@phdthesis{Ziemer2005, author = {Ziemer, Gesa}, title = {Verletzbare Orte : Entwurf einer praktischen {\"A}sthetik}, url = {http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:kobv:517-opus-7374}, school = {Universit{\"a}t Potsdam}, year = {2005}, abstract = {Hauptanliegen der Dissertation ist es, einen Entwurf einer praktischen {\"A}sthetik zu lancieren, der an der Schnittstelle zwischen philosophischer {\"A}sthetik und Kunst - genauer Performancekunst - im Zeichen der Bezugsgr{\"o}sse der Verletzbarkeit steht. In j{\"u}ngeren {\"A}sthetikans{\"a}tzen hat sich eine Auffassung herauskristallisiert, die nicht {\"u}ber, sondern mit Kunst reflektiert. Die Pointe im ‚Mit' liegt darin, dass diese {\"A}sthetiken die Kunst nicht erkl{\"a}ren, sie bestimmen und damit ihre Bedeutung festlegen, sondern dass diese entlang der Kunst die Br{\"u}che, Widerst{\"a}nde und Z{\"a}suren zwischen Wahrnehmen und Denken markieren und diese als produktiv bewerten. Diese Lesart etabliert ein Denken, das nicht aus der Distanz auf etwas schaut (theoria), sondern {\"a}sthetisch-reflektierend (zur{\"u}ckwendend, auch selbstkritisch) mit der Kunst denkt. Die Disziplin der {\"A}sthetik - als aisthesis: Lehre der sinnlichen Wahrnehmung - nimmt innerhalb der Philosophie eine besondere Stellung ein, weil sie auf ebendiese Differenz verweist und deshalb sinnliche und nicht nur logisch-argumentatorische Denkfiguren st{\"a}rkt. Als eine M{\"o}glichkeit, die Kluft, das Nicht-Einholbare, die br{\"u}chige Unzul{\"a}nglichkeit des begrifflich Denkenden gegen{\"u}ber {\"a}sthetischer Erfahrung zu st{\"a}rken, schlage ich die Bezugsgr{\"o}sse der Verletzbarkeit vor. Eine solche {\"A}sthetik besteht aus dem Kreieren verletzbarer Orte, wobei diese auf zweierlei Weisen umkreist werden: Zum einen aus der Kunstpraxis heraus anhand der {\"a}sthetischen Figur des verletzbaren K{\"o}rpes, wie er sich in der zeitgen{\"o}ssischen Performance zeigt. Zum anderen als ein Kreieren von Begriffen im Bewusstsein ihrer Verletzbarkeit. Ausgangspunkte sind die Denkentw{\"u}rfe von Gilles Deleuze und Hans Blumenberg: Die {\"A}sthetik von Gilles Deleuze entwirft eine konkrete {\"U}berschneidungsm{\"o}glichkeit von Kunst und Philosophie, aus der sich meine These des Mit-Kunst-Denkens entwickeln l{\"a}sst. Sie kann aus der Grundvoraussetzung des Deleuzeschen Denkens heraus begr{\"u}ndet werden, die besagt, dass nicht nur die Kunst, sondern auch die Philosophie eine sch{\"o}pferische T{\"a}tigkeit ist. Beide Disziplinen beruhen auf dem Prinzip der creatio continua, durch welche die Kunst Empfindungen und die Philosophie Begriffe sch{\"o}pft, wobei eben genau dieser sch{\"o}pferische Prozess Kunst und Philosophie in ein produktives Verh{\"a}ltnis zueinander treten l{\"a}sst. Wie Deleuze seine Begriffsarbeit entlang k{\"u}nstlerischer Praxis entwickelt, wird anhand der Analyse des bis heute wenig rezipierten Textes Ein Manifest weniger in Bezug auf das Theater von Carmelo Bene analysiert. Eine ganz anderen Zugang zum Entwurf einer praktischen {\"A}sthetik liefert Hans Blumenberg, der eine Theorie der Unbegrifflichkeit in Aussicht stellt. Im Anschluss an seine Forderung, die Metapher wieder vermehrt in die philosophische Denkpraxis zu integrieren, radikalisiert er seine Forderung, auch das Nichtanschauliche zu ber{\"u}cksichtigen, indem er das g{\"a}nzlich Unbegriffliche an die Seite des Begrifflichen stellt. Definitorische Schw{\"a}che zeigt sich als wahrhaftige St{\"a}rke, die in der Unbegrifflichkeit ihren Zenit erreicht. Der Schiffbruch wird von mir als zentrale Metapher - gewissermassen als Metapher der Metapher - verstanden, die das Auf-Grund-Laufen des Allwissenden veranschaulicht. Im Schiffbruch wird die produktive Kollision von Theorie und Praxis deutlich. Deleuze und Blumenberg zeigen {\"u}ber ‚creatio continua' und ‚Unbegrifflichkeit' die Grenzen des Begreifens, indem sie betonen, dass sich {\"A}sthetik nicht nur auf k{\"u}nstlerische Erfahrungen bezieht, sondern selber in das Gegenw{\"a}rtigmachen von Erfahrungen involviert ist. Daraus folgt, dass {\"a}sthetische Reflexion nicht nur begrifflich agieren muss. Die praktische {\"A}sthetik animiert dazu, andere darstellerische Formen (Bilder, T{\"o}ne, K{\"o}rper) als differente und ebenb{\"u}rtige reflexive Modi anzuerkennen und sie als verletzbarmachende Formate der Sprache an die Seite zu stellen. Diese Lesart betont den gestalterischen Aspekt der {\"A}sthetik selber. Zur Verdeutlichung dieser Kluft zwischen (K{\"o}rper-)Bild und Begriff ist der von mir mitgestaltete Film Augen blickeN der Dissertation als Kapitel beigef{\"u}gt. Dieser Film zeigt Performer und Performerinnen, die sich bewusst entschieden haben, ihren ‚abweichenden' K{\"o}rper auf der B{\"u}hne zu pr{\"a}sentieren. Das Wort Verletzbarkeit verweist auf die paradoxe Situation, etwas Br{\"u}chiges tragf{\"a}hig zu machen und dadurch auch auf eine besondere Beziehungsform und auf ein existenzielles Aufeinander-Verwiesensein der Menschen. Verletzbarkeit geht alle an, und stiftet deshalb eine Gemeinsamkeit besonderer Art. In diesem Sinne sind verletzbare Orte nicht nur {\"a}sthetische, sondern auch ethische Orte, womit die politische Dimension des Vorhabens betont wird.}, subject = {{\"A}sthetik}, language = {de} }