Gespiegelte Fassung der elektronischen Zeitschrift auf dem Publikationsserver der Universität Potsdam, Stand: 18. August 2009
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Anne Jobst und Ingo Schwarz
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

"Die Toten reiten schnelle."
Literarische Zitate in Briefen von und an Alexander von Humboldt

Einleitung

Alexander von Humboldt und seine Briefpartner verwendeten in ihrer Korrespondenz gerne Zitate aus literarischen Werken, seien es zeitgenössische Gedichte oder berühmte Werke des klassischen Altertums. Mitunter sollten die Briefempfänger vielleicht nur beeindruckt werden. Oft scheint es, dass ein passendes Zitat eine Stimmung oder einen Gedanken besonders treffend bezeichnet. Wenn Alexander von Humboldt beispielsweise schrieb „die Halbtoten reiten schnell“[1], so konnte er unter Anspielung auf sein Ehrfurcht gebietendes Alter seinen Kollegen gewissermaßen durch die Blume zur Eile bei der Erledigung einer Bitte ermahnen. Solche Textstellen zu identifizieren, ist für den Editor oft eine große Herausforderung. Manchmal genügt ein Blick in ein Zitatenlexikon. Die Zeilen über die schnell reitenden Halbtoten konnten auf diese Weise ohne Probleme als ein Zitat aus der Ballade „Lenore“ von Gottfried August Bürger ermittelt werden. Schwieriger war es mit einigen Zeilen aus einem englischen Gedicht, das sich in einem Brief des Astronomen Heinrich Christian Schumacher an Humboldt fand. Hier der Wortlaut des Schreibens nach der Handschrift:

 

„Altona 1850 Mai 10.

 

Hochgeborner Herr wirklicher Geheimer Staatsrath,
Hochverehrter Gönner und Freund,

 

Gleich nach Empfang des gütigen Schreibens Ew. Excellenz fing ich einen Brief an um nicht allein meinen tiefen und wärmsten Dank für die dauernde Theilnahme auszusprechen, die Ew. Excellenz Ihrem alten Schützling beweisen, sondern auch um Hochdenselben getreu und ausführlich meine Lage vorzulegen. Ich glaubte es wagen zu dürfen Ew. Excellenz damit zu beschweren, weil eine genaue Kenntniss dieser Lage mir, um helfen zu können, nöthig schien. Als ich schon zwei Bogen geschrieben hatte ward ich besorgt Ew. Excellenz möchten dabei (obgleich es nur Quartbogen waren) an eine frühere Lehmannsche Correspondenz erinnert werden. Unterdessen wuchsen die politischen Verwickelungen, in deren Mittelpunkt Ew. Excellenz leben, von Tage zu Tage, und ich sah ein, dass ich in solchen Zeiten [2] Ew. Excellenz nicht mit meinen kleinen Sorgen behelligen dürfe. Der Brief ist also bis auf etwas ruhigere Zeiten zurückgelegt, wenn Ew. Excellenz mir sonst erlauben ihn dann übersenden zu dürfen.

 

Heute wage ich nur eine gehorsamste Bitte vorzutragen, die vielleicht in den Umständen selbst ihre Entschuldigung findet. Nach einem hier verbreiteten Gerüchte soll Herr v[on] Pechlin bestimmt seyn in eine neue Statthalterschaft der Herzogthümer zu treten. Sollte diesem Gerüchte etwas Wahres zu Grunde liegen (was allerdings bei den Gerüchten des Tages ein ausserordentlicher Fall wäre) so wage ich Ew. Excellenz zu bitten, ihm mein Interesse, ehe er Berlin verlässt, noch einmal an das Herz zu legen. Er wird, wenn er hieher kommt, vielleicht so viele wichtige Geschäfte vorfinden, dass er mich und meine Sternwarte, ohne ein so mächtiges Fürwort leicht vergessen könnte.

 

Die Englische Admiralität hat durch Airy bei Hansen anfragen lassen, ob die nach meinem Vorschlage angefangenen Mondstafeln fortgesetzt würden? Hansen musste antworten, dass er seit 1847 nicht mehr die jährliche Unterstützung dazu aus Copenhagen erhalten habe, und die Englische Admiralität hat ihm darauf £ 200 zur Fortsetzung bewilligt. Es ist schmerzlich diese grosse und wichtige [3] Arbeit, die von Dänemark fast vollendet war, in andere Hände gehen zu sehen.

 

Auch die Cometen Medaille ist aufgehoben. Sie hat sehr viel Nutzen gestiftet, und es wäre vielleicht besser gewesen ihr einen geringeren Goldwerth zu geben und sie fortzusetzen.

 

As, what we built, decays, we die in part;
String after string is sever’d from the heart.

 

Gauss ist sehr besorgt für den jungen Eisenstein. Er meint dass ihm seine Pension, wegen demagogischer Umtriebe, entzogen oder gekürzt sei, und hofft für ein solches Talent der ersten Ordnung (dies sind seine eigenen Worte) auf dieselbe Nachsicht, die Ihre liberale Regierung in ähnlichen Fällen schon bewiesen hat. Kann ich ihm vielleicht ein paar tröstliche Worte schreiben? Mir fällt dabei der alte Repsold ein, der 1813 die Hamburger Artillerie gegen die Franzosen commandirte und, wie sie wieder einzogen, nach Holstein flüchtete. Ich war damals in Copenhagen und erhielt einen Brief von Repsold mich seinetwegen bei dem französischen Gesandten zu verwenden, was ich auch übernahm und zu meiner Verwunderung fand, dass der Gesandte ihn und [4] seine Verdienste sehr wohl kannte. Am Ende musste ich auf das kitzliche Artillerie Commando kommen. Die Antwort war:

 

c’est égal, il n’aura pas fait grande chose,

 

mit dem beigefügten Rathe sich nur für die erste Zeit nicht wieder zu zeigen.

Es ist gut dass die Elemente des am 1ten Mai von Petersen entdeckten Cometen, die wir aus den ersten Beobachtungen berechnen konnten, wenig Zutrauen verdienen, sonst würden wir uns auf eine vielleicht unangenehme Nachbarschaft gefasst halten müssen. Seine Entfernung von der Erde, die jetzt etwa 0,7 ist, würde nach diesen Elementen in einem Monate auf 0,1 herabkommen.

 

Mit der tiefsten Verehrung und Dankbarkeit verharre ich

 

Ew. Excellent
ganz gehorsamster Diener


HCSchumacher

Sr. Excellenz
Dem Herrn wirkl. Geh. Staats Rathe, Freiherrn
Alexander v. Humboldt, Ritter vom Schwarzen
Adler, Gross Kreutz hoher Orden u.s.w. u.s.w.
Berlin“[2]

 

 

Abb. 1: Seite 3 des Briefes von Schumacher an Humboldt, Altona, 10.5.1850.

Abb. 1: Seite 3 des Briefes von Schumacher an Humboldt, Altona, 10.5.1850.

Abb. 1: Seite 3 des Briefes von Schumacher an Humboldt, Altona, 10.5.1850.

 

Abb. 2: Seite 4 des Briefes von Schumacher an Humboldt, Altona, 10.5.1850.

Abb. 2: Seite 4 des Briefes von Schumacher an Humboldt, Altona, 10.5.1850.

Abb. 2: Seite 4 des Briefes von Schumacher an Humboldt, Altona, 10.5.1850.

 

  

Dieses Schreiben hat Kurt-R. Biermann in seiner verdienstvollen Edition des Briefwechsels zwischen Schumacher und Alexander von Humboldt[3] ediert und ausführlich kommentiert. Wer sich über die näheren Umstände der Entstehung des Briefes und die inhaltlichen Zusammenhänge näher unterrichten will, dem sei diese Edition eines bemerkenswert geistreichen, wissenschaftshistorisch interessanten Briefwechsels zweier bedeutender Persönlichkeiten in bewegter Zeit dringend empfohlen. Hier soll nur eine Anmerkung ergänzt werden, die Biermann nicht liefern konnte.

 

Schumacher zitierte die englischen Gedichtzeilen, weil sie offenbar seine Enttäuschung und seinen Schmerz in Zeiten, wo sein Lebenswerk in Gefahr war, besonders treffend illustrierten:

 

As what we built, decays, we die in part;
String after string is sever’d from the heart.

 

Biermann gab in einer Fußnote diese Übersetzung:

 

Mit dem Untergang des von uns Geschaffenen sterben wir ab;
Faser für Faser wird dem Herzen entrissen.

 

Erst kürzlich gelang es durch eine Internet-Recherche, den Ursprung dieser Zeilen zu finden[4]:

 

Das Gedicht, aus dem Schumacher – offensichtlich aus dem Gedächtnis – zitierte, stammt von James Thomson (1700-1748).

 

On the Death of a particular Friend


As those we love decay, we die in part,
String after string is sever’d from the heart;
Till loosen’d life, at last but breathing clay,
Without one pang is glad to fall away.

Unhappy he who latest feels the blow!
Whose eyes have wept o’er every friend laid low,
Dragg’d ling’ring on from partial death to death
Till, dying, all he can resign is – breath.

 

James Thomson, heute kaum mehr bekannt, war ein schottischer Dichter und Dramatiker und seinerzeit berühmt für sein Poem “The Seasons” (1726-1730). Dieses Poem ist ein Schlüsselwerk der europäischen Aufklärung. Es erschien zunächst in einzelnen Teilen, die jeweils eine Jahreszeit besingen. Thomson feiert in „The Seasons“ rauschhaft und minutiös beschreibend das Erhabene und das Schreckliche in der Natur und wurde damit zum Wegbereiter eines neuen Naturgefühls. “The Seasons” ist ein Meisterwerk der „Wortmusik“. Es lieferte die Vorlage für Joseph Haydns (1732 – 1809) Oratorium „Die Jahreszeiten“, das 1801 uraufgeführt wurde. Gemeinsam mit seinem Freund, dem Dramatiker David Mallet (~1705 – 1765) verfasste Thomson ein Maskenspiel „Alfred“, in dem das bis heute bekannte und häufig gesungene Lied „Rule Britannia“ vorkommt.

 

Offenbar reichte der Ruhm dieses Dichters bis in die Zeit hinein, in der Alexander von Humboldt und Heinrich Christian Schumacher korrespondierten.

 

Wie eingangs bemerkt, verwendete auch Alexander von Humboldt gern literarische Zitate in seinen Briefen. Hier einige weitere Beispiele:

 

In einem Schreiben vom 14. September 1833 an den Botaniker und Zoologen Christian Gottfried Ehrenberg, der ihn auf der russischen Expedition im Jahre 1829 begleitet hatte, bezieht er einige Zeilen aus Dante Alighieris (1265? – 1321) Göttlicher Komödie auf die Stadt Breslau, wohin er am folgenden Tag abzureisen gedachte, um an der XI. Versammlung der „Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte“ teilzunehmen.

 

„Es schmerzt mich die Naturreise nach Breslau

nella città dolente
nell’ eterna noja

antreten zu müssen, ohne Sie Verehrter Freund, habe umarmen zu können! […]“[5]

 

Auch hier wurde offenbar aus dem Gedächtnis zitiert, Humboldts „Variation“ lautet in etwa: „in die trauervolle Stadt, in das endlose Trübsal..“

 

Der betreffende Vers bei Dante klingt ein wenig anders:

 

Per me si và nella città dolente
Per me si và nell' eterno dolore,
Per me si và tra la perduta gente;

 

Durch mich geht man zur trauervollen Stadt!
Durch mich geht man zum ew’gem Schmerz;
Durch mich geht man zu dem verlornen Volk!

 

Wie wir wissen, befand sich die „Göttliche Komödie“ in Humboldts Bibliothek, im Original und in französischer wie auch in deutscher Übersetzung.[6]

 

Zu Humboldts Lebzeiten ging man augenscheinlich in den gebildeten Schichten mit Zitaten aus klassischen oder aktuellen Werken der Literatur ganz selbstverständlich um, so wie man vielleicht heute einen zündenden Werbespruch aus der Waschmittel- oder Autoreklame parat hat.

 

In einem anderen Brief, ebenfalls an Ehrenberg, vom 16. Mai 1856, zitierte Humboldt – wiederum in der Situation angepasster Form – gleich aus zwei Werken Goethes. Hier sollen die Zitate Trost und Aufmunterung vermitteln, die Humboldt seinem durch ein Unrecht enttäuschten Korrespondenzpartner spenden möchte.

 

Bei dem derart Angesprochenen ersteht bei der Lektüre der Zeile aus dem Faust (Walpurgisnacht) sogleich das Bild, wie ein lästiger Störenfried vergeblich die Entfaltung des wilden Treibens hindern will.

 

Die zweite Zeile entnahm Humboldt einem Gedicht aus dem „West-östlichen Diwan“, betitelt „Mit der deutschen Freundschaft“.

 

Es ist bemerkenswert, wie sich Humboldt verschiedene textliche „Ingredienzien“ so zusammenmischt, dass sie klar und treffend auf den Punkt bringen, was Humboldt von denen hält, die Ehrenberg so übel mitgespielt hatten. Ohne viele Worte wird Humboldts Respekt vor Ehrenbergs Leistungen unterstrichen.

 

„[…] Aber alles das interessirt mich weniger als Ihr Kummer der nun ganz der meinige wird. Ich tadle ihn nicht denn auch [ich] bin nie gleichgültig gewesen […] . Ich verstehe ganz wie [Sie] bei Ihrem raschen Fortschreiten in dem geologischen und hypsometrischen Theile Ihrer glänzenden Entdeckung, durch nahes neidisches Gebelle gestört werden! Bei mir dauert so ein Ärger 2-3 Tage: er wird gelindert durch 2 Mittel a) etwas Rache auszuüben wie Sie auch wollen, [b)] durch eine heterogene Zer[s]treuung im Anblik der Natur. Leider! hindert Sie wohl Ihr Herrscherposten von einem Sonnabend bis Montag Abend nach dem schönen Tharandt oder nach Heimburg zu gehen. […]“[7]

 

Dieser Passage fügt Humboldt die erwähnte Randbemerkung bei:

 

„Am meisten ärgert sie, sobald wir vorwärts gehen![8] Die Berliner lassen mich alle grüssen und hassen mich bis in den Tod. [9] Göthe“

 

Abb. 3: Seite 1 des Briefes von Humboldt an Ehrenberg, Berlin, 16. Mai 1856.

Abb. 3: Seite 1 des Briefes von Humboldt an Ehrenberg, Berlin, 16. Mai 1856.

Abb. 3: Seite 1 des Briefes von Humboldt an Ehrenberg, Berlin, 16. Mai 1856.


Abb. 4: Seite 2 des Briefes von Humboldt an Ehrenberg, Berlin, 16. Mai 1856.

Abb. 4: Seite 2 des Briefes von Humboldt an Ehrenberg, Berlin, 16. Mai 1856.

Abb. 4: Seite 2 des Briefes von Humboldt an Ehrenberg, Berlin, 16. Mai 1856.

 

 

In diesem Zusammenhang ist es schließlich noch interessant zu bedenken, dass Goethe zu diesem Zeitpunkt eigentlich noch kein „Klassiker“ ist; sein Tod liegt erst 24 Jahre zurück. Und doch genoss gerade der „Faust“ eine enorme Verbreitung und Popularität. Es versteht sich auch, dass Humboldt gewisse Stellen aus dem Werk des verehrten „Jugendfreundes“ Goethe gleichsam parat hatte. Er besaß übrigens den „Faust“ in einer Prachtausgabe.[10]

 

Es ist hier nicht der Platz, auf Zitate aus Werken von antiken Klassikern wie Herodot, Homer, Plinius oder Vergil in Humboldt-Briefen einzugehen, die es in reicher Zahl gibt. Es wäre nur zu unterstreichen, dass es auch bei diesen Zitaten nicht vornehmlich darum ging, die Korrespondenten durch Bildung zu beeindrucken, sondern darum, auf prägnante Weise Inhalte auszudrücken.



[1] Humboldt an Emil du Bois-Reymond, 21.? 3. 1852, in: Briefwechsel zwischen Alexander von Humboldt und Emil du Bois-Reymond. Hrsg. von Ingo Schwarz und Klaus Wenig. Berlin: Akademie-Verlag 1997 (Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung. Bd. 22), S. 125.

[2] Handschrift: Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, NL Dirichlet 39, ad. 51.

[3] Briefwechsel zwischen Alexander von Humboldt und Heinrich Christian Schumacher. Zum 200. Geburtstag von H. C. Schumacher hrsg. von Kurt-R. Biermann. Berlin: Akademie-Verlag 1979 (Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung. Bd. 6), S. 132-134.

[5] Handschrift: Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, NL Ehrenberg 38.

[6] Stevens, Henry. A Catalogue of the library of Alexander v. Humboldt. London 1863 (Reprint Leipzig 1967) Nr. 2092, 2093.

[7] Handschrift: Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, NL Ehrenberg 225.

[8] „Am meisten ärgert ihn, sobald wir vorwärts gehen.“ Goethe (1749 – 1832) Faust. Der Tragödie erster Teil, 385.

[9] „Sie lassen Alle grüßen, Und hassen mich bis in den Tod“ Goethe (1749 – 1832) West-östlicher Diwan. Buch des Unmuts. Mit der deutschen Freundschaft.

[10] Stevens, Henry. A Catalogue of the library of Alexander v. Humboldt. London 1863 (Reprint Leipzig 1967) Nr.3510.

 

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Letzte Aktualisierung: 21 Juni 2007 | Kraft
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