Gespiegelte Fassung der elektronischen Zeitschrift auf dem Publikationsserver der Universität Potsdam, Stand: 18. August 2009 |
---|
______________________________________________________
Eva-Maria Siegel
Repräsentation und Augenschein.
Organisation des Wissens und Wahrnehmung des Fremden um 1800 am Beispiel der Reiseberichte und -tagebücher Alexander von Humboldts
4. Das Medium des Naturgemäldes als Präsentationsform
Das Beziehungsgefüge von Sinnenwelt und Sinnwelt erweist sich als der Dreh- und Angelpunkt der narrativen Struktur von Humboldts Reisebeschreibung. Zugleich betrifft die Organisation der Sinnwelt auch deren eigene räumliche Syntax. Befragt man Humboldts Schreibweise auf ihre narrative Struktur sowie auf ästhetische Komponenten hin, so zeigt sich, dass weitgehend die Gattungszuordnung unterlaufende Textformen ausgebildet werden. Hartmut Böhme hat sie als “Hybriden” beschrieben, als “Kreuzungen und Wucherungen”, die den Haupttext umschlingen, erweitern, verzweigen, rhizomartig unterwandern.”[1] Das Zeichnen kartographischer Ordnungsmodelle soll dabei eine Anschaulichkeit ermöglichen, die dennoch dem Ort verbunden bleibt, an dem die Produkte des Wissens ausgestellt werden. Diesen Ort stellt für Humboldt das Medium des ‘Naturgemäldes’ dar. Die technisch, durch Buchdruck und Lithographie reproduzierte Vielfalt der dargestellten Landschaften soll sich in diesem Vermittlungsraum durch jene Beziehungen komplettieren, die zwischen Text und Bild errichtet werden. Ganz dem Zeichen der Bemühung um einen “Nutzen” für den Leser unterstellt, sollen sie diesem schließlich erlauben, die “Fülle der Beobachtungen so miteinander zu verbinden”, dass sie schließlich “ein allgemeines Gemälde bilden.”[2]
Das Gestaltungsmittel des Naturgemäldes, der Vorrede zur ersten Ausgabe der Ansichten der Natur entnommen, dient vor allem aber dazu, sein Schreiben von dem abzugrenzen, was er “dichterische Prosa” nennt. Gleichwohl zielen seine Leistungen ausdrücklich auf eine “ästhetische Behandlung naturhistorischer Gegenstände”. So führt er an gleicher Stelle aus:
“Ueberblick der Natur im großen, Beweis von dem Zusammenwirken der Kräfte, Erneuerung des Genusses, welchen die unmittelbare Ansicht der Tropenländer dem fühlenden Menschen gewährt, sind die Zwecke, nach denen ich strebe. Jeder Aufsatz sollte ein in sich geschlossenes Ganzes ausmachen, in allen sollte eine und dieselbe Tendenz sich gleichmäßig aussprechen. Diese ästhetische Behandlung naturhistorischer Gegenstände hat, trotz der herrlichen Kraft und der Biegsamkeit unserer vaterländischen Sprache, große Schwierigkeiten der Composition. Reichthum der Natur veranlaßt Anhäufung einzelner Bilder, und Anhäufung stört die Ruhe und den Totaleindruck des Gemäldes. Das Gefühl und die Phantasie ansprechend, artet der Styl leicht in eine dichterische Prosa aus.”[3]
Das klingt nicht nach einer strengen Scheidung von ästhetischer Erfahrung und wissenschaftlichem Ertrag. Schönheit und Wahrheit schließen in Humboldts Perspektive einander nicht aus. Das Zusammenwirken der Kräfte in der Außenwelt, gebündelt in einem ganzheitlichen Naturbegriff, scheint sich im Medium ihrer Wiedergabe wiederholen zu wollen – in Form einer “Textur”, die “eine Art Mimesis der Vernetzungsformen von Natur selbst”[4] sein soll.
Humboldts Leitvorstellung, den ‚Augenschein’ gleichermaßen zum Gegenstand des Genusses wie der Erkenntnis zu machen, erweist sich von daher von den Debatten der ‚Sattelzeit’ um 1800 vorgeprägt. Die Forschung hat herausgearbeitet, dass es sich gleichsam um ein Triumvirat handelt, das - aus Goethe, Schiller und den Gebrüdern Humboldt bestehend – das “Projekt einer Verbindung von Naturwissenschaft und ästhetischer Erfahrung”[5] vorangetrieben hat. Bestrebt, “der deutschen Literatur eine Klassik zu besorgen”, habe der “germanistische Blick auf die deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts” [6] die damit verbundene Auseinandersetzung allerdings lange Zeit ausgeklammert. Diese Argumentation stützt sich unter anderem auf Belege, dass Goethe seine Verbindung mit der Naturforschung “an der Weimarer Klassik vorbei”[7] stets aufrechterhalten hat. Der “Jenaer Urszene im Juli 1794”, dem Gespräch zwischen Goethe und Schiller über die Unterscheidung von Erfahrung und Idee, ordnen Kreutzers Ausführungen andererseits auch jene Zielvorstellung zu, die sich als Humboldts wichtigstes ‘Instrument’ auf seinen Reisen erweist: das Schließen eines Bundes zwischen dem organisierten Wissen und dem, was er später in einem Brief an Goethe die “Fähigkeit” nennt, “die Natur zu fühlen”.[8]
Betrachtet man den Briefwechsel genauer, findet sich darin ein weiteres Argument für Humboldts Grenzwanderung zwischen Morphologie und Verzeitlichung. “Da Ihre Beobachtungen vom Element, die meinigen aber von der Gestalt ausgehen, so können wir nicht genug eilen, uns in der Mitte zu begegnen”[9], schreibt Goethe im Juni 1795 an Humboldt. Der Begriff der Gestalt aber erweist sich in dessen Reiseberichten von nicht unerheblicher Relevanz. Überraschenderweise bezieht er sich aber nicht nur auf eine Morphologie der Pflanzen oder der Tiere, sondern auch auf die Entwicklung kultureller Phänomene. Worum es geht, sind Linien und Rhythmen, Formen der Wiederholung und der Wiederkehr - und zwar diejenigen, die verschiedenen Kulturen gemeinsam sind. Aus “Arabesken” und “Mäandern” bestehend, vergnügen sie “das Auge”, weil sie “in rhythmischer Folge aneinandergereiht” sind:
“Das Auge verhält sich zu dieser Anordnung, zu dieser periodischen Wiederkehr derselben Formen wie das Ohr zur taktmäßigen Aufeinanderfolge von Tönen und Akkorden. Kann man aber in Abrede ziehen, daß beim Menschen das Gefühl für den Rhythmus schon beim ersten Morgenrot der Kultur, in den rohesten Anfängen von Gesang und Poesie zum Ausdruck kommt?” [10]
Diese Überkreuzung von Seh- und Hörsinn wendet das Ideal des Kunstschönen auf Phänomene der materiellen Kultur an. Besonders in solchen Passagen wird dem Naturgemälde eine Intention ästhetischer Harmonie auferlegt, die den Augenschein und das Repräsentative in analoger Weise aufeinander bezieht. Wenn alles Wechselwirkung ist, wenn Wechselwirkung alles ist, wenn natürliche wie artifizielle Phänomene nur als “allgemeine Verkettung” zu begreifen sind, dann muss das “Band”, das “die ganze organische Natur”[11] umschlingt, noch seine Gegenwelten in sich einschließen.
[1] Hartmut Böhme: Ästhetische Wissenschaft. Aporien der Forschung im Werk Alexander von Humboldts, in: Ottmar Ette u.a. (Hrsg.): Alexander von Humboldt – Aufbruch in die Moderne [Anm. 29], S. 24.
[2] Alexander von Humboldt: Die Wiederentdeckung der Neuen Welt, [Anm. 6], S. 326.
[3] Alexander von Humboldt: Ansichten der Natur, mit wissenschaftlichen Erläuterungen. Dritte verbesserte und vermehrte Aufl. Bd. 1, Stuttgart u. Tübingen 1849, S. VII-VIII.
[4] Hartmut Böhme: Ästhetische Wissenschaft. Aporien der Forschung im Werk Alexander von Humboldts, in: Ottmar Ette u.a. (Hrsg.): Alexander von Humboldt – Aufbruch in die Moderne [Anm. 29], S. 24.
[5] Leo Kreutzer: Alexander von Humboldt und die Gruppe 94, [Anm. 28], S. 80.
[6] Ebd., S. 79f.
[7] Ebd., S. 85.
[8] Goethes Briefwechsel mit Wilhelm und Alexander von Humboldt. Hrsg. von Ludwig Geiger. Mit e. Gravüre, die beiden Standbilder darstellend. Berlin (1909), S. 305, Brief vom 3. Januar 1810.
[9] Goethes Naturwissenschaftliche Correspondenz. Erster Bd. Leipzig 1874, S. 310.
[10] Alexander von Humboldt: Die Wiederentdeckung der Neuen Welt, [Anm. 6], S. 128.
[11] Alexander von Humboldt: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung [1845], in: Ders.: Studienausgabe. Bd. 7. Hrsg. von Hanno Beck. Darmstadt 1993, Teilbd. 1, S. 39.
______________________________________________________
<< letzte Seite | Übersicht | nächste Seite >>