Gespiegelte Fassung der elektronischen Zeitschrift auf dem Publikationsserver der Universität Potsdam, Stand: 18. August 2009
Originalfassung zugänglich unter http://www.hin-online.de

HiN - Humboldt im Netz

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Ulrike Leitner

Vielschichtigkeit und Komplexität
im Reisewerk Alexander von Humboldts - Bibliographischer Hintergrund

IV. Dimension: Links zu weiteren Schriften Humboldts

Bei genauerer Beschäftigung mit Humboldts Amerikareise wird der Leser feststellen, daß er sich nicht auf die 29 Bände des Reisewerks beschränken kann, sondern sich ein weiteres Netz über sein gesamtes Oeuvre ausspannt. So hat Humboldt sich bald nach seiner Rückkehr in z. T. wissenschaftlichen, z. T. populären Vorträgen um die Verbreitung der Ergebnisse seiner Reise bemüht, die dann in unterschiedlicher Form publiziert wurden. Daneben hat er Teile aus seinem Reisewerk herausgelöst und nochmals gesondert abgedruckt.

Da ist zuerst der sog. Kuba-Essay zu nennen, der eigentlich nur ein Wiederabdruck eines Teils der ”Relation historique” ist, jedoch wirkungsgeschichtlich als Separatum eine wesentlich stärkere Bedeutung hatte. In zwei Bänden 1826 erschienen, ist er ein Teil der 6. Lieferung der Reisebeschreibung, vermutlich stammt er sogar von demselben Satz. Nur die Reihenfolge der Texte wurde leicht geändert: Band 1 und der Anfang von Band 2 des Essays entsprechen in der Oktavausgabe Tom 11 und Beginn von T. 12 (bis S. 212)[1], d. h. das gesamte Kapitel 28 einschließlich der ”Notes”, die wiederum abgeschlossene Abhandlungen zu bestimmten ökonomischen Themen, beispielsweise ein Artikel über den Zuckerverbrauch und –handel sind. Dem zweiten Band wurden Teile aus anderen Bänden der Reiseschilderung hinzugefügt, die aber nicht eigentlich nur Kuba betreffen: das Kapitel 26 aus T. 9[2], eine wirtschaftsgeographische Untersuchung über Venezuela und teilweise Kapitel 27 aus T. 11 (Apercu général de la population des Antilles, comparée à la population du Nouveau Continent [...]”)[3]. Als eine Art Einleitung wurde dem Kuba-Essay die ”Analyse raisonnée” vorangestellt, die bibliographisch noch komplizierter ist, denn sie erschien dreifach: im Hauptwerk, der ”Relation historique”[4], dann im Kuba-Essay, also einem Separatum des Hauptwerks, und dann nochmals als Separatum dieses Separatums! Und in allen diesen Fassungen im wesentlichen unverändert. Hier wird nun besonders deutlich, was bereits mehrfach - auch bei den Übersetzungen - angedeutet wurde, daß die Frage, welches die letzte Fassung ist, nur durch einen gründlichen Vergleich der Texte und detaillierte historische Studien zu klären ist.[5] Oft gibt es keine eigentlich hierarchische Abstufung. Ist die ”Analyse separée” ein Separatum des Kuba-Essay, der wiederum ein Separatum der ”Relation historique” ist, oder sind beide hierarchisch gleichwertige Separata von letzterem Werk? Oder ist der Kuba-Essay primär und kurzerhand der Reiseschilderung angehängt worden, als Humboldt wegen der Fortführung der Reiseschilderung von seinem Verleger gedrängt wurde?

Auch die dritte Kuba betreffende Schrift, das ”Tableau statistique”, ist ein Separatum sowohl des Kuba-Essays als auch der Reiseschilderung. Sie erschien 1831 und beinhaltet neue Daten, die Humboldt inzwischen aus einem 1829 in Kuba publizierten Bericht zugänglich waren - wie überhaupt im Laufe der Entstehungszeit des Reiseberichts mehr und mehr auch neuere Daten aus Publikationen bzw. Korrespondenzen einflossen, so daß dieser immer weniger ein Bericht des Zustandes während seiner Amerikareise war. Humboldt war nicht nur um Aktualität besorgt, sondern wollte auch permanent Vergleichsdaten liefern. So findet man auch Beschreibungen und Daten von nicht während der Reise besuchten lateinamerikanischen Orten und Landschaften in seinem Reisebericht wieder, ja in die letzte Lieferung (1831) flossen sogar Vergleiche mit der inzwischen stattgefundenen Asienreise ein.

Da eine eigentliche geologische Partie nicht zustande kam, sind in die „Relation historique“ einzelne geologische Essays eingegliedert, die man hier nicht vermutet. Auf einige wurde bereits hingewiesen, s. Dim. II. Es soll hier als ein Beispiel noch die Übersicht ”Esquisse d’un tableau géognostique de l’Amérique méridionale” genannt werden, separat 1825 erschienen und Teil der gleichzeitig erschienenen fünften Lieferung der ”Relation historique”. Hier gilt ebenfalls das für den Kuba-Essay gesagte, vermutlich handelt es sich aber nur um eine Art ”Sonderdruck”.  

Auch in anderen Bänden des Reisewerks trifft man auf Texte, die nochmals als Separatdrucke publiziert wurden: so stammen die Schriften ”Conspectus”, ”Nivellement” und ”Tablas hypsometricas” aus der Astronomie. Jeder dieser Fälle wäre nochmals genau zu prüfen und gesondert zu behandeln: ”Nivellement barométrique” ist ein textidentisches Separatum, während der ”Conspectus” eine Art Beischrift ist, inhaltlich aus der ”Astronomie”, aber neu geschrieben für den praktischen Gebrauch.

Wie bereits oben erwähnt, war die pflanzengeographische Partie 1807 als erste nach der Rückkehr publiziert. 1817 erschien ebenfalls als ein weiteres pflanzengeographisches Werk ”De distributione geographica plantarum”, das aber wieder nur ein Separatum entsprechender Texte aus dem botanischen Werk ”Nova genera” ist.

Daneben sind einzelne Texte des Reisewerks auch als Zeitschriftenartikel gedruckt worden. So hatte Humboldt am 29. Juni 1818 vor der Académie des sciences in Paris einen Vortrag über das tropische Klima gehalten, der in deutscher Übersetzung im Journal für Chemie und Physik publiziert wurde[6]. Der Inhalt dieses Artikels floß in den zweiten Band (Kap. 18) der ”Relation historique” ein, hier nicht durch Kapitelunterteilung als ein separater Essay (d. h. Typus 3 von Dim. 2) gekennzeichnet, der er eigentlich ist.

Weitere Beispiele für separate Abdrucke kleinerer Abschnitte in Zeitschriften sind:

Aus Partie 1.1 (”Relation historique”)

Aus Partie 1.2 (”Vues des Cordillères”)

Aus Partie 2 (“Zoologie”)

Aus Partie 3 (“Mexiko-Werk”)

Aus Partie 4 ("Astronomie")

Aus Partie 6 ("Botanik")

Auch diese Liste ließe sich mit entsprechender Forschung sicher noch erweitern. Genaue inhaltliche Vergleiche der entsprechenden Passagen der ”Relation historique” mit den gedruckten Artikeln (und damit Hinweise darüber, ob es sich bei den Artikeln um Wieder- oder Vorabdrucke handelt) gibt es bisher ebenfalls nur in Einzelfällen.[7]

Nicht nur Werbung für die Publikation seines Reisewerks, sondern mehr noch die Betonung  des wissenschaftlichen Charakters einzelner Passagen, der in einer Reisebeschreibung untergegangen wäre, war wohl Humboldts Absicht bei einer nochmaligen Publikation in einem wissenschaftlichen Periodikum. Humboldt publizierte hier Verallgemeinerungen auf Grund der Vielzahl der Daten - Versuche, mittels der gesammelten Tatsachen zu allgemeinen Schlußfolgerungen und Theorien in den einzelnen naturhistorischen Disziplinen wie Klimatologie, Geologie usw. zu gelangen. Die disziplinäre Aufsplittung (s. Dim. I) findet man folglich nicht nur in den einzelnen Partien, sondern auch innerhalb des Reiseberichts selbst.

Die über das Reisewerk hinausgehende Vernetzung in Humboldts Œuvre kann hier nur skizziert werden. Erst die Möglichkeit, Humboldts unzählige Fußnoten als Links wahrzunehmen (beispielsweise durch eine Digitalisierung) ließe uns die vielfachen Verzweigungen sichtbar werden, die hier nur in wenigen Beispielen prototypartig gezeigt werden können.

Außerdem sollte an dieser Stelle auf weitere selbständige Schriften jenseits des Reisewerks hingewiesen werden, die ebenfalls Ergebnisse der Amerikareise beinhalten, wie die ”Ansichten der Natur”, der ”Kosmos” und der ”Essai géognostique”. Blättert man die umfangreichen Anmerkungen der ”Ansichten” durch, so stößt man dauernd auf Verweise auf einzelne Bände des Reisewerks. Ein Beispiel: Im Abschnitt ”Über die Wasserfälle des Orinoco” nennt Humboldt bei der Beschreibung der Umgebung auch die Bertholletia excelsea und verweist in der dazugehörigen Anmerkung auf „Plantes équinoxiales“, T. I, p. 122 und „Relation historique“ T. II p. 474, 496, 558-563. Da weder an der entsprechenden Textstelle in der „Relation historique“ noch in dem botanischen Band aufeinander verwiesen wird, kann hier den ”Ansichten der Natur” sogar die Vermittlerrolle zwischen beiden in der Herstellung eines Links zukommen.

Noch wesentlicher ist die Rolle des ”Essai géognostique...”. Da die ursprünglich geplante geologische Partie[8] nicht zustande kam, sind in dieses Werk viele der geologischen Ergebnisse der Amerikareise eingeflossen. Ein Vergleich der geologischen Essays der “Relation historique” bzw. der in Zeitschriften abgedruckten Separata mit dem Text des ”Essai géognostique” steht ebenfalls noch aus.



[1] In der Quartausgabe T. 3, S. 345-501

[2] In der Quartausgabe T. 3, S. 56-154

[3] In der Quartausgabe T. 3, S. 330-344

[4] In der Quartausgabe T. 3, S. 580-589, und in  der Oktavausgabe sogar doppelt: als Abschluß der 1826 erschienenen 6. Lieferung und als Beginn der erst 1831 erschienenen siebenten, der letzten Lieferung!

[5] Beispielsweise Humboldts Korrespondenzen mit seinen Verlegern und Buchhandelsanzeigen, s. Fiedler/Leitner 2000

[6] Humboldt, A. v. 1818

[7] Grundlagen sind bereits gelegt mit dem Verzeichnis “Alexander von Humboldts unselbständige Schriften” im Internet. LINK

[8] Vgl. Leitner 1994

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