@phdthesis{Domahs2006, author = {Domahs, Frank}, title = {Semantische Repr{\"a}sentation, obligatorische Aktivierung und verbale Produktion arithmetischer Fakten}, url = {http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:kobv:517-opus-12506}, school = {Universit{\"a}t Potsdam}, year = {2006}, abstract = {Die vorliegende Arbeit widmet sich der Repr{\"a}sentation und Verarbeitung arithmetischer Fakten. Dieser Bereich semantischen Wissens eignet sich unter anderem deshalb besonders gut als Forschungsgegenstand, weil nicht nur seine einzelne Bestandteile, sondern auch die Beziehungen dieser Bestandteile untereinander außergew{\"o}hnlich gut definierbar sind. Kognitive Modelle k{\"o}nnen also mit einem Grad an Pr{\"a}zision entwickelt werden, der in anderen Bereichen kaum je zu erreichen sein wird. Die meisten aktuellen Modelle stimmen darin {\"u}berein, die Repr{\"a}sentation arithmetischer Fakten als eine assoziative, netzwerkartig organisierte Struktur im deklarativen Ged{\"a}chtnis zu beschreiben. Trotz dieser grunds{\"a}tzlichen {\"U}bereinstimmung bleibt eine Reihe von Fragen offen. In den hier vorgestellten Untersuchungen werden solche offene Fragen in Hinsicht auf drei verschiedene Themenbereiche angegangen: 1) die neuroanatomischen Korrelate 2) Nachbarschaftskonsistenzeffekte bei der verbalen Produktion sowie 3) die automatische Aktivierung arithmetischer Fakten. In einer kombinierten fMRT- und Verhaltensstudie wurde beispielsweise der Frage nachgegangen, welche neurofunktionalen Entsprechungen es f{\"u}r den Erwerb arithmetischer Fakten bei Erwachsenen gibt. Den Ausgangspunkt f{\"u}r diese Untersuchung bildete das Triple-Code-Modell von Dehaene und Cohen, da es als einziges auch Aussagen {\"u}ber neuroanatomische Korrelate numerischer Leistungen macht. Das Triple-Code-Modell geht davon aus, dass zum Abruf arithmetischer Fakten eine „perisylvische" Region der linken Hemisph{\"a}re unter Einbeziehung der Stammganglien sowie des Gyrus angularis n{\"o}tig ist (Dehaene \& Cohen, 1995; Dehaene \& Cohen, 1997; Dehaene, Piazza, Pinel, \& Cohen, 2003). In der aktuellen Studie sollten gesunde Erwachsene komplexe Multiplikationsaufgaben etwa eine Woche lang intensiv {\"u}ben, so dass ihre Beantwortung immer mehr automatisiert erfolgt. Die L{\"o}sung dieser ge{\"u}bten Aufgaben sollte somit - im Gegensatz zu vergleichbaren unge{\"u}bten Aufgaben - immer st{\"a}rker auf Faktenabruf als auf der Anwendung von Prozeduren und Strategien beruhen. Hingegen sollten unge{\"u}bte Aufgaben im Vergleich zu ge{\"u}bten h{\"o}here Anforderungen an exekutive Funktionen einschließlich des Arbeitsged{\"a}chtnisses stellen. Nach dem Training konnten die Teilnehmer - wie erwartet - ge{\"u}bte Aufgaben deutlich schneller und sicherer beantworten als unge{\"u}bte. Zus{\"a}tzlich wurden sie auch im Magnetresonanztomografen untersucht. Dabei konnte zun{\"a}chst best{\"a}tigt werden, dass das L{\"o}sen von Multiplikationsaufgaben allgemein von einem vorwiegend linkshemisph{\"a}rischen Netzwerk frontaler und parietaler Areale unterst{\"u}tzt wird. Das wohl wichtigste Ergebnis ist jedoch eine Verschiebung der Hirnaktivierungen von eher frontalen Aktivierungsmustern zu einer eher parietalen Aktivierung und innerhalb des Parietallappens vom Sulcus intraparietalis zum Gyrus angularis bei den ge{\"u}bten im Vergleich zu den unge{\"u}bten Aufgaben. So wurde die zentrale Bedeutung von Arbeitsged{\"a}chtnis- und Planungsleistungen f{\"u}r komplexe unge{\"u}bte Rechenaufgaben erneut herausgestellt. Im Sinne des Triple-Code-Modells k{\"o}nnte die Verschiebung innerhalb des Parietallappens auf einen Wechsel von quantit{\"a}tsbasierten Rechenleistungen (Sulcus intraparietalis) zu automatisiertem Faktenabruf (linker Gyrus angularis) hindeuten. Gibt es bei der verbalen Produktion arithmetischer Fakten Nachbarschaftskonsistenzeffekte {\"a}hnlich zu denen, wie sie auch in der Sprachverarbeitung beschrieben werden? Solche Effekte sind nach dem aktuellen „Dreiecksmodell" von Verguts \& Fias (2004) zur Repr{\"a}sentation von Multiplikationsfakten erwartbar. Demzufolge sollten richtige Antworten leichter gegeben werden k{\"o}nnen, wenn sie Ziffern mit m{\"o}glichst vielen semantisch nahen falschen Antworten gemeinsam haben. M{\"o}glicherweise sollten demnach aber auch falsche Antworten dann mit gr{\"o}ßerer Wahrscheinlichkeit produziert werden, wenn sie eine Ziffer mit der richtigen Antwort teilen. Nach dem Dreiecksmodell w{\"a}re dar{\"u}ber hinaus sogar der klassische Aufgabengr{\"o}ßeneffekt bei einfachen Multiplikationsaufgaben (Zbrodoff \& Logan, 2004) auf die Konsistenzverh{\"a}ltnisse der richtigen Antwort mit semantisch benachbarten falschen Antworten zur{\"u}ckzuf{\"u}hren. In einer Reanalyse der Fehlerdaten von gesunden Probanden (Campbell, 1997) und einem Patienten (Domahs, Bartha, \& Delazer, 2003) wurden tats{\"a}chlich Belege f{\"u}r das Vorhandensein von Zehnerkonsistenzeffekten beim L{\"o}sen einfacher Multiplikationsaufgaben gefunden. Die Versuchspersonen bzw. der Patient hatten solche falschen Antworten signifikant h{\"a}ufiger produziert, welche die gleiche Zehnerziffer wie das richtigen Ergebnisses aufwiesen, als ansonsten vergleichbare andere Fehler. Damit wird die Annahme unterst{\"u}tzt, dass die Zehner- und die Einerziffern zweistelliger Zahlen separate Repr{\"a}sentationen aufweisen - bei der Multiplikation (Verguts \& Fias, 2004) wie auch allgemein bei numerischer Verarbeitung (Nuerk, Weger, \& Willmes, 2001; Nuerk \& Willmes, 2005). Zus{\"a}tzlich dazu wurde in einer Regressionsanalyse {\"u}ber die Fehlerzahlen auch erstmalig empirische Evidenz f{\"u}r die Hypothese vorgelegt, dass der klassische Aufgabengr{\"o}ßeneffekt beim Abruf von Multiplikationsfakten auf Zehnerkonsistenzeffekte zur{\"u}ckf{\"u}hrbar ist: Obwohl die Aufgabengr{\"o}ße als erster Pr{\"a}diktor in das Modell einging, wurde diese Variable wieder verworfen, sobald ein Maß f{\"u}r die Nachbarschaftskonsistenz der richtigen Antwort in das Modell aufgenommen wurde. Schließlich wurde in einer weiteren Studie die automatische Aktivierung von Multiplikationsfakten bei gesunden Probanden mit einer Zahlenidentifikationsaufgabe (Galfano, Rusconi, \& Umilta, 2003; Lefevre, Bisanz, \& Mrkonjic, 1988; Thibodeau, Lefevre, \& Bisanz, 1996) untersucht. Dabei sollte erstmals die Frage beantwortet werden, wie sich die automatische Aktivierung der eigentlichen Multiplikationsergebnisse (Thibodeau et al., 1996) zur Aktivierung benachbarter falscher Antworten (Galfano et al., 2003) verh{\"a}lt. Ferner sollte durch die Pr{\"a}sentation mit verschiedenen SOAs der zeitliche Verlauf dieser Aktivierungen aufgekl{\"a}rt werden. Die Ergebnisse dieser Studie k{\"o}nnen insgesamt als Evidenz f{\"u}r das Vorhandensein und die automatische, obligatorische Aktivierung eines Netzwerkes arithmetischer Fakten bei gesunden, gebildeten Erwachsenen gewertet werden, in dem die richtigen Produkte st{\"a}rker mit den Faktoren assoziiert sind als benachbarte Produkte (Operandenfehler). Dabei f{\"u}hren Produkte kleiner Aufgaben zu einer st{\"a}rkeren Interferenz als Produkte großer Aufgaben und Operandenfehler großer Aufgaben zu einer st{\"a}rkeren Interferenz als Operandenfehler kleiner Aufgaben. Ein solches Aktivierungsmuster passt gut zu den Vorhersagen des Assoziationsverteilungsmodells von Siegler (Lemaire \& Siegler, 1995; Siegler, 1988), bei dem kleine Aufgaben eine schmalgipflige Verteilung der Assoziationen um das richtige Ergebnis herum aufweisen, große Aufgaben jedoch eine breitgipflige Verteilung. Somit sollte die vorliegende Arbeit etwas mehr Licht in bislang weitgehend vernachl{\"a}ssigte Aspekte der Repr{\"a}sentation und des Abrufs arithmetischer Fakten gebracht haben: Die neuronalen Korrelate ihres Erwerbs, die Konsequenzen ihrer Einbindung in das Stellenwertsystem mit der Basis 10 sowie die spezifischen Auswirkungen ihrer assoziativen semantischen Repr{\"a}sentation auf ihre automatische Aktivierbarkeit. Literatur Campbell, J. I. (1997). On the relation between skilled performance of simple division and multiplication. Journal of Experimental Psychology: Learning, Memory, and Cognition, 23, 1140-1159. Dehaene, S. \& Cohen, L. (1995). Towards an anatomical and functional model of number processing. Mathematical Cognition, 1, 83-120. Dehaene, S. \& Cohen, L. (1997). Cerebral pathways for calculation: double dissociation between rote verbal and quantitative knowledge of arithmetic. Cortex, 33, 219-250. Dehaene, S., Piazza, M., Pinel, P., \& Cohen, L. (2003). Three parietal circuits for number processing. Cognitive Neuropsychology, 20, 487-506. Domahs, F., Bartha, L., \& Delazer, M. (2003). Rehabilitation of arithmetic abilities: Different intervention strategies for multiplication. Brain and Language, 87, 165-166. Galfano, G., Rusconi, E., \& Umilta, C. (2003). Automatic activation of multiplication facts: evidence from the nodes adjacent to the product. Quarterly Journal of Experimental Psychology A, 56, 31-61. Lefevre, J. A., Bisanz, J., \& Mrkonjic, L. (1988). Cognitive arithmetic: evidence for obligatory activation of arithmetic facts. Memory and Cognition, 16, 45-53. Lemaire, P. \& Siegler, R. S. (1995). 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