Gespiegelte Fassung der elektronischen Zeitschrift auf dem Publikationsserver der Universität Potsdam, Stand: 18. August 2009 |
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Ulrike Leitner
Alexander-von-Humboldt-Forschungsstelle der Berlin-Brandenburgischen Akademie der WissenschaftenAus dem Humboldt-Nachlaß: Juan José de Oteyzas Beschreibung der Pyramiden von Teotihuacán
Einleitung
In der Handschriftenabteilung der Biblioteka Jagiellonska in Kraków (Polen) liegt ein Teil des Humboldt-Nachlasses, der nach der Auslagerung im 2. Weltkrieg lange als verschollen galt. (Zur Geschichte des Nachlasses in der ursprünglichen Königlichen Bibliothek, heute in SBPK Berlin und Bibl. Jag. Kraków s. Einleitung in Humboldt 2005, 7-10). Die Kästen 1-3 beinhalten die von Humboldt mehrfach erwähnten “Papiere zur Statistik und Geographie von Mexiko und Kuba”, also das von ihm zu diesen beiden Ländern gesammelte Material, das er - neben seinen Tagebüchern, die sich heute in der Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz - später für die Publikation seines Mexiko- (s. Fiedler/Leitner Nr. 4.6) sowie Kuba-Werks (s. Fiedler/Leitner Nr. 4.2.1) benutzte. Bekanntlich flossen in diese für die Geschichte und Landeskunde beider Länder bedeutenden Werke nicht nur Humboldts eigene Beobachtungen und Vermessungen während seiner Amerikareise ein, sondern auch Material, das er direkt während seines Aufenthaltes dort und später durch Briefe von anderen - Geographen, Reisenden, Ingenieuren, Verwaltungsbeamten usw. - erhielt. Diese Kontakte sind bisher meist ausschließlich aus der Analyse der gedruckten Werke Humboldts untersucht worden.[1] Humboldts Nachlaß dagegen enthält neben vielen Notizen Humboldts auch Originaldokumente, die ihm gegeben bzw. zugesandt wurden, und die bisher unbekannt geblieben sind. Als ein Beispiel soll hier ein Heft von Juan José de Oteyza mit einer Beschreibung der Pyramiden von Teotihuacán aus dem Jahr 1803 gezeigt werden (Humboldt-Nachlaß, Bibl. Jag. Kasten 2). In der vorangestellten einleitenden Beschreibung des Textes von Oteyza (O) werden einige Zitate aus Humboldts Mexiko-Werk (H = Humboldt, A. v. (1827)) hinzugefügt, an denen man erkennen kann, wie eng sich teilweise Humboldt an die Vorlage (den Text von Oteyza) gehalten hat.
Oteyza, Schüler und ab 1804 Mathematiklehrer an der Berghochschule (Real Seminario de Minería) in Mexiko-Stadt, war einer der fachlich wichtigen Kontakte Humboldts in Mexiko (vgl. auch Humboldt 2005, 25). Mit ihm hat er Ende 1803 die Berechnung des Flächengröße von Mexiko durchgeführt, dessen Ergebnis in die von Humboldt während seines Aufenthaltes an der Berghochschule 1803 verfaßten “Tablas geográfico-políticas” (Humboldt, A. v. (1970), 45) und nach seiner Rückkehr in das Mexiko-Werk (Humboldt, A. v. (1827), II, 10) einflossen. Nach Humboldts Weiterreise wurde der Datenaustausch wohl brieflich weitergeführt, es ist jedoch nur ein Brief überliefert (Humboldt an Oteyza, Puebla, 27.1.1804 in Humboldt, A. v. (1993), 202).
Der Text, das hier als Kopie wiedergegeben wird, beinhaltet eine Zusammenfassung der von Oteyza studierten Literatur und seine eigenen Beobachtungen und Messungen in der berühmten Pyramidenanlage Teotihuacán aus dem Jahr 1803. Humboldt, der die Anlage selbst nicht besucht hatte, hat Oteyzas Informationen in seine Beschreibungen im Mexiko-Werk (Humboldt 1827, II, 66-70) und in die “Vues des Cordillères“ (erschienen 1810-1813, Humboldt 2004, 48) übernommen, jedes Mal unter Verweis auf Oteyza neben anderen Quellen.[2]
Oteyza referiert zunächst aus dem ihm zur Verfügung stehenden Material von Torquemada, García, Boturini, Clavijero, Betancourt, Herrera ,Acosta, Sigiuenza ... Diese kritische Zusammenstellung umfaßt die ersten acht Seiten. Dann folgt die Erzählung seiner eigenen Beobachtungen. Zu Beginn zählt er die für die Vermessung der verwendeten Geräte und Methoden auf (
O.9) und diskutiert die möglichen Fehlerquellen und -berichtigungen (
O.10). Die Sonnenpyramide ist nach seinen Berechnungen die größere, ihre westliche Seite frei von Unkraut, also gut meßbar, und wie aus einem Stück (
O.9). Es folgt eine tabellarische Zusammenstellung ihrer Höhe und Breite und verschiedener für die geometrische Berechnung gemessener Abstände (
O.11)[3], darunter auch das daraus errechnete Volumen (bei
O.11 „solidéz“)[4]. Oteyzas Angaben sind jeweils in mexikanischen varas und französischen toises. Sogar die von Oteyza angegebene Umrechnung “una vara Mexicana es igual a treinta y una pulgada del pie de Rey de Paris” (
O.12) nach Velazquez wiederholt Humboldt in einer Fußnote.[5] Unter der Überschrift “Struktur der Pyramide” (
O.12) liest man eine genaue Beschreibung der Sonnenpyramide: sie ist quadratisch, aus mindestens drei Körpern, konstruiert vermutlich aus kleinen Steinen verbunden mit Tonerde, bedeckt von Tezontle (poröser Mandelstein) und Tonerde, von außen gebleicht mit Kalk.[6] Der Aufstieg auf der Treppe ist mühsam und gefährlich wegen der herumliegenden Ruinen. Oteyza vermutet, daß für die Konstruktion nicht bereits natürlich vorhandene Hügel genutzt wurden, sondern daß sie gänzlich von Menschenhand gebaut seien.[7]
Dann beschreibt Oteyza die ebenfalls genau untersuchte Mondpyramide (
O.13/14), die durch einige Ausgrabungen entstellt sei. Seit 1743 kann man mit dem Pferd nach oben gelangen, wo seitdem eine Kapelle erbaut wird - man beachte die Parallele zu Cholula! Diese beiden großen Pyramiden werden von vielen kleineren umgeben, die aus ähnlichem Material beschaffen und in kleinen Plätzen und entlang einer langen und breiten Straße angeordnet seien (
O.14/15).[8] Oteyza vermutet, daß sie den Sternen und Planeten gewidmet waren (
O.15) und stimmt der Angabe von Torquemada, daß es etwa 2000 wären, zu. Die gesamte Anlage sei bekannt unter dem Namen Los Cues, den die ersten Spanier aus Kuba oder Santo Domingo (heute Haiti) mitgebracht hätten.[9] Auch bearbeitete und verzierte Steine, die als Idole dienten, werden beschrieben (
O.16). In einem Postscriptum erwähnt er, daß er viele geschliffene Obsidianbruchstücke gesehen hätte, die sicher als Messer für Opferungen bei heidnischen Bräuchen gedient hätten (
O.19)[10].
Der Text von Oteyza - in dem man in seiner Betonung der Messungen und Meßtechnik den Einfluß Humboldts spürt - kann als ein Beispiel dafür dienen, wie Humboldt seine Quellen in die Publikationen eingearbeitet hat. Dabei sollte ergänzend bemerkt werden, daß in Humboldts Beschreibung von Teotihuacán auch Tatsachen anderer Autoren bzw. Reisender einflossen, die er miteinander und mit denen von Oteyza verglich.
[1] Insbesondere in Mexiko erschienen einige fundierte Untersuchungen, die meist ausschließlich das Mexiko-Werk analysieren (z. B. Stevens-Middleton, R. L. (1956), Miranda (1995), Trabulse, E. (1992) sowie die entsprechenden Artikel in den Katalogbänden zu den Humboldt-Ausstellungen in Mexiko-Stadt (Holl, F. (1997) und Holl, F. (2003)).
[2] H 66: D’après les mesures faites en 1803, par un jeune savant mexicain, le docteur Oteyza [...]
[3] H 66/67: [...] la première pyramide, qui est la plus australe, a, dans son état actuel, une base de 208 mètres (645 pieds) de long, et 55 mètres (66 varas mexicaines ou 171 p.) d’élévation perpendiculaire.
[4] H 69: [...] dont l’un (le Tonatiuh Ytzaqual) d’après les mesures exactes de mon ami, M. Oteyza, a une masse de 128,970 toises cubes.
[5] H 67: Velasquez a trouvé que la vare mexicaine a exactement 31 pouces de l’ancien pied du roi (de Paris).
[6] H 67/68: Leur intérieur est de l’argile mêlé de petites pierres. Ce noyau est revêtu d’un mur épais d’amigdaloide poreuse. On y reconnait, des traces d’une couche de chaux qui enduit les pierres (le tetzontli) par dehors [...] Ils formaient quatre assises, dont on ne reconnaît aujourd’hui que trois.
[7] H 69: [...] la question, si ces édifices curieux, ont été entièrement construits à mains d’hommes, ou si les Toultèques ont profité de quelque colline naturelle qu’ils ont revêtue de pierres et de chaux? [...] Leur situation dans des plaines où l’on ne trouve aucune autre colline rend même assez probable qu’aucun rocher naturel ne sert de noyau à ces monumens.
[8] H 69/70: [...] tout à l’entour des maisons du Soleil et de la Lune de Teotihuacan, on trouve un groupe, j’ose dire un système de pyramides, qui ont a peine neuf à dix mètres d’élévation. Ces monumens, dont il y a plusieurs centaines, sont disposés dans des rues très larges qui suivent exactement des parallèles et des méridiens, et qui aboutissent aux quatre faces des deux grandes pyramides.
[9] H 70: Toute cette plaine que les Espagnols, d’après un mot de la langue de l’île de Cuba, appellent Llano de los Cues [...]
[10] H 68: Ces gradins sont couverts de fragmens d’obsidienne qui, sans doute étaient les instrumens tranchans avec lesquels, dans leurs sacrifices barbares, les prêtres toultèques et aztèques [...] ouvraient la poitrine aux victimes humaines.
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