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HiN 16 | NEU GELESEN: Herbert Pieper zum 65. Geburtstag

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Herbert Pieper

Alexander von Humboldts Wahl in die Akademie der Wissenschaften zu Berlin

Zuerst veröffentlicht in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, 96 (2000) H. 4, Oktober, S. 122-130.

Alexander von Humboldt (1769-1859) lebt im Bewusstsein der Öffentlichkeit vor allem als der Verfasser des "Kosmos" und der "Ansichten der Natur" sowie als der Forschungsreisende in die "Äquinoktial-Gegenden des neuen Kontinents". Die Werke aus Humboldts mittleren und späten Jahren sind so prägend für sein Bild als Wissenschaftler, dass darüber sein Schaffen aus dem frühen Lebensabschnitt[1] in den Hintergrund tritt. Als der 29 Jahre alte Humboldt am 5. Juni 1799 zu seiner Forschungsreise aufbricht, die durch die spanischen Vizekönigreiche Neugranada,[2] Peru und Neuspanien,[3] durch das Generalkapitanat Kuba sowie in die USA führt, gilt er bereits als vielseitiger Naturforscher. Er ist seit 1793 Mitglied der Kaiserlichen Leopoldinisch-Carolinischen Akademie der Naturforscher[4] und wird im August 1800 außer­ordentliches Mitglied der Académie royale des Sciences et Belles-Lettres zu Berlin.

Anlässlich der 200. Wiederkehr seines Berliner akademischen Geburtstages und des 300. Jah­restages der Stiftung der Akademie der Wissenschaften zu Berlin soll im folgenden an Alexan­der von Humboldts Leben und Wirken bis 1800 und an seine Wahl in die Akademie der Wis­senschaften zu Berlin erinnert werden.

Der am 14. September 1769 geborene Alexander von Humboldt geht nie in eine öffentliche Schule. Er wird von Hauslehrern unterrichtet. Wegen des von der Mutter gewünschten "juristisch-cameralistischen Kursus"[5] besucht Humboldt zwei Universitäten, die in Frankfurt Oder und die in Göttingen. Zwischen dem Frankfurter Wintersemester (1787/88) und dem Göttinger Studienjahr (April 1789 bis März 1790) gibt es ein Berliner Studienjahr. Es ist aller­dings kein Universitätsstudium, denn eine Universität gibt es in Berlin noch nicht. Alexander von Humboldt beschäftigt sich teils im Selbststudium, teils angeleitet durch Gelehrte mit ver­schiedenen Fächern, wie praktischer Wirtschaftskunde, Mathematik, Zeichnen, Griechisch, Botanik. Im Herbst und Winter 1790/91 lebt er, "wegen merkantilischer Kenntnisse", "als Zögling auf der Handelsakademie bei Prof. Büsch" in Hamburg. Der 20jährige Humboldt äußert sich darüber: "Meine Neigung ist es nicht, aber meine unglücklichen Verhältnisse, (die Menschen von anderen Neigungen sehr glücklich und beneidenswerth scheinen,) zwingen mich immer zu wollen, was ich nicht kann und zu thun, was ich nicht mag." Mit der nächsten Station seiner Ausbildung, es bleibt ihm nach seinen eigenen Worten "nur noch ein halbes Jahr [...] zu [s]einer Vorbereitung zu einem bürgerlichen Amte übrig", erfüllt er sich einen "heißen Wunsch", nämlich den, "nach Freiberg zu gehen". Die 1765 gegründete Freiberger Bergakademie ist vor allem durch den seit Ostern 1775 als Lehrer für Mineralogie und Berg­baukunst wirkenden Abraham Gottlob Werner (1749-1817) von bemerkenswerter Anzie­hungskraft. Noch vor der Aufnahme des Studiums an der Bergakademie, das acht Monate dauern soll, bewirbt sich Humboldt erfolgreich um eine Anstellung bei der preußischen Berg­werks- und Hüttenadministration. Am 29. Februar 1792, kurz nach Beendigung des Freiber­ger Studiums, wird ein Ministerialrescript ausgefertigt, nach dem "Se[ine] Majestät", der preußische König, "beschlossen, die Kenntnisse, welche der Alexander von Humboldt in den Fächern der Mathematik, Physik, Naturgeschichte, Chemie, Technologie, Bergwerks-, Hüt­ten- und Handelskunde sich theoretisch und praktisch erworben, bei Allerhöchstihren Berg­und Hüttendiensten zu benutzen, und denselben zu dem Ende bei der Bergwerks- und Hüt­tenadministration als Assessor cum voto anzustellen."[6] Schon am 27. August 1792 kann er einem Freund schreiben: "Ich bin gestern zum Königl[ichen] Oberbergmeister in den fränki­schen Fürstenthümern [Bayreuth und Ansbach[7]] ernannt worden. Ich habe mit meinen Gru­benberichten so viel Ehre eingelegt, dass ich die alleinige direction des praktischen Bergbaus in den 3 Bergämtern Naila, Wunsiedel und Goldkronach[8] erhalten habe. [...] Ich werde nun ganz dem prakt[ischen] Bergbau und der Mineralogie leben. Ich wohne auf dem hohen Gebirge in Steben und Arzberg, zwei Dörfern im Fichtelgebirge[9]." Als Alexander von Hum­boldt im Februar 1795 die Stelle eines Oberbergmeisters von Schlesien angeboten wird, lehnt er ab: "Ich stehe im Begriff meine hiesige Lage gänzlich zu verändern und fast alle öffentlichen Verhältnisse aufzugeben.“ Hatte er doch "schon vor Jahren" seinen "früh gefaßten Plan", sich "durch praktisch-bergmännische Geschäfte zu einer Reise" vorzubereiten, vorgelegt. "Warum lieber dem Reisen, den Wissenschaften als der Provinz Schlesien oder Westfalen nützlich werden?" fragt man im Namen des Ministers des Bergwerks- und Hüttendepartments im Frühjahr 1795 noch einmal bei Humboldt an. Dieser wird zwar zum Wirklichen Oberberg­rat befördert und zu "seinen vorhabenden auswärtigen Reisen" soll ihm der "Urlaub nach Umständen ertheil[t]" werden, doch Ende des Jahres 1796 scheidet er aus dem preußischen Staatsdienst aus.

"Ich bereite mich jetzt ernsthaft zu einer großen Reise außerhalb Europas vor", schreibt Hum­boldt im Dezember 1796 an Abraham Gottlob Werner. Die folgenden zweieinhalb Jahre die­nen ihm in der Tat durch Exkursionen, Studien und Begegnungen der Reisevorbereitung. Im Frühjahr 1797 weilt er drei Monate in Jena und Weimar, im Spätsommer 1797 über zwei Monate in Wien, danach fünf Monate in Salzburg. Vom Frühjahr 1798 an ist er fünf Monate in Paris. Dort begegnet er seinem zukünftigen Reisepartner Aimé Bonpland (1773-1858). Über Marseille, Barcelona und Valencia reisend treffen sie am 23. Februar 1799 in Madrid ein. Sie erhalten die Erlaubnis zu der Forschungsreise durch die spanischen Kolonien in Amerika.

In den Jahren 1797 und 1798, nach dem Ausscheiden aus dem Bergdienst, macht Alexander von Humboldt mit über 30 Publikationen auf sich aufmerksam. Doch schon der Student in Göttingen und Freiberg findet ebenso wie der Bergmeister in Steben neben dem Studium bzw. der praktischen Tätigkeit Zeit für wissenschaftliche Forschungen. Die ersten Publikationen Humboldts erscheinen 1790. Diesen Arbeiten sollten bis zu seiner Aufnahme in die Berliner Akademie der Wissenschaften über 75 Abhandlungen in Zeitungen, Zeitschriften und Jahr­büchern, drei Monographien und zwei Sammelbände mit Abhandlungen Humboldts folgen.

In seinen Veröffentlichungen spiegelt sich Humboldts weit verzweigtes Forschen wider. In ihnen findet ein breites Spektrum von Beobachtungen, Experimenten und Spekulationen der Naturforschung seinen Niederschlag, nämlich botanische, chemische, geologische, mineralo­gische, physiologische und physikalische Untersuchungen. Mit einem aus der Aufklärung her­kommenden Optimismus greift Humboldt zahlreiche wissenschaftliche Fragen auf. Auffal­lend ist der häufige Themenwechsel. Ist dieser nicht ein Indiz dafür, dass schon der junge Hum­boldt nach einer Gesamtschau der Natur strebt? Gibt es doch 1796 den Plan zu einem umfas­senden Werk mit dem Titel "Physique du monde" (Physik der Erde, Naturlehre der Erde), das die Naturerscheinungen im Großen beschreiben, eine Zusammenschau des phänomenal gegebenen Zusammenhangs der Natur geben soll.

Am 4. August 1800 wird Alexander von Humboldts Wahl zum außerordentlichen Mitglied der Akademie der Wissenschaften vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. (1770­-1840) bestätigt.

Die Königliche Akademie der Wissenschaften zu Berlin gedenkt im Jahre 1800 der hun­dertjährigen Wiederkehr ihrer Stiftung durch den Kurfürsten von Brandenburg: Es ist der 19. März des Jahres 1700, als Friedrich III. von Brandenburg (1657-1713) verfügt, eine Académie des sciences und ein Observatorium in Berlin zu etablieren. Den Stiftungsbrief und die Generalinstruktion der Sozietät unterzeichnet der Kurfürst am 11. Juli 1700. Die vorberei­tenden Arbeiten für die Sozietät und der Bau der Sternwarte nehmen einige Jahre in Anspruch. Das Observatorium wird 1709 fertig gestellt, vom Mai 1710 datiert die erste wissen­schaftliche Publikation der Sozietät, die „Miscellanea Berolinensis", im Juni 1710 wird das erste Statut verkündet und am 19. Januar 1711 die Sozietät der Wissenschaften feierlich eröff­net.

Die 1743 gegründete „Nouvelle Société Littéraire" vereinigt sich 1744 mit der Sozietät der Wissenschaften zur Königlichen Akademie der Wissenschaften. Am 10. Mai 1746 erhält sie ein neues Statut. Ihr Name ist nun Académie royale des Sciences et Belles-Lettres". Es wird vorwiegend französisch gesprochen. Im August 1800 hat die Akademie 40 ordentliche Mit­glieder. Die ordentlichen Mitglieder bilden vier Klassen: Classe de philosophie expérimentale (auch " Physikalische Klasse" genannt), Classe de mathématique, Classe de philosophie spé­culative (auch "Philosophische Klasse" genannt), Classe de belles-lettres (auch "Philologi­sche Klasse" genannt). Der physikalischen Klasse gehören neun Naturforscher an, darunter der Mediziner Christoph Wilhelm Hufeland (1762-1836), der Botaniker Carl Ludwig Will­denow (1765-1812), der Oberforstmeister Friedrich August Ludwig von Burgsdorf (1747-­1802) sowie die Chemiker François Charles Achard (1753-1821) und Martin Heinrich Klap­roth (1743-1817). Jede Klasse hat einen Direktor; der der physikalischen Klasse ist Achard.

Die vier Direktoren bilden zusammen mit einem außerordentlichen Direktor das Direkto­rium. Beständiger Sekretar ist im Jahre 1800 der Philosoph Johann Bernhard Merian (1723­-1807). Es finden zu dieser Zeit keine Klassensitzungen, sondern nur Gesamtsitzungen aller Akademiemitglieder statt. Das Statut von 1746 wird noch im April 1798 von König Friedrich Wilhelm III. im Wesentlichen bestätigt, die Anzahl der ordentlichen Mitglieder jedoch auf 7 in jeder der vier Klassen reduziert. Solange die Reduzierung nicht erreicht ist, besteht Zuwahl­verbot. Dieses wird dadurch umgangen, dass man eine neue Art von Mitgliedern schafft: die außerordentlichen. Es gibt somit die ordentlichen oder "pensionirten" Mitglieder (die in der Regel ein Gehalt von 200 Talern jährlich beziehen) und die außerordentlichen, welche keine Pension beziehen, und folglich bloß als Ehrenmitglieder anzusehen sind. Als erstes außer­ordentliches Mitglied wird der Schriftsteller und Verleger Friedrich Nicolai (1733-1811) gewählt. Ihm folgen im Jahre 1800 der Apotheker und Chemiker Sigismund Friedrich Hermbstaedt (1760-1833) und Alexander von Humboldt.

Jedes aufzunehmende Mitglied, so auch Humboldt, muss vom Direktorium vorgeschlagen werden. Geht die Initiative zu seiner Wahl direkt vom Direktorium aus oder stellt jemand anderes den Antrag im Direktorium, Humboldt zum außerordentlichen Mitglied zu wählen? Ist es der Botaniker Carl Ludwig Willdenow, ist es der Chemiker Martin Heinrich Klaproth (beide kennen Humboldt gut)? Wir wissen es nicht. Ein solcher Antrag ist nicht auffindbar. Ein Urteil der zuständigen physikalischen Klasse, etwa in Form eines Briefes an das Direkto­rium bzw. ein schriftliches Votum der Klassenmitglieder fehlen.

Es ist damals nicht üblich, einen ausführlichen schriftlichen Vorschlag zur Wahl zu machen. Doch wie hätte solch ein Vorschlag zur Wahl des Oberbergrats von Humboldt ausgesehen haben können? Der folgende Wahlvorschlag ist fiktiv. Er ist vorwiegend aus Rezensionen der Schriften Alexander von Humboldts zusammengestellt und spiegelt damit zugleich das zeitge­nössische Echo auf seine Forschungen wider. Er zeigt auch, dass der Name Humboldts unter den Naturforschern bereits damals einen guten Klang hatte.

Wahlvorschlag[10]

Die unterzeichneten Mitglieder der Klasse für Experimentalphilosophie der Akademie der Wissenschaften haben die Ehre, dem Direktorium der Akademie Herrn Oberbergrath Alex­ander von Humboldt, früher Königlich Preußischer Oberbergmeister im Bergdepartement, gegenwärtig Forschungsreisender in Amerika[11], Mitglied mehrerer gelehrten Gesellschaften, zum außerordentlichen Mitglied vorzuschlagen.

Herr von Humboldt hat sich bereits 1793 durch die "Freyberger Flora" ein besonderes Ver­dienst erworben, da nach Scopoli[12] nur wenige auf die plantas subterraneas[13] ihre Aufmerk­samkeit gerichtet haben. Noch wenigere vereinigen so glücklich erzgebirgische und mineralo­gische Kenntnisse mit botanischen. Mit der oryctognostischen[14] Beschreibung der Freyberger Gegend machte Herr von Humboldt den Anfang und ging in dem Buch selbst zur cryptogamischen[15] Phytognosie[16] über. Das Verzeichnis von einigen Gewächsen von Freyberg zeugt von den genauen ins Feine gehenden botanischen Kenntnissen Humboldts; die ange­hängten Aphorismen aus der chemischen Physiologie der Pflanzen von dessen Geiste. Beson­ders diese Aphorismen verdienen die Aufmerksamkeit der Naturforscher. Das Studium der Pflanzen war sonst, da man sich fast bloß damit beschäftigte, solche nur systematisch zu ord­nen, nur immer für wenige anziehend; da man aber angefangen hat, die Pflanzen mehr zu zer­gliedern und ihre wesentliche Beschaffenheit zu erforschen, wozu denn die Chemie sehr vortheilhaftige Hilfe leistet, so ist dies Studium für weit mehrere interessanter geworden. Hum­boldts Aphorismen sind wieder ein sehr schätzbarer Beytrag zur Physiologie der Naturkörper sowohl überhaupt, als auch insbesondere der Pflanzen, worin er über die Physik der Naturkör­per weit mehr Licht verbreitet hat, als wir bisher hatten, da er die auch, nun mehr aufgehellten Kenntnisse in der Chemie zu Erforschungen in der Naturgeschichte anwendete, und also die Chemie sehr weislich mit der Naturgeschichte verband. In diesen physiologisch-chemischen Aphorismen untersuchte und kommentierte Humboldt mit Scharfsinn und Belesenheit die wichtigsten Sätze aus der Pflanzenphysiologie: Pflanzennatur, Lebenskraft, Reizbarkeit, Licht, Wärmestoff. Außer einer ziemlich vollständigen Physiologie der Pflanzen findet man hier auch manche scharfsinnige Erklärungen und Bemerkungen aus der Physik und der allge­meinen Physiologie der Thiere, mit Erläuterung der aufgestellten Sätze durch chemische Ver­suche.

Schon früh hatte Herr von Humboldt, der sich ursprünglich auf mineralogische und botani­sche Arbeiten beschränkte, nach und nach glänzende Proben auf zahlreichen Gebieten der Naturforschung abgelegt. Er ist gemacht, Ideen zu verbinden, Ketten von Dingen zu erblik­ken, die Menschenalter hindurch ohne ihn unentdeckt geblieben wären. Ungeheure Tiefe des Denkens, unerreichbarer Scharfblick und die seltenste Schnelligkeit der Kombination, wel­ches alles sich in ihm mit eisernem Fleiß, ausgebreiteter Gelehrsamkeit und unbegrenztem Forschungsgeist verbindet, müssen Dinge hervorbringen, die jeder andere Sterbliche sonst unversucht lassen müßte.

In den seit dem Erscheinen der "Freyberger Flora" verflossenen sieben Jahren hat sich die Erscheinung des Herrn von Humboldt zu einer Größe und einem Reichthum entfaltet, die sei­nen Ruhm insbesondere als Chemiker in weite Kreise getragen haben.

In Alexander von Humboldt ist ein unermüdlicher Forschungsgeist mit einem Scharfsinne von seltener Feinheit, eine ausgebreitete Kenntniß in der ganzen Naturkunde mit der genauesten Belesenheit in den Schriften der ältesten, wie der neuesten, Zeiten in eine glückliche Verbin­dung getreten, um ein classisches Werk zu liefern, das unter die ersten unserer Zeiten gehört. Der vor drei Jahren erschienene erste Band der "Versuche über die gereizte Muskel- und Ner­venfaser nebst Vermuthungen über den chemischen Prozess des Lebens in der Thier- und Pflanzenwelt" ist ein Werk, das in der allgemeinen Physiologie der organischen Natur auf immer Epoche machen wird und das einst als die erste und wichtigste Grundlage einer anima­lischen Chemie angesehen werden wird. Durch den Reichthum von neuen höchst interessan­ten Erfahrungen und Beobachtungen, von anatomischen, physiologischen und chemischen Entdeckungen, und von scharfsinnigen Bemerkungen und Winken erweitert es die Grenzen mehrerer Wissenschaften und liefert besonders zur Gründung der Physiologie als Wissen­schaft, zur Erklärung der wichtigsten, bis dahin in undurchdringliches Dunkel gehüllter Erscheinungen der organischen Natur, und zur Bereicherung der Arzneywissenschaften über­haupt unschätzbare Materialien. Es verräth eine unsägliche Belesenheit in allen dahin zugehö­rigen Schriften, und eine Fertigkeit und Mannigfaltigkeit im Experimentiren, die noch Keiner vor Humboldt erreichte. Den größten Theil des ersten Bandes nimmt eine musterhafte Unter­suchung der galvanischen Erscheinungen ein. Mit philosophischem Geiste zieht er aus seinen Beobachtungen lehrreiche Folgerungen und prüft, ohne vom Ansehen berühmter Männer sich blenden zu lassen, ihre Hypothesen mit unbefangener Wahrheitsliebe und ächter Beschei­denheit.

Während Alexander von Humboldt im fernen Amerika reiche Schätze neuer Bemerkungen sammelt, gewähren uns seine neuesten, unterdessen im Drucke erschienenen Schriften so viel höheres Vergnügen, daß wir mit Sehnsucht seiner Rückkehr entgegensehen. Zu diesen gehört auch der zweite Band der "Versuche über die gereizte Muskel- und Nervenfaser", der an Fülle von Beobachtungen und durch diese erweckten kühnen und glücklichen Ideen, dem ersten nicht nachsteht, die Theorie des Lebens zu finden weiter fortschreitet und auch für die prakti­sche Heilkunde wichtige Winke giebt.

Ebenso gehört dazu der Sammelband "Versuche über die chemische Zerlegung des Luftkrei­ses und über einige andere Gegenstände der Naturlehre", der vortreffliche, wahrhaft classi­sche (insgesamt zwölf) Abhandlungen Humboldts enthält, wovon schon einige in deutschen und französischen Zeitschriften erschienen sind. Sie gehören unstreitig zu den besten, welche seit einiger Zeit in der Chemie erschienen sind, sie enthalten genaue mannichfaltige Versuche, eine geistvolle Anwendung derselben, und wo Herr von Humboldt Hypothesen macht, trägt er sie nur als solche vor, ohne Hypothesen zu einem System erheben zu wollen. Der erste Auf­satz" Versuche über das Salpetergas[17] und seine Verbindungen mit dem Sauerstoff" ist ein äußerst schätzbarer Beitrag zur Eudiometrie[18], der für den Chemiker von großer Wichtigkeit ist. Bei dem trefflichen siebenten Aufsatz "Versuche über die Beschaffenheit des Luftkreises in der gemäßigten Zone", der eine Menge von Versuchen und Beobachtungen enthält, wird der Naturforscher mit Vergnügen verweilen. Der zehnte Aufsatz "Über den Einfluß der oxy­genirten Kochsalzsäure[19] auf das Keimen der Pflanzen und einige damit verwandte Erschei­nungen" bestätigt durch neue Versuche "die wichtige Entdeckung, die Humboldt schon 1793 machte, daß nämlich die oxygenirte Kochsalzsäure das Keimen der Pflanzen oder die Vegetation um 4/5 der Zeit beschleunigt.

Der frühe glänzende Erfolg von Humboldts Thätigkeit begründet sich nicht sowohl auf die Sorgfalt und Fülle seiner Beobachtungen und Arbeiten oder auf die dabei angewandte mathe­matische, zergliedernde und systematisirende Methode, als vielmehr auf die Verbindung aller ältern Anschauungen mit denen der Gegenwart.

Wir glauben, daß es der Akademie nur zum Vortheil gereichen könne, einen Namen solchen Ranges der Reihe ihrer Mitglieder einverleibt zu haben.

Berlin, den 1. Juli 1800 Achard Klaproth Willdenow Hufeland.[20]

 

Auf der Gesamtsitzung am 17. Juli 1800 erfolgt Humboldts Wahl. In einem Brief des Direkto­riums an den König Friedrich Wilhelm III. vom 25. Juli 1800 wird die königliche Bestätigung insbesondere für den Vorschlag, "den Oberbergrath von Humbold, einen der geschicktesten Chemiker als außerordentliches Mitglied zu wählen", erbeten. Auf der "Assembleé publique" (Gesamtsitzung aller ordentlichen Mitglieder) am 7. August 1800 wird mitgeteilt, dass "M. de Humboldt, membre du Cons[eil] Sup[erieur] des Mines, chimiste célèbre, voyageant en Amerique"[21] als eines der zwei neuen außerordentlichen Mitglieder vom König bestätigt wurde. Es ist jene öffentliche Sitzung, auf der der beständige Sekretar Merian kurz des hun­dertjährigen Jubiläums der Stiftung der Akademie der Wissenschaften zu Berlin gedenkt. Für das Jahr 1800 ist von der Gesamtakademie eine Preisaufgabe gestellt worden, für die ein Jubi­läumspreis vergeben wird.

Humboldt kann seine Mitarbeit in der Akademie natürlich noch nicht aufnehmen. Er setzt seine Forschungsreise fort, die ihn und seine Begleiter, Aimé Bonpland und Carlos Montufar (1780-1816) (letzterer erst vom Juni 1802 an), durch Urwälder, über Flüsse und Sümpfe, in die polare Kälte der höchsten Anden-Gipfel, an und über das Meer, nach Quito, Bogota, La Havanna, Mexiko-Stadt und Philadelphia führen soll. Erst Anfang August des Jahres 1804 kehrt er nach Europa zurück. Durch die Veröffentlichung zahlreicher seiner Briefe aus Ame­rika ist seine Forschungsreise nicht nur in Gelehrtenkreisen bekannt geworden. Als er Ende August 1804 in Paris[22] eintrifft, wird er von den Wissenschaftlern und der Pariser Gesellschaft gefeiert. Er hält dort mehrere Vorträge, führt mit dem Chemiker Joseph-Louis Gay-Lussac (1778-1850) chemische Luftanalysen durch, schreibt mit dem Physiker Jean-Baptiste Biot (1774-1862) eine erdmagnetische Arbeit. Danach hält er sich mit dem Chemiker Gay-Lussac, dem Ingenieur-Geographen Franz August O'Etzel (1783-1850) und zeitweise auch mit dem Geologen Leopold von Buch (1774-1853) in Italien auf. Bereits am 19. Februar 1805 wird seine außerordentliche Mitgliedschaft an der Berliner Akademie der Wissenschaften in eine ordentliche umgewandelt, noch bevor er am 16. November 1805 nach neunjähriger Abwesenheit in Berlin eintrifft. Am 21. November hält Alexander von Humboldt in der Berli­ner Akademie der Wissenschaften seine Antrittsrede.[23] Er bringt darin seine Hoffnung zum Ausdruck, daß im gerade begonnenen 19. Jahrhundert" alle Theile menschlicher Erkenntnis in Wechselwirkung treten und zu einem großen organischen Ganzen zusammenstimmen" werden. Das war in der Tat Humboldts Ziel und Zweck seines Wirkens. Die Möglichkeit eines engen, einigenden Bandes zwischen denen, die sich mit den Wissenschaften beschäftigen, ist ­so Humboldt - "einer der ersten und wichtigsten Zwecke der Akademien."

Aus: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, 96 (2000) H. 4, Oktober, S. 129.

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Aus: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, 96 (2000) H. 4, Oktober, S. 129.

 


[1] Zum frühen Humboldt siehe auch: K. Bruhns (Hrsg.): Alexander von Humboldt - Eine wissen­schaftliche Biographie. Leipzig 1872, Band I, 1-303; I. Jahn und F. G. Lange (Hrsg.): Die Jugendbriefe Alexander von Humboldts 1787-1799. Berlin 1973 (Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung, Band 2).; I. Jahn: Dem Leben auf der Spur. Die biologischen Forschun­gen Alexander von Humboldts. Leipzig-Jena-Berlin 1969. Ferner: H, Pieper: "Ungeheure Tiefe des Denkens, unerreichbarer Scharfblick und die seltenste Schnelligkeit der Kombination" Zur Wahl Alexander von Humboldts in die Académie royale des Sciences et Belles-Lettres zu Berlin. Berlin 2000 (Berliner Manuskripte zur Alexander-von-Humboldt-Forschung; Heft 17)

[2] Venezuela, Kolumbien und Ecuador

[3] Mexiko

[4] Sie hatte ihren Sitz in Erlangen.

[5] Dieses und weitere Zitate sind den Jugendbriefen (siehe Anm.1) entnommen (S.1l2, 106, 96-97, 209, 561).

[6] Dieses und weitere Zitate sind der Alexander-von-Humboldt-Biographie (wie Anm.1) von

    Bruhns, Band 1, entnommen (S.135, 276).

[7] Preußen hatte im Jahre 1791 die Markgrafentümer Bayreuth und Ansbach durch Regierungsniederlegung des kinderlosen Markgrafen Christian Friedrich Karl Alexander von Brandenburg erworben.

[8] Die drei Orte gehörten zu Bayreuth. Goldkronach liegt östlich von Bayreuth, im südlichen Fichtelgebirge, Wunsiedel wiederum östlich von Goldkronach, Naila nördlich von Goldkronach zwi­schen Fichtelgebirge und Frankenwald.

[9] Arzberg liegt am östlichen Rand des Fichtelgebirges im Tal der Röslau (nordöstlich von WunsiedeI), Steben (seit 1832 bayerisches Staatsbad) liegt am Frankenwald.

[10] Es sei nochmals betont, daß ein solcher Wahlvorschlag nie geschrieben wurde. Der folgende Text enthält zahlreiche Passagen aus zeitgenössischen Rezensionen Humboldtscher Publikationen und ein Zitat aus einem Brief Wilhelm von Humboldts an Karl Gustav von Brinkmann vom 18. März 1793. Die Nachweise werden in dem Heft des Verfassers (Zur Wahl Alexander von Humboldts, wie Anm. 1) gegeben.

[11] Am 5. Juni 1799 war Humboldt zusammen mit dem französischen Arzt und Botaniker Aimé Bonpland von Spanien aus zu einer Forschungsreise ins spanische Amerika aufgebrochen. Mitte Juli 1800 hatten die beiden Forscher bereits 11 Monate im Vizekönigreich Neu-Granada ver­bracht. Sie lernten die Stadt Cumaná und ihre Umgebung kennen, die Halbinsel Araya, bereisten das Gebiet der Chaimas-Indianer-Missionen, besuchten die Höhle des Guácharo-Vogels, erleb­ten ein Erdbeben in Cumaná. Sie fuhren per Schiff nach La Guaira, dem Hafen von Caracas. Von Caracas aus bestiegen sie die Silla als erstes Tropengebirge. Sie erlebten die Schönheiten des Valencia-Sees, studierten Zitteraale in Calabozo. Am 30. März 1800 begann die legendäre Fahrt in einer Piroge auf dem Rio Apure und dem Orinoco. Mitte Juni waren Humboldt und Bonpland vom oberen Orinoco und der Befahrung des Casiquiare auf dem Orinoco bis Angostura (dem heutigen Ciudad Bolívar) zurückgekehrt und reisten dann weiter durch die Karibenmissionen und die Llanos (Feuchtsavannen) nach Nueva Barcelona, wo sie am 23. Juli 1800 ankamen und sich bis zum 26. August 1800 aufhielten.

[12] Der Naturforscher Johann Anton Scopoli (1723-1788) begründete die Höhlenforschung.

[13] Übersetzung: die unterirdischen Pflanzen

[14] mineralogischen

[15] Kryptogamen - sporenbildende, blütenlose Pflanzen

[16] Pflanzenkunde

[17] Stickstoffoxyd

[18] Luftgütemessung

[19] Chlorwasser

[20] Ende des Wahlvorschlags. Wie der gesamte Wahlvorschlag fiktiv ist, so sind natürlich auch das angegebene Datum und die angegebenen Verfasser des Vorschlags fiktiv.

[21] Herr von Humboldt, Mitglied des Bergwerksamtes, berühmter Chemiker, Reisender in Amerika

[22] Humboldt war am 6. Februar 1804 korrespondierendes Mitglied der Pariser Akademie der Wis­senschaften geworden.

[23] Über Humboldts Wirken an der Akademie der Wissenschaften zu Berlin siehe: Biermann, K. -R.: Beglückende Ermunterung durch die akademische Gemeinschaft. Alexander von Hum­boldt als Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften. Berlin 1991 (Beiträge zur Alexan­der-von-Humboldt-Forschung 17)

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