@phdthesis{Ohl2023, author = {Ohl, Simon}, title = {Gemeinschaft im individualisierten Unterricht}, doi = {10.25932/publishup-59882}, url = {http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:kobv:517-opus4-598828}, school = {Universit{\"a}t Potsdam}, pages = {VII, 235}, year = {2023}, abstract = {In der Schule sollen alle Kinder und Jugendliche die Kompetenzen erwerben, die sie ben{\"o}tigen, um selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu k{\"o}nnen. Dabei ist es notwendig im Unterricht auf die individuellen Lernvoraussetzungen der Sch{\"u}ler:innen zu reagieren, damit sie optimal beim Lernen unterst{\"u}tzt werden k{\"o}nnen. H{\"a}ufig wird in diesem Zusammenhang vom „individualisierten Unterricht" gesprochen, der sich dadurch auszeichnen, dass das Lernangebot bestm{\"o}glich an die einzelnen Sch{\"u}ler:innen angepasst wird. Eine Individualisierung des Unterrichts kann jedoch bedeuten, dass die Sch{\"u}ler:innen nur noch an ihren eigenen Aufgaben arbeiten, ohne sich miteinander auszutauschen. Von einigen Autor:innen wurde daher die Bef{\"u}rchtung ge{\"a}ußert, dass die Individualisierung des Unterrichts zu einer Vereinzelung im Unterricht f{\"u}hrt und die Lerngruppe als Gemeinschaft kaum noch eine Rolle spielt. Schule soll neben fachlichen Kompetenzen jedoch auch soziale Werte und Normen vermitteln, die zu einer gesellschaftlichen Integration beitragen und Demokratie f{\"o}rdern. Dabei wird als zentrale Aufgabe von Schule die Vorbereitung der Kinder und Jugendliche auf ein Zusammenleben in einer pluralen Gesellschaft gesehen. So sollen sie lernen gemeinsame L{\"o}sungen, Solidarit{\"a}t und Verantwortungs{\"u}bernahme {\"u}ber Differenzen hinweg zu entwickeln. Dies kann gelingen, indem eine Gemeinschaft im Unterricht geschaffen wird, in der alle Sch{\"u}ler:innen sich zugeh{\"o}rig und wertgesch{\"a}tzt f{\"u}hlen, voneinander lernen und gleichzeitig gefordert werden in Aushandlungsprozesse miteinander einzutreten. Eine individualisierte Unterrichtsgestaltung und das Erleben einer Gemeinschaft wird von manchen Autor:innen als Spannungsfeld im Unterricht beschrieben. Es gibt jedoch bisher kaum empirische Forschungsarbeiten die den Forschungsgegenstand „Gemeinschaft im individualisierten Unterricht" genauer betrachtet haben. Die vorliegende Studie setzt hier an und geht folgenden Fragestellungen nach: 1. „Was wird von Lehrkr{\"a}ften unter einer Gemeinschaft im individualisierten Unterricht verstanden?", 2. „Wie wird eine Gemeinschaft im individualisierten Unterricht von Lehrkr{\"a}ften gestaltet?", 3. „Inwiefern kann Gemeinschaft im individualisierten Unterricht {\"u}ber das Gemeinschaftsgef{\"u}hl der Sch{\"u}ler:innen erfasst werden?" 4. „L{\"a}sst sich ein Zusammenhang zwischen dem Gemeinschaftsgef{\"u}hl der Sch{\"u}ler:innen und der Individualisierung des Unterrichts feststellen?" und 5. „L{\"a}sst sich im individualisierten Unterricht ein Zusammenhang zwischen dem Gemeinschaftsgef{\"u}hl und der sozialen Eingebundenheit der Sch{\"u}ler:innen feststellen?". Den Forschungsfragen wurde anhand von drei Teilstudien nachgegangen, die in einem Mixed Methods Design parallel zueinander durchgef{\"u}hrt und abschließend aufeinander bezogen wurden. Alle drei Studien bezogen sich auf Datenquellen aus dem Ada*Q-Projekt („Adaptivit{\"a}t und Unterrichtsqualit{\"a}t im individualisierten Unterricht"), bei dem neun Grundschulen, die den Deutschen Schulpreis gewonnen haben, anhand verschiedener Datenerhebungen untersucht wurden. Insgesamt wurden in der vorliegenden Studie Daten von 32 Lehrkr{\"a}ften und 542 Sch{\"u}ler:innen aus 49 Lerngruppen herangezogen. Teilstudie 1 nahm die Verst{\"a}ndnisse und die Gestaltung von Gemeinschaft (Forschungsfrage 1 und 2) anhand von Interviews mit Lehrkr{\"a}ften in den Blick. In Teilstudie 2 wurde eine Fragebogenskala f{\"u}r Sch{\"u}ler:innen zur Erfassung des Gemeinschaftsgef{\"u}hls entwickelt (Forschungsfrage 3) und Zusammenh{\"a}nge mit einer individualisierten Unterrichtsgestaltung und Unterrichtsqualit{\"a}t {\"u}berpr{\"u}ft (Forschungsfrage 4). In Teilstudie 3 wurden Sch{\"u}ler:innen anhand der Experience-Sampling-Methode mehrfach im Unterricht zu ihrer sozialen Eingebundenheit befragt und ebenfalls Zusammenh{\"a}nge mit einer individualisierten Unterrichtsgestaltung und Unterrichtsqualit{\"a}t sowie mit dem Gemeinschaftsgef{\"u}hl {\"u}berpr{\"u}ft (Forschungsfrage 5). In Teilstudie 1 zeigte sich mit Blick auf die Forschungsfrage 1, dass die Lehrkr{\"a}fte unterschiedliche Verst{\"a}ndnisse von Gemeinschaft hatten, die auf unterschiedliche Aspekte von Gemeinschaft fokussierten und sich erg{\"a}nzten. Dabei spielte das Spannungsfeld zwischen Individualit{\"a}t, Heterogenit{\"a}t und Gemeinschaft f{\"u}r alle Lehrkr{\"a}fte eine Rolle. In Rahmen der Forschungsfrage 2 konnten außerdem verschiedene Handlungen und Praktiken identifiziert werden, wie Lehrkr{\"a}fte eine Gemeinschaft im individualisierten Unterricht gestalteten und dabei individualisiertes mit gemeinschaftlichem Lernen produktiv miteinander verbanden. Dabei wurde eine Gemeinschaft im Unterricht von den Lehrkr{\"a}ften als zentral f{\"u}r das soziale Lernen der Sch{\"u}ler:innen beschrieben. So verstanden sie den gemeinsamen Unterricht in heterogenen Lerngruppen als Vorbereitung f{\"u}r das Leben und Arbeiten in einer pluralen Gesellschaft. Teilstudie 2 konnte zeigen, dass die Fragebogenskala zum Gemeinschaftsgef{\"u}hl der Sch{\"u}ler:innen gute Reliabilit{\"a}t und Validit{\"a}t aufwies und damit geeignet f{\"u}r weitere Untersuchungen war. Im Anschluss daran zeigten sich Zusammenh{\"a}nge des Gemeinschaftsgef{\"u}hls mit der Unterrichtsqualit{\"a}t (kognitive Aktivierung, Klassenf{\"u}hrung und konstruktive Unterst{\"u}tzung). Insbesondere konstruktive Unterst{\"u}tzung (durch die Lehrkraft) hing stark mit dem Gemeinschaftsgef{\"u}hl der Sch{\"u}ler:innen zusammen. Dieser Zusammenhang war geringer in besonders leistungsheterogenen Lerngruppen (hier erfasst {\"u}ber die Jahrgangsmischung). So war das Gemeinschaftsgef{\"u}hl dort weniger abh{\"a}ngig von der Beziehungsqualit{\"a}t zur Lehrkraft. In weiteren Untersuchungen konnte außerdem kein Zusammenhang mit Merkmalen einer individualisierten Unterrichtsgestaltung gefunden werden, was die Bef{\"u}rchtung nicht best{\"a}rkte, dass eine Individualisierung des Unterrichts und eine Gemeinschaft im Unterricht sich gegenseitig ausschließen. In Teilstudie 3 zeigte sich, dass die soziale Eingebundenheit der Sch{\"u}ler:innen von Situation zu Situation und von Sch{\"u}ler:in zu Sch{\"u}ler:in stark variierte. Die durchschnittlich empfundene soziale Eingebundenheit der Sch{\"u}ler:innen und auch das Ausmaß der Variation der sozialen Eingebundenheit hingen dabei eng mit dem Gemeinschaftsgef{\"u}hl zusammen. Dieser Befund blieb auch unter Einbezug der Unterrichtsqualit{\"a}t bestehen, die keinen eigenen Einfluss auf die soziale Eingebundenheit zeigte. Außerdem ließen sich positive Zusammenh{\"a}nge zwischen sozialer Eingebundenheit und Merkmalen der individualisierten Unterrichtsgestaltung finden. So f{\"u}hlten sich Sch{\"u}ler:innen st{\"a}rker sozial eingebunden, wenn die Aufgaben st{\"a}rker differenziert waren und sie mehr Autonomie bei der Bearbeitung der Aufgaben hatten. Zusammengefasst weisen die Ergebnisse der vorliegenden Studie darauf hin, dass Gemeinschaft im individualisierten Unterricht sowohl f{\"u}r die Lehrkr{\"a}fte als auch f{\"u}r die Sch{\"u}ler:innen eine wichtige Rolle spielt. So sprechen die Lehrkr{\"a}fte einer Gemeinschaft wichtige Funktionen in ihrem Unterricht zu und k{\"u}mmern sich aktiv darum eine Gemeinschaft zu gestalten. Das Gemeinschaftsgef{\"u}hl der Sch{\"u}ler:innen zeigte positive Zusammenh{\"a}nge mit relevanten Aspekten der Unterrichtsqualit{\"a}t und mit sozialer Eingebundenheit. Die Bef{\"u}rchtung, dass eine Individualisierung des Unterrichts zu einer Vereinzelung der Sch{\"u}ler:innen f{\"u}hrt, konnte nicht best{\"a}tigt werden. Vielmehr scheinen Individualisierung und Gemeinschaft sich gegenseitig, als zwei Komplement{\"a}re beim Umgang mit Heterogenit{\"a}t zu unterst{\"u}tzen. Die Herausforderung, produktiv mit Heterogenit{\"a}t umzugehen, wird sich auch in der Zukunft an Schulen stellen. Dabei ist nicht nur das individuelle Lernen, sondern auch der soziale Umgang der Sch{\"u}ler:innen miteinander in den Blick zu nehmen. Die vorliegende Studie tr{\"a}gt dazu bei, beides miteinander zu verkn{\"u}pfen, indem die Bedeutung einer Gemeinschaft im individualisierten Unterricht anhand verschiedener Perspektiven herausgearbeitet wird. Abschließend werden Implikationen f{\"u}r Forschung und Praxis formuliert.}, language = {de} }