Gespiegelte Fassung der elektronischen Zeitschrift auf dem Publikationsserver der Universität Potsdam, Stand: 18. August 2009 |
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Bernd Kölbel, Lucie Terken,
Martin Sauerwein, Katrin Sauerwein, Steffen KölbelAlexander von Humboldt
und seine geognostischen Studien in Göttingen1. Einleitung
Im Zusammenhang mit intensiven Recherchen zum Wirken Alexander von Humboldts auf dem Gebiet der Geologie wurde einem deutschen Wissenschaftlerteam 1998 das Tagebuch von Steven Jan van Geuns[1] vom Archiv in Utrecht zur Bearbeitung zur Verfügung gestellt. Das Tagebuch wird mit wissenschaftshistorischen und -kritischen Erläuterungen und den entsprechenden Briefen zweisprachig mit Unterstützung der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Alexander-von-Humboldt-Forschungsstelle Berlin, herausgegeben[2]. Erste Hinweise auf die geplante wissenschaftliche Reise finden sich in einem Brief von S. J. van Geuns an seine Eltern vom 6. und 7. September 1789[3]:
Hofrat Blumbach hat mich bekannt gemacht mit einem Herrn von Humboldt, einem jungen Berlinischen Edelmann, der ein sehr vortrefflicher junger Mensch zu sein scheint und sehr viele Kenntnisse in der Botanik, Mineralogie, Ökonomie und Fabrikkunde hat. Er ist ein Schüler von dem vortrefflichen Campe, der einige Jahre zu Berlin in seinem Haus Hofmeister gewesen ist;...Dieser Humboldt geht zu Beginn der folgenden Ferien, ungefähr um den 26. diesen Monats auf eine Tour nach Kassel, Frankfurt, Hanau, Heidelberg, Mannheim, Mainz, Koblenz, Bonn, Köln und Düsseldorf;[...] weil die Gegend längs des Rheins sehr interessant ist im Hinblick auf die Naturgeschichte und vor allem Mineralogie... und er hat auch die selben Gesichtspunkte wie ich für diese Reise, nämlich geht es nicht darum, das was alles interessantes für die Botanik, Mineralogie und allgemeine Naturgeschichte zu sehen ist, sondern insbesondere geht es um die Basalte und die anderen vulkanischen Überbleibsel längs des Rheins, die Achatberge und Fabriken bei Oberstein, die Quecksilberminen bei Koblenz und um allerlei Fabriken, die auf diesem Weg vorhanden sind, zu sehen, ferner um das Museum in Kassel und die große Frankfurter Messe, die gerade zu dieser Zeit stattfindet.
Alexander von Humboldt hatte am 25. April 1789 sein Studium in Göttingen aufgenommen. Bisher wenig beachtet in der Literatur sind die Leistungen von Johann Friedrich Blumenbach in Göttingen auf dem Gebiet der Geologie. Das ist um so bedauerlicher, da Blumenbach für die Ausbildung des frühen geologischen Bildes bei Alexander von Humboldt Grundsätzliches geleistet hat. Zusammen mit Heinrich Friedrich Link war er Humboldts erster Geognosie- und Mineralogielehrer.
Es ging Humboldt und van Geuns auch darum, umfangreiche persönliche Kontakte zu führenden Wissenschaftlern an den Universitäten und weiteren wissenschaftlichen Einrichtungen, wissenschaftlichen Sammlungen und Bibliotheken zu knüpfen. Sicher ist, dass diese „naturhistorische Reise“ die konsequente Fortsetzung naturhistorischer Untersuchungen des jungen Humboldt ist, die sowohl zum Sammeln von wissenschaftlichen Erkenntnissen als auch zum Knüpfen von persönlichen Kontakten zu führenden Wissenschaftlern diente.
Nach Abschluss der Reise teilt Humboldt seinem Jugendfreund Wilhelm Gabriel Wegener am 10. Januar 1790 mit, dass er „eine naturhistorische Reise“[4] gemeinsam mit Steven Jan van Geuns gemacht habe. Die Reiseroute wurde während der Vorbereitung mehrfach geändert, wie auch aus den Briefen von van Geuns an seine Eltern hervorgeht. Bis schließlich die bei A. von Humboldt und die im Tagebuch genannte Route realisiert wurde: Göttingen – Kassel – Marburg – Gießen – Butzbach – Nauheim – Friedberg – Frankfurt –Darmstadt – über die Bergstraße nach Heidelberg – Speyer – Frankenthal – Mörsfeld – Kreuznach – Mainz – Bonn – Köln – Düsseldorf/Pempelfort – Krefeld – Duisburg – Göttingen.
Beginnend bei den Exkursionen mit Willdenow in Tegel bis zur Reise mit Kunth am 10. April 1789 von Berlin über Magdeburg, Helmstedt und Braunschweig nach Göttingen, standen Geographie, Salzwerkskunde (Besuch der Salzwerke in Schönebeck, Großsalze und Frohse), Besuche bedeutender Sammlungen, Botanik (Besuch der berühmten Anpflanzungen amerikanischer Gehölze in Harbke) und das Kennenlernen von Persönlichkeiten im Mittelpunkt der Reiseprogramme. Fast gleiche Schwerpunkte finden wir auf der Reise vom 24. September bis zum 31. Oktober 1789: Bergbau und Geologie/Mineralogie, Salinenkunde, Botanik und Pflanzengeographie, Geographie und Landeskunde, Medizin, soziale und geschichtliche sowie philosophische Fragen. Im Vergleich mit dem späteren Werken Humboldts bleiben auf der Reise Landwirtschaft, Astronomie und Zoologie unterrepräsentiert.
Die Schaffung wissenschaftlicher Netzwerke zu diesem frühen Zeitpunkt durch Alexander von Humboldt in einer thematischen Breite und Vielfalt lässt bereits den Ansatz des hohen interdisziplinären Vernetzungsgrades späterer Jahrzehnte erkennen. Eine Vielzahl der 1788/89 geknüpften wissenschaftlichen Kontakte reicht weit über diesen Zeitpunkt hinaus. Sie finden teilweise ihren inhaltlichen und thematischen Niederschlag in Humboldts Spätwerken, wie zum Beispiel im „Kosmos“.
In dem Tagebuch von van Geuns wird ausführlich das intensive Bemühen beider Reisender dargestellt, Verbindungen zu bedeutenden Persönlichkeiten aufzunehmen und in der Suche nach Gemeinschaft den Austausch von Forschungserkenntnissen und -ergebnissen zu pflegen und eigene Kenntnisse zu erweitern.
Grundlagen solcher frühen Netzwerke waren die gemeinsamen Interessen, das gemeinsame Streben nach neuen Erkenntnissen, die gemeinsamen Werte, die gegenseitige Achtung und freundschaftlichen Beziehungen der Partner untereinander. Neben den direkten persönlichen Beziehungen, die überaus wichtig und förderlich für den Erkenntnissgewinn und den intensiven wissenschaftlichen Austausch von Erkenntnissen waren, wurden weitere Elemente der wissenschaftlichen Netzwerke realisiert. Das betraf insbesondere die Mitarbeit in wissenschaftlichen Magazinen und Zeitschriften zur Verbreitung eigener Arbeiten sowie zu Rezensionen der Arbeiten von Fachkollegen. Besonders Alexander von Humboldt hat diese Form der Kommunikation durch seine Mitarbeit im „Botanischen Magazin“ und „Magazin für die Botanick“ und den „Annalen der Botanik“ von Paulus Usteri, in der „Allgemeinen Literaturzeitung“, in Crell’s „Chemische Annalen“, in Beckmanns „Physikalisch-ökonomische Bibliothek“, im „Bergmännischen Journal“ und in Grens „Neues Journal der Physik“ umfassend genutzt. Neben diesen Rezensionen in den genannten wissenschaftlichen Zeitschriften mit einer großen Verbreitung in Deutschland und im Ausland wurde auch die Form der Kontaktaufnahme und –pflege durch das Versenden eigener wissenschaftlicher Arbeiten an bedeutende Persönlichkeiten genutzt. So ist bekannt, dass Humboldt sein Erstlingswerk „Mineralogische Beobachtungen über einige Basalte am Rhein“ (1790) an zahlreiche Persönlichkeiten mit einem Schreiben und einer Widmung versandt hat. Adressaten waren: Friedrich Anton Freiherr von Heinitz (Brief vom 10.9.1790); Wilhelm Gabriel Wegener (Brief vom 23.09.1790); Johann Reinhold Forster (Brief vom 24.09.1790); Georg Forster (Brief unbekannt, gedruckte Widmung an Forster auf Seite 3); Dietrich Ludwig Gustav Karsten (Brief vom 7.12.1790); Abraham Gottlob Werner (Brief vom 25.7.1790); Carl Freiesleben (Brief vom 14.6.1791); Johann Friedrich Zöllner (Briefdatum unbekannt); Georg Christoph Lichtenberg (Brief vom 3.10.1790); Johann Wolfgang von Goethe (Briefdatum nicht ermittelt); Steven Jan van Geuns (Brief vom 7.4.1790). Mögliche weitere Empfänger des Buches könnten gewesen sein (sichere Nachweise dafür fehlen bislang): Johann Friedrich Blumenbach, Heinrich Friedrich Link, Carl Abraham Gerhard, Johann Friedrich Gmelin, Samuel Thomas von Sömmerring, Friedrich Heinrich Jacobi, Joachim Heinrich Campe.
Genutzt zum Ausbau des wissenschaftlichen Netzwerkes wurden auch Besuche von wissenschaftlichen Sammlungen und das Knüpfen von persönlichen Kontakten zu den jeweiligen Leitern der Sammlungen. Diese Sammlungen dienten gleichzeitig neben der Schaffung neuer persönlicher Kontakte auch zur eigenen wissenschaftlichen Meinungsbildung durch das Studium von wissenschaftlichem Vergleichsmaterial mit den eigenen Gesteins-, Fossilien-, Pflanzen- und Tierfunden. Ebenso wurden die großen und bedeutenden Bibliotheken in die Netzwerke einbezogen. Ergaben doch die Besichtigung der Bibliotheken und die dabei von den jeweiligen Leitern vorgetragenen Erläuterungen den Reisenden einen tiefgründigen und umfassenden Einblick in die Bestände dieser Bibliotheken. Dabei wurden auch, wie Steven Jan van Geuns in seinen Briefen an seine Eltern mehrfach berichtet, eigenen wissenschaftliche Arbeiten mit den Bibliotheken getauscht und so eine schnelle und effektive Wissenschaftskommunikation erschlossen. Eine wesentliche Form der Vermittlung von jungen Wissenschaftlern oder auch von Studenten und eine dabei oft praktizierte Form der Kontaktknüpfung stellten mitgegebene Empfehlungsschreiben an zu besuchende bedeutende Persönlichkeiten dar. Eines dieser Empfehlungsschreiben stammt von Georg Christoph Lichtenberg an seinen Cousin Friedrich August Lichtenberg vom 20. September 1789[5].
Ich schicke Dir hier auf ausdrückliches Verlangen wiederum 2 Herren zu, den HE v. Humboldt aus Berlin, den Bruder dessen, den Du bereits kennst, und den jungen HE van Geuns aus Utrecht. Beyde Herren haben Naturgeschichte zu ihrem Hauptstudio und der erste noch besonders Technologie und Maschinenwesen gewählt. Es sind beyde ungewöhnliche Köpfe, wie Du bald finden wirst; der letztere der noch jetzt ein junger Mensch ist, hat demungeachtet schon vor einiger Zeit den Preis der Academie[6] erhalten. Ich bitte sich Ihrer anzunehmen.
Man solle sie nicht zum Essen einladen, sondern ihnen etwas zeigen und sie zu Merck[7] und Klippstein führen.
[1] Geuns 1789.
[2] Kölbel u. a. (a).
[3] Inventaris van het archiefs van de Familie van Geuns 1647-1976, Inv.-Nr. 14, Utrecht 1991, S. 33.
[4] Jahn/Lange 1973, S. 80.
[5] Joost/Schöne 1990.
[6] Van Geuns hatte 1788 die Abhandlung „Over de plantgewassen van ons vaderland“ auf eine Preisfrage der holländischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Haarlem eingereicht. Diese Arbeit wurde mit einer Goldmedaille prämiert. Schwerpunkt der Arbeit war die Nutzung einheimischer Pflanzen aus medizinischer Sicht.
[7] Der Besuch konnte nicht stattfinden, da Merck nicht in Darmstadt war.
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