwechsels fort, während an die Stelle der République des lettres bereits um 1800 endgültig national definierte Wissenschaftskulturen getreten waren und wissenschaftliche Briefwechsel ihre Bedeutung als Mittel des staatenübergreifenden Wissenstransfers weitestgehend verloren hatten.[4]

Humboldt nahm die Nationalisierung der europäischen Forschungslandschaft wahr und kommentierte sie vereinzelt. So schilderte er dem Heidelberger Mineralogen Karl Cäsar von Leonhard 1838 seinen Eindruck, dass ausländische wissenschaftliche Werke in Frankreich „aus zunehmenden Nazional Vorurtheil“ wenig Absatz fanden.[5]

Positionierte sich Humboldt selbst in einem nationalen Kontext, zeigte er bisweilen eine erstaunliche Wandlungsfähigkeit. In seinen Briefen brachte er insbesondere eine aus dem Wandern zwischen den beiden sozio-politischen Räumen Frankreich und Preußen erwachsene Doppelidentität zur Sprache. In Bittbriefen an Außenminister François Guizot beispielsweise bezeichnete er Frankreich immer wieder als sein zweites Vaterland („ma seconde patrie“).[6] Gegenüber Unterrichtsminister Victor Cousin charakterisierte Humboldt ein Ersuchen als „française et prussienne à la fois“.[7] Je nach Situation stellte sich Humboldt so in Frankreich als Ausländer (Preuße) oder Inländer (französischer Gelehrter) dar oder wählte den letztgenannten „Mittelweg“. Insbesondere in Zeiten diplomatischer Spannungen zwischen Frankreich und Preußen war gegenüber französischen Politikern eine Überbetonung seiner preußischen Identität jedoch ebenso wenig angebracht wie ein zu emphatisches Bekenntnis zu Frankreich. In dieser Lage konnte sich Humboldt problemlos im außereuropäischen Kontext verorten. So titulierte er sich als „voyageur de l’Orénoque et de l’Obi“,[8] oder bezeichnete sich während der Rheinkrise im Jahr 1840 entschuldigend als „diplomate des forêts de l’Orénoque ».[9]

Dieses Spiel mit geographischen, kulturellen und politischen Identitäten beschränkte sich nicht auf Humboldts preußisch-französische Kontaktlinien. Das zeigt ein Blick auf seinen nordamerikanischen Briefwechsel: Taktisch weniger kalkuliert, dafür inspiriert von der Sympathie mit der US-amerikanischen Republik trat Humboldt dem Gesandten der Vereinigten Staaten in Berlin Henry Wheaton als „Prussien-Américain gegenüber.[10] Dem Altamerikanisten Ephraim G. Squier gewährte er mit den Worten „j’aurai le plus vif plaisir de Vous recevoir comme un demi-Compatriote“ eine Zusammenkunft im Potsdamer Stadtschloss.[11]

Bei diesen Beispielen für die changierenden nationalen und geographischen Selbstverortungen Humboldts handelt es sich nicht um bloße Höflichkeitsfloskeln des Briefautors mit denen er sich das Wohlwollen der Briefpartner sichern wollte. Das Hinüberwechseln in die Identität des Kommunikationspartners lässt sich vielmehr als ein rhetorisches Mittel deuten, das der Schaffung eines bilateralen Kontaktraumes diente.[12]

Ferner verdeutlichen die aufgeführten „doppelten“ Selbstbeschreibungen Humboldts – ebenso wie die Versuche durch den Verweis auf außerzivilisatorische Naturräume eine nationale Identifikation zu umgehen – die implizite Anerkennung eben dieser nationalen Handlungsräume durch den Weltbürger Humboldt. Sie deuten zudem auf die Anpassungsfähigkeit der kosmopolitischen wissenschaftlichen Kommunikationsstrategien Humboldts an die veränderten Gegebenheiten des 19. Jahrhunderts hin.


[1] Für die kritische Lektüre früherer Versionen dieses Artikels bedanke ich mich bei Eberhard Knobloch und Ingo Schwarz. Der Artikel beruht in wesentlichen Teilen auf Auszügen aus meiner Dissertation „Ein ‚Diplomat aus den Wäldern des Orinoko’. Alexander von Humboldt als Mittler zwischen Preußen und Frankreich (Mannheim 2007 – im Druck).

[2] Kurt-R. Biermann hat hochgerechnet, dass Humboldt zwischen 1789 und 1859 an die 50 000 Briefe geschrieben hat, von denen immerhin rund 13 000 erhalten sind. Vgl. Biermann, Wer waren die wichtigsten Briefpartner Alexander von Humboldts? in: Ders. (Hg.), Miscellanea Humboldtiana (Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung 15), Berlin 1990, S. 230-236, S. 230.

[3] Ottmar Ette, Der Wissenschaftler als Weltbürger. Alexander von Humboldt auf dem Weg zur Kosmopolitik, in: Ders./Walther L. Bernecker (Hg.), Ansichten Amerikas. Neuere Studien zu Alexander von Humboldt (Lateinamerika-Studien 43), Frankfurt am Main 2001, S. 231-261, S. 257.

[4] Zur komplexen Wechselbeziehung zwischen Nation und Wissenschaft seit dem 19. Jahrhundert vgl. die Beiträge in: Ralph Jessen / Jakob Vogel (Hg.), Wissenschaft und Nation in der europäischen Geschichte, Frankfurt a. M. 2002. Zur Bewertung der Briefkommunikation im wissenschaftlichen Austausch zwischen Deutschland und Frankreich im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts siehe Kai Torsten Kanz, Nationalismus und internationale Zusammenarbeit in den Naturwissenschaften. Die deutsch-französischen Wissenschaftsbeziehungen zwischen Revolution und Restauration, 1789-1832, Stuttgart 1997, S. 163.

[5] Humboldt an Leonhard, Paris, 14. November 1838, UB Heidelberg Handschriftenabteilung, Heidelb.Hs. 789.

[6] Siehe z. B. Humboldt an Guizot, Paris, o.D. « J’ai l’air de faire le marchand par amour pour la gloire des lettres dans ce beau pays, ma seconde patrie. », Jean-Bernard-Marie-Alexandre Dezos de la Roquette (Hg.), Œuvres d’Alexandre de Humboldt. Correspondance inédite scientifique et littéraire. Suivie de la biographie des principaux correspondants de Humboldt et de notes, 2 Bde., Paris 1869, Bd. 2, S. 198. Siehe auch Humboldt an Guizot, Paris, 22. Dezember 1847, ebd., S. 364.

[7] Humboldt an Cousin, Sanssouci, 29. September 1840, Hervorhebung im Original, Renzo Ragghianti, Lettere di Alexander von Humboldt a Victor Cousin, in: Giornale critico della filosofia italiana 20 (2000), S. 99-117, S. 116.

[8] Humboldt an Guizot, Potsdam, 4. Dezember 1836, Archives nationales, Fonds Guizot, 42 AP 299. Lettres diverses. Humboldt – n° 10.

[9] Humboldt an Cousin, Sanssouci, 29. September 1840, Ragghianti, S. 116.

[10] Humboldt an Wheaton, Berlin, 29. April 1837, Hervorhebung im Original. Ingo Schwarz (Hg.), Alexander von Humboldt und die Vereinigten Staaten von Amerika. Briefwechsel (Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung 19), Berlin 2004, S. 198. Da Humboldt 1827 die (Ehren-)Bürgerschaft der Republik Mexiko verliehen worden war, hat die Selbstbezeichnung als preußischer Amerikaner tatsächlich mehr als nur eine symbolische Bedeutung (vgl. die Urkunden im Humboldt-Nachlass, Henry Stevens, The Humboldt Library. A catalogue of the library of Alexander von Humboldt, London 1863, S. 339).

[11] Humboldt an Squier, Potsdam, 12. Juni 1852, Schwarz, Alexander von Humboldt und die Vereinigten Staaten, S. 303.

[12] Mit Johannes Paulmann könnte man von der sprachlichen Inszenierung eines „Grenzraums“ sprechen. Unter Grenzräumen versteht Paulmann „Übergangszonen verdichteter Kommunikation zwischen zwei oder mehr Kulturen“ sowie Handlungsräume, „in denen Vertreter und Vertreterinnen verschiedener Herkunft aus ähnlichem oder unterschiedlichen Motiven zusammentrafen, um ein bestimmtes Interesse in mehr oder weniger festen Formen transnational zu verfolgen.“ (Paulmann, Grenzüberschreitungen und Grenzräume. Überlegungen zur Geschichte transnationaler Beziehungen von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Zeitgeschichte, in: Eckart Conze/Ulrich Lappenküper/Guido Müller (Hg.), Geschichte der internationalen Beziehungen. Erneuerung und Erweiterung einer historischen Disziplin, Weimar / Wien 2004, S. 169-196, S. 183f.).


 

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Letzte Aktualisierung: 22 November 2008 | Kraft
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