Gespiegelte Fassung der elektronischen Zeitschrift auf dem Publikationsserver der Universität Potsdam, Stand: 18. August 2009 |
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Eva-Maria Siegel
Repräsentation und Augenschein.
Organisation des Wissens und Wahrnehmung des Fremden um 1800 am Beispiel der Reiseberichte und -tagebücher Alexander von Humboldts
5. Eine andere Moderne?
An der Bewertung der lebenslangen Bemühung Humboldts, alles Einzelwissen einzuschmelzen in ein gleichsam ästhetisches Weltkontinuum, polarisieren sich heute Standpunkte der interdisziplinären Diskussion. Organisation des Wissens und Wahrnehmung des Fremden, das wird daran unter anderem deutlich, zeigen sich im Falle des Grenzgängers Humboldt eng verflochten mit der grenzüberschreitenden Verantwortung für das Kunstwerk Welt. Es stellt den eigentlichen Gegenstand, das Faszinosum all seiner ‚Augenreisen’ dar. Ob dies als “Aufbruch in die Moderne” (Ottmar Ette) oder als “Entwurf einer anderen Moderne” (Leo Kreutzer) zu bewerten ist, kann nur die weitere Debatte zeigen. Doch erhebt sich in beiden Fällen die Dringlichkeit, jenes “Wunderbare zu bergen”[1], das in unseren eigenen Wahrnehmungen und Repräsentationen verborgen liegt. Auch wenn solche Bergungsakte eine gewisse “Unersättlichkeit” hinsichtlich der das “Interesse weckenden Materialien und Strukturen” mit sich führen, vermag das Eindringen in das “noch weitgehend unbearbeitete Feld der Wahrnehmungsgeschichte”[2] vielleicht einen jener raren Vorsprünge darzustellen, über deren Schneefelder zu tasten jeder Gang über den Abgrund Humboldts Auskunft nach bedarf. Denn schließlich, um am Ende Hans Magnus Enzensberger das Wort zu erteilen:
“wozu hat er all das ertragen: Insekten, Schlingpflanzen, Regengüsse und die verdrossenen Blicke der Indianer? Es war nicht das Zinn, die Jute, der Kautschuk, das Kupfer. Ein Gesunder war er, der mit sich die Krankheit ahnungslos schleppte, ein uneigennütziger Bote der Plünderung, ein Kurier, der nicht wußte, daß er die Zerstörung dessen zu melden gekommen war, was er, in seinen Naturgemälden [...] liebevoll malte.”[3]
[1] Stephen Greenblatt: Wunderbare Besitztümer, [Anm. 3], S. 43.
[2] Lesbarkeit der Kultur. Literaturwissenschaft zwischen Kulturtechnik und Ethnographie. Hrsg. von Gerhard Neumann und Sigrid Weigel. München 2000, S. 13.
[3] Hans Magnus Enzensberger: Alexander von Humboldt (1769-1859), in: Mausoleum. 37 Balladen aus der Geschichte des Fortschritts. Frankfurt a.M. 1984, S. 64f., zit. nach: Alexander von Humboldt. Netzwerke des Wissens, [Anm. 29], S. 17.
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Engelhard Weigl
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