Gespiegelte Fassung der elektronischen Zeitschrift auf dem Publikationsserver der Universität Potsdam, Stand: 18. August 2009
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Petra Werner
Alexander-von-Humboldt-Forschungsstelle der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften

Himmelsblau.
Bemerkungen zum Thema „Farben“ in Humboldts Alterswerk Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung

3. Modelle. Bemerkungen zum Versuch einer chemischen bzw. physikalischen Erklärung der Entstehung des Blaus

Bereits frühzeitig diskutierte Humboldt die Ursache von Farbentstehung mit Jean-Claude de Laméthrie (Brief Alexander von Humboldt an Jean-Claude de Laméthrie o. Datum, wohl Januar 1792. In Jahn/Lange 1973, 167-168) und und bezog sich dabei auf das 1791 erschienene viel beachtete Werk Claude-Louis Berthollets Eléments de l´art de la teinture, das bereits 1792 ins Deutsche übersetzt wurde. Das Interesse an der Farbe war nicht nur wissenschaftlicher Natur, sondern beschäftigte auch die Industrie. Die Farbe „Blau“ hatte in der Färbeindustrie wichtige Bedeutung und ihre Entstehung war Gegenstand des allgemeinen Interesses von Chemikern. Berthollet, dem man 1784 die staatliche Inspektion der Färbereien sowie den Direktorenposten der Gobelinfabrik von Paris übertragen hatte, befasste sich mit der chemischen Theorie der Färberei und bemühte sich, den Prozess der Farbentstehung bei der Indigofärbung zu analysieren. Es ging darum, die Farbentstehung zu verstehen. Bemerkenswert war nicht nur Berthollets Wunsch, eine Brücke zwischen Naturwissenschaft und Industrie herzustellen, sondern auch sein (vermutlich für Humboldt anregender!) Vorsatz, sich vermittelnd zwischen Künstler und Physiker zu stellen (vgl. Berthollet 1792). Gleichzeitig wird aus Berthollets Darstellungen das Bemühen ersichtlich, mit Hilfe eines Modells eine naturwissenschaftliche Erklärung für Farbphänomene zu finden. So machte er den Versuch, in einem chemischen Modell die Entstehung der Farbe Blau zu simulieren, die in der Färberei von großer wirtschaftlicher Bedeutung war. Arago, der mit Humboldt eng befreundet war, diskutierte in einer Gedächtnisrede auf Gay-Lussac, gelesen in der öffentlichen Sitzung der Akademie der Wissenschaften in Paris am 20. Dezember 1852, Gay-Lussacs Bemühungen, die Farbentstehung über das so genannte „Berlinerblau“ zu erklären. Die Entstehung dieser für den Malerbedarf, den Papier- und Tapetendruck sowie zum Bläuen von Wäsche verwendeten lichtechten Farbe war Gegenstand der Untersuchung einer großen Zahl von Gelehrten – so Pierre Joseph Macquer, Guyton de Morveau, Tobern Olof Bergman, Carl Wilhelm Scheele, Joseph Louis Proust und Robert Porrett (Arago 1855, Bd. III, 36). Die Vielzahl der bis heute üblichen Benennungen wie Pariser Blau, Preußisch Blau, Miloriblau oder Stahlblau (als Malerfarbe mit Gips und Schwerspat gestreckt) zeigt die internationale Beteiligung der Forscher und damit verbundene Prioritätsansprüche. Hervorzuheben ist Saussure, der bereits 1788-89 in einer Veröffentlichung (Saussure 1788-89) Berthollets Ideen diskutierte. Berthollet wiederum fasste im 2. Teil seines 1811 ins Deutsche übersetzten Werkes „Versuch einer chemischen Statik das ist einer Theorie der chemischen Naturkräfte“ (Berthollet 1811) in einem Kapitel „Von der zootinischen oder Blau-Säure“ die Ideen der Kollegen zusammen. Die Säure hatte anfangs die Aufmerksamkeit der Chemiker „nur durch die Eigenschaften des zootinischen Eisens“ erregt. Scheele beispielsweise hatte beobachtet, dass sich unter bestimmten Bedingungen tropfbare, blau gefärbte Flüssigkeiten entwickelten. Gegenstand vieler Untersuchungen waren nicht nur die chemischen Eigenschaften dieser Verbindung, sondern auch ihr Zustandekommen und Einzelheiten der chemischen Struktur. Proust z. B. hatte sich, so berichtete Berthollet, über den Oxydationszustand des Eisens geäußert: „Proust hält nur zwei Oxydations-Stufen in den Auflösungen des Eisens für möglich, nemlich eine höchste und eine geringste; die Zootinsäure bildet, nach ihm, mit dem schwefelsauren Eisen, welches sich in dieser Verbindung auf der geringsten Oxydationsstufe befindet, eine weiße Zootinsaure Verbindung; und diese wird nur in sofern blau, als ihr Metall, vermittelst des Oxygens, das es kräftig aus der Athmosphäre anzieht, zu dem höchsten Zustande der Oxydation gelangt.“ (Ebenda, 245)

Sowohl die Struktur als auch die Deutung der Farbe des Berliner Blaus, das sich aus Natriumhexacyanoferrat (II) beim Ansäuern mit verdünnter Salzsäure mit Eisen(III)Ionen im Überschuss, die in Form von Eisen(III)chlorid-Lösung zugegeben werden, als blauer Niederschlag abscheidet, ist eine Cyanidverbindung. Ihre Struktur, Fe4 III [ (FeII (CN)6]3, war lange Zeit umstritten und konnte erst in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts aufgeklärt werden.[1]

Schon Leonardo da Vinci erkannte Ende des 15. Jahrhunderts, dass das Himmelsblau keine Eigenfarbe der Luft sein kann. Neben der chemischen Erklärung bzw. Modellierung gab es ca. Ende des 18. Jahrhunderts schon Versuche, „die Ursachen der Färbung der Körper“ (dieser Ausdruck stammt von Arago) physikalisch zu erklären und gleichzeitig noch – im Gegensatz zum von Saussure erfundenen und ständig weiterentwickelten „Cyanometer“ – eine objektivierte quantitative physikalische Meßmethode zu finden. Bereits Berthollet erwähnt Beobachtungen, wie „die Körper einige Lichtstrahlen einsaugen, andere durchlassen, andre zurückwerfen und auf diese Weise das Entstehen der Farben bewirkt wird.“ (Berthollet 1792, 1)

Francois Arago beschäftigte sich seit 1815 damit, „die Aenderung der Nuancen in den verschiedenen Farben, welche die chromatische Polarisation erzeugt, auf die Messung der Intensität von farbigem Lichte anzuwenden.“ (Arago 1850, Bd. 10,  226). Er legte der französischen Akademie ein entsprechendes Polarimeterfernrohr vor, das von ihm „zur Anstellung verschiedener Versuche über einen sehr schwierigen Gegenstand, nämlich über die Ursachen der Farben der Körper und über die Messung der Intensität der verschiedenen Farben benutzt worden ist.“ (Ebenda)

In seiner Abhandlung über die Photometrie, die in der von Humboldt herausgegebenen Werkausgabe auf Deutsch erschien, erklärte Arago auch, wie er die chromatische Polarisation auch auf die Erzeugung von Blautönen anwandte: 

„Im Jahre 1815 habe ich auch ein Cyanometer construirt. Ich erzeugte das Blau in demselben, indem ich einen durch Reflexion auf diesem schwarzen Glase polarisierten Lichtstrahl durch ein Rohr gehen ließ, das an der einen Seite durch eine senkrecht auf die Achse geschnittene Bergkrystallplatte und auf der anderen durch ein doppelbrechend achromatisirtes Prisma geschlossen ist. […] Unter den mannigfaltigen Farben, welche dieser Apparat zeigt, wenn polarisirtes Licht durch ihn hindurchgeht, und das Prisma um sich selbst gedreht wird, findet sich auch durch einen glücklichen Zufall die Nuance des Himmelblaus. Diese blaue Farbe, welche sehr geschwächt, d. h. stark mit Weiß gemischt erscheint, wenn das einfallende Licht fast neutral ist, nimmt allmählich in dem Maaße an Intensität zu, als die in das Instrument eintretenden Strahlen eine größere Menge polarisierten Lichtes enthalten.“ (Ebenda, 227-228)

Arago erklärte genau das Prinzip seines Messgeräts – zwischen dem zu messenden Gegenstand auf der einen und dem Polariskop und einer Bergkristallplatte auf der anderen Seite liegt eine Säule aus Glasplatten, deren Neigung sich gegen die Achse des Fernrohres ändern lässt:

„Dadurch wird in dem vom Papiere ausgehenden Lichte eine größere oder geringere Menge polarisirter Lichtstrahlen erzeugt. Die im Instrumente entstehende blaue Farbe wächst mit der Neigung der Säule; man hält mit der Drehung derselben an, wenn die enthaltene Farbe diesselbe Nuance zeigt, wie diejenige Region der Atmosphäre, deren Farbbeschaffenheit bestimmt werden soll und die man unmittelbar neben dem in der Hand gehaltenen Instrumente mit freiem Auge betrachtet. Das Maaß für die blaue Färbung wird durch die Neigung der Säule gegeben, die man auf dem getheilten Kreise GH abliest. Wenn die Säule stets aus einer gleichen Zahl von Platten derselben Glassorte gebildet wird, so sind die an verschiedenen Orten ausgeführten Beobachtungen untereinander vollständig vergleichbar.“ (Ebenda, 229)

Das Prinzip des Gerätes besteht darin, dass die Nuancen von Blau durch eine und dieselbe feste blaue Farbe, die sich stufenweise und in bekannten Verhältnissen mit allmählich wachsenden Mengen von Weiß mischt, erzeugt. Dass dieses Thema auf breiteres Interesse stieß, belegt die Tatsache, dass auch andere renommierte Wissenschaftler, darunter Jean-Baptiste Biot, ähnliche Anstrengungen unternahmen – Biot wusste nicht, dass Arago bereits vor ihm ein Gerät entwickelt hatte. Biot veröffentlichte 1817 im Bulletin de la Société eine Notiz dazu und erklärte das Prinzip seines Messgeräts – der Farbmesser basierte auf dem Prinzip des Vergleichens: er brachte „successive alle Farben der Newton´schen Ringe durch die allmählich wachsende Wirkung einer Krystallplatte auf einen polarisirten Lichtstrahl hervor […].“ (Arago 1850a, Bd. 10, 227)

Arago erklärte auch, dass dieser Apparat relativ einfach zu einem Cyanometer umgestaltet werden könnte 

„in welchem die verschiedenen Nuancen von Blau successive durch die Abstufungen eines und desselben Bildes erhalten werden, welches zuerst durch das Weiß der ersten Ordnung in der Newton´schen Scale darstellt, und dann allmälich zu dem schwachen und dem dunklen Blau derselben Ordnung, welche diesem Weiß unmittelbar vorhergehen, aufsteigt.“ (Ebenda)

Den „gefärbten Erscheinungen“ widmete Humboldt einen Teil seiner Korrespondenz.

Zu den Wissenschaftlern, mit denen er sich über Farbphänomene austauschte, die ihn in die Botanik, Chemie, Astronomie und Geologie führten, gehören Lorenz von Crell, Archibald Maclean,  Paul Usteri,  Paul Christian Wattenbach, Georg Christoph Lichtenberg, Carl Freiesleben, John Herschel, F. Eilhard Mitscherlich und François Arago. Hierbei ging es u. a. um den Zusammenhang zwischen Farbe und Sonnenlicht, die Entstehung von Farben, farbige Schatten, die Blaue Grotte, Gletscher, über die Atmosphäre und die Wolken in optischer Hinsicht, Farben von Sternen, Nordlicht, Sternschnuppen, Kometen,  Geschwindigkeit der Lichtstrahlen verschiedener Farbe, den Zusammenhang zwischen Änderungen des Zustandes von Körpern und Farbänderungen, optische Kristallographie. 

Humboldt, der bereits nahezu achtzig Jahre alt war, als er am dritten Band des Kosmos schrieb, ließ sich während seiner 93 Morgenvisiten bei Arago auch die Polarographie (Werner 2003) erklären. Ihn interessierten neben allgemeinen Fragen der Wellentheorie auch die Färbung von Sternen, der Sonne usw. – Probleme, denen er sich auch im Kosmos zugewandt hatte. Arago trug in der französischen Akademie der Wissenschaften in seiner „Siebenten Abhandlung über Photometrie“ zum Thema der  „Anwendung auf die Lösung verschiedener Probleme aus der Astronomie und Meteorologie“ vor (Arago 1850b, Bd. 10, 231-243). Darin behandelte er u. a. die Bestimmung der Höhe der Wolken. Eine andere Anwendung war die Entwicklung eines „Verfahrens der Farbenmischungen zur Messung der Intensitätsverhältnisse des Lichtes auf den verschiedenen Theilen der Sonne“ (Arago 1850a, Bd. 10, 228). Arago und auch andere Wissenschaftler stellten zwar Überlegungen über den Zusammenhang zwischen dem (modern ausgedrückt) Brechungsindex der Atmosphäre und dem Ausmaß der Feuchtigkeit in der Luft dar, aber die „Messung der Himmelsbläue“ war nicht mehr Gegenstand des Interesses.

Der greise Humboldt sah offensichtlich nüchtern, dass er den neuen Entwicklungen der exakten Naturwissenschaften nicht mehr gewachsen war. Im Mai 1851 schrieb er in einem Brief an den Maler  Schall: 

„Sie beschäftigen sich mit Scharfsinn und Glück mit einem sehr schwierigen optischen Probleme. Die Cyanometrie, Bestimmung der Himmelsbläue, liegt seit Saussure noch immer im Argen wegen Mangels vergleichbarer Zahlen. Einen Schritt vorwärts haben die geistreichen Physiker Schlaginweit […] in ihrer Schrift über die ´östlichen hohen Alpen […]  getan. Arago´s sehr feine Methode die Intensitäten der Himmelsbläue durch Interferenz […] zu bestimmen ist im Detail noch nicht bekannt. Ihre schöne graphische Darstellung von Mädlers meteor[ologischen] Beobachtungen besaß ich schon, aber Ihre jezige Messung aller abgestuften Farbentöne, die Fortsetzung und bequeme Wiederauffindung der Extreme, sind ein wichtiger und schwieriger Fortschritt. Ich selbst bin von diesem optischen Gegenständen durch die Nothwendigkeit meine Zeit zu Vollendung des Kosmos in einem so hohen unwahrscheinlichen Alter zusammen zu halten gänzlich entfernt.“ (Brief Alexander von Humboldt an J. G. Schall vom 3. 5. 1851. Deutsches Museum, München. Bibliothek, Sondersammlungen, Nr. 11967-15).

Bereits Saussure erklärte die Entstehung des Himmelblaus durch Reflexion und erkannte auch den Zusammenhang zwischen den „Elementen der Luft“, die „immer wieder einige Luftstrahlen reflektieren und der Wellenlänge. So wusste er, dass insbesondere die blauen Lichtstrahlen reflektiert werden, wodurch die Farbe des Himmels blau erscheint. Die genaue physikalische Erklärung des Himmelsblaus gelang erst 1871 Lord Rayleigh. Er konnte mathematisch beweisen, dass die Intensität des gestreuten Lichts umso größer, je kleiner seine Wellenlänge ist. Fällt weißes Sonnenlicht, das alle Farben enthält, in die Atmosphäre ein, wird jedes Gasmolekül der Luft zum Ausgangspunkt von zusätzlichen Wellen mit kurzer Wellenlänge. Dadurch wird das blaue Licht verstärkt und der Himmel erscheint blau (vgl. Schlegel 2001, 13-14).



[1] Erst dann konnten den Eisenatomen die Oxydationsstufen II und III zugeordnet werden. Die tiefe blaue Farbe ist somit nicht auf oszillierende Valenzen oder Mesomerie zurückzuführen.

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Letzte Aktualisierung: 28 April 2006 | Kraft

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